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ID1109113900

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    Plenarprotokoll 11/91 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 91. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 8. September 1988 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung) : a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1989: (Haushaltsgesetz 1989) (Drucksache 11/2700) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1988 bis 1992 (Drucksache 11/2701) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt (Fortsetzung) : Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1988: (Nachtragshaushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/2650) Roth SPD 6209 B Hauser (Krefeld) CDU/CSU 6214 C Sellin GRÜNE 6217D Dr. Graf Lambsdorff FDP 6219C Frau Dr. Martiny-Glotz SPD 6224 B Rossmanith CDU/CSU 6227 A Schäfer (Offenburg) SPD 6229 A Schmidbauer CDU/CSU 6232 D Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE . . . 6235 C Baum FDP 6238 B Lennartz SPD 6241 A Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 6243 C Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 6245 C Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI . 6254 C Dr. Penner SPD 6256 C Frau Seiler-Albring FDP 6262 C Frau Olms GRÜNE 6263 D Dr. Laufs CDU/CSU 6265 D Dr. Hirsch FDP 6268 D Wüppesahl fraktionslos 6270 D Gerster (Mainz) CDU/CSU 6273 A Engelhard, Bundesminister BMJ 6276 A Dreßler SPD 6276 C Cronenberg (Arnsberg) FDP 6280 B Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 6282 A Frau Hasselfeldt CDU/CSU 6284 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA 6287 D Heyenn SPD 6293 A Tagesordnungspunkt 2: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung der bundeseigenen Wohnsiedlung in Mariental-Horst bei Helmstedt (Drucksachen 11/2301, 11/2561) Roth (Gießen) CDU/CSU 6250 C Müntefering SPD 6251 B Zywietz FDP 6252 B Brauer GRÜNE 6252 D Dr. Voss, Parl. Staatssekretär BMF . . . 6253 C Nächste Sitzung 6295 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 6296* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1988 6209 91. Sitzung Bonn, den 8. September 1988 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 9. 9. Dr. Becker (Frankfurt) 9. 9. Böhm (Melsungen)* 9. 9. Dr. von Bülow 8. 9. Gallus 8. 9. Gattermann 9. 9. Dr. Glotz 9. 9. Dr. Götz 9. 9. Dr. Hauff 9. 9. Hiller (Lübeck) 9. 9. Höpfinger 9. 9. Frau Hoffmann (Soltau) 9. 9. Ibrügger* * 9. 9. Dr.-Ing. Kansy* * 9. 9. Frau Karwatzki 9. 9. Frau Kelly 8. 9. Kiechle 9. 9. Klose 9. 9. Dr. Kreile 9. 9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Kroll-Schlüter 9. 9. Kuhlwein 9. 9. Dr. Kunz (Weiden)* * 9. 9. Dr. Meyer zu Bentrup 8. 9. Niegel* 9. 9. Oostergetelo 9. 9. Poß 8. 9. Dr. Probst 9. 9. Rappe (Hildesheim) 9. 9. Reuschenbach 9. 9. Schäfer (Mainz) 9. 9. Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) 9. 9. Frau Steinhauer 9. 9. Tietjen 9. 9. Toetemeyer 8. 9. Frau Weiler 9. 9. Westphal 9. 9. Frau Wilms-Kegel 9. 9. Wissmann 9. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates * * für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
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    Rede von Rudolf Dreßler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
    Es ist aus zwei Gründen wichtig, daß wir Bilanz ziehen, einmal um Anspruch und Wirklichkeit miteinander zu vergleichen, also Reklame und Ware, und zweitens auch um aus Erfahrung klüger zu werden, um einer neuen Politik eine Chance zu geben.
    Dieser Satz wurde am 11. Dezember 1979 im Deutschen Bundestag gesprochen. Der Abgeordnete Blüm war der Redner.
    Es war von „Anspruch und Wirklichkeit", „Reklame und Ware" und „einer neuen Politik eine Chance . . . geben" die Rede. Die Debatte um den Bundeshaushalt bietet Gelegenheit für eine Bestandsaufnahme. Wird der Bundeshaushaltsentwurf den Anforderungen gerecht? Finden wir Ansätze, um einer neuen Politik eine Chance zu geben?
    Trotz gegenwärtig vergleichsweise guter gesamtwirtschaftlicher Entwicklung steigt die Massenarbeitslosigkeit weiter. Wie lange der frühzeitige, möglicherweise vorgezogene Herbstaufschwung trägt, das ist die Frage. Schon jetzt aber ist erkennbar: Er geht, wie die saisonale Belebung am Anfang des Jahres, am Arbeitsmarkt vorbei.
    Die Politik der Bundesregierung hat die Probleme nicht gelöst, sondern im Gegenteil verschärft. Durch die Achte Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes wurde der Bundesanstalt für Arbeit 1 Milliarde DM an Mitteln entzogen. Völlig systemfremd sind seitdem die Beitragszahler zur Förderung benachteiligter Jugendlicher, für die Berufsausbildungsbeihilfen und für die Sprachförderung von Aussiedlern zuständig. Gerade dadurch, d. h. durch den Mittelentzug, ist die Qualifizierungsoffensive in die Defensive geraten.
    Die Bundesregierung schiebt die Probleme vor sich her. Die finanzielle Schieflage der Bundesanstalt für Arbeit wurde auch dann noch geleugnet, als sie schon mit den Händen greifbar war. Der Bundesarbeitsminister hat noch am 21. April dieses Jahres in der von uns beantragten Aktuellen Stunde folgendes erklärt:
    Wir diskutieren heute über ein mögliches Defizit der Bundesanstalt, von dem niemand weiß, ob es eintritt und wie hoch es eintritt.

    (Heyenn [SPD]: Reine Verschleierung!)

    Schon wenige Wochen später mußte der Bundesfinanzminister einen Zuschuß von rund 1 Milliarde DM



    Dreßler
    zugestehen. Natürlich reicht das nicht. Im nächsten Jahr steigt die Finanzlücke der Bundesanstalt bis auf 6 Milliarden DM, vorsichtig gerechnet unter Einschluß der Aussiedlerzahlen. Die Bundesregierung bleibt mir ihrer Kalkulation wirklichkeitsfremd mit einer Milliarde DM darunter. Ich sage Ihnen: Diese Position werden Sie nicht einmal bis zur Verabschiedung des Haushaltsgesetzes durchhalten. Warum also jetzt wieder falsche Zahlen? Nur Lust an der Methode des Tarnens und Täuschens kann Sie dazu verleiten.
    Mit der 9. Novelle zum AFG kassieren Sie erneut ab, z. B. bei den jugendlichen Arbeitslosen, denen das Arbeitslosengeld gekürzt wird, aber auch bei den Ländern. Die Kürzung des ABM-Zuschusses hat verheerende Folgen, z. B. in Nordrhein-Westfalen. Herr Blüm, Sie haben ein merkwürdiges Verständnis von Ihrer Aufgabe als Landesvorsitzender der CDU in diesem Bundesland. Sie machen Politik gegen Nordrhein-Westfalen,

    (Grünbeck [FDP]: Sie machen Wahlkampf!)

    Sie entlasten sich, den Bund, und belasten die Länder, allein das Land Nordrhein-Westfalen mit schätzungsweise 80 Millionen DM. Ihnen sind die Folgen offensichtlich völlig egal.
    Der gesamte bundesrepublikanische Sachverstand — natürlich ausgenommen die Mitglieder der Bundesregierung — ist sich einig: Fortbildung und Umschulung müssen großgeschrieben werden, gerade in Zeiten steigender Massenarbeitslosigkeit.

    (Beifall bei der SPD — Bohl [CDU/CSU]: Alles Sprechblasen!)

    Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben es zugelassen, daß die Auftragsmaßnahmen der Arbeitsämter im Bereich Fortbildung und Umschulung massiv zurückgegangen sind und daß qualitativ schlechte Einzelmaßnahmen zum Teil an deren Stelle getreten sind. Nachdem alles aus dem Ruder gelaufen ist, fällt Ihnen nur noch ein, den Rechtsanspruch auf Sachkostenerstattung abzuschaffen und statt dessen eine Förderung nach — immer enger werdender — Kassenlage vorzunehmen. Mit sinnvoller Arbeitsförderung, Herr Blüm, hat das immer weniger zu tun.
    Mit Ihren Abkassierungsgeschäften treffen Sie auf unseren knallharten Widerstand. Wenn Sie allerdings endlich auf die Vorschläge der Evangelischen Kirche Deutschlands zur Erschließung von Beschäftigungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose eingehen würden, hätten Sie garantiert die Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion. Wenn es nämlich darum geht, den Menschen zu helfen, sind wir stets zur Zusammenarbeit bereit. Uns geht es nicht um Opposition als Selbstzweck. Wir unterstreichen, daß zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit eine breite gesellschaftliche Initiative notwendig ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Eine gemeinsame Initiative dieses Parlaments zur Erarbeitung einer Strukturreform im Gesundheitswesen hatte die SPD-Fraktion ebenfalls frühzeitig vorgeschlagen. Wir erleben hingegen, daß ein besonders eindrucksvolles Beispiel von Etikettenschwindel im Verantwortungsbereich des Arbeitsministers mit der
    Vorlage eines sogenannten Gesundheitsreform-Gesetzes geliefert wurde. Wer in diesem Hause wüßte nicht, meine Damen und Herren, daß unser Gesundheitswesen dringend der Reform bedarf. Wir alle stehen hier in der Pflicht. Ich bedaure, daß Herr Bundesminister Blüm unser Angebot, gemeinsam eine Lösung für eine wirkliche Strukturreform des Gesundheitswesens zu suchen, brüsk zurückgewiesen hat.
    Wenn die Alternative wirklich „Reform oder Ruin" heißen würde, wie Herr Blüm behauptet, wenn es wirklich, wie er gesagt hat, darum geht, daß sich dieses Parlament gegen ein Tanzfest des Lobbyismus behauptet, warum haben Sie dann unser Gemeinsamkeitsangebot zurückgewiesen? Ich will es Ihnen sagen: Weil Sie wußten, daß die Zustimmung der Sozialdemokraten zu einem Projekt, das einseitig die Versicherten belastet und die Anbieter schont, nie und nimmer zu erhalten war.

    (Beifall bei der SPD)

    Weil Sie wußten, Herr Blüm, daß wir nicht Kostenumverteilung, sondern eine wirkliche Reform wollen, die die strukturellen Mängel wirklich beseitigt.
    Das Tanzfest des Lobbyismus gibt es wirklich. Der Auftaktwalzer dazu wurde allerdings in der Koalition gespielt. Sie haben doch die Lobbyisten in den eigenen Reihen, ja am Kabinettstisch sitzen sie.
    Meine Damen und Herren, nachdem bekanntgeworden ist, daß 68 % der Bundesbürger die Arbeit der Bundesregierung negativ bewerten, nachdem klar ist, daß noch nie eine Bundesregierung von Wählerinnen und Wählern derart schlecht eingeschätzt wurde, suchten und fanden CDU/CSU und FDP endlich Außerungen von SPD-Mitgliedern, mit denen Sie — es sei Ihnen vergönnt — von Ihrem desolaten Zustand ablenken können. Daß ich auch zu den Auserwählten der Union und der FDP gehöre, freut mich.

    (Zuruf des Abg. Scharrenbroich [CDU/ CSU])

    — Damit kein Mißverständnis entsteht: Wenn diese Regierung, Herr Kollege Scharrenbroich, bis zu den Ohren im Schlamm steht und wenn die Beschimpfungen zwischen CDU/CSU und FDP justitiablen Charakter angenommen haben, hat eine innerparteiliche Diskussion in der SPD über eine Vervollkommnung unseres politischen Programms eine andere Qualität.

    (Beifall bei der SPD)

    Dann mache ich mir Sorgen, weil ich nicht will, daß der Eindruck entsteht, die Sozialdemokratie könne während dieser Diskussion die zurückgewonnene Kompetenz für unsere Gesellschaft zum Teil einbüßen. Dann mache ich mir Sorgen, weil ich nicht will, daß auch von der SPD der Eindruck ausgehen könnte, daß ein Hobbyverhältnis wie in der CDU/CSU zu den Problemen der Arbeitnehmer in meiner Partei Platz hätte.
    Routinemäßig haben uns Bundeskanzler Kohl und Herr Kollege Dregger in diesen Tagen vorgeworfen, wir hätten kein Konzept zur Gesundheitsreform. Aber gleichzeitig diffamieren die Herren Blüm und Geißler unser Konzept, das wir angeblich gar nicht haben, als Gesundheitssowjet. Ich nenne das christde-



    Dreßler
    mokratische Arbeitsteilung, die wir lange kennen. Sie wissen natürlich, daß wir ein Konzept haben. Sie mögen es nur nicht, weil es Sie mit einigen unangenehmen Wahrheiten konfrontiert.
    Zu all den wirklichen Strukturfragen des Gesundheitswesens, um deren Beantwortung Sie sich herumdrücken, präsentieren wir Antwortvorschläge. Ist Ihnen eigentlich bewußt, was Ihre Drückebergerei konkret bedeutet?

    (Grünbeck [FDP]: Mal zur Sache!)

    Herr Blüm kennt doch die Alarmrufe vieler Krankenkassen. Diese schreiben doch ihre Briefe nicht nur an mich, sondern auch an ihn Er hat doch auch ein Schreiben der AOK Hamburg erhalten, in dem Beitragssätze von 16,5 % oder 17 % für das kommende Jahr angekündigt werden, wenn die strukturellen Verwerfungen, etwa die Nord-Süd-Problematik, nicht gelöst werden. Wo sind dazu die Lösungsvorschläge der Regierung, Herr Blüm?

    (Bohl [CDU/CSU]: Die haben wir!)

    Richten Sie sich darauf ein: Sie werden Gelegenheiten bekommen, zu allen Fragen Stellung zu nehmen. Wir werden Ihnen Gelegenheit geben, sich zu entscheiden, zwischen Ihrem Abkassierungsmodell und einem wirklichen Reformkonzept, das die Strukturprobleme lösen kann.
    Ein weiteres grundlegendes Minuspaket dieser Koalition ist der Generalangriff auf die jahrelang bewährte Betriebsverfassung.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

    Ein Kriterium für die Leistungskraft unserer Wirtschaft war bisher immer ein konsensfähiges Fundament: Produktivität, Innovationskraft, qualifizierte Arbeitskräfte, ein leistungsfähiger Sozialstaat und eine kooperative Konfliktbewältigung. Dieses soziale Fundament war Teil unseres Erfolges.
    Das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 und die Montan-Mitbestimmung haben das erst ermöglicht. Mit der Montan-Mitbestimmung ist der Strukturwandel in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gestaltet worden. Weil Minister Blüm nicht fähig war, in der letzten Legislaturperiode die Montan-Mitbestimmung zu sichern, hat er der FDP die Möglichkeit gegeben, den Preis hochzutreiben.

    (Scharrenbroich [CDU/CSU]: Das Auslaufgesetz kam doch von Ihnen, nicht von uns!)

    In dem jetzt vorgelegten Artikelgesetz zur Betriebsverfassung und zur Montan-Mitbestimmung hat Herr Blüm und haben die Sozialausschüsse die MontanMitbestimmung mit einer Demontage des Betriebsverfassungsgesetzes bezahlt.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Die gesetzliche Verankerung von Sprecherausschüssen für leitende Angestellte und die Zerschlagung der betrieblichen Interessenvertretung sind der Preis, den die FDP verlangt hat und den die CDU/CSU bezahlen will. Wir wissen uns mit den Gewerkschaften und den Unternehmern einig: Die Zerschlagung der einheitlichen betrieblichen Interessenvertretung hilft nicht den Arbeitgebern und schon gar nicht den Arbeitnehmern. Sie dient lediglich einer kleinen Gruppe Privilegierter und gewerkschaftlich unbedeutenden Splittergruppen. Sie, Herr Blüm, tragen die Verantwortung für dieses unselige Junktim.

    (Beifall bei der SPD)

    Wie wollen Sie eigentlich an Rhein und Ruhr erklären, welcher Zusammenhang zwischen der Sicherung der Montan-Mitbestimmung und dieser Demontage des Betriebsverfassungsgesetzes besteht? Es ist wie immer: Statt die wirtschaftlichen Partner an einen Tisch zu bringen, um mit ihnen gemeinsam nach Wegen aus der Beschäftigungskrise zu suchen, haben Sie eine arbeitnehmerfeindliche Politik weiterentwikkelt. Sie haben den Jugendarbeitsschutz abgebaut. Sie haben das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz mit seinen schlimmen sozialen Folgen eingeführt. Sie haben im Schwerbehindertengesetz den besonderen Kündigungsschutz für Schwerbehinderte abgebaut und den Zusatzurlaub gekürzt. Sie haben ohne Not mit der Änderung des § 116 den schwersten Sozialkonflikt der letzten Jahre vom Zaun gebrochen. Sie müssen darüber hinaus das Arbeitsförderungsgesetz in einer Geschwindigkeit novellieren, die nichts als Unsicherheit bringt, weil Sie mit der heißen Nadel Gesetzentwürfe nähen, Löcher stopfen und gleichzeitig andere aufreißen und in der Konsequenz zu schwach sind, um Herrn Stoltenbergs Abkassierungsgebaren Einhalt zu gebieten.

    (Beifall bei der SPD)

    Das nächste ungelöste Kapitel heißt: illegale Beschäftigung, Sozialversicherungsausweis. Die illegale Beschäftigung, der Mißbrauch der Leiharbeit und die Schwarzarbeit haben kriminelle Ausmaße angenommen. Über den Umfang gibt es unterschiedliche Zahlen. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit sprach von mindestens 100 000 Arbeitsplätzen.
    Verschärft hat sich die Situation allerdings, weil sich der Arbeitsmarkt geändert hat. Unternehmer schmelzen ihre Stammbelegschaften ab. Nur für den Kernbereich ihrer Produktion behalten sie in der Regel fest angestellte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Andere anfallende Arbeiten werden an Fremdfirmen vergeben. Das bedeutet, die Arbeiten werden immer noch auf dem Gelände der Firma ausgeführt, aber die dort Beschäftigten arbeiten zu höchst unterschiedlichen Bedingungen, viele von ihnen im Rahmen von Werkverträgen oder legaler Arbeitnehmerüberlassung, einige sind in die Scheinselbständigkeit getrieben worden, und andere sind illegal beschäftigt.
    Die unter sozialliberaler Regierung verabschiedeten Gesetze, das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vom August 1972 und das Gesetz zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung vom Dezember 1981, waren Schritte in die richtige Richtung.
    Die SPD hat auch in der Vergangenheit immer wieder auf diese Problematik aufmerksam gemacht, so durch die Große Anfrage zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des Mißbrauchs der Arbeitnehmerüberlassung in der letzten Legislaturperiode und durch einen Antrag zum gleichen Thema in der vorletzten Legislaturperiode. Die Regierung hat aller-



    Dreßler
    dings außer schönen Sprüchen nichts zu bieten. Unsere Vorschläge wurden immer wieder abgeblockt.
    In dieser Legislaturperiode liegt uns nun ein Entwurf zur Einführung eines Sozialversicherungsausweises vor. Aber wieder einmal zeigt sich: Aus dem Verantwortungsbereich des Arbeitsministers kommt nichts, was die Probleme wirklich löst und das Übel an der Wurzel packt. Hauptzielgruppen dieses Gesetzes sind nämlich Arbeitnehmer, die illegal beschäftigt werden und damit sogenannten Leistungsmißbrauch betreiben. Verfolgt werden also diejenigen, deren Not schamlos ausgenutzt wird.
    Maßnahmen, die mit gleicher Härte gegenüber Auftraggebern und Arbeitgebern vorgehen, wird man in diesem Gesetzentwurf nicht finden.
    Die Bundesregierung glaubt, die illegale Beschäftigung bekämpfen zu können, wenn sie Arbeitnehmer diszipliniert. Außer acht läßt sie aber, daß Auftraggeber und Arbeitgeber an der Beschäftigung billigster Arbeitskräfte ein großes Interesse haben. Hier muß man ansetzen, meine Damen und Herren.
    Illegale Beschäftigung darf sich wirtschaftlich nicht mehr lohnen. Die kriminellen Machenschaften skrupelloser Menschenhändler fordern durchgreifende gesetzliche Maßnahmen. Arbeitnehmer müssen vor Ausbeutung geschützt werden, und es muß sichergestellt werden, daß ihre Steuern und Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden.
    Diese Ziele sind mit dem von Herrn Blüm vorgelegten Gesetzentwurf nicht zu erreichen. Der Sozialversicherungsausweis ist für diese Ziele kein geeignetes Mittel. Seine Fälschungssicherheit ist nicht vorgeschrieben. Der Verwaltungskostenaufwand wird enorm sein. Fachleute sprechen von 230 Millionen DM. — Die Summe ist so unglaublich, daß Herr Kolb nur noch lachen kann, aber er lacht ja bei jeder Art von Mark-Beträgen. — Die Bundesanstalt für Arbeit, die in erster Linie die Überwachungsbehörde sein wird, ist angesichts ihrer von der Bundesregierung verursachten katastrophalen Finanzlage nicht fähig, ihren Aufgaben nachzukommen. Ich muß mit Bedauern feststellen: Wieder einmal hat Minister Blüm eine Chance vertan. Wenn er wirklich den Willen und wirklich den Mut hätte, erfolgreiche Bekämpfung der illegalen Beschäftigung zu praktizieren, hätte er unsere lange vorliegenden Vorschläge aufnehmen und hier im Parlament gemeinsam beraten und zur Abstimmung stellen müssen.

    (Beifall bei der SPD)

    Einer der größten Flops des Arbeitsministers ist der Vorruhestand.

    (Fuchtel [CDU/CSU]: Na, na!)

    Das ohnehin bescheidene Vorruhestandsgeldgesetz von 1984 soll abgeschafft werden. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung hat Herr Blüm dann versprochen, Ersatz zu schaffen.
    In den letzten Wochen sind die Umrisse des neuen Modells sichtbar geworden. Wir alle wissen es jetzt: Die neue „Alters-Teilzeit" ist ein winziges und armseliges Feigenblatt für den betriebenen Sozialabbau.
    Die Zahlen, die der Kollege Scharrenbroich vorgelegt hat, zeigen, daß die vorgesehene Zuschußleistung an die Bundesanstalt derart dürftig ist, daß die öffentlichen Kassen nicht nur keinen nennenswerten Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten, sondern sogar noch ein beträchtliches Geschäft machen. Mehr als 5 000 DM jährlich an Entlastung der öffentlichen Kassen pro Teilvorruhestandsfall hat der Kollege Scharrenbroich errechnet.
    Kein Wunder, daß das neue Modell für die Arbeitgeber nicht attraktiv sein kann und daß es für die Gewerkschaften nicht tariffähig ist.

    (Scharrenbroich [CDU/CSU]: Warten wir einmal ab!)

    Vernünftigerweise kann man nicht erwarten, daß Gewerkschaften unter Verzicht auf sonst mögliche Lohnzuschüsse das neue Modell mit Tarifabschlüssen ausschöpfen, die im Ergebnis mehr die öffentlichen Kassen auffüllen als den Arbeitslosen zugute kommen.
    Am 25. Februar 1988 habe ich hier zum Thema „Renten" u. a. folgendes erklärt:
    Man weiß in der Tat nicht, was provozierender ist: die Dreistigkeit der Verharmlosungsversuche oder die Dickfelligkeit beim Versäumnis der elementaren Regierungspflichten. In beidem jedenfalls stehen die Bundesminister Blüm und Stoltenberg einander in nichts nach . . .
    Soweit das Zitat vom 25. Februar.

    (Wolfgram [Göttingen] [FDP]: Jetzt zitiert er sich schon selber!)

    Seit 1984 warnen wir vor den Schwierigkeiten der Rentenfinanzen ab 1991. Seit 1984 liegt dem Deutschen Bundestag das SPD-Konzept für eine Strukturreform der Alterssicherungssysteme vor.
    Die politischen Aktivitäten des zuständigen Arbeitsministers bestanden einerseits aus Ankündigungen und andererseits aus teuren Plakataktionen, die eine beispiellose Verharmlosungskampagne über die Finanzen der Rentenversicherung auf Kosten der Steuerzahler bedeuteten. Auch hier das Regierungsmotto: tarnen und täuschen.
    Und heute? Das Finanzloch der Rentenversicherung vor Augen, sucht die Regierung nach einer Konzeption.
    Meine Damen und Herren, es gehört zur Bestandsaufnahme, uns alle an folgendes zu erinnern: Herr Blüm hat 1983 nicht nur zugelassen, sondern vorgeschlagen, die Rentenkassen zur Entlastung des Bundeshaushalts und zur Finanzierung von Steuersenkungen massiv heranzuziehen. An den Folgen dieses Aderlasses krankt die Rentenversicherung noch heute.

    (Haack [Extertal] [SPD]: Richtig!)

    Fünf Milliarden Deutsche Mark fehlen auf diese Weise alljährlich. Bis 1990 — Herr Kolb, zum Mitrechnen — werden der Rentenkasse dadurch 40 Milliarden Deutsche Mark entzogen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist mir eine schöne Rechnung!)




    Dreßler
    Vier Spargesetze mit empfindlichen Leistungskürzungen mußte Arbeitsminister Blüm durchziehen, um die von ihm selbst aufgerissenen Löcher wenigstens kurzfristig und notdürftig zu stopfen. Aber die langfristigen Finanzierungsprobleme der Alterssicherung sind immer noch ungelöst. Im eigenen Rentenanpassungsbericht der Bundesregierung summieren sich die Fehlbeträge im 15-Jahre-Prognosezeitraum bis auf die unfaßbare Größenordnung von 360 Milliarden Deutsche Mark.
    Wir brauchen endlich eine umfassende Reform, die sich nicht auf Teilkorrekturen und Finanzverschiebungen beschränkt, sondern das Alterssicherungssystem insgesamt und seine Strukturen umfaßt. Wir Sozialdemokraten sind bereit, an einer solchen Reform gemeinsam mit den Koalitionsparteien mitzuarbeiten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aber?)

    Denn wir sind der Überzeugung, daß nur eine mit breiter parlamentarischer Mehrheit verabschiedete Reform das erschütterte Vertrauen in die Sicherheit der Altersversorgung wiederherstellen kann. Wir haben unser Konzept für eine solche Reform der Öffentlichkeit vorgestellt.
    Für Verhandlungen über eine gemeinsame Rentenreform haben wir Vorbedingungen gestellt: erstens den Willen auf der Regierungsseite zu einer deutlichen Erhöhung des Bundeszuschusses. Das ist für uns der Dreh- und Angelpunkt. Alle Kenner der Materie nennen eine Mindestanhebung auf 20 %. Zweitens: Verzicht auf einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zugunsten eines gleichberechtigten gemeinsamen Antrags aller beteiligten Fraktionen.
    Wir haben in den letzten Tagen Anzeichen zur Kenntnis genommen, daß maßgebende Politiker der Koalitionsfraktionen bereit zu sein scheinen, diese SPD-Forderungen zu erfüllen. Wie weit die Übereinstimmung in bezug auf ein Gesamtkonzept geht, werden wir im Verlauf der Verhandlungen feststellen.
    Fest steht allerdings, daß die SPD ihr Rentenkonzept hat. Dazu gehören u. a. die Verbesserung der Rente nach Mindesteinkommen, der Einstieg in die Harmonisierung der verschiedenen Alterssicherungssysteme, die Wiederherstellung voller Rentenversicherungsbeiträge der Bundesanstalt für Arbeit und das Konzept einer sozialen Grundsicherung bei Invalidität und im Alter.
    Zusammenfassend will ich meine Position mit einem Zitat von Herrn Blüm vom 26. Februar 1983 erklären: „Mit mir gibt es keine Rentenpolitik gegen die sozial Schwächeren. "
    Die SPD ist verhandlungsbereit, um einer neuen, besseren Politik eine Chance zu geben.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dieter-Julius Cronenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst bedanke ich mich bei der Kollegin Frau Hasselfeldt, daß sie mir die Möglichkeit verschafft hat, jetzt schon zu sprechen, da ich wegen der Krankheit des Kollegen Westphal gleich noch in anderer Funktion tätig sein soll.
    Der Sozialunternehmer Staat steht vor neuen Herausforderungen in der Alterssicherung, in der Gesundheitspolitik und in anderen Bereichen der sozialen Sicherheit. Es geht darum, die Grenzen dafür neu zu bestimmen, was staatliche und gesellschaftliche Aufgaben sind, was der einzelne zu leisten hat, was der einzelne leisten kann. Wer dem Staat oder den Sozialversicherungsträgern immer mehr Aufgaben aufbürdet,

    (Schreiner [SPD]: Die FDP zum Beispiel!)

    darf sich nicht wundern, wenn Steuern und Sozialabgaben steigen. Der Bundeshaushalt ist ebensowenig eine unversiegbare Melkkuh wie die Sozialversicherung. Steuern und Beiträge sind schwer erarbeitete Groschen der Bürger. Die Konsolidierung der Sozialversicherungssysteme ist unausweichlich notwendig, um der Sicherheit der Sozialsysteme selbst willen, aber auch, um Überbelastungen durch Steuern und Beiträge zu vermeiden. Vergessen wir nicht: Von der breiten Akzeptanz, z. B. im Falle der Rentenversicherung — der Kollege Dreßler hat eben darauf hingewiesen —, hängt es ab, ob dieses System funktioniert.
    Deswegen unternehme ich den redlichen Versuch, in dieser Frage Konsens auch mit den Sozialdemokraten herbeizuführen.
    Wenn die Sozialdemokraten unser beitrags- und leistungsbezogenes Alterssicherungssystem erhalten wollen, dann sollten sie mit ebensoviel gutem Willen in diese Diskussion mit uns eintreten, wie ich bereit bin, es zu tun.

    (Heyenn [SPD]: Aber das tun wir doch! Oder?)

    — Bis jetzt habe ich den Eindruck. Ich bestreite das ja gar nicht. Im Gegenteil, ich fordere dazu auf, Herr Kollege Heyenn, und möchte eigentlich eher eine versöhnliche Note hereinbringen. Das bedeutet aber auch, Herr Kollege Heyenn, daß in Wahlkämpfen auf Rentnerverunsicherung verzichtet wird, wie es die jeweilige Opposition, egal, wer gerade Opposition war, immer getan hat.

    (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Wir nie!)

    Die Rentenversicherung ist für die Mehrheit unserer Bevölkerung die bewährte Basis ihrer Alterssicherung. Wer hier zu knauserig, zu kleinkariert fiskalisch an die Dinge herangeht, zerstört das notwendige Vertrauen. Deswegen ist es meines Erachtens notwendig und richtig, daß nicht nur der Beitragszahler, sondern auch der Steuerzahler einen angemessenen Anteil zur Stabilisierung dieses Sicherungssystems leistet. Im Prinzip, meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, besteht über die Anhebung des Bundeszuschusses ein breiter Konsens: vom Finanzminister bis zur SPD. Strittig allerdings sind Höhe und Zeitpunkt. Deshalb möchte ich auf folgendes hinweisen.
    Zu Beginn der 90er Jahre stehen kurzfristig nur die Parameter Anhebung des Bundeszuschusses, nettoähnliche Rentenanpassung sowie Steigerung der Bei-



    Cronenberg (Arnsberg)

    tragssätze zur Verfügung. Notwendige strukturelle Veränderungen, z. B. die Neuordnung beitragsloser Zeiten, Verlängerung der Lebensarbeitszeit, auch Senkung des Rentenniveaus, können erst langfristig greifen. Ich plädiere daher dafür, beim Bundeszuschuß nicht zu kleckern.

    (Heyenn [SPD]: Sehr gut!)

    So halte ich es persönlich für wichtig, den Beitragssatz möglichst lange, wie es im Gesetz steht, bei 18,5 % zu belassen. Dafür sprechen meines Erachtens zwei gewichtige Gründe.
    Erstens. Gerade im Interesse von mehr Beschäftigung müssen wir, soweit möglich, Erhöhungen der Beitragssätze und damit Lohnnebenkosten vermeiden.

    (Beifall bei der FDP)

    Zweitens. Da die eigentlichen demographischen Probleme erst nach dem Jahre 2000 auftreten, ist es meines Erachtens falsch, zu früh den ohnehin begrenzten Spielraum für Beitragssatzerhöhungen auszunutzen. Einer solchen Überlegung, so hoffe ich, werden sich auch längerfristig denkende Finanzpolitiker nicht entziehen können.

    (Dreßler [SPD]: Eine gute Rede an die eigene Koalition! Ich habe schon gesehen, wohin Sie geguckt haben, Herr Kollege! — Heyenn [SPD]: Auch an die eigene Fraktion!)

    Gestatten Sie mir im Zusammenhang mit den Lohnnebenkosten einen kurzen Exkurs betreffend den Arbeitsmarkt. Intensive Bemühungen um Beitragssatzstabilisierung sind zugleich ein wichtiger Beitrag zu einer aktiven Beschäftigungspolitik. Nach wie vor bin ich der Auffassung, daß wir die Arbeitslosigkeit nicht beseitigen können, wenn wir weniger arbeiten. Glaubt denn jemand ernsthaft, daß wir dann, wenn Dreher, Werkzeugmacher oder Ingenieure deutlich weniger arbeiten als ihre japanischen Kollegen, unsere Position auf dem Weltmarkt halten können?

    (Heyenn [SPD]: Wenn dann mehr Dreher da sind, ja!)

    Verehrte Kolleginnen und Kollegen, machen Sie sich einmal bewußt: Ein japanischer Entwicklungsingenieur arbeitet 500 Stunden im Jahr länger als ein deutscher. Das heißt, bis zum Jahre 2000 sind das 3 1/2 Arbeitsjahre, und das unter Zugrundelegung der 38,5Stunden-Woche. Was bei der angestrebten 30-Stunden-Woche dabei herauskommt, verehrte Kollegen von der SPD, rechnen Sie sich bitte einmal selber aus.

    (Zurufe von der SPD)

    Natürlich habe ich mich gefreut, daß anscheinend auch einige Sozialdemokraten bereit sind, die Bedingungen für kleine und mittlere Unternehmen zu verbessern. Aber kleine und mittlere Unternehmen können nicht existieren, wenn die Arbeitnehmer, wie es offensichtlich gewollt ist, künftig nur noch 30 Stunden in der Woche arbeiten können.
    Zurück zur Rentenversicherung. Für die Motive und Vorschläge des Kollegen Schwarz-Schilling habe ich viel Verständnis. Die Vorschläge selbst halte ich für nicht akzeptabel. Der Aufbau eines Kapitalstocks mit erheblichen Kosten bei tendenziell zurückgehender
    Zahl von Beitragszahlern führt zu einer nicht erträglichen Doppelbelastung und zu einem auch konjunkturell außerordentlich problematischen Ansparprozeß.

    (Heyenn [SPD]: Es sei denn, wir machen das aus den Überschüssen der Post!)

    — Richtig, Herr Kollege Heyenn. — Eine Beitragsstaffelung nach Kindern wird die schwierige Finanzierung der Renten um keinen Deut besser gestalten und widerspricht im Prinzip auch der beitrags- und leistungsbezogenen Rente. Zur Vermeidung von Mißverständnissen: Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, die für Kinder nichts übrig hat. Allerdings ist die Rentenversicherung nicht das geeignetste Instrument, um einen Familienlastenausgleich vorzunehmen.

    (Hoss [GRÜNE]: Sie wollen japanische Verhältnisse!)

    Notwendige Einsparungen in der Rentenversicherung auf Grund der demographischen Entwicklungen müssen auch ihre Entsprechung in anderen Alterssicherungssystemen finden, die ganz oder in erheblichem Umfang aus Steuermitteln finanziert werden. Insofern besteht nach meiner festen Überzeugung Handlungsbedarf auch bei der Beamtenversorgung. Aber nicht nur dort, auch im gesamten öffentlichen Dienst ist Handlungsbedarf. Hier kann ich nur meiner Hoffnung in die Bereitschaft der Tarifpartner Ausdruck verleihen, dieses zu berücksichtigen.
    Meine Damen und Herren, ich möchte in dem Zusammenhang auch nicht verhehlen, daß ich die nicht mehr sachgerechten Regelungen in der Knappschaft auf dem Prüfstand sehen möchte.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, einige Stichworte zur Gesundheitspolitik: Bei allem Geplänkel, bei allem Geschrei einzelner Gruppen möchte ich festhalten, daß sich die Mehrzahl der Beteiligten verantwortungsbewußt verhält und sich die Diskussion insbesondere nach der Anhörung versachlicht hat. Die Bereitschaft der Verbände, mit Verantwortung zu tragen, ist für mich z. B. ein positives Ergebnis der Anhörung.

    (Dreßler [SPD]: Trotzdem waren sie alle dagegen!)

    Auf Grund dieser Anhörung werden wir Korrekturen, z. B. beim Datenschutz oder hinsichtlich der Kostenübernahme bei Noteinsätzen durch den Rettungsdienst, vornehmen.

    (Dreßler [SPD]: Ihr müßt das Gesetz zurückziehen! Die Kritik war vernichtend!)

    Wir nehmen auch die Bedenken der Kassen zur Finanzierbarkeit der Pflegeleistungen durchaus ernst.
    Das höchst sensible Solidarsystem gesetztliche Krankenversicherung wird auf Dauer nur funktionieren, wenn auch ein angemessener Anteil an Eigenverantwortung und Eigenvorsorge eingebracht wird. Bei der erfreulich verbesserten Einkommen- und Vermögenssituation müssen sich die Leistungen der Pflichtversicherung auf die wirklichen Risiken beschränken. Dies ist um so notwendiger, als in den nächsten Jahren durch erfreulich längere Lebenserwartung und er-



    Cronenberg (Arnsberg)

    freulichen medizinischen Fortschritt die Kosten insgesamt zwangsläufig steigen werden.
    Wer die Funktionsfähigkeit und Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens erhalten und festigen will, muß hei aller Kritik im Detail unseren Reformvorschlag unterstützen. Einen anderen durchsetzbaren Weg sehe ich nicht.
    Im Mittelpunkt aller Bemühungen steht das freiheitliche Gesundheitssystem mit angemessener Versorgung der Patienten, freier Arztwahl, Therapiefreiheit und einer Vielzahl freiberuflicher Leistungserbringer. Wenn wir jetzt nicht reformieren, meine Damen und Herren, werden sich die Probleme potenzieren, und letztlich ist der Weg in eine gigantische Planwirtschaft vorgezeichnet. Vorschläge in dieser Richtung gibt es bedauerlicherweise mehr als genug. Wer ein freiheitliches Gesundheitssystem im Interesse aller, insbesondere der Patienten, erhalten will, der muß sich zur Verantwortung für das Ganze und zum Mitwirken an dieser Reform bekennen. Alle sind zu einer verantwortungsbewußten Mitarbeit aufgerufen, auch jetzt noch die Opposition.
    Herzlichen Dank.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)