Rede:
ID1109101300

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    8. Lambsdorff.: 1
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    Plenarprotokoll 11/91 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 91. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 8. September 1988 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung) : a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1989: (Haushaltsgesetz 1989) (Drucksache 11/2700) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1988 bis 1992 (Drucksache 11/2701) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt (Fortsetzung) : Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1988: (Nachtragshaushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/2650) Roth SPD 6209 B Hauser (Krefeld) CDU/CSU 6214 C Sellin GRÜNE 6217D Dr. Graf Lambsdorff FDP 6219C Frau Dr. Martiny-Glotz SPD 6224 B Rossmanith CDU/CSU 6227 A Schäfer (Offenburg) SPD 6229 A Schmidbauer CDU/CSU 6232 D Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE . . . 6235 C Baum FDP 6238 B Lennartz SPD 6241 A Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 6243 C Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 6245 C Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI . 6254 C Dr. Penner SPD 6256 C Frau Seiler-Albring FDP 6262 C Frau Olms GRÜNE 6263 D Dr. Laufs CDU/CSU 6265 D Dr. Hirsch FDP 6268 D Wüppesahl fraktionslos 6270 D Gerster (Mainz) CDU/CSU 6273 A Engelhard, Bundesminister BMJ 6276 A Dreßler SPD 6276 C Cronenberg (Arnsberg) FDP 6280 B Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 6282 A Frau Hasselfeldt CDU/CSU 6284 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA 6287 D Heyenn SPD 6293 A Tagesordnungspunkt 2: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung der bundeseigenen Wohnsiedlung in Mariental-Horst bei Helmstedt (Drucksachen 11/2301, 11/2561) Roth (Gießen) CDU/CSU 6250 C Müntefering SPD 6251 B Zywietz FDP 6252 B Brauer GRÜNE 6252 D Dr. Voss, Parl. Staatssekretär BMF . . . 6253 C Nächste Sitzung 6295 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 6296* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1988 6209 91. Sitzung Bonn, den 8. September 1988 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 9. 9. Dr. Becker (Frankfurt) 9. 9. Böhm (Melsungen)* 9. 9. Dr. von Bülow 8. 9. Gallus 8. 9. Gattermann 9. 9. Dr. Glotz 9. 9. Dr. Götz 9. 9. Dr. Hauff 9. 9. Hiller (Lübeck) 9. 9. Höpfinger 9. 9. Frau Hoffmann (Soltau) 9. 9. Ibrügger* * 9. 9. Dr.-Ing. Kansy* * 9. 9. Frau Karwatzki 9. 9. Frau Kelly 8. 9. Kiechle 9. 9. Klose 9. 9. Dr. Kreile 9. 9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Kroll-Schlüter 9. 9. Kuhlwein 9. 9. Dr. Kunz (Weiden)* * 9. 9. Dr. Meyer zu Bentrup 8. 9. Niegel* 9. 9. Oostergetelo 9. 9. Poß 8. 9. Dr. Probst 9. 9. Rappe (Hildesheim) 9. 9. Reuschenbach 9. 9. Schäfer (Mainz) 9. 9. Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) 9. 9. Frau Steinhauer 9. 9. Tietjen 9. 9. Toetemeyer 8. 9. Frau Weiler 9. 9. Westphal 9. 9. Frau Wilms-Kegel 9. 9. Wissmann 9. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates * * für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Peter Sellin


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in der Debatte die wirtschaftliche Lage mehr oder weniger rosig gezeichnet. Während ihrer Regierungszeit wird wieder in die Hände gespuckt und das Bruttosozialprodukt gesteigert. Die Expansion hält überraschenderweise auch 1988 an. Ökonomische Erfolgsdaten erscheinen im „Handelsblatt", Berichte über ökologische Zerstörungen erscheinen arbeitsteilig in den Zeitschriften „Natur" und „Ökotest" . Die medienpolitische Arbeitsteilung zwischen Ökonomie und Ökologie wird allenfalls durchbrochen, wenn der ökonomische



    Sellin
    Schaden zurechenbar wird — z. B. bei den Kälbermästern — oder wenn die Fremdenverkehrsindustrie an der Nordseeküste den Rückgang der Besucherzahlen auf die verdreckten Flüsse aus dem Hinterland, auch aus Bayern, Baden-Württemberg oder der DDR, zurückführt. Das Robbensterben geht an die sichtbare Substanz des Lebens. Chemieindustrie, Landwirtschaft, Kläranlagen, Autos werden als Verursacher der Luft-, Boden- und Wasserverseuchung identifiziert. Der Schadstoff der Woche heißt einmal PER, einmal Hormone — beim Kälbermastskandal — , einmal Asbest, einmal Formaldehyd, einmal NOX — wegen der Autos — , einmal SO2 — wegen der Kohle und des Heizöls —,

    (Rossmanith [CDU/CSU): Sie sehen aber

    noch ganz gesund aus!)
    einmal FCKW, und einmal geht es um die radioaktive Verseuchung von Tee, Pilzen und Wild. Die Verbraucher/innen registrieren und verdrängen. Die Industrie kennt den Verdrängungszyklus von negativen Nachrichten und setzt auf Imagewerbung.
    Die Wirtschaftspolitiker der Regierung frohlocken über das gestiegene Bruttosozialprodukt. Die zerstörerischen Kräfte des wirtschaftlichen Entwicklungstrends werden zwar langsam allgemeines Gedankengut; eine politische Herausforderung ist es jedoch, zu versuchen, den Zerstörungsprozeß in Form von ökologischen und sozialen Folgekosten mittels der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu quantifizieren.
    Diese Bundesregierung sieht bislang nicht die Notwendigkeit, die sich rasant vollziehende Zerstörung unserer Lebensgrundlagen jährlich in einem Bericht zu erfassen bzw. zu schätzen. Wir GRÜNEN fordern einen solchen Bericht. Dann würde beispielsweise herauskommen: Wenn die Regierung 3 % Wachstum des Bruttosozialprodukts bejubelt, heißt das zugleich 6 % Zunahme der ökologischen und sozialen Folgekosten. Schon heute betragen diese ökologischen und sozialen Folgekosten mindestens 200 Milliarden DM oder 10 % des jährlichen Bruttosozialprodukts dieser Volkswirtschaft.
    Ökonomische Erfolgsdaten erweisen sich, wenn der stoffliche Prozeß der Güterproduktion und der Güterentsorgung betrachtet wird, als ökologische Katastrophendaten. Allein die Tatsache, daß ein Alltagsgebrauchsgegenstand wie ein Kühlschrank FCKW enthält, das auf dem Schrottplatz entweicht und erheblich zur Zerstörung des Ozons in unserer Luft beiträgt, zeigt exemplarisch, daß unsere Konsumwelt keine ökologische Produktfolgenbewertung kennt. Die Industrie setzt weiter auf moderne Werkstoffe. Kunststoffe ersetzen Metall. Die Chemieindustrie verdrängt die Stahlindustrie. Das Problem des Recyclings heterogener Kunststoffe aus dem Massenprodukt Auto ist ungelöst. Produziert wird auch ohne Entsorgungskonzept. Giftmüll wird über die Weltmeere in die Dritte Welt versandt, steigende Sondermüllkapazitäten werden der Politik aufgedrückt — ohne Lösungsstrategie.
    Ökologische Verantwortung kennt der Produzent nicht. Ökonomischer Gewinn des Betriebs erhöht das Einkommen der Manager; volkswirtschaftliche Folgekosten werden auf die Steuerzahler abgeladen. Ökologische Systeme wie ein Fluß oder ein Meer — die Nordsee oder die Ostsee oder das Mittelmeer — werden unaufhaltsam weiter zerstört. Pestizide, Insektizide, Fungizide und Nitrate finden sich im Grundwasser, dann in unserem Trinkwasser wieder. Vielfältige Allergien belästigen vermehrt die Menschen. Synergetische Prozesse von vielen unterschiedlichen chemischen, mit toxischen Wirkungen durchsetzten Stoffen durchlaufen die Nahrungsmittelkette. Der Mensch erlebt ohnmächtig sein Krankwerden.
    Die Ursachen bleiben unerklärlich, da synergetische Wirkungen nicht mehr auflösbar sind. Ökonomische Einzelinteressen haben ökologische Kreisläufe zerstört. Die Ökonomie ist dem Fehler verfallen, die Natur, die Luft und das Wasser zum Gratisgut zu erklären. Kapitalkosten und steigende Arbeitskosten werden gegeißelt. Naturkosten kommen in solch einem Bild der Ökonomie überhaupt nicht vor.
    Wir sind der Auffassung, daß jeder Produktion eine Produktlinienanalyse und eine Produktfolgenabschätzung gesellschaftspolitisch vorausgehen müssen, bevor ein Produktionsprozeß in Gang gesetzt wird und das Produkt auf den Markt geworfen wird.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Das heißt, wir müssen uns ein klares Bild über die Rückholbarkeit und die Fehlerfreundlichkeit eines Produktes machen. Es wird dann außerdem klar, daß Atomtechnologie und Gentechnologie zu Götzen des Fortschritts erklärt werden, aber der allgemeine Untergang, der in solchen Technologien steckt, mehr oder weniger nicht mehr wahrgenommen wird.
    Industrielle Weltmarktkonkurrenz diktiert Forschung und Entwicklungsförderung auch dieses Wirtschaftsministers. Regenerative Energiesysteme, wie z. B. Sonnenkollektoren, haben so lange keine Marktchance, wie fossile Energiesysteme zu Spottpreisen betrieben werden können und die Atomtechnologie weiter subventioniert wird.
    Die Primärenergiepreise geben überhaupt kein Signal für die absolute Endlichkeit dieser Primärenergien. Allein eine Primärenergiesteuer, die die betriebswirtschaftliche Rentabilität von regenerativen Energieanlagen anstrebt und herbeiführt, kann rechtzeitig den Prozeß der Ersetzung von fossilen durch regenerative Energiesysteme herbeiführen. Die Primärenergiesteuereinnahmen sind zweckgebunden für Energiesparinvestitionen und Markteinführungssubventionen, z. B. für die Solarenergie, zu verwenden.
    Die Bundesregierung hat Energiesparpolitik in der Zwischenzeit zum Fremdwort erklärt. Im Wirtschaftsetat des Herrn Bangemann werden die Subventionen für Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen und Fernwärmesysteme weiter gekürzt, und das Programm läuft aus.
    Demgegenüber kennt diese Bundesregierung überhaupt kein Maß bei folgendem: Kein Ende der Erhöhung der Airbussubventionen. Der Wirtschaftsetat wächst um 20 %. Allein die Förderung der Luftfahrttechnik steigt um 417 Millionen DM auf insgesamt 1 357 Millionen DM. Angebliche Neoliberale treiben harte Industriepolitik im Weltmaßstab. Allein 1988



    Sellin
    summieren sich die Airbussubventionen auf 46 000 DM je Arbeitsplatz. Damit könnte man andere Arbeitsplätze schaffen, um den industriellen Umbau zu beschleunigen.
    Der Staat betreibt unter der Regie eines CSU-Staatssekretärs, des Herrn Riedl,

    (Rossmanith [CDU/CSU]: Ein sehr guter Staatssekretär!)

    den Raub aus der Staatskasse zugunsten eines finanzkräftigen Multis. Die Fusion von Daimler-Benz und MBB schmiedet einen High-tech-Multi, der überproportional von Staatsaufträgen leben will und der sich außerdem das Weltmarktrisiko im Flugzeugverkauf sozialisieren läßt. Neoliberaler Sozialismus wird dem staunenden Publikum vorgeführt. Das Kartellgesetz untersagt voraussichtlich den Zusammenschluß; aber was ein echter neoliberaler Kommissar ist, der setzt natürlich Marktgesetze außer Kraft.
    Wir lehnen solche Subventionen für den Airbus entschieden ab. Die Fusion von Daimler-Benz und MBB muß untersagt bleiben. Einen militärisch-industriellen Komplex, wie ihn Daimler-Benz unter Einbeziehung von MBB, Dornier, MTU und AEG bilden wird, erinnert an den Anteil an zerstörerischer Geschichte von Rüstungskonzernen wie Krupp Stahl oder IG Farben.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wenn sich die Politik einen Funken Achtung vor der Wirtschaftsmacht bewahrt hätte, würde sie nicht selber den Multi herbeiführen. Die bundesrepublikanische Wirtschaftspolitik kennt nur den Expansionskurs und die Weltmarktkonkurrenz als Antriebsmotive. Der Bezug der Wirtschaftspolitik auf lokale, regionale und binnenmarktorientierte Entwicklungsstrategien ist im Hause Bangemann unbekannt.

    (Dr. Knabe [GRÜNE]: Leider, leider!)

    Eine Wirtschaftspolitik im ökologischen Interesse der hier lebenden und arbeitenden Bevölkerung, eine Politik, wie sie bisher ausschließlich von den GRÜNEN in ihrem Programm zum Umbau der Industriegesellschaft gefordert wird, solch eine Politik setzt auf selektives Wachstum und selektives Schrumpfen von Wirtschaftsbereichen, von einzelnen Branchen im ökologisch-parteilichen Interesse der Menschen und ihrer Lebensgrundlagen, eine Strategie, die einen Redner vom Schlage des Herrn Bangemann natürlich erschaudern läßt; denn solch eine Politik wie die, die Herr Bangemann vertritt, setzt auf Airbus, ISDN-Netz, bemannte und unbemannte Raumfahrt oder auf Gentechnologie.
    Wir GRÜNEN setzen auf eine andere Wirtschaftspolitik. Wir setzen auf Primärenergiesparen, Energiesparinvestitionen, öffentlichen Personennahverkehr statt Straße, ökologischen Landbau, artgerechte Tierhaltung statt chemische Verseuchung unserer Lebensgrundlagen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Solch eine ökologisch ausgerichtete Strukturpolitik kann jedoch leider nur einen begrenzten Beitrag zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit leisten.
    Von daher ist es klar, daß wir weiter auf eine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit pro Woche setzen müssen. Das heißt, vorrangig muß die Erwerbsarbeitszeitverkürzung Gegenstand der Tarifpolitik bleiben. Es muß dabei erreicht werden, daß die Erwerbstätigkeit und die Einkommen auf alle Menschen so verteilt werden, daß alle ein zufriedenes Leben führen können.
    Das heißt mit anderen Worten: Es muß vermieden werden, daß Maschinen länger laufen und dagegen Erwerbsarbeitszeitverkürzung erkauft wird — dies an die Adresse der SPD gesagt —;

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    denn wer Expansionsprozesse beschleunigen will, der setzt auf verlängerte Maschinenlaufzeiten. Diese schaffen Absatzprobleme, diese schaffen Ökologieprobleme, und sie schaffen kein besseres Leben für uns.

    (Beifall bei den GRÜNEN)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich bitte die beiden Beamten, mir diese Bemerkung nicht übelzunehmen: Aber ein Blick auf die leere Bundesratsbank bietet ja doch ein seltenes Bild bei einer Haushaltsdebatte. Weswegen fehlen denn diesmal die SPD-geführten Landesregierungen?

    (Dr. Vogel [SPD]: Fehlen die anderen nicht?)

    Keine Landtagswahl in Sicht? Ermattung nach Münster? Stellen Sie sich einmal vor, Herr Vogel, Oskar Lafontaine und Johannes Rau wären heute hier. Wäre das nicht ein schönes Bild sozialdemokratischer Eintracht?

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Aber, meine Damen und Herren, nehmen wir doch die wohlwollende Erklärung: Es ist keine Landtagswahl in Sicht. Das gibt ja auch uns, den Liberalen, das gibt auch mir als ihrem heutigen Sprecher ein wenig Abstand und Gelassenheit.

    (Zuruf von der SPD: Na, na, na!)

    Ich mache dem SPD-Parteitag von Münster ein Kompliment: Langweilig war er nicht.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie wollen doch keine eingeschlafenen Füße, hat Herr Vogel gesagt. Richtig! Aber aufgeweckte Füße und immer noch eingeschlafene Köpfe, das, meine Damen und Herren, führt eben zum Verlauf einer Diskussion, in der man keinen Faden mehr erkennen kann, nicht einmal einen roten.

    (Frau Weyel [SPD]: Dann waren Sie zu weit weg!)

    Rappe gegen Hauff, Spöri gegen die eigenen Steuerpolitiker, Glotz gegen den DGB.

    (Dr. Vogel [SPD]: Lambsdorff gegen AdamSchwaetzer!)




    Dr. Graf Lambsdorff
    — Das ist eine völlig ordnungsgemäße und klare Auseinandersetzung und Wahlsituation. Das wissen Sie ja auch, Herr Vogel.
    Steinkühler gegen Lafontaine.

    (Dr. Vogel [SPD]: Strauß gegen Kohl!)

    Apel dankt ab, Dreßler gegen die Hobbypolitiker und Oskar gegen alle. Meine Damen und Herren, das ist nicht Eintracht in Vielfalt, das ist Zwietracht in Einfalt.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Vor sechs Jahren, meine Damen und Herren, hat die SPD ihre wirtschaftspolitische Kompetenz verloren, genauer gesagt: Verloren hatte sie sie schon früher, aber der Wähler hat es Ihnen bestätigt.

    (Frau Weyel [SPD]: Wer war denn da Minister?)

    Jetzt beschließen Sie einen Leitantrag nach dem Motto: Wer vielen gibt, wird jedem etwas geben. Für 1989, Herr Roth, kündigen Sie ein wirtschaftspolitisches Grundsatzprogramm an. Sieben Jahre nach dem Verlust der Regierungsverantwortung wollen Sie endlich die Frage nach Ihrer wirtschaftspolitischen Kompetenz beantworten. Nach heutigem Erkenntnisstand läßt sich sagen: Der SPD fehlt es immer noch an Mut und Konsequenz in der Wirtschaftspolitik, nicht anders als in der Finanzpolitik. Von einem eindeutigen Bekenntnis zum Markt ist sie noch meilenweit entfernt. Mehr Ausgaben, mehr Schulden, mehr Steuern sind immer noch die Stichworte.

    (Lachen bei der SPD)

    Wo ist die klare Absage an die Ergänzungsabgabe, an Energiesteuern, an staatliche Konjunktur- und Beschäftigungsprogramme?
    Herr Sellin von den GRÜNEN schlägt uns heute die Primärenergieabgabe vor. Wollen Sie das in der Bundesrepublik Deutschland alleine besorgen, und haben Sie sich überlegt, was das für Auswirkungen auf Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsmarkt hat?

    (Stratmann [GRÜNE]: Gehen Sie mal nach Japan!)

    Wollte man das weltweit tun, dann könnte man durchaus darüber diskutieren,

    (Roth [SPD]: Herr Lambsdorff, nicht so ängstlich! )

    ob auf diese Weise eine Preislenkungsfunktion der Primärenergiepreise, die es kaum gibt, hergestellt werden kann.

    (Roth [SPD]: Sie wissen genau, das ist ein EG-Projekt!)

    Aber alleine? Auf einer Insel doch wohl nicht.
    Die Sozialdemokratische Partei ist immer noch dem staatlichen Interventionismus verhaftet, und statt Wettbewerb setzt sie auf staatliche Umverteilung. Unserem Leitbild, persönliche Leistung wieder zu honorieren, wird weiter Gleichmacherei entgegengesetzt. Und da bleibt der Markt dann wirklich nur noch als bloße Schönwetterveranstaltung übrig. Retter in der Not soll allein der Staat sein, obwohl sich doch die
    Untauglichkeit dieses Rezepts in vielen praktischen Fällen immer wieder erwiesen hat.
    Sie wissen, Herr Roth — und Ihre Kollegen wissen es auch — , daß diese Ansätze verfehlt sind. Sie sind doch fast die letzten in der Welt, die an solchen Positionen festhalten. Martin Bangemann hat gestern zu Recht auf den weltweiten Wandel der Wirtschaftspolitik sozialdemokratischer und sozialistischer Parteien verwiesen. Das geht ja noch einen Schritt weiter, als er es gestern dargestellt hat. In der UdSSR, in Ungarn, in anderen Ländern des Ostblocks setzt man zwar nicht auf Marktwirtschaft — das verbietet die Ideologie —, wohl aber auf möglichst alle Instrumente einer marktwirtschaftlichen Ordnung, nicht zuletzt auf Wettbewerb, freie Preise, ja in beschränktem Umfang sogar auf privates Eigentum. Es kann überhaupt keinen Zweifel mehr geben: Der Sozialismus hat in der Wirtschaftspolitik abgewirtschaftet.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Stratmann [GRÜNE]: Airbus statt Sozialismus! — Roth [SPD]: Sagen Sie doch einmal etwas zum Airbus!)

    Die Ungarn haben die unnachahmliche Gabe so etwas witzig auf den Punkt zu bringen: Karl Marx erscheint wieder auf der Erde, bittet um einen Termin für ein Statement im ungarischen Fernsehen und erklärt: Proletarier aller Länder, verzeiht mir.

    (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)

    Der saarländische Ministerpräsident hat ein Verdienst: Er hat das Dogma von SPD und DGB in Frage gestellt, wonach Tarifverträge, Tarifabschlüsse mit dem Beschäftigungsstand nichts zu tun haben. Sie haben dieses Dogma über die Jahre hinweg wie eine Monstranz vor sich her getragen, weil ihnen das ermöglichte, die Folgen verfehlter Tarifpolitik nicht sich selbst, nicht den verantwortlichen Tarifvertragsparteien, sondern der Regierung zuzuschieben. Die Tarifpartner sind verantwortlich für die Folgen der Sockellohnerhöhung, die in unserer Arbeitsmarktstatistik abgelesen werden kann, und nicht die Bundesregierung.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Jens [SPD]: Das sind zwei!)

    Seit Jahren sagt die FDP, daß die weitere Verkürzung der Arbeitszeit schnurstracks zur 6-Tage-Woche führen wird. Haben Sie es jetzt auch begriffen? Bei Herrn Roth war das heute herauszuhören. Was haben Sie vor wenigen Jahren noch gesagt, Herr Roth, als wir dieses Thema zur Diskussion gestellt haben? Aber hören Sie bitte genau hin — bei Ihnen habe ich zugehört und fand es gut — : Ich spreche nicht wie Oskar Lafontaine Schlichtweg von Wochenendarbeit. Wir werden um restriktiv gehandhabte Sonntagsarbeitszeit, z. B. in der Textilindustrie, nicht herumkommen. Aber der Sonntag darf nicht zum gewöhnlichen Werktag werden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Hier hat Johannes Rau recht und nicht Oskar Lafontaine.
    Ihre Politik, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Opposition, hat der Kollege Peter Glotz in einen Satz gefaßt. Ich finde übrigens, daß er



    Dr. Graf Lambsdorff
    ein schlimmes Opfer dieser Quotenpolitik ist. Wer will bei Ihnen eigentlich noch Medienpolitik machen und verantwortlich formulieren? Die bayerischen Delegierten sind klüger als die auf dem SPD-Parteitag, wenn Sie sich sein gestriges Wahlergebnis ansehen.

    (Kastning [SPD]: Passen Sie auf, daß Sie demnächst nicht ein Opfer werden!)

    Ihre Politik hat Peter Glotz in einen Satz gefaßt: „Was geht, ist nicht sozialdemokratisch, und was sozialdemokratisch ist, geht nicht."

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, Ihrer verworrenen Diskussion setzt die Koalition positive wirtschaftspolitische Resultate entgegen. Diese wirtschaftspolitischen Resultate sind zu einem guten Teil, Herr Roth, auf die Arbeit des Kollegen Bangemann zurückzuführen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Er hat gestern keine Abschiedsrede gehalten. Aber wenn Sie das benutzen, um Ihrerseits eine Abschiedserklärung unfreundlicher Art — ich komme aber auch noch auf den freundlichen Teil zu sprechen — zum besten zu geben, dann will ich heute hier auch sagen, daß wir Martin Bangemann dankbar sind für die Arbeit, die er in diesen Jahren in der Bundesrepublik geleistet hat.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    daß er die Wirtschaftspolitik dieses Landes in einer schwierigen Phase gestalten mußte, daß sein unverwüstlicher Optimismus, den manche von uns für übertrieben gehalten haben, recht behalten hat, wenn wir uns heute die Entwicklung ansehen,

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    daß er sich in den schwierigen Fragen von Kohle und Stahl alle Mühe gegeben hat, zu einer Lösung der Probleme beizutragen. Er weiß genau wie jeder andere, der ein solches Amt verläßt, daß man nicht nur auf besonnte Vergangenheit zurücksieht, und auf das, was man da alles angerichtet oder nicht angerichtet hat. Es gibt keinen, der da herausgeht und sagt: Ich war der ideale Mann, ich habe alles vollständig richtig gemacht.