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ID1109006900

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    Plenarprotokoll 11/90 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 90. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 7. September 1988 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1989: (Haushaltsgesetz 1989) (Drucksache 11/2700) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1988 bis 1992 (Drucksache 11/2701) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt (Fortsetzung): Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1988: (Nachtragshaushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/2650) Dr. Vogel SPD 6113 B Dr. Waigel CDU/CSU 6124 C Frau Vennegerts GRÜNE 6133 B Dr. Bangemann FDP 6136B Dr. Kohl, Bundeskanzler 6141 B Dr. Ehmke (Bonn) SPD 6152 B Rühe CDU/CSU 6160A Genscher, Bundesminister AA 6165 C Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 6168 C Wimmer (Neuss) CDU/CSU 6170D Kühbacher SPD 6174 A Frau Seiler-Albring FDP 6179A Frau Beer GRÜNE 6181 C Dr. Scholz, Bundesminister BMVg 6183 D Gerster (Worms) SPD 6188 C Dr. Friedmann CDU/CSU 6190 B Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 6193 D Dr. Hauchler SPD 6197 B Hoppe FDP 6201 A Volmer GRÜNE 6202 B Nächste Sitzung 6205 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 6207* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. September 1988 6113 90. Sitzung Bonn, den 7. September 1988 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 9. 9. Andres 7. 9. Dr. Becker (Frankfurt) 9. 9. Böhm (Melsungen)* 9. 9. Brandt 7. 9. Büchner (Speyer) 7. 9. Dr. von Bülow 8. 9. Clemens 7. 9. Frau Dr. Däubler-Gmelin 7. 9. Gallus 8. 9. Dr. Glotz 7. 9. Dr. Hauff 9. 9. Hiller (Lübeck) 9. 9. Höpfinger 9. 9. Frau Hoffmann (Soltau) 9. 9. Ibrügger** 9. 9. Dr.-Ing. Kansy** 9. 9. Frau Karwatzki 9. 9. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Kelly 8. 9. Kuhlwein 9. 9. Dr. Kunz (Weiden)** 9. 9. Lutz 7. 9. Dr. Meyer zu Bentrup 8. 9. Niegel* 9. 9. Oostergetelo 9. 9. Frau Pack* 7. 9. Dr. Probst 9. 9. Rappe (Hildesheim) 9. 9. Dr. Riedl (München) 7. 9. Seidenthal 7. 9. Frau Steinhauer 9. 9. Frau Terborg 7. 9. Tietjen 9. 9. Toetemeyer 8. 9. Frau Weiler 9. 9. Westphal 9. 9. Frau Wilms-Kegel 9. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Ursula Seiler-Albring


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Nein, ich möchte jetzt eigentlich gern anfangen, Herr Brück; vielleicht nachher. —
    Meine Damen und Herren, als wir den Regierungsentwurf im Sommer — Ende Juni — im Zusammenhang mit der Kabinettsberatung zu Gesicht kriegten, hat die vorgesehene Steigerungsrate der Mittel im Verteidigungshaushalt um 3,8 % auf nun mehr als 53 Milliarden DM für eine lebhafte Diskussion in der Öffentlichkeit gesorgt. Während viele diese Steigerungsrate — übrigens die höchste seit 1983 — begrüßten, gab es auf der anderen Seite — auch aus meiner Fraktion — deutliche Kritik hieran, verbunden mit zum Teil drastischen Kürzungsvorschlägen. Um es als Berichterstatterin für diesen Haushalt gleich zu Beginn meiner Rede zu sagen: Ich trete diesen genannten Zahlen nicht bei und werde auch in dieser ersten Lesung keine Kürzungsvorstellungen präzisieren. Ich halte es für angebracht, erst die Berichterstattergespräche im Verteidigungsministerium zu führen und danach fundierte Sparvorschläge zu unterbreiten.
    Dennoch ist es natürlich richtig, sich mit dem politischen Umfeld zu befassen, vor dem diese Äußerungen gefallen sind. Die Koalitionsfraktionen haben sich bekanntermaßen das Ziel einer Minderausgabe von 1 Milliarde DM gesetzt, um das Ausgabevolumen, also die Ausgabenseite, des Haushalts 1989 positiv zu verändern. Zirka 350 Millionen DM werden durch Einsparung bei den sächlichen Verwaltungsausgaben erbracht. Weitere 650 Millionen DM müssen also aus den Einzelplänen erbracht werden.
    Ich denke aber, wir würden es uns zu einfach machen und allzusehr dem Zeitgeist huldigen, wenn wir diese Summe ausschließlich aus dem Verteidigungshaushalt holen wollten, zumal sich die Steigerungsrate von 3,8 % durchaus relativiert, wenn man in die Analyse der einzelnen Titelansätze einsteigt. Wurde noch 1969 jede vierte Mark des Bundeshaushalts für Verteidigungszwecke ausgegeben, ist der Anteil seitdem kontinuierlich auf unter 20 % zurückgegangen und beträgt in diesem Jahr noch 18,7 %.

    (Frau Garbe [GRÜNE]: Viel zu hoch!)

    Wir stehen bei der Diskussion des Verteidigungshaushalts in diesem Jahr allerdings wieder vor dem schwierigen Problem, den Konflikt zwischen einer rapide abnehmenden Akzeptanz in der Bevölkerung und den sicherheits- und bündnispolitischen Notwendigkeiten zu lösen. Wir diskutieren einen Mittelansatz von mehr als 53 Milliarden DM für das Gut „Sicherheit" , das in weiten Teilen der Bevölkerung nicht mehr prioritär nachgefragt wird, weil das Gefühl der Bedrohung auf Grund vieler Faktoren, die zum Teil sicher begrüßenswert sind, abgenommen hat. Wer von uns hat denn nicht mit tiefer Genugtuung die Fernsehbilder vom Abtransport der ersten Pershing II gesehen? Dies ist ein Zeichen der Hoffnung und Beweis für die von der FDP und besonders dem Außenminister immer vertretene Position, daß der einzige Weg zu wirklicher Abrüstung über Verhandlungen führt, die beide Seiten zum Abbau vorhandener Rüstungspotentiale verpflichtet.



    Frau Seiler-Albring
    Die seitens des sowjetischen Generalsekretärs außerordentlich geschickt geführte Abrüstungsoffensive dringt in das Bewußtsein einer Bevölkerung ein, die im wichtigsten Stationierungsland der NATO vielfältige Opfer bringt, angefangen bei Tieffluglärm über Tausende von Truppenübungen und Manövern, und die von uns Politikern endlich Entlastung verlangt und einfordert.
    Da ist es nicht leicht, für die Einsicht verantwortlicher Sicherheitspolitik zu werben, daß es nämlich zum Zweck der Kriegsverhinderung zumindest für die unmittelbare Zukunft keine Alternative zur Strategie der Abschreckung gibt, die auf einer geeigneten Zusammensetzung angemessener und wirksamer nuklearer und konventioneller Streitkräfte beruht. Der Außenminister sagt hierzu: „Wir wissen auch, daß die Sicherheit von heute nicht auf Visionen und Erwartungen von morgen gestützt werden kann. "
    Lieber Klaus-Dieter Kühbacher, der Verteidigungshaushalt ist uns beiden ja bekannt, ebenso die Problematik bei der Entwicklung von Waffensystemen. Ich verstehe deshalb nicht, wie man heute den Entwicklungsansatz für, zugegeben teure, Waffensysteme kritisieren kann. Wir beide sind uns einig, daß man irgendwann in den 90er Jahren sagen kann: Wir wollen diese Entwicklung hier abkürzen und nicht in die Beschaffung eintreten. Aber auf Grund der Komplexität dieser Waffensysteme wissen wir beide doch, daß man, wenn man nicht fahrlässig die Freiheit und die Sicherheit in den 90er Jahren aufs Spiel setzen will, heute Entscheidungen treffen muß. Dazu gehört natürlich der Jäger 90.
    In diesem Zusammenhang ist vielleicht auch der Hinweis ganz interessant, daß natürlich auch Sozialdemokraten auf der Matte stehen, wenn es darum geht, Aufträge für ihr Bundesland zu holen. Auch das muß man in diesem Zusammenhang erwähnen dürfen. Ich nenne nur Niedersachsen.
    Wir sind optimistisch und hoffen, daß unter Gorbatschow eine neue Ära im Ost-West-Dialog nicht nur angebrochen ist, sondern substantiell fortgeführt wird. Wir erwarten konkrete Zeichen, etwa in Form der Reduzierung der immer noch unvermindert hohen Produktionszahlen bei den konventionellen Waffensystemen wie den Kampfpanzern, der Artillerie, den Flugzeugen und den Schiffen. Der Warschauer Pakt ist aufgerufen, den vielversprochenen Ankündigungen endlich Taten folgen zu lassen.
    Allerdings — Herr Minister, wir haben das schon einmal diskutiert — müssen sich die verantwortlichen Führungskräfte auf der Hardthöhe auch fragen lassen, ob nicht dadurch, daß mancher publizierten Bedrohungsanalyse ein Hauch von Beliebigkeit anhaftete, dem Gefühl Vorschub geleistet wurde: „So schlimm wird's schon nicht sein. "
    Es gibt in den Reihen der Koalitionsfraktionen keinen Zweifel an der Aussage, daß die Bundeswehr die notwendigen Mittel bekommen muß, um ihrem Auftrag gerecht werden zu können.
    Schwierigkeiten macht uns allerdings die Definition des „Notwendigen", zumal da wir wissen, daß die Kraft, den äußeren Frieden zu gewährleisten, in engster Beziehung dazu steht, daß es uns gelingt, den
    inneren Frieden zu bewahren, das heißt, daß die großen innenpolitischen Aufgaben wie Rentenreform, Gesundheitsreform, die Verminderung der Arbeitslosenzahlen durch Zukunftsinvestitionen, die Rückgewinnung und Eihaltung einer lebenswerten Umwelt — Aufgaben also, die enorme finanzielle Mittel binden — gelöst werden.
    Verbündete wie neutrale und andere Staaten Europas sind natürlich geneigt, den Verteidigungswillen und die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland am Umfang des Verteidigungshaushalts sowohl hinsichtlich der absoluten Zahlen als auch in der Relation zum Bruttosozialprodukt zu messen und gegebenenfalls als Maßstab für die eigenen Verteidigungsanstrengungen zu nehmen. Die Frage des Burden-Sharings wird mit großer Intensität auf uns zukommen, ganz gleich, wie der nächste amerikanische Präsident heißen wird. Dann wird es gut sein, Antworten und Vorschläge parat zu haben.
    Es ist notwendig, auf die besonderen Leistungen und Belastungen, die die Bundesrepublik als Hauptstationierungsland mit einer Wehrpflichtigen-Armee trägt und erträgt, hinzuweisen. Dringend zu fordern ist auch, durch verstärkte und ernsthafte Anstrengungen zur Arbeitsteilung im Bündnis Wege aus der finanziellen Bedrängnis zu suchen.
    Die Haushaltslage wird sich bis auf weiteres nicht verbessern. Wir werden auch im Verteidigungsbereich keine nennenswerten Steigerungsraten haben. Auch die Steigerungsrate des vorliegenden Haushaltes wird ja durchaus optisch schlanker, wenn man in Rechnung stellt, daß die Summe von 670 Millionen DM an Personalverstärkungsmitteln für das kommende Jahr auf Grund der längeren Laufzeit der Tarifverträge ausnahmsweise im Einzelplan 14 und nicht — wie üblich — im Einzelplan 60 angesetzt ist. Wir begrüßen es im Grundsatz durchaus, daß weitere 670 Millionen DM für Maßnahmen vorgesehen sind, die den Menschen in den Streitkräften in den Mittelpunkt stellen. Der Soldat muß sich getragen sehen von der Gesellschaft, die er notfalls verteidigen soll.

    (Zustimmung bei der FDP)

    Die Wiedergewinnung der Attraktivität des Soldatenberufes ist demnach vordringlich. Soll der Soldat nicht in eine Sui-generis-Position gedrängt werden, müssen die Leistungsprinzipien der Gesellschaft für ihn ebenso gelten wie das Verständnis für Dienstzeitbelastungen in einer sich immer mehr an Freizeit orientierenden Gesellschaft.

    (Zustimmung bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Eine vernünftige Regelung zum Dienstzeitausgleich ist nach langem Drängen der FDP auf gutem Weg. Die in Aussicht genommene Weiterverpflichtungsprämie für Soldaten entspricht zwar weiterhin nicht unseren Idealvorstellungen von der Normalität des Soldatenberufs im Vergleich zu anderen. Wir werden ihr jedoch unter der Voraussetzung zustimmen, daß der zu befristende zeitliche Rahmen dahin gehend genutzt wird, Überlegungen und Modifikationen der Besoldungsstruktur insbesondere bei den Eingangsstufen zu überprüfen und anzupassen.



    Frau Seiler-Albring
    Das Bundesumzugskostengesetz schließlich — um hier nur drei Forderungen der FDP kurz zu erwähnen — muß dringend den unvermeidlichen Sondertatbeständen des Soldatenberufs, der mehr als andere Mobilität und Flexibilität verlangt, Rechnung tragen.
    Die vorgesehenen Personalstellenverbesserungen begrüßen wir. Die festgesetzte Größe des Personalumfanges insgesamt allerdings und die damit eng verknüpfte Realisierung des Reservistenkonzepts werfen eine Vielzahl von offenen Fragen auf, auf deren Beantwortung wir drängen werden.
    Die Beschaffungstitel und die Mittel für Forschung und Entwicklung werden — wie in jedem Jahr — besonders kritisch zu betrachten sein. Ich halte es unter diesem Aspekt für außerordentlich dringlich und erforderlich, daß der Generalinspekteur den Auftrag erteilt hat, sämtliche Bereiche der Streitkräfte daraufhin zu untersuchen, ob durch Zusammenfassung von teilstreitkraftübergreifenden Aufgaben Einsparungen zu erzielen sind. Partikularinteressen der Teilstreitkräfte dürfen nicht zu Überschneidungen und kostspieligen Doppelentwicklungen bzw. -ausgaben führen.

    (Zustimmung bei der FDP)

    Besonderes Augenmerk muß zukünftig vor allen Dingen Form und Inhalt der Beschaffungsverträge mit unseren amerikanischen Partnern gelten. Die Erfahrungen der letzten Monate sind teilweise so negativ, daß die Bereitschaft zur Rüstungskooperation auf seiten der Parlamentarier nachhaltig Schaden nehmen könnte, wenn sich hier keine substantielle Verbesserung zugunsten der Bundesrepulbik Deutschland abzeichnet, obwohl der Gedanke der transatlantischen Kooperation im Grundsatz weiterhin richtig ist, und zwar sowohl aus bündnispolitischen Gründen als auch in Hinsicht auf die Harmonisierung der Waffensysteme.
    Der Bundeswehr die notwendigen Finanzmittel zur Erfüllung ihres Auftrages zu geben, der Haushaltssituation gerecht zu werden und zu sparen, die Akzeptanz der Bevölkerung für die Notwendigkeit bewaffneter Friedenssicherung noch für unbestimmte Zeit zu erhalten, das erscheint ab und zu ungefähr so problemlos wie die Quadratur des Kreises. Meine Damen und Herren, machen wir aus der Not der öffentlichen Haushalte in Ost und West eine Tugend: Formulieren wir mit unseren Allianzpartnern bald die Antwort der NATO auf die östlichen Vorschläge und setzen sie schrittweise in ein Mehr an Sicherheit und Vertrauen auf beiden Seiten um!
    Herr Minister, die ersten hundert Tage Ihrer Amtszeit waren nicht ganz problemfrei. Die furchtbaren Geschehnisse in Ramstein haben sie kürzlich zusätzlich überschattet. Wir sind in der Trauer um die Toten verbunden und begrüßen die von Ihnen angeordneten Maßnahmen ausdrücklich. Wir wünschen Ihnen für Ihre weitere Amtszeit eine gute Hand. Dies gilt nicht zuletzt und ausdrücklich im Umgang mit dem Parlament.
    Ich bedanke mich.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Angelika Beer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Für den Einzelplan des Bundesministers der Verteidigung soll nach dem vorliegenden Haushaltsplanentwurf im Jahre 1989 ein Betrag von 53,3 Milliarden DM zur Verfügung stehen. Diese 53,3 Milliarden sind aber bei weitem nicht alles, was für den Militärapparat ausgegeben werden soll. Hinzu kommen in anderen Einzelplänen eine Fülle von Einzelausgaben, die ich hier kurz nennen möchte: zum Beispiel Aufenthaltskosten ausländischer Streitkräfte 1,8 Milliarden DM, Versorgung Bundeswehr 3 Milliarden DM, Versorgung Wehrmacht 2,7 Milliarden DM, NATO-Beitrag und Verteidigungshilfe an andere Länder 354 Millionen DM, die sogenannte Zivilverteidigung 877 Millionen DM und kleinere Posten, z. B. Ausgaben für den Wehrbeauftragten und für die Wehrstrafgerichtsbarkeit. Die genannten Titel ergeben zusammen Militärkosten von 62,042 Milliarden DM für das Jahr 1989. Das bedeutet: Jeder Mensch in der Bundesrepublik Deutschland, ob deutsche oder ausländische Mitbürgerin, ob Säugling oder Greis, zahlt in diesem Jahr über 1 000 DM für das Militär.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Und ist dafür frei!)

    Im letzten Jahr wurde der sensationelle Vertrag über die Beseitigung der Mittelstreckenraketen abgeschlossen, und in diesen Tagen beginnt die Vernichtung dieser Raketen, leider nicht der Sprengköpfe. Aber die Bundesregierung erhöht die Rüstungsausgaben um 3,8 %. Das sind stolze 2 Milliarden DM.

    (Breuer [CDU/CSU]: Das ist doch falsch!)

    Wozu dienen eigentlich diese Ausgaben? Früher sagten Sie immer: um der Bedrohung aus dem Osten zu begegnen. Der Russe droht, Erzfeind des deutschen Volkes und Kommunist obendrein. — Heute weiß jeder in diesem Haus: Nichts, aber auch gar nichts deutet darauf hin, daß die Sowjetunion uns angreifen will. Wir sehen eine atemberaubende Demokratisierung in der Sowjetunion, eine herzerfrischende Rückbesinnung auf die großen humanistischen Ideale der Oktober-Revolution.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Und pausenloses Nachrüsten!)

    Wir beobachten eine in vieler Hinsicht konsequente Friedenspolitik der Sowjetunion. Es ist komplett absurd, daß die Bundesregierung trotzdem die Rüstungsspirale weiterdreht. Jede Mark für jede Rüstung ist eine Mark zuviel.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir konnten in den vergangenen Wochen in tragischer Weise sehen, daß Waffen schon in Friedenszeiten kein Spielzeug, sondern Mordinstrumente sind. Waffen sind Mordinstrumente. Dafür, möglichst wirksam und perfekt Menschen zu töten, werden sie gebaut, Herr Scholz. Bedenkenlos hat die Bundesregierung in der Vergangenheit diese Mordinstrumente als technische Wunderwerke zur Schau gestellt. Alle



    Frau Beer
    Warnungen der Friedensbewegung, der Lokalparlamente, der Kirchen hat die Bundesregierung in den Wind geschlagen, um ihre Waffen vorführen zu können. Im Ramstein haben 52 Menschen diese Skrupellosigkeit mit dem Leben bezahlt.
    Wir fordern die Bundesregierung auch angesichts des heutigen Absturzes eines englischen Jagdbombers, bei dem zwei Menschen ums Leben gekommen sind, auf: Beenden Sie diese Waffenschauen der Bundeswehr!

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Es darf keine Flugtage in der Bundesrepublik mehr geben, keinen einzigen mehr, Herr Dr. Scholz.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Es gibt auch skrupellose Reden!)

    Beenden Sie die mörderischen Tiefflüge der Bundesluftwaffe!

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ziehen Sie die zwingende Konsequenz aus den tödlichen Unfällen der letzten Monate!
    Niemand kann garantieren — und ich sage Ihnen das hier zum zweitenmal, das erste Mal zwei Tage vor Ramstein — , daß der nächste Absturz nicht auf eine Chemiefabrik oder eine Atomanlage mit schrecklichen Folgen stattfindet. Hören Sie auf damit, die Tiefflüge in andere Länder verlagern zu wollen und damit die Lebensgrundlage der dort lebenden Völker zu gefährden, wie Sie es bereits in Labrador, Kanada, tun.
    Die Bedrohung und die Schädigung der Menschen geht heute nicht von dem angeblichen Feind aus, sondern von den eigenen Truppen.

    (Repnick [CDU/CSU]: Das ist ein Skandal, Herr Präsident, was die Frau redet!)

    Beenden Sie die Tiefflugübungen der Luftwaffe! Einen entsprechenden Antrag haben wir heute in den Bundestag eingebracht.
    Geschmackvollerweise beginnt am 1. September, dem Antikriegstag, nicht nur die Pershing-Abziehung, sondern beginnen die diesjährigen Herbstmanöver der NATO. Diese Kriegsspiele werden wie jedes Jahr eine Flut von Schäden aller Art mit sich bringen, die jedes Jahr, leider, sehr viele Menschenleben fordern.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Haben Sie mal was von Verkehrstoten gehört?)

    Ob die Bundesregierung nach Ramstein wenigstens auf die Luftkampfübungen im Tiefflug verzichtet? Nichts deutet darauf hin. Das tödliche Kriegspielen geht weiter — bis wir es beenden.
    Seit einem guten Jahr ist die Bundesregierung zunehmend bemüht, der Bundeswehr einen neuen Sinn zu geben. Als Schutz gegen den Osten taugt sie immer weniger, weil es so recht keine Bedrohung aus dem Osten gibt. Der neue Gedanke heißt: Die Bundeswehr — hinaus in die Welt. Die Bundeswehr soll weltweit für Ordnung sorgen, natürlich nicht allein, sondern zusammen mit den Verbündeten oder im Rahmen der UNO-Truppen, wie auch immer. Früher hat die Bundesregierung jede Operation der Bundeswehr außerhalb der NATO-Grenzen prinzipiell und unmißverständlich abgelehnt. Aber ausgerechnet Verteidigungsminister Scholz hat diese Position inzwischen mit der Bemerkung beiseite gewischt, nichts im Grundgesetz verbiete einen solchen Einsatz. Der Einsatz der Bundeswehr auf Kriegsschauplätzen in der Dritten Welt wird also nicht mehr grundsätzlich ausgeschlossen. Die Frage ist nur, wann er opportun erscheint.
    Jetzt hat ausgerechnet Willy Brandt vorgeschlagen, die Bundeswehr könne sich zunächst auch mal an UNO-Friedenstruppen beteiligen.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Nein, hat er nicht!)

    Die Wirkung dieser Diskussion über die Beteiligung der Bundeswehr an UNO-Truppen ist weitreichend, so weitreichend, daß hier ein prinzipieller Damm gegen den Kriegseinsatz deutscher Soldaten in der Dritten Welt durchbrochen werden soll.

    (Frau Dr. Sonntag-Wolgast [SPD]: Quatsch!)

    Die Tür wird geöffnet für die Beteiligung an zukünftigen Militärinterventionen gemeinsam mit den NATO-Verbündeten oder im Rahmen der Westeuropäischen Union.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Es geht aber um Friedenssicherung!)

    Das ist ein sehr gefährlicher Weg. Wir sehen das an Frankreich, und wir warnen davor, auch nur den ersten Schritt in diese Richtung zu tun.

    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Unsere Aufgabe besteht nicht darin, neue militärische Einsatzfelder für die Bundeswehr zu suchen. Sie besteht nicht darin, neue Formen der Militärzusammenarbeit mit diesen Ländern zu begründen. Sie besteht darin, Wege zur Abrüstung zu finden und zu gehen, uns alle von dieser entsetzlichen Last der Militärausgaben zu befreien.
    1 000 DM im Jahr pro Kopf: damit kann man weit sinnvollere Sachen tun, als Waffen zu produzieren. Gorbatschow hat angeboten, die konventionellen Streitkräfte in Europa auf beiden Seiten drastisch zu verringern. Was antwortet die Bundesregierung? Sie antwortet: Keineswegs; kommt gar nicht in Frage. Wir verringern unser Militär nicht, allerhöchstens um 5 %. — Das ist keine grüne Parodie, das ist der Witz der Bundesregierung. 95 % der westlichen Streitkräfte müssen bleiben, egal, um was oder wieviel der Osten seine Truppen abbaut. So stellt sich die Bundesregierung Abrüstung vor.
    Wir fordern: Ziel der Verhandlungen muß die völlige Entmilitarisierung Europas sein. Ein Zwischenschritt könnte in der Verringerung der Personal- und Waffenzahl auf die Hälfte des heutigen westlichen Standes bestehen. Zugleich müssen auch die Rüstungsausgaben entsprechend gesenkt werden. Denn sonst bekommt man vielleicht zwar weniger Waffen, aber dafür werden sie technisch besonders raffiniert und damit auch besonders teuer. Die entsprechenden Angebote des Warschauer Pakts liegen längst vor. Jeder kann heute sehen, wie damit umgegangen wird.



    Frau Beer
    Die NATO will nicht abrüsten. Abrüsten muß gegen die NATO durchgesetzt werden. Wir können sofort hier bei uns damit anfangen. Einseitige Abrüstungsschritte der Bundesrepublik würden entscheidend dazu beitragen, die politischen Voraussetzungen für vertragliche Rüstungsbeschränkungen zu verbessern. Die GRÜNEN werden wie in den Vorjahren in den Beratungen eine Fülle von konkreten Vorschlägen zum Abbau des Rüstungshaushalts einbringen. Aber schon der Verzicht auf ein einziges neues Kampfflugzeug, den Jäger 90, würde bequem die 15 Milliarden DM freisetzen, die wir dringend benötigen, um mit dem ökologischen Sofortprogramm die Nordsee zu retten.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die Abrüstung wird nicht von selber kommen, am allerwenigsten von dieser Bundesregierung. Darum ist die weitere Arbeit der Friedensbewegung so ungeheuer wichtig. Bitte hören Sie nicht nur diesen Debatten zu, beteiligen Sie sich an den Aktionen der Friedensbewegung in diesem Herbst, z. B. am 1. Oktober in Böblingen gegen die Aufstellung der deutsch-französischen Brigade oder am 15. Oktober in Linnich in der Eifel gegen den Bau des neuen Kriegshauptquartiers der NATO-Streitkräfte Zentraleuropa. Ist es nicht unglaublich: Gerade jetzt, wo alle von Abrüstung reden, brauchen wir ein neues Kriegshauptquartier? Am 2. November werden die Bauarbeiten von der Friedensbewegung blockiert. Ich fordere Sie hiermit ausdrücklich auf: Blockieren Sie diese Bauarbeiten! Helfen Sie mit, diese Abartigkeiten zu verhindern!

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Machen wir hier Fensterreden?)

    Die dritte Herbstaktion, am 12. und 13. November,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ein Mißbrauch des Parlaments!)

    richtet sich gegen die Propaganda für die NATO-Aufrüstungspläne anläßlich der Tagung der Nordatlantischen Versammlung in Hamburg. Hier werden sowohl die Kritik an der NATO als auch die politische Alternative der Friedensbewegung sehr deutlich werden.
    Meine Damen und Herren, die GRÜNEN als eine antimilitaristische Partei lehnen die Anwendung von Gewalt und ihre Vorbereitung grundsätzlich ab.

    (Breuer [CDU/CSU]: Das bezweifle ich!)

    Gerade deshalb werden wir dem Verteidigungshaushalt nicht zustimmen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Herr Scholz, Sie haben mit der Nachfolge von Herrn Wörner auch die Verantwortung für den ganzen Schlamassel übernommen, den Ihr Vorgänger angerichtet hat. Sie haben in den wenigen Wochen Ihrer Tätigkeit zur Genüge bewiesen, daß Sie es ihm gleichtun wollen. Allein die Entscheidung für das Projekt Jäger 90, diese unsolideste Investition seit Christi Geburt,

    (Zuruf von der SPD: Haben Sie Hitler vergessen?)

    wird durch ihre immensen Folgekosten, von denen die
    gegenwärtig gehandelten 25 Milliarden nur ein Vorgeschmack sind, zukünftige Bundeshaushalte mächtig durcheinanderwirbeln.
    Zu derart deplazierten Aufrüstungsentscheidungen paßt auch Ihr politisches Glaubensbekenntnis. Wie sagten Sie gegenüber der „FAZ" auf die Frage, wo Sie am liebsten leben möchten? Ich zitiere: „in Berlin als Hauptstadt eines wiedervereinten Deutschland".

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Wir haben vielleicht eine Chance, den Frieden in Europa sicherer zu machen, die Durchlässigkeit der Grenzen zu vergrößern, ganz neue Formen der Zusammenarbeit der Völker von Ost und West zu entwickeln, und Ihnen fällt für die Zukunft nichts ein als die Wiederherstellung eines deutschen Nationalstaates. Herr Scholz, von Großdeutschland haben wir gründlich genug, auch von Großdeutschland in Kleinausgabe, und wenn es eines gibt, was unseren Nachbarvölkern berechtigtes Mißtrauen und berechtigte Befürchtungen vermitteln kann,

    (Breuer [CDU/CSU]: Der Unsinn, den Sie erzählen!)

    dann sind es deutschnationale Träumereien. Nicht Schaffung neuer Nationalstaaten wie im 19. Jahrhundert, sondern Schaffung einer dauerhaften europäischen Friedensordnung,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das machen wir doch!)

    das ist unser politisches Ziel, und wir sind sicher, daß die allermeisten Menschen in der Bundesrepublik so denken. Frieden schaffen ohne Waffen, das ist längst mehr als ein Spruch, das ist die politische Alternative.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei den GRÜNEN)