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ID1109005100

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    Plenarprotokoll 11/90 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 90. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 7. September 1988 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1989: (Haushaltsgesetz 1989) (Drucksache 11/2700) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1988 bis 1992 (Drucksache 11/2701) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt (Fortsetzung): Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1988: (Nachtragshaushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/2650) Dr. Vogel SPD 6113 B Dr. Waigel CDU/CSU 6124 C Frau Vennegerts GRÜNE 6133 B Dr. Bangemann FDP 6136B Dr. Kohl, Bundeskanzler 6141 B Dr. Ehmke (Bonn) SPD 6152 B Rühe CDU/CSU 6160A Genscher, Bundesminister AA 6165 C Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 6168 C Wimmer (Neuss) CDU/CSU 6170D Kühbacher SPD 6174 A Frau Seiler-Albring FDP 6179A Frau Beer GRÜNE 6181 C Dr. Scholz, Bundesminister BMVg 6183 D Gerster (Worms) SPD 6188 C Dr. Friedmann CDU/CSU 6190 B Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 6193 D Dr. Hauchler SPD 6197 B Hoppe FDP 6201 A Volmer GRÜNE 6202 B Nächste Sitzung 6205 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 6207* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. September 1988 6113 90. Sitzung Bonn, den 7. September 1988 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 9. 9. Andres 7. 9. Dr. Becker (Frankfurt) 9. 9. Böhm (Melsungen)* 9. 9. Brandt 7. 9. Büchner (Speyer) 7. 9. Dr. von Bülow 8. 9. Clemens 7. 9. Frau Dr. Däubler-Gmelin 7. 9. Gallus 8. 9. Dr. Glotz 7. 9. Dr. Hauff 9. 9. Hiller (Lübeck) 9. 9. Höpfinger 9. 9. Frau Hoffmann (Soltau) 9. 9. Ibrügger** 9. 9. Dr.-Ing. Kansy** 9. 9. Frau Karwatzki 9. 9. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Kelly 8. 9. Kuhlwein 9. 9. Dr. Kunz (Weiden)** 9. 9. Lutz 7. 9. Dr. Meyer zu Bentrup 8. 9. Niegel* 9. 9. Oostergetelo 9. 9. Frau Pack* 7. 9. Dr. Probst 9. 9. Rappe (Hildesheim) 9. 9. Dr. Riedl (München) 7. 9. Seidenthal 7. 9. Frau Steinhauer 9. 9. Frau Terborg 7. 9. Tietjen 9. 9. Toetemeyer 8. 9. Frau Weiler 9. 9. Westphal 9. 9. Frau Wilms-Kegel 9. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
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    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat zu Recht eine positive Perspektive der internationalen Entwicklung entworfen und damit auch eine positive Perspektive für die deutsche Außenpolitik. Es ist unbestreitbar, daß wesentliche Elemente dieser positiven Entwicklung auf der einen Seite die Entscheidung der europäischen Gemeinschaft für die Herstellung des gemeinsamen Binnenmarkts und auf der anderen Seite das erste Abrüstungsabkommen zwischen West und Ost sind.
    Keine dieser beiden Entscheidungen wäre möglich gewesen ohne den bestimmenden Beitrag der Bundesrepublik Deutschland.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das beweist, daß wir recht haben, wenn wir auf die Vollendung der politischen Union für Europa setzen, und daß wir recht hatten, wenn wir in schwerer Zeit, gegründet auf Festigkeit in der Verteidigung und Offenheit für Dialog und Zusammenarbeit, die Türen weit aufgemacht haben für eine Verbesserung des West-Ost-Verhältnisses.
    Daß es zu der doppelten Null-Lösung kam, daß wir heute eine positive Entwicklung haben, ist letztlich die Konsequenz des Harmel-Konzepts des westlichen Bündnisses von 1967 — eine Feststellung, die deshalb notwendig ist, weil auch hier in diesem Hause irrtümlich die Meinung vertreten wird, daß der Westen ohne Konzept, der Osten dagegen mit einem überzeugenden Konzept ausgestattet sei. Es ist offenkundig, daß unsere Festigkeit allein und unsere Vorstellungen allein nicht ausgereicht hätten, um eine grundlegende Veränderung im West-Ost-Verhältnis zu erreichen, wenn nicht auch auf der anderen Seite eine grundlegende Veränderung von Außen- und Sicherheitspolitik eingeleitet worden wäre. Dies festzustellen nimmt der westlichen Haltung nichts an ihrer Richtigkeit und Weitsicht, und es nimmt der östlichen Haltung nichts an dem Mut und der Energie des sowjetischen Generalsekretärs, zu einer Entmilitarisierung der sowjeti-



    Bundesminister Genscher
    schen Außenpolitik zu kommen. Beides gehört zusammen, und beides wollen wir entwickeln.
    Es wird im Westen, meine Damen und Herren, viel darüber spekuliert, was der sowjetische Generalsekretär denn nun wirklich wolle, ob er es schaffe, ob er es schaffen könne, ob nicht Gegenstimmen, die wir hören, seine Politik untergraben könnten.
    Meine verehrten Kollegen, mir scheint es wichtiger zu sein, daß wir analysieren, ob die Politik, die er eingeleitet hat, auch unseren Interessen nützt, oder ob sie unseren Interessen schadet. Ich komme zu dem Ergebnis: Sie nützt unseren Interessen. Deshalb sollte diese Politik bei uns nicht nur ein positives Echo, sondern in allen Bereichen auch eine positive Reaktion finden. Das ist unsere Verantwortung.

    (Beifall bei der FDP)

    Ich denke, daß wir uns mit mehr Offenheit in der Sowjetunion auch damit abfinden müssen — ich tue das übrigens gern — , daß unterschiedliche Meinungen in der sowjetischen Führung auch deutlicher ausgesprochen werden, d. h. daß eine offenere sowjetische Gesellschaft wie bei uns das Für und Wider über den richtigen Weg deutlicher artikuliert. Das wird nicht eine Schwäche sein, das wird eine Stärke sein. Nur zögere ich, hinter jede Erklärung der sowjetischen Führung deshalb ein Fragezeichen zu setzen, weil es auch andere Stimmen gibt. Ich würde mir als Mitglied der Bundesregierung verbitten, wenn eine andere Regierung deshalb ein Fragezeichen hinter die Ernsthaftigkeit unserer Absichten setzen würde, weil die Fraktionen der Opposition zu dieser oder jener Frage eine andere Auffassung haben.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Oder Todenhöfer!)

    Meine Damen und Herren, mehr Pluralität in der Gesellschaft setzt also auch mehr Offenheit in den Auseinandersetzungen voraus.
    Entscheidend ist für uns, daß wir heute die Architektur des künftigen Europas bestimmen, in dem wir zu Hause sind. Dieses Europa wird keine innere und keine äußere Stabilität haben, wenn nicht das westliche Bündnis, das Bündnis der Vereinigten Staaten und der Kanadier mit ihrem westeuropäischen Partner, Teil der Stabilitätsstruktur dieser europäischen Friedensordnung oder des gemeinsamen europäischen Hauses bleibt. Weil wir gleiche Werte haben, sind so gesehen die USA und Kanada auch ein Teil Europas. Das macht ja die Beständigkeit unseres Bündnisses aus.
    Wir in der europäischen Gemeinschaft haben in einer Politik, die die Lehren aus der Vergangenheit gezogen hat, letztlich einen Sieg errungen, ich glaube, den ersten wirklichen Sieg über nationale Verirrungen, über nationale Verblendungen. Es ist ein unblutiger Sieg, aber es ist der größte und schönste Sieg in der europäischen Geschichte, weil wir mit diesem Sieg eine Zukunft der Hoffnung für Europa gewonnen haben.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Nun stellen wir fest, daß viele Länder um uns herum — die EFTA-Staaten, die Staaten des RGW, aber auch die Vereinigten Staaten, Japan, die ASEAN-Staaten — die Frage stellen: Was bedeutet es denn schließlich, wenn diese Fortschritte in der Europäischen Gemeinschaft erzielt werden? Entsteht hier eine Festung Europa, die sich auf sich selbst zurückzieht? Manchmal wird sogar überschätzt, was wir erreichen können, wie es überhaupt das Schicksal der Europäischen Gemeinschaft zu sein scheint, daß ihre Möglichkeiten von außen überschätzt, daß sie aber im Inneren aller einzelnen Staaten unterschätzt werden.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Richtig! — Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, Europa wird seine Friedensverantwortung in der Welt, Europa wird seine wirtschaftliche Verantwortung in der Welt und Europa wird auch seine Chancen nur nutzen können, wenn es eine auf Offenheit angelegte Gemeinschaft bleibt, offen für alle, die mit uns zusammenarbeiten wollen. Ich bin der festen Überzeugung, daß die Europäische Gemeinschaft die große Wachstumsreserve der Weltwirtschaft ist,

    (Dr. Wulff [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    daß die Wachstumschancen, die in der Entwicklung des Gemeinsamen Marktes liegen, nicht nur eine Chance sind für die 320 Millionen Einwohner der Europäischen Gemeinschaft, sondern daß davon ein neuer Impuls für die Entwicklung der Weltwirtschaft ausgehen wird, aber ganz besonders für die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn in Europa, den EFTA-Staaten genauso wie mit den Staaten des RGW.
    Niemand hat Anlaß, Sorge vor dieser Entwicklung zu haben, wenn wir unser Konzept der Offenheit dieser Gemeinschaft durchsetzen können. Diese Gemeinschaft wird eine unheimliche Kraft, eine große wirtschaftliche Kraft entwickeln.

    (Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: „Unheimlich" war das richtige Wort!)

    — Herr Kollege, wenn es Ihnen unheimlich ist, daß die zwölf Staaten wirklich die Lehren aus der Vergangenheit gezogen haben,

    (Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Das nicht, Herr Minister!)

    daß sie ihre Kräfte bündeln, daß sie nationalen Egoismus überwinden, dann kann ich ihren Gedankengängen wirklich nicht mehr folgen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD — Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Ich komme noch darauf zurück!)

    — Sie kommen ja noch darauf zurück.
    Meine Damen und Herren, deshalb ist es so wichtig, daß wir erkennen, daß in den Zeiten der Wachstumsschwäche in der Europäischen Gemeinschaft Anfang der 80er Jahre nicht nur die zwölf Mitgliedstaaten unter dieser Wachstumsschwäche zu leiden hatten. Auch die EFTA-Staaten, auch die Staaten des RGW hatten damals die Folgen dieser Entwicklung zu tragen. Sie werden also heute auch die Chancen mit uns wahrnehmen können, und ich bin sicher, daß die Sowjetunion und die anderen Staaten des Warschauer



    Bundesminister Genscher
    Pakts das erkennen und sich auf eine bessere und stärkere Zusammenarbeit einstellen.
    Wir werden allerdings dieses große Werk der Schaffung einer europäischen Friedensordnung, des Baus des europäischen Hauses — zwei Worte für dasselbe Ziel — nur erreichen können, wenn wir auch in den Fragen der Zusammenarbeit in allen Bereichen Fortschritte machen, wenn wir durch kulturelle Zusammenarbeit Feindbilder abbauen, wenn wir gegenseitige Achtung schaffen und wenn niemand darauf aus ist, den anderen zu schwächen, sondern wenn jeder im Erfolg des anderen auch den eigenen Erfolg für ein besseres Europa sieht. Deshalb ist es nicht unsere Absicht, unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten zur Schwächung der östlichen Nachbarn einzusetzen, sondern um Stabilität zu schaffen, die auch Voraussetzung für politische Entscheidungen ist, die letztlich zu Abrüstung und Rüstungskontrolle führen.
    Der Westen ringt um ein konventionelles Abrüstungskonzept. Ich verstehe die Ungeduld der Kollegen hier in diesem Hause. Aber ich darf doch darauf hinweisen, daß alle Abrüstungsvorschläge zur konventionellen Abrüstung hier in der Bundesrepublik Deutschland in der Bundesregierung entwickelt worden sind, daß wir heute dabei sind, sie im westlichen Bündnis durchzusetzen, Herr Kollege Rühe. Jede öffentlich geäußerte Ungeduld empfinde ich als hilfreich.

    (Rühe [CDU/CSU]: So ist es auch gedacht!)

    Aber aus der Geschichte der doppelten Null-Lösung wissen wir ja, daß auch ein noch so guter Vorschlag gelegentlich auf Bedenken stoßen kann. Deshalb ist es notwendig, daß wir diese Bedenken — soweit sie bei anderen Partnern noch vorhanden sind — überwinden.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Damen und Herren, jetzt geht es darum, daß wir die Konferenz in Wien zu einem guten Ende führen. Meine feste Überzeugung nach meinem Besuch in Moskau ist, daß auch die sowjetische Seite an einer schnellen Beendigung und an einem substantiellen und ausgewogenen Dokument interessiert ist und daß sie auch daran interessiert ist, zu einem Mandat für die Abrüstungsverhandlungen über die konventionelle Stabilität zu kommen. Wir haben bei unseren Gesprächen in Moskau dafür einen Fortschritt erzielt. Ich hoffe, daß die weiteren Beratungen, die jetzt zwischen den Bündnissen geführt werden, diesen Fortschritt ausbauen können.
    Konventionelle Stabilität ist die Kernfrage der europäischen Sicherheit. Die Schaffung von Gleichgewicht auf niedrigerem Niveau setzt voraus, daß die einen mehr und die anderen weniger, aber beide zusammen doch abrüsten. Das bedeutet unser Konzept, dessen Elemente Sie soeben noch einmal dargelegt haben. Es ist genauso wichtig, daß wir sehr schnell zu Vereinbarungen über Strukturen, über Bewaffnung, über die Stationierung kommen, damit auf beiden Seiten die Streitkräfte tatsächlich nur noch der Verteidigung fähig sind, aber nicht der raumgreifenden Offensive oder dem Überraschungsangriff. Darin liegt mehr als militärische Stabilität. Das schafft auch politische und sicherheitspolitische Vertrauensbildung. Das wird natürlich auch alle anderen Entscheidungen beeinflussen.
    Herr Kollege Ehmke, Sie sollten das Bemühen der Bundesregierung um ein Abrüstungs- und Sicherheitskonzept eigentlich unterstützen.

    (Dr. Ehmke [SPD]: Ja, nur ...!)

    Denn es ist doch offenkundig, daß die vorliegenden sicherheitspolitischen Konzeptionen ihre Auswirkungen auf die Verteidigungsanstrengungen auch auf der westlichen Seite haben müssen. So wie die doppelte Null-Lösung ja Einfluß auch auf unsere nukleare Ausrüstung in diesem Bereich hatte, nämlich daß wir sie beseitigt haben, werden auch weitere Vereinbarungen Ausfluß und Einfluß auf die Struktur der westlichen Verteidigung haben müssen.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das Bemühen ist gut, der Mangel an Ergebnissen ist traurig! )

    In diesem Zusammenhang müssen wir auch die Entscheidungen über die Kurzstreckenraketen sehen. Der Bundeskanzler hat zu Recht festgestellt: Hier besteht überhaupt kein Zeitdruck, sondern es ist wichtig, daß wir zunächst einmal untersuchen, wie die notwendige Zusammensetzung nuklearer Mittel auch in künftigen Entwicklungen aussieht. Da sind wir uns sicher einig, daß die Kurzstreckenraketen für die Abschreckung die geringste Bedeutung haben.

    (Zustimmung bei der FDP)

    Aber die Abschreckung vom Kriege, meine Damen und Herren, die Strategie der Abschreckung von jeder Art von Krieg muß ein Bestandteil unserer Sicherheitspolitik bleiben. Aber es kann nicht die letzte Antwort auf die Fragen der Sicherheit in Europa sein,

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Auch richtig!)

    sondern wir müssen zusätzlich Strukturen übergreifender — also kooperativer — Sicherheit schaffen, die die Abschreckung immer weniger bedeutsam und vertrauensbildende Strukturen für die Sicherheit in Europa immer wichtiger werden lassen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Deshalb sind Herstellung konventioneller Stabilität und Beseitigung der Fähigkeit zu Angriffen von so essentieller Bedeutung auch für die anderen Bereiche. Und da müssen wir auf alle Optionen der Entwicklungen eingestellt sein, aber wir müssen uns als Realisten gleichzeitig auch bewußt sein, daß die Anstrengungen von heute nicht auf Erwartungen von morgen gegründet werden können, daß wir uns aber auch mit dem Ist-Zustand nicht abfinden, sondern das Morgen gestalten.
    Meine Damen und Herren, wir sollten keine Sorge haben, Sicherheit in der Zusammenarbeit — durch kooperative Strukturen — mit dem Osten zu gestalten. Wenn wir hier zu Recht feststellen, daß die neuen Entwicklungen in der Abrüstungspolitik nur möglich wurden, weil wir ein offenes Konzept hatten und weil der Osten durch seine veränderte Politik auf dieses Konzept eingeht, so wird schon deutlich, daß beide



    Bundesminister Genscher
    Seiten zur Sicherheit beitragen müssen, daß wir diese Sicherheit gemeinsam schaffen müssen.
    Es ist meine feste Überzeugung, daß wir im Westen diese Zusammenarbeit nicht zu scheuen brauchen.

    (Zustimmung bei der FDP)

    Wir brauchen die Kontakte nicht zu scheuen, wir haben keine Berührungsängste. Ich bin auch ganz sicher, daß alle Entwicklungen, die durch Öffnung zu mehr Kreativität, zu mehr Stabilität in der Sowjetunion führen, Entwicklungen sein werden, die dem einzelnen Menschen mehr Freiheitsraum, mehr Gestaltungsraum geben. Meine Damen und Herren, wenn das so ist, dann wird die Sowjetunion durch eine solche Politik auch kooperationsfähiger.
    Wir sehen positive Entwicklungen nicht nur in der — heute schon wiederholt erwähnten — erhöhten Zahl von Aussiedlern aus der Sowjetunion, sondern wir sehen sie auch darin, daß die Sowjetunion erstmals bereit ist, in der seit langem bestehenden Arbeitsgruppe für humanitäre Fragen mit uns über das Schicksal der Deutschen sowjetischer Nationalität zu sprechen, die in der Sowjetunion leben und auch weiter leben wollen, daß sie bereit ist, mit uns darüber zu sprechen, wie diese Sowjetbürger deutscher Nationalität ihre nationale Identität, ihre kulturelle Identität wahren können, wie sie die Ausübung ihres religiösen Bekenntnisses gesichert bekommen können. Ich sehe in dieser Gesprächsbereitschaft einen ganz entscheidenden Fortschritt. Das entspricht auch den Ankündigungen aus dem letzten Plenum des Zentralkomitees in Moskau, wo die Rede davon war, daß die Rechte der Minderheiten, die nicht in geschlossenen Siedlungsgebieten leben, durch Gesetz umschrieben werden sollen.
    Das steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit jüngster Kritik in der sowjetischen öffentlichen Meinung an der Umsiedlung und Verstreuung der Deutschen aus dem Wolga-Gebiet in der Folge der Jahre 1941. Das ist eine beachtliche Selbstkritik,

    (Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

    die ja wohl die Aufgabe hat, einen Umdenkungsprozeß auch in diesem Bereich vorzubereiten. Ich finde, es ist immer legitim, zu sagen, daß wir die andere Seite beim Wort nehmen. Ich habe das selber in meiner Rede in Davos vor eineinhalb Jahren gesagt.
    Aber ich lege auch auf etwas anderes Wert. Das ist für die Bildung eines Vertrauensverhältnisses zwischen unserem Land und der Sowjetunion wichtig. Wir begreifen ja unsere Rolle als eine zentrale Rolle. Der Bundeskanzler hat das in der Regierungserklärung nach der letzten Bundestagswahl gesagt. Die Sowjetunion spricht von einer Schlüsselrolle. Wir müssen auch die Kraft haben, Einsichten und neue Wege, Taten, die Worten gefolgt sind, zu erkennen. Herr Rühe hat die Bereitschaft zu asymmetrischer Abrüstung und Kontrollen vor Ort erwähnt. Ich könnte hinzufügen: Bereitschaft zum Abbau aller Mittelstrekkenraketen — was jahrelang abgelehnt worden war — , die Bereitschaft zum Rückzug und die Entscheidung für den Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan, kooperativeres Verhalten bei der Lösung von Krisen überall in der Welt. Das sind gute
    Zeichen, hoffnungsvolle Zeichen. Unsere Aufgabe ist es, daß aus diesen Zeichen Wirklichkeit wird — auch durch unsere Möglichkeiten der Zusammenarbeit.
    Unser Anteil war in der Vergangenheit groß. Wir sollten auch in Zukunft mit Mut und Selbstvertrauen diesen Weg weitergehen. Wir, die freiheitlichen Demokratien des Westens — das sage ich den Ängstlichen, von denen heute einer aus einer Zeitung zitiert wurde —, brauchen Kooperation und Zusammenarbeit nicht zu fürchten.
    Ich bin ganz sicher: Die Geschichte wird zeigen, daß die Sache der Menschenwürde, der Menschenrechte und der Freiheit sich überall in der Weit durchsetzen wird. Aber ich bin auch der Meinung, daß wir der Geschichte die Möglichkeit geben müssen, Antwort zu geben. Das kann sie nur, wenn wir das wahren, was elementar für das alles ist, nämlich wenn wir den Frieden wahren und unseren Anteil zu dieser Friedenswahrung als Bundesrepublik Deutschland erbringen.
    Ich danke Ihnen.

    (Langanhaltender Beifall bei der FDP — Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lippelt.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Lippelt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Außenminister, ein Wort voraus zu dem kleinen Disput über das „unheimliche" Europa. Es ist keine Frage zwischen uns, daß das Europa der Zwölf ein Sieg über nationale Verblendung ist. Da liegt das Problem überhaupt nicht. Das Problem liegt bei der geopolitischen Betrachtungsweise, die jetzt gerade von den Unterstützern des Binnenmarkts so oft vorgebracht wird. Da heißt es nämlich: Zwischen Japan und der USA brauchen wir das starke Westeuropa. Geopolitik macht mir grundsätzlich immer Sorge.
    Das zweite Problem ist: Selbst Sie sind soeben — ich habe darauf geachtet — in den Sprachgebrauch „Europa" verfallen und haben natürlich Osteuropa übersehen.

    (Zuruf von Bundesminister Genscher)

    — Sie haben es in der Gesamtpolitik nicht getan, wohl aber bei dieser speziell auf diese Frage abgestellten Betrachtung.
    Da ist das Problem doch folgendes: Sie haben von den großen Wachstumskräften gesprochen. Auf der anderen Seite, in Osteuropa, gibt es enorme Verschuldungsprobleme. Wie übersetzt sich das ins Politische? Wir können doch nicht nur sagen: Wir werden später aus unserem Wohlstand heraus helfen. Das geht politisch auch gar nicht. Das heißt: Welche politischen Spannungen entstehen in dem Moment, in dem eine neue Wirtschaftsmetropole entsteht?
    Der dritte Punkt ist: Sie haben ja nun beim Kälber/ Hormon-Skandal erlebt, wie der Minister Matthiesen so sehr darüber jammerte, daß er keine Grenzkontrolle mehr machen darf, weil ihm die EG dazwischenkommt. Ich sehe nur, daß uns mit dem Druck auf Harmonisierung und dem Diskriminierungsverbot für



    Dr. Lippelt (Hannover)

    Waren — egal wie diese beschaffen sind — zunächst erst einmal wieder ein großer Sieg der Ökonomie über die Ökologie ins Haus steht und daß die kleinen Fortschritte, die wir erreicht haben, erst einmal wieder den Bach heruntergehen. Deshalb, Herr Außenminister, habe ich da eine etwas andere Meinung als Sie.
    Der Herr Bundeskanzler hat heute vormittag ausführlich über seine Ostpolitik gesprochen. Er will in Moskau — so haben wir gehört — Anfang Oktober vor allem über Umwelt sprechen und wahrscheinlich ein Umweltabkommen abschließen. Davon war zwar heute morgen nicht mehr die Rede; heute ging es mehr um einen großen Tour d'horizon. Vielleicht ist es auch besser, wenn die Umwelt etwas zurücktritt, denn, Herr Bundeskanzler, hat man bei Ihnen in all den aufeinanderfolgenden Umweltkatastrophen dieses Sommers je ein besonderes Engagement für dieses Thema feststellen können? Oder haben Sie die deutsche EG-Präsidentschaft genutzt, um Umweltpolitik voranzutreiben? Was man zu Hause versäumt, kann man in der Fremde schließlich schlecht nachholen.
    Insofern fragt sich natürlich, wie dies gemeint ist. Es ist ja immer zu befürchten, daß es in dem dialektischen Sinne gemeint ist, daß man zwar von Umwelt spricht, ihre Zerstörung hingegen toleriert. Wie, Herr Bundeskanzler, haben Sie in der Pressekonferenz vor dem „Sommerloch" gesagt — ich zitiere —:
    Ich begrüße auch, daß der Warschauer Pakt sich dem Umweltthema jetzt auf höchster politischer Ebene stellt. Ich habe gerade hier immer wieder Zusammenarbeit angeboten, nicht zuletzt auf Grund der Erfahrungen von Tschernobyl.
    In der Tat, Minister Riesenhuber hat längst seine Hausarbeit gemacht. Wir haben seit April letzten Jahres das deutsch-sowjetische Nuklearabkommen. Zusammen mit ihm haben wir einen Vorvertrag zur gemeinsamen Entwicklung, zum Serienbau und zur weltweiten Vermarktung des kleinen 100-MW-Hochtemperaturreaktors. Was das bedeutet, liegt für diejenigen, die sich mit solchen Fragen beschäftigen, auf der Hand: Die Atomindustrie pfeift aus dem letzten Loch. Nur in Ländern, wo sie in staatlicher Regie betrieben wird — wie in der Sowjetunion und in Frankreich — oder wo sie durch Gebietsmonopole abgesichert ist — wie hier in der Bundesrepublik — , geht es ihr noch leidlich. Aber während ihr trotzdem im eigenen Land die Entsorgungsprobleme über den Kopf wachsen, setzt sie zu einer letzten Exportoffensive an und will mit dem kleinen Reaktor auch die nicht zahlungskräftigen Märkte der Dritten Welt durchdringen und nun auch dort Atommüll produzieren, wo man noch sorglos mit ihm umgeht. Das sind die ersten Früchte der Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion nach Tschernobyl. Dabei werden jetzt ganz andere Konzepte der Zusammenarbeit von Ihnen verlangt, Herr Bundeskanzler.
    Ich frage mich natürlich: Was werden Sie Gorbatschow antworten, wenn dieser Sie z. B. nach dem Sinn der deutsch-französischen militärischen Integration fragt. Der Kollege Ehmke hat schon darüber gesprochen; ich weise darauf hin: Ein erster Finanzansatz für den gemeinsamen Sicherheitsrat findet sich ja nun schon im Etat. Ich hoffe, daß — wie ich Herrn Ehmke verstanden habe — die SPD den Sinn des von
    uns hier eingebrachten Antrags auf Aufnahme des Atomwaffenverzichts in das Grundgesetz jetzt auch etwas besser versteht. Wir haben diesen Antrag im Ausschuß ja auch mehrfach zurückgestellt, damit dieser Bewußtseinsprozeß greifen konnte. Insofern ist es dann wohl an der Zeit, ihn demnächst auf die Tagesordnung zu setzen.