Rede von
Ellen
Olms
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)
Nein, diesmal nicht.
Nach Ihren übersteigerten Sicherheitsplanungen wird es wohl Einreiseverbote für Bürgerinnen und Bürger aus der Bundesrepublik geben, die die Jahrestagung kritisch begleiten wollen.
Meine Damen und Herren, die GRÜNEN lehnen die bereits bestehenden Antiterrorgesetze ebenso ab wie die noch geplanten Maßnahmen im Rahmen der Artikelgesetze.
Mit immer weiteren Sondergesetzen, weiterer Polizeiaufrüstung und der Perfektionierung staatlicher Überwachungsmaßnahmen haben Sie ein staatliches Gewaltpotential geschaffen, das völlig untauglich zur Lösung gesellschaftlicher Probleme ist.
Meine Damen und Herren, ich möchte angesichts der kurzen Zeit nur noch auf den Bereich der Aussiedler- und Ausländerpolitik eingehen. Wenn in diesem Jahr 200 000 von Kanzler Kohl so definierte „Landsleute" zu uns kommen, dann ist das großartig. Wenn andererseits in diesem Jahr 100 000 Flüchtlinge zu uns kommen müssen, dann wird dieses Land angeblich überflutet und überfremdet. Der Unterschied zwischen einem 24jährigen Polen und einem gleichaltrigen Tamilen ist einzig und allein der, daß uns der Pole willkommen ist, wenn seine Vorfahren Deutsche in den Grenzen des alten Reiches gewesen sind.
Doch wer und was ist eigentlich deutsch? Ich will hier die deutschen Sekundärmerkmale wie Treue, Fleiß, Sauberkeit, Ordnung usw. einmal beiseite lassen und zum Kern vorstoßen. Das Problem wurde nach dem Krieg durch den Art. 116 des Grundgesetzes gelöst, in dem zu der deutschen Staatsangehörigkeit noch die deutsche Volkszugehörigkeit eingebaut wurde. Unsere Volkszugehörigen sind also Flüchtlinge oder Vertriebene, die nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 Aufnahme im damaligen Reich gefunden haben. Leicht haben es also diejenigen Aussiedler, deren Vorfahren Nazis waren, vermeldete die „Zeit" in ihrer Ausgabe vom 12. August; denn in solchen Fällen sei die Reinheit der Rasse schnell über das Berlin Document Center in Erfahrung zu bringen.
Deutsches Blut, also die Abstammung, und deutscher Boden mit dem Stand von 1937, um nicht auch noch unsere Landsleute aus Lateinamerika oder den USA bei uns aufnehmen zu müssen,
definieren also den Status eines Aussiedlers, der bei uns willkommen ist.
So ganz nebenbei gibt das Innenministerium auch zu, daß die Bundesrepublik in den fünfziger Jahren ein Einwanderungsland war, was immer bestritten wird, wenn Flüchtlinge ohne deutsche Ahnengalerie hierherkommen.
Im Rahmen einer Politik der offenen Grenzen begrüßen die GRÜNEN es, wenn Menschen, ganz gleich welcher Staatsangehörigkeit, Hautfarbe und aus welchen Gründen auch immer in die Bundesrepublik kommen und kommen müssen. Wir begrüßen es auch, wenn den Aussiedlern, sei es auch unzureichend, geholfen wird. Der deutsch-nationale Pathos, den die Bundesregierung da angestimmt hat, ist jedoch entschieden zu bekämpfen. Denn die Betonung des Deutschtums schadet bereits einem Teil der Aussiedler selbst.
An vielen deutschen Stammtischen wird dieser rassistische Faden weitergesponnen, und polnische Aussiedler, die die deutsche Sprache nicht sprechen, werden als „falsche Deutsche" oder als Polen bezeichnet, die sich die Einwanderung nur erschlichen hätten. TÜV-überprüfte Aussiedler mit deutschem Ahnenpaß dürfen herein, Ausländer und Flüchtlinge außerhalb der Europäischen Gemeinschaft müssen draußen bleiben; so lautet die Philosophie aus dem Hause Zimmermann. Ihre Referenten, Herr Zimmermann, deutschen so deutsch, daß es deutscher schon gar nicht mehr geht. Ihr Ministerium zur Bewahrung des nationalen Charakters hat es auch ohne Ihr geplantes neues Ausländerabschreckungsgesetz erreicht, den Art. 16 Abs. 2 vollständig auszuhöhlen. Sie haben es tatsächlich geschafft, vor allem die Flüchtlinge aus den Ländern der Dritten Welt nicht hereinzulassen. Bekanntlich stammen die meisten Flüchtlinge jetzt aus Polen, Jugoslawien und der Türkei.
Maßnahmen wie das Abkommen mit der DDR über eine faktische Einreisesperre für Flüchtlinge über den Flughafen Schönefeld, Paß- und Visazwang, verschärfte Grenzkontrollen, eine Beschleunigung sogenannter aufenthaltsbeendender Maßnahmen durch Einrichtung von zentralen Abschiebestellen für Flüchtlinge im neuen Asylverfahrensgesetz usw. haben Sie bis jetzt schon dazu geführt, ein Ziel des geplanten Ausländerrechts im Vorwege zu realisieren, nämlich künftig den weiteren Zuzug von Ausländern aus der Dritten Welt zu begrenzen.
Meine Damen und Herren, Aussiedler bekommen eine sofortige Arbeitserlaubnis, ihnen werden Wohnungen zugewiesen, und für sie gilt die diskriminierende Ausländergesetzgebung nicht. Flüchtlinge hingegen werden größtenteils nur geduldet. Die Ausländergesetze behandeln die Flüchtlinge aus einem reinen Gnadenakt. Zu einer demokratischen Kultur eines Landes gehört auch, eine multikulturelle und multinationale Gesellschaft als eine Bereicherung zu betrachten. Von einer solchen Kultur ist diese Republik noch meilenweit entfernt.