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ID1109010400

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    Plenarprotokoll 11/90 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 90. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 7. September 1988 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1989: (Haushaltsgesetz 1989) (Drucksache 11/2700) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1988 bis 1992 (Drucksache 11/2701) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt (Fortsetzung): Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1988: (Nachtragshaushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/2650) Dr. Vogel SPD 6113 B Dr. Waigel CDU/CSU 6124 C Frau Vennegerts GRÜNE 6133 B Dr. Bangemann FDP 6136B Dr. Kohl, Bundeskanzler 6141 B Dr. Ehmke (Bonn) SPD 6152 B Rühe CDU/CSU 6160A Genscher, Bundesminister AA 6165 C Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 6168 C Wimmer (Neuss) CDU/CSU 6170D Kühbacher SPD 6174 A Frau Seiler-Albring FDP 6179A Frau Beer GRÜNE 6181 C Dr. Scholz, Bundesminister BMVg 6183 D Gerster (Worms) SPD 6188 C Dr. Friedmann CDU/CSU 6190 B Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 6193 D Dr. Hauchler SPD 6197 B Hoppe FDP 6201 A Volmer GRÜNE 6202 B Nächste Sitzung 6205 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 6207* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. September 1988 6113 90. Sitzung Bonn, den 7. September 1988 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 9. 9. Andres 7. 9. Dr. Becker (Frankfurt) 9. 9. Böhm (Melsungen)* 9. 9. Brandt 7. 9. Büchner (Speyer) 7. 9. Dr. von Bülow 8. 9. Clemens 7. 9. Frau Dr. Däubler-Gmelin 7. 9. Gallus 8. 9. Dr. Glotz 7. 9. Dr. Hauff 9. 9. Hiller (Lübeck) 9. 9. Höpfinger 9. 9. Frau Hoffmann (Soltau) 9. 9. Ibrügger** 9. 9. Dr.-Ing. Kansy** 9. 9. Frau Karwatzki 9. 9. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Kelly 8. 9. Kuhlwein 9. 9. Dr. Kunz (Weiden)** 9. 9. Lutz 7. 9. Dr. Meyer zu Bentrup 8. 9. Niegel* 9. 9. Oostergetelo 9. 9. Frau Pack* 7. 9. Dr. Probst 9. 9. Rappe (Hildesheim) 9. 9. Dr. Riedl (München) 7. 9. Seidenthal 7. 9. Frau Steinhauer 9. 9. Frau Terborg 7. 9. Tietjen 9. 9. Toetemeyer 8. 9. Frau Weiler 9. 9. Westphal 9. 9. Frau Wilms-Kegel 9. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hildegard Hamm-Brücher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Kollegin Nickels, ich möchte Herrn Hoppe nicht die Redezeit wegnehmen.

    (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Das ist aber lieb von Ihnen!)

    — Das ist selbstverständlich, das ist nicht lieb.
    Dann möchte ich jetzt wirklich zum Schluß sagen: Europäische Innenpolitik kann nur auf dem Wege des Bewußtwerdens der europäischen Identität in West und Ost gestärkt werden. Dazu gehören Kulturbeziehungen — Rühe hat darüber gesprochen —, die gemeinsame Lösung von Umweltproblemen und wirtschaftliche, wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit. Dann wird sich dieser Weg als die friedenssichernde Kraft für die Zukunft unseres Kontinents erweisen.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hauchler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Ingomar Hauchler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Nach Ost und West, Raketen und allen sonstigen wichtigen Sachen wie üblich, zum Schluß und spät, aber dennoch, Nord-Süd-Politik.
    Der Etat des Entwicklungshilfeministers, der Einzelplan 23, bleibt mit einer Steigerung um 3 % hinter dem Wachstum des Gesamthaushaltes zurück. Die Zusagen für künftige Jahre sinken sogar um 2 Milliarden DM. An diesem Haushalt erstaunt aber nicht so sehr, daß die Entwicklungspolitik in ihrem quantitativen Stellenwert hinter anderen Ressorts zurückbleibt; das ist nichts Neues. Bemerkenswert ist vielmehr, daß die Regierung unbeirrt an einer überholten Entwicklungsstrategie festhält, obwohl die immer schlechtere Lage der Dritten Welt zeigt, daß die bisherigen Konzepte weitgehend gescheitert und die globalen Aussichten für Entwicklung düster sind. Denken wir an die weltwirtschaftlichen Verwerfungen, die Bevölkerungsentwicklung und die Umweltgefahren.
    Es erstaunt allerdings nicht, daß diese Regierung versucht, in der Entwicklungspolitik immer noch massive Eigeninteressen als gute Gaben zu verkaufen. Der Entwicklungshilfeminister — er erachtet es nicht einmal für wert, hier anwesend zu sein —

    (Zurufe von der CDU/CSU: Aber der Staatssekretär!)

    betätigt sich förmlich als Verpackungskünstler — mitunter auch fauler Früchte.
    Daß sich die propagandistische und ideologische Komponente der deutschen Entwicklungspolitik seit seinem Amtsantritt noch verstärkt hat, kann sich der Kollege Klein sicher persönlich an den Hut stecken. Die tiefe Kluft zwischen Schein und Sein, Form und Substanz, Wort und Tat, Anspruch und Wirklichkeit zeigt sich besonders beim Schuldenerlaß, den Rückflüssen aus Entwicklungsländern und der Strukturhilfe.
    Diese Bundesregierung rühmt sich, daß in den vergangenen Jahren 4,2 Milliarden DM an Forderungen gegenüber den Entwicklungsländern erlassen worden sind. Tatsächlich wurden 90 % dieser Summe noch unter der Regierung Schmidt gestrichen.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Das ist doch ein alter Hut!)

    In den ganzen letzten sechs Jahren, in denen CDU/ CSU und FDP regieren, ist praktisch nichts passiert.

    (Beifall bei der SPD)

    Das ist die Wahrheit. Sie schmücken sich also mit falschen Federn.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Hätten Sie es gleich for grant gegeben, hätten wir es nicht erlassen müssen!)

    — Warten Sie doch einmal ab.
    Diese Bundesregierung stellt groß heraus, daß sie nun gewillt ist — wir sind auch dafür —, weitere 3,3 Milliarden DM zu streichen. Sie verschweigt aber, daß diese Summe nicht mehr als 10 % der gesamten öffentlichen Forderungen an Entwicklungsländer entspricht und daß maximal 1 % dieser Forderungen heute und morgen tatsächlich kassiert werden können. Was als politische Großtat verkauft wird, ist praktisch eine buchhalterische Korrektur, wie sie in der Wirtschaft tagtäglich vorgenommen wird, wenn uneinbringliche Forderungen schlicht ausgebucht werden. Auch hier falsche Federn.
    Die Bundesregierung verschleiert mit dem Tamtam, das sie um die öffentlichen Forderungen, die ja meist langfristig und ganz niedrig verzinslich sind, macht,



    Dr. Hauchler
    daß sie bisher keinerlei Initiative ergriffen hat, um das Hauptproblem der Schuldenkrise zu lösen: Das sind die meist kurzfristigen und hochverzinslichen Forderungen der Privatbanken.
    Diese Bundesregierung brüstet sich auch damit, daß sie Rückflüsse aus Entwicklungsländern wieder für entwicklungspolitische Vorhaben einsetzen wird. Mit 120 Millionen DM sind für 1989 ganze 20 Millionen DM mehr an Rückflußverwendung veranschlagt als im Vorjahr. Diese 20 Millionen DM entsprechen 0,3 % des Einzelplans 23 und 1,4 % der Gesamtrückflüsse. Diese betragen zur Zeit ca. 1,4 Milliarden DM und werden weiter zum größten Teil vom Finanzminister kassiert. Wer angesichts von Not und Tod, explodierender Bevölkerung und wirtschaftlichem Niedergang in der Dritten Welt einen Tropfen auf den heißen Stein zur Wolke verdampfen läßt — kann man den zu Recht nicht als zynisch bezeichnen?

    (Beifall bei der SPD)

    Diese Bundesregierung verteidigt nach wie vor, daß sie dieses und nächstes Jahr eine halbe Milliarde DM aus Projekten abzieht und als sogenannte allgemeine Waren- und Strukturhilfe für hochverschuldete Länder einsetzt, die unter dem konzertierten Druck der Industrieländer die von IWF und Weltbank verordneten Anpassungsprogramme durchführen. In der Regel tun sie dies nicht aus Einsicht und freiem Willen, sondern zähneknirschend werten sie ihre Währungen ab, streichen sie ihre öffentlichen Haushalte zusammen, öffnen sie ihre Märkte und dämpfen sie ihre Binnennachfrage. Die Bundesregierung unterstützt immer noch diese Auflagenpolitik, obwohl sie aus eigenen Studien der Weltbank wissen müßte: Für diese Programme deren wirtschaftlicher Erfolg völlig ungewiß ist, hungern zig Millionen Menschen, geraten junge Demokratien unter schweren Druck, werden immer mehr Ressourcen Regenwälder und Natur vernichtet.
    Neben aller Kritik, die wir an der Nord-Süd-Politik der Bundesregierung zu üben haben, will ich fairerweise auch sagen: Ich bestreite nicht, daß die Bundesregierung gegenüber früher wenigstens einige Ansätze einer flexibleren Haltung in der Nord-Süd-Frage zeigt. So begrüßen wir, wenn über eine Verbesserung der Konditionen bei der Vergabe öffentlicher Mittel nachgedacht wird, wie der Kanzler heute sagte. Es bedeutet einen Schritt in die richtige Richtung, wenn der Anteil der Zuschüsse an der Entwicklungsfinanzierung erhöht und die Zinsen für Kredite gesenkt werden. Was die Bundesregierung an öffentlichen Schulden streicht, ist zwar wirklich nur ein Tropfen auf den heißen Stein, und die Maßnahme kommt viel zu spät, aber im Prinzip wird hier ein Weg beschritten, den wir Sozialdemokraten begrüßen; sonst wären wir nicht schon vor zehn Jahren in diesem Punkt vorangegangen.
    Schuldenstreichungen mit Umweltschutz in der Dritten Welt zu verknüpfen ist eine Überlegung, die weiterverfolgt und präzisiert werden sollte. Statt ökonomischer Auflagen, die verheerende soziale Opfer fordern, wären Konditionen, die sozialer Verantwortung gerecht werden, aber auch Abrüstung und Umweltschutz zum Ziel haben, sicher zu begrüßen.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, kleine Schritte in die richtige Richtung können aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Bundesregierung die Nord-Süd-Frage immer noch nicht als Zukunftsfrage allerersten Ranges begriffen hat. Sie degradiert die Entwicklungspolitik nach wie vor in erster Linie zum Büttel der außen- und wirtschaftspolitischen Eigeninteressen und garniert das Ganze mit der traditionellen Almosenmoral von Konservativen.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Da müssen selbst Sie lachen!)

    Daß die Nord-Süd-Politik in den Koalitionsfraktionen dieses Hauses auf dem Nebengleis steht, hat allerdings nicht allein der Entwicklungsminister zu verantworten. Verantwortlich dafür ist auch der Finanzminister, der seine Beamten nach Krämerart um jede Mark feilschen läßt, wenn es darum geht, Zinsrückflüsse aus Afrika einzustreichen, statt sie dort neu und in Zukunft auch sinnvoller für Entwicklung einzusetzen.

    (Dr. Bötsch CDU/CSU: Das stimmt doch nicht! Das wissen Sie!)

    Dafür sind auch der Landwirtschaftsminister und der Wirtschaftsminister verantwortlich, wenn der erstere für Agrarprotektionismus im Norden und der zweite gleichzeitig für die Öffnung der Märkte im Süden eintritt. Hier stimmt doch irgend etwas nicht.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Die müssen alle zurücktreten!)

    — Wir fordern nicht immer Rücktritte, wir fordern von Ihnen endlich, daß Sie in diesen Fragen Einsicht zeigen, die wir nur gemeinsam lösen können.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir Sozialdemokraten setzen dieser Politik der Verniedlichung und Verdrängung des Nord-SüdKonflikts folgende Grundprinzipien der Nord-SüdPolitik entgegen.
    Erstens. Nord-Süd-Politik darf nicht mehr als isoliertes Politikfeld verstanden werden und, entgegen entwicklungspolitischer Ziele, einseitig für eigene Interesse instrumentalisiert werden. Nord-Süd-Politik muß vielmehr eine Dimension der Gesamtpolitik werden — und somit integraler Bezugspunkt vor allem der Wirtschaftspolitik und der Umweltpolitik, also auch des eigenen Stils von Konsumieren und Produzieren in den Industrieländern. Mit anderen Worten: Nord-Süd-Politik muß im Sinne einer Querschnittsaufgabe von allen politischen Ressorts getragen werden.

    (Zustimmung der Abg. Frau Matthäus-Maier [SPD] und Feilcke [CDU/CSU])

    Zweitens. Der Begriff von Entwicklung wurde bisher einseitig vom Norden geprägt und ist eindimensional auf die wirtschaftliche Perspektive fixiert. Darauf haben in jüngster Zeit die beiden Kirchen in eindrucksvollen Dokumenten hingewiesen. Bei uns selbst — wieviel mehr aber für andere Kontinente und Kulturen — gilt, daß ein ökonomisch und rationalistisch verengtes Verständnis von Entwicklung in Zukunft nicht weiterführt. Das historisch in Europa gewachsene Muster von Produktion, Arbeit und Leben darf den Ländern des Südens nicht länger als Exportgut oder Zwang aufgedrängt werden; diese müssen



    Dr. Hauchler
    selbst Wege einer sich selbst tragenden Entwicklung finden.
    Drittens. Die negative Bilanz der Nord-Süd-Beziehungen in den vergangenen Jahren ist gleichermaßen von Ländern des Südens wie des Nordens zu verantworten.

    (Beifall bei der SPD)

    Agrarfeudalismus, Kapitalflucht, eine erschreckend ungerechte Einkommensverteilung in vielen Entwicklungsländern verhindern eine Mobilisierung breiter sozialer politischer und wirtschaftlicher Energien.

    (Zustimmung des Abg. Voigt [Frankfurt] [SPD])

    Für das Verhalten oligarchischer Eliten und hemmender gesellschaftlicher Strukturen im Süden sind jedoch die Industrieländer mit verantwortlich.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Richtig!)

    Was unter dem Diktat des Nordens in 400 Jahren kolonialer Geschichte zerstört und deformiert wurde, läßt sich nicht in 20 oder 30 Jahren von den jungen Staaten des Südens korrigieren. Das ist unmöglich, das wissen wir doch alle.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Auch was heute die Vervielfachung der Realzinsen in wenigen Jahren, die tendenziell fallenden Rohstoffpreise, das Agrardumping und den Protektionismus angeht, so haben dies vor allem die großen Industrieländer — ihre Regierungen, Konzerne und Banken — zu vertreten. Die Last aber trifft voll die breite Bevölkerung in den Entwicklungsländern.
    Entwicklungspolitik als eine Dimension der Gesamtpolitik und als Querschnittsaufgabe, Entwicklungspolitik nicht als Diktat, sondern als Angebot für eine eigenständige, sich selbst tragende Entwicklung des Südens und Entwicklungspolitik aus Mitverantwortung, die aus der Geschichte und der Wirtschaftsmacht der Industrieländer heraus zur Pflicht geworden, langfristig jedoch sehr wohl auch im eigenen Interesse ist, diese drei Leitgedanken werden wir Sozialdemokraten in der deutschen Nord-Süd-Politik in Zukunft durchsetzen.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten fordern die Bundesregierung auf, dieser Mitverantwortung stärker als bisher gerecht zu werden. Eine Chance hierzu bietet die Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank in Berlin. Sie findet erstmals auf deutschem Boden statt.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Das begrüßen wir!) Die Welt wird auf Berlin schauen,


    (Frau Olms [GRÜNE]: Bestimmt!)

    ob die Minister, Notenbankchefs und Banken aus über 150 Ländern der Welt endlich zu Vereinbarungen gelangen, die zu mehr führen als zu neuer Umschuldung von Umschuldungen, zu mehr als einer neuen schuldentreibenden Kapitalisierung unbezahlbarer Zinsen und einer neuen Auflage einer Auflagenpolitik, die ökonomisch fragwürdig, politisch zum Scheitern verurteilt und — das unterstreiche ich nachdrücklich — human und sozial verwerflich ist. Unschuldige und Schwache werden getroffen, die Reichen und eigentlich Verantwortlichen geschont.
    Die Welt wird auch registrieren, welche Rolle der Gastgeber dieser Weltfinanzkonferenz spielen wird. Welche Initiativen wird die Bundesrepublik in Berlin ergreifen, welche Positionen vertreten? Wird sie sich im Lager der großen, reichen Industrieländer verschanzen oder Brücken bauen zum Süden? Wird sie abwiegeln, die Not im Süden verharmlosen, Mitverantwortung abwälzen oder Berlin als Chance sehen, um endlich den Beton verhärteter Strategien und gegenseitiger dogmatischer Argumentation aufzubrechen?

    (Zuruf des Abg. Dr. Bötsch [CDU/CSU])

    — Sie können das übrigens beweisen, Herr Bötsch, indem Sie wirklich darüber nachdenken, ob Sie nicht die Initiative der SPD-Bundestagsfraktion „Zukunftsprogramm Dritte Welt" mit übernehmen und auf diesem internationalen Forum einführen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir haben gefordert — und wir tun es weiterhin —, 1 Milliarde DM aus Einsparungen im Verteidigungshaushalt für einen internationalen Fonds zur Verfügung zu stellen, der aus Mitteln der Abrüstung gebildet wird. Hier haben Sie eine Chance, wirklich deutlich zu machen, daß sie bereit sind, Initiative zu ergreifen.
    Und: Wie wird man in Berlin mit den Kritikern der bisherigen Nord-Süd-Politik der Industrieländer umgehen? Wird, unweit der Mauer, ein Zeichen für offenen Dialog und Meinungsfreiheit gesetzt oder werden Polizeidenken und die Diffamierung von Kritikern dominieren?

    (Feilcke [CDU/CSU]: Sie wissen doch ganz genau, daß das nicht das Problem ist!)

    Was der deutsche Entwicklungsminister, Herr Feilcke, vergangene Woche zur IWF-Tagung in Berlin äußerte, läßt wenig Gutes hoffen. Nachdem er im Frühjahr bereits entwicklungspolitischen Organisationen schon zugesagte Gelder gesperrt hat, entfachte er jetzt das Feuer neu. In einem Interview des „Deutschlandfunks" bestreitet er allen Ernstes eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Südens vom Norden. Jenen aber, die eine solche Abhängigkeit unterstellen, wirft er nicht nur Neomarxismus und Dümmlichkeit vor, nein, er stellt sie in eine Reihe mit denen, die im Dritten Reich die Juden zum Feind gestempelt haben, also mit den Nazis. Ein unerhörtes Wort. Ich fordere den Minister auf: Nehmen Sie solche pauschalen Vorwürfe zurück. Er kann das ja auch im Protokoll nachlesen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Wir dürfen nicht gewaltsam Gewalt aufschaukeln, wo nur neues Nachdenken, kritischer Dialog und konstruktives Handeln weiterhelfen. Wir Sozialdemokraten lehnen jegliche Form von Gewalt ab — das wissen Sie —, aber wir klagen auch das Recht auf freie Rede



    Dr. Hauchler
    und Versammlung ein, auch Ende September in Berlin.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Richtig, das wollen wir alle. Wir möchten das aber auch von Herrn Volmer hören! Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Friedlich und ohne Waffen, wie es in Art. 8 des Grundgesetzes heißt!)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal in vier Punkten bekräftigen, welche Vorschläge wir Sozialdemokraten machen, um wirklich Fortschritte bei der Lösung der Verschuldungskrise zu erzielen.
    Erstens. Um für hochverschuldete Entwicklungsländer wieder Bedingungen dauerhafter Entwicklung zu schaffen, muß der Schuldendienst strukturell gesenkt und in seiner Höhe an der inneren Leistungsfähigkeit und einem entwicklungspolitisch vertretbaren Volumen der Exporterlöse orientiert werden. Diese Senkung des Schuldendienstes muß von Land zu Land durch ein spezifisches Bündel von Maßnahmen erreicht werden. Da reicht kein Rundumschlag, wie DIE GRÜNEN das wollen; denn wenn man einen globalen Schuldenerlaß durchführte — mit der Gießkanne über alle ohne jegliche Kondition — , würde sich das Rad der Verschuldung neu und in Zukunft noch stärker drehen. Wir brauchen also spezifische Bündel von Maßnahmen pro Land.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Wie kriegen Sie die privaten Gläubiger dazu?)

    — Ich sage Ihnen das gleich; warten Sie einmal ab.
    Dazu gehört aber auch je nach Fall ein völliger oder teilweiser Verzicht auf öffentliche und private Forderungen. Dazu gehören langfristig stabile Zinsen auf niedrigem Niveau, das neue Investitionen begünstigt, und die Verlängerung von Rückzahlungsfristen.
    Zweitens. Das seit nunmehr sechs Jahren betriebene Krisenmanagement hat zu keiner strukturellen Lösung geführt. Wir brauchen endlich einen verbindlichen politischen Rahmen für die Entschuldung, eine internationale Konvention, in der die allgemeinen Prinzipien und Formen der Entschuldung für Regierungen, Banken und internationale Institutionen verbindlich niedergelegt sind.
    Nur so kann sichergestellt werden, daß es auf Grund gemeinsam anerkannter Prinzipien der Lastenverteilung und allgemeiner Regeln wirklich zu durchgreifenden und schnellen Entlastungen auch auf den privaten Kreditsektor, der das eigentliche Problem darstellt, kommt.
    Wir Sozialdemokraten halten die Einberufung einer internationalen Schuldenkonferenz nach wie vor für einen notwendigen ersten Schritt, um endlich Sofortmaßnahmen einzuleiten und Grundzüge einer internationalen Schuldenkonvention zu beschließen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Der Erfolg einer solchen Konferenz muß durch eine unbürokratische Form der Vorbereitung und durch eine begrenzte, aber repräsentative Auswahl aller betroffenen Länder, Institutionen und Banken sichergestellt werden. Wir wollen keine palavernde Mammutkonferenz, sie führt zu nichts. Die Schuldenkrise darf
    aber auch kein Nebenthema auf IWF-Veranstaltungen und sogenannten Weltgipfeln werden und sie darf auch nicht als eine reine Finanzfrage an die privaten Banken delegiert werden, wie das bisher der Fall ist.
    Die Schuldenkrise ist eine höchst politische Frage geworden und nur noch politisch zu lösen. Ziel einer internationalen Konvention ist auch die Schaffung verbindlicher Regeln für künftige internationale Insolvenzen und eine effektive internationale Kreditaufsicht. Nur so kann wirklich Vorsorge getroffen werden, daß nach einer Entschuldung nicht ein neues Rad der Überschuldung gedreht wird.
    Drittens. Für die Schuldenkrise tragen sowohl Investoren und Banken, Schuldner und Gläubigerländer, durch ihre Programme und Konditionen, aber auch die internationalen Institutionen Mitverantwortung. Wer allerdings vorwiegend die internationalen Institutionen zu den bösen Buben des globalen Finanzsystems stempelt, sieht nicht, daß die eigentlich Verantwortlichen nicht in den oberen Etagen von IWF und Weltbank sitzen, sondern in den Regierungen, Zentral- und Privatbanken der großen Industrieländer.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Einer der größten Hauptaktionäre ist nun einmal neben den USA und Japan die Bundesrepublik. Hier muß die eigentliche Kritik und Selbstkritik ansetzen.
    Die geringste Schuld trifft die breite Bevölkerung in den Entwicklungs- und in den Industrieländern. Die Lasten der Entschuldung dürfen also nicht einfach sozialisiert werden. Die privaten Banken müssen sich an der Übernahme der Lasten beteiligen. Fluchtkapital muß zurückgeführt werden. Wer sich auf Kosten des Volkes bereichert hat, muß enteignet werden.

    (Zustimmung der Abg. Frau Matthäus-Maier [SPD])

    Viertens. Eine strukturelle Lösung der Verschuldungskrise und die Vorsorge gegen ähnliche Entwicklungen in der Zukunft auf Grund neuer Kredite setzt neben finanzwirtschaftlichen Maßnahmen auch eine Reform der internationalen Wirtschaftsordnung voraus. Die Rahmenbedingungen für die Entwicklungsländer müssen verbessert und stabilisiert werden. Dies betrifft die Rohstoffpreise und den freien Marktzugang, den Abbau von Weltmarktmonopolen und ein entwicklungspolitisch verantwortliches Verhalten der großen Konzerne. Dies betrifft auch Zinsen und Wechselkurse. An die Stelle der Präferenz bisheriger Anpassungsprogramme für einseitig marktwirtschaftliche, vorwiegend auf weltwirtschaftliche Integration ausgerichtete Maßnahmen muß eine Differenzierung der Entwicklungsstrategie treten, die von Land zu Land, je nach technologischer Stufe, sozialkulturellen Bedingungen, Ressourcen, wirtschaftlichen und politischen Potentialen eine spezifische Lösung ermöglicht. Der Norden sollte endlich aufhören, im Süden ideologische Stellvertretergefechte um Markt, Eigentum und Staat zu führen, sondern dem Süden ein differenziertes Angebot an Know-how, Technologie und Kapital machen, das von Land zu Land unterschiedlich genutzt werden kann.



    Dr. Hauchler
    Dabei müßten wir übrigens inzwischen auch wissen, daß Geld nicht alle Probleme löst, daß Geld zwar oft eine notwendige, aber längst nicht hinreichende Bedingung darstellt. Neben den Strukturen ist der Mensch entscheidend, seine Energie, seine Fähigkeit und seine Chance, für die eigene Ernährung zu sorgen und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des eigenen Landes mit voranzutreiben.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, die besondere Verantwortung der Bundesrepublik für wirkliche Fortschritte auf der Jahrestagung ist vielfach begründet. Sie hat in ihrer eigenen Geschichte dem Schuldenerlaß der Alliierten im Jahre 1953 viel zu verdanken. Sie gehört in den Kreis der größten Wirtschaftsmächte. Sie hat, vor allem im Verband mit den europäischen Partnern, eine wichtige Stimme in den internationalen Institutionen.
    Ich hoffe, daß die Bundesrepublik dieser Verantwortung gerecht wird und als Gastgeber der Weltfinanzkonferenz in Berlin sich an die Spitze einer Bewegung setzt, die erkennt, daß Nord und Süd in einer Welt leben und so nur noch e i n Schicksal und e i n Recht haben können.

    (Beifall bei der SPD)