Rede:
ID1109003800

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/90 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 90. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 7. September 1988 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1989: (Haushaltsgesetz 1989) (Drucksache 11/2700) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1988 bis 1992 (Drucksache 11/2701) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt (Fortsetzung): Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1988: (Nachtragshaushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/2650) Dr. Vogel SPD 6113 B Dr. Waigel CDU/CSU 6124 C Frau Vennegerts GRÜNE 6133 B Dr. Bangemann FDP 6136B Dr. Kohl, Bundeskanzler 6141 B Dr. Ehmke (Bonn) SPD 6152 B Rühe CDU/CSU 6160A Genscher, Bundesminister AA 6165 C Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 6168 C Wimmer (Neuss) CDU/CSU 6170D Kühbacher SPD 6174 A Frau Seiler-Albring FDP 6179A Frau Beer GRÜNE 6181 C Dr. Scholz, Bundesminister BMVg 6183 D Gerster (Worms) SPD 6188 C Dr. Friedmann CDU/CSU 6190 B Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 6193 D Dr. Hauchler SPD 6197 B Hoppe FDP 6201 A Volmer GRÜNE 6202 B Nächste Sitzung 6205 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 6207* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. September 1988 6113 90. Sitzung Bonn, den 7. September 1988 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 9. 9. Andres 7. 9. Dr. Becker (Frankfurt) 9. 9. Böhm (Melsungen)* 9. 9. Brandt 7. 9. Büchner (Speyer) 7. 9. Dr. von Bülow 8. 9. Clemens 7. 9. Frau Dr. Däubler-Gmelin 7. 9. Gallus 8. 9. Dr. Glotz 7. 9. Dr. Hauff 9. 9. Hiller (Lübeck) 9. 9. Höpfinger 9. 9. Frau Hoffmann (Soltau) 9. 9. Ibrügger** 9. 9. Dr.-Ing. Kansy** 9. 9. Frau Karwatzki 9. 9. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Kelly 8. 9. Kuhlwein 9. 9. Dr. Kunz (Weiden)** 9. 9. Lutz 7. 9. Dr. Meyer zu Bentrup 8. 9. Niegel* 9. 9. Oostergetelo 9. 9. Frau Pack* 7. 9. Dr. Probst 9. 9. Rappe (Hildesheim) 9. 9. Dr. Riedl (München) 7. 9. Seidenthal 7. 9. Frau Steinhauer 9. 9. Frau Terborg 7. 9. Tietjen 9. 9. Toetemeyer 8. 9. Frau Weiler 9. 9. Westphal 9. 9. Frau Wilms-Kegel 9. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Volker Rühe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben schon gestern nach der Rede unseres Finanzministers den Eindruck gehabt, daß die Debatte für die Koalition gut läuft. Ich muß Ihnen sagen, heute morgen ist dieser Eindruck verstärkt worden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Ehmke, einige Bemerkungen, die Sie heute nachmittag am Anfang gemacht haben, zeigen nur, wie sehr die Opposition in die Defensive geraten ist, und einer Opposition kann nichts Schlimmeres passieren, als daß sie in einer so wichtigen Haushaltsdebatte in die Defensive gerät, Herr Kollege Vogel.
    Herr Kollege Ehmke, es waren, wie ich finde, auch einige Entgleisungen dabei, auf die man eingehen muß. Sie haben dem Bundeskanzler vorgeworfen, er sei realitätsblind

    (Volmer [GRÜNE]: Ein schwacher Vorwurf!)

    und mache eine Politik für die oberen Zehntausend.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Ich habe das festgestellt!)

    Ich kann nur sagen: Überlassen wir es den Zuhörern, zu beurteilen, wer von den Rednern heute die Realität in der Bundesrepublik Deutschland am genauesten geschildert hat. Die sollen das draußen entscheiden, und da haben wir, so glaube ich, hervorragende Karten, was unsere Einschätzung der Realität in der Bundesrepublik Deutschland angeht.

    (Koschnick [SPD]: Lauter Joker!)

    Ganz anders steht es um Sie, Herr Kollege Ehmke. Zwar haben Sie sich hinter Augustinus versteckt, aber Sie haben gesagt, dies sei ein Staat ohne Gerechtigkeit und deswegen eine Räuberbande. Ich finde, das ist eine schlimme Entgleisung.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Von Augustinus?)

    Ich muß Ihnen sagen: Ich bin stolz darauf, wieviel Gerechtigkeit wir durch unsere Politik verwirklicht haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer die Bundesrepublik Deutschland mit einer Räuberbande vergleicht, begeht, wie ich finde, eine schlimme Fehleinschätzung. Noch niemals in der deutschen Geschichte hat es so viel Gerechtigkeit gegeben, und eine Opposition, die nicht in der Lage ist, das zu sehen, ist blind gegenüber den Realitäten dieses Landes.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sagen Sie das einmal den Arbeitslosen und den Sozialhilfeempfängern!)

    Sie machen den zweiten Fehler, sich nicht entscheiden zu können. Jetzt haben Sie Herrn Stoltenberg als Lottokönig bezeichnet. Weil die Daten so überzeugend sind, hat er angeblich im Lotto gespielt und gewonnen.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Nein, weil die Bundesbankgewinne so wachsen!)

    Aber so können Sie doch nicht argumentieren.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Doch!)

    Wenn es im Lande gut geht, hat er im Lotto gespielt, und wenn es schlecht geht, sind die Weichen falsch gestellt worden. Sie müssen sich einmal entscheiden, ob die Regierung ein Lottospieler oder ein Weichensteller ist. Ich sage Ihnen: Diese Regierung hat in den letzten fünf sechs Jahren die Weichen in eine richtige Richtung umgestellt, in der wir in diesem Lande auch wieder Erfolg haben können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Von unten nach oben!)

    Es ist nicht im Lotto gewonnen worden, sondern die Weichen sind richtig gestellt worden, und erst wenn Sie die Weichen richtig stellen, können Sie manchmal auch noch das Glück haben, daß der Zug vielleicht noch ein bißchen schneller in die richtige Richtung fährt. Aber, Herr Kollege Ehmke, Sie als Opposition haben kein Pech im Lotto, sondern die falsche Politik. Der Bundesparteitag der SPD hat ja auch gezeigt, daß Sie in den entscheidenden Zukunftsfragen unseres Volkes zerstritten sind und keine klare Politik formuliert haben. Daran sollten Sie weiter arbeiten.

    (Dr. Vogel [SPD]: Zerstritten? Das müßt ihr sagen!)

    Das gilt nun auch für die Außenpolitik. Sie haben zu mehr Gemeinsamkeit aufgerufen, zu der man immer bereit sein sollte. Die Chancen dafür sind um so besser, je klarer die Analyse der Politik der Vergangenheit ist.
    Sie haben gesagt, Sie hätten Fehler gemacht, aber obwohl ich nachgefragt habe, haben Sie diese nebulose Bemerkung nicht präzisiert.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Die haben Sie hier von mir schon oft gehört! Nachgucken!)

    Wenn Sie behaupten, daß der Mittelstreckenvertrag sozusagen ein Geschenk von Herrn Gorbatschow sei, daß wir ihn also Herrn Gorbatschow zu verdanken hätten und daß wir ihn auch erreicht hätten,

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Ohne ihn hätten wir ihn nie bekommen!)

    wenn wir 1983 unter dem Druck der Sowjetunion auf die Nachrüstung verzichtet hätten, wenn Sie das behaupten, dann verzerren Sie die Vergangenheit, dann sind Sie nicht imstande, für die Zukunft die richtige Politik zu betreiben, und dann gibt es auch keine Chance für größere Gemeinsamkeiten, Herr Kollege Ehmke. Denn es gibt überhaupt keinen Ansatzpunkt dafür, daß wir dieses Ergebnis hätten erreichen können, Herr Kollege Ehmke, wenn es auf der westlichen Seite weiterhin bei Null geblieben wäre. Dieser Vertrag ist kein Geschenk von Herrn Gorbatschow, sondern er ist im Westen schwer erarbeitet worden, übrigens auch gegen Ihren Widerstand. Das ist eine



    Rühe
    Grundlage für die Entscheidungen auch in der Zukunft.
    Ich habe gesagt, wir wollten jetzt zunächst Verhandlungen im konventionellen Bereich. Das bedeutet aber nicht, daß die Ungleichgewichte im nuklearen Bereich nicht in der Zwischenzeit beseitigt werden können. Ich vermisse Ihren Appell an die Sowjetunion, die erheblichen Ungleichgewichte bei den Kurzstreckenraketen unter 500 km einseitig herunterzubringen, so wie das auch die NATO in der Vergangenheit gemacht hat.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Die haben es schriftlich! — Voigt [Frankfurt] [SPD]: Warum sind sie denn gegen Verhandlungen?)

    Ich habe ja selber vorgeschlagen, daß auch die NATO bei den Systemen, bei denen wir das geringste Interesse haben und die im übrigen auch schwer zu verifizieren sind, wie etwa die nukleare Artillerie, zu weiteren einseitigen Schritten bereit sein sollte. Es braucht also in diesem Bereich keinen Stillstand zu geben. Zunächst einmal haben allerdings die Verhandlungen im konventionellen Bereich Vorrang. Dazu will ich gleich noch etwas sagen.
    Aber zunächst noch einmal zur Einschätzung der Politik Gorbatschows, weil das auch in der Debatte eine Rolle gespielt hat und weil es vor der Reise des Bundeskanzlers sicherlich wichtig ist, daß ich hierzu aus der Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion noch einmal etwas Grundsätzliches feststelle. Ich meine, wir sollten den Reformkurs Gorbatschows nicht als ein gigantisches Täuschungsmanöver ansehen. Wer so denkt, der wird wahrscheinlich ständig von seinen eigenen Fehlurteilen und Fehlprognosen eingeholt werden und hinter der tatsächlichen Entwicklung hinterherhinken. Wir sollten, um das andere Extrem anzusprechen, aber auch nicht die Ergebnisse sowjetischer Reformen vorwegnehmen und dementsprechend unsere Politik vorauseilend verändern, solange dafür nicht die Grundlagen in der Substanz gegeben sind. Denn eine solche Politik, die Worte und Absichten, so ernsthaft und glaubwürdig sie auch sein mögen, schon für bare Münze nimmt, würde dazu führen, daß die Wahrung unserer eigenen Interessen nicht mehr möglich ist und damit auch unsere Sicherheit untergraben wird.
    Wir sollten also auch nicht euphorisch fragen, wie wir Gorbatschow helfen können; denn ich meine, in dieser Frage liegt auch eine Überschätzung unserer tatsächlichen Möglichkeiten. Denn unsere Bereitschaft, zu neuen Wegen der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion zu kommen, kann doch immer nur an das anknüpfen, was es an tatsächlichen neuen Entwicklungen in der Sowjetunion gibt.
    Was wir brauchen, ist, wie ich meine, ein absoluter Realismus. Ich finde, wir sollten nüchtern und aufgeschlossen auf die Sowjetunion zugehen und ihr bei den Reformanstrengungen Mut machen. Wir sollten übertriebenes Mißtrauen zurückstellen, aber auch immer wieder deutlich machen, daß für uns nicht die Worte, sondern die Taten entscheidend sein werden.
    Absoluter Realismus im Umgang mit der Sowjetunion bedeutet, daß wir die Veränderungen und Verbesserungen nicht übersehen und daß wir sie auch nicht herunterspielen, sondern daß wir z. B. sagen, daß Glasnost eine Realität ist — übrigens im Unterschied zu Perestroika, gerade im wirtschaftlichen und politischen Bereich — , daß es eine neue Einstellung der Sowjetunion zur Frage der Inspektionen vor Ort gibt und daß die Sowjetunion im Rahmen des Mittelstreckenabkommens zu asymmetrischer Abrüstung bereit gewesen ist. Es wäre eine unrealistische Politik, diese Veränderungen und Verbesserungen nicht zur Kenntnis zu nehmen.
    Absoluter Realismus bedeutet allerdings auch, daß wir das, was es nach wie vor an Bedrohung und an Unterdrückung gibt, weiterhin deutlich beim Namen nennen. Das gilt z. B. für die Tatsache, daß sich die neuen Formulierungen über die defensive Militärdoktrin noch kaum in der Praxis niedergeschlagen haben. Es wäre also auch eine unrealistische Politik, wenn wir das, was es an äußerer Bedrohung und an innerer Unterdrückung immer noch gibt, übersehen oder verschweigen würden.
    Größere Offenheit, politische Liberalisierung und Demokratisierung, Verbesserung der Lage der Menschenrechte in der Sowjetunion — all das liegt in unserem Interesse, weil langfristig damit eine neue Dimension des Ost-West-Verhältnisses mit weniger Antagonismus und mit reduzierter militärischer und politischer Konfrontation erreicht werden kann. Wir sollten deshalb unser konstruktives Verhalten gegenüber den sowjetischen Reformbemühungen mit Geduld und mit der für die Wahrung unserer eigenen Interessen und Werte notwendigen Festigkeit verbinden.
    Hierzu, zu unseren eigenen Interessen, möchte ich gern folgendes feststellen:
    Erstens. Unsere Grundwerte und unser freiheitliches Gesellschaftssystem stehen in diesem Prozeß nicht zur Disposition.
    Zweitens. Die transatlantische Sicherheitszusammenarbeit steht ebensowenig zur Verhandlungsdisposition wie die Notwendigkeit einer gesicherten Verteidigungsfähigkeit einschließlich einer glaubwürdigen Minimalabschreckung. Abschreckung hat eben Clausewitz ad absurdum geführt. Das heißt, die Vorstellung, daß Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sein könnte, hat ausgespielt, und sie darf niemals wieder Gegenstand der europäischen Realität werden, niemals wieder auch nur die geringste Chance erhalten.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Einverstanden!) — Gut.

    Drittens. Auch weiterhin wird die NATO ihre Verteidigungsplanung auf der Grundlage der sicherheitspolitischen Erfordernisse erstellen. Den Sowjets muß klar sein, daß ihr eigenes militärisches Verhalten das sicherheitspolitische Verhalten der NATO bestimmen wird. Militärische Zurückhaltung wird bei uns entsprechende Antworten finden.
    Viertens. Vor allem sollte klar sein, daß nach unserer Auffassung eine Verbesserung der Ost-West-Beziehungen nicht nur, nicht einmal in erster Linie durch



    Rühe
    Rüstungsbegrenzung und Abrüstung zu erreichen sein kann, sondern vielmehr durch größere Offenheit, Freizügigkeit und die Verbesserung, was die Menschenrechte angeht. Politische Entspannung und militärische Entspannung müssen Hand in Hand gehen. Offenheit, Freizügigkeit und Menschenrechte haben eben sehr viel mit der Sicherheit in Europa zu tun, denn es gilt der Satz: Je offener Europa ist, desto sicherer ist es auch.
    Fünftens. Wir sind zu neuen Wegen in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit bereit. Entscheidende Voraussetzung dafür ist aber, wieweit die wirtschaftspolitischen Strukturen, auch die politischen Strukturen Möglichkeiten für eine solche engere Zusammenarbeit bieten. Es kann beispielsweise nicht darum gehen, mit der Schaffung des Binnenmarktes in Westeuropa die Teilung zwischen Ost und West zu vertiefen. Auf der anderen Seite können wir auch nicht die positive und dynamische Entwicklung in Westeuropa verwässern. Ich bin davon überzeugt, daß die Dynamik des EG-Binnenmarktes nicht vor den Grenzen zu Osteuropa haltmachen wird und daß sich, vorausgesetzt, daß sich der Reformprozeß in der Sowjetunion und in Osteuropa fortsetzt, hier gute Anknüpfungspunkte für neue Formen der Zusammenarbeit ergeben werden.
    Sechstens. Schließlich sollte klar sein, daß wir mit unserer Politik auf die Schaffung einer europäischen Friedensordnung zielen, in der die Teilung Europas und damit insbesondere auch die Teilung unseres Landes überwunden wird und auch unser Volk die Möglichkeit zu freier Selbstbestimmung und die Chance der Wiedererlangung der Einheit erreicht.
    Ich habe vorhin schon gesagt, wie wichtig die Verhandlungen im Bereich der Herstellung der konventionellen Stabilität sein werden. Es ist ja leider richtig, daß wir uns im westlichen Bündnis in den letzten zwei Jahren im wesentlichen damit beschäftigt haben, mit uns selbst zu verhandeln, zwar einige Grundsätze, aber noch nicht einen für die Öffentlichkeit nachvollziehbaren überzeugenden Verhandlungsvorschlag entwickelt haben. Ich meine, daß es dazu hohe Zeit wird. Ich darf vielleicht einmal etwas ironisch anmerken, daß es doch gelegentlich so ist, daß westliche Politiker morgens um 7.30 Uhr, wenn einschlägige Rundfunkmagazine beendet sind und sie den jeweils neuesten Gorbatschow-Vorschlag der Woche kommentiert haben, glauben, daß es mit der konzeptionellen Arbeit des Tages im wesentlichen getan ist, und dann machen die Beamten die Verhandlungen in entsprechenden NATO-Gremien. Ich kann nur davor warnen. Wir sind völlig unnötig in die Defensive geraten,

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

    und ich meine, daß es hohe Zeit wird, hier einen Vorschlag zu entwickeln, der klar ist, der einfach ist, der für unsere öffentliche Meinung nachvollziehbar ist

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Und der sogar noch sinnvoll ist!)

    und der von der Sache her einen Verhandlungsfortschritt erlaubt. Deswegen ist es entscheidend, daß
    auch Opfer und Einschnitte auf unserer eigenen Seite deutlich gemacht werden.
    Das ändert überhaupt nichts daran, daß natürlich derjenige, der mehr hat, auch mehr abrüsten muß, denn wir werden keine zusätzlichen Panzer produzieren, nur damit wir genausoviel wie der Herr Gorbatschow abrüsten können. Die Hauptlast bleibt bei der Sowjetunion, aber der westliche Vorschlag wird an Durchschlagskraft zunehmen, wenn wir deutlich machen, daß auch wir zu einschneidenden Opfern auf unserer Seite bereit sind. Verständlich, glaubwürdig und überzeugend sollte dieser Vorschlag sein, und ich meine, wir sollten uns zunächst auf die gefährlichsten Systeme konzentrieren, Kampfpanzer, Schützenpanzer, Artillerie, die eine besondere Bedeutung für die Invasionsfähigkeit haben. Das bedeutet nicht, daß Flugzeuge aus diesem Verhandlungsprozeß ausgeschlossen sein werden, aber es gibt überzeugende Gründe, die in der Sache liegen, denn Flugzeuge — das dürfte auch der Opposition bekannt sein — sind nun mal mobiler als Panzer.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Rüstet sie doch ab!)

    Wenn Sie sie hinter den Ural verlegen, dann hat das eine sehr geringe Bedeutung, während es eine sehr viel größere Bedeutung hat, wenn Sie das mit Panzern machen. Wir scheuen Verhandlungen überhaupt nicht,

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Macht doch mal einen Vorschlag!)

    denn auch bei den Flugzeugen gibt es im Gegensatz zu manchen Behauptungen eine sowjetische Überlegenheit. Aber wenn wir in einer absehbaren Zeit den Erfolg wollen, dann müssen wir uns jetzt zunächst auf die Systeme konzentrieren, von denen ich gesprochen habe.
    Wenn wir im übrigen die Zähne bei den Landstreitkräften ziehen, die für die Invasion entscheidend sind, dann reduziert das auch die Bedeutung der Flugzeuge. Mit Flugzeugen können Sie ein Land zerstören, aber nicht besetzen. Selbst wenn der Westen die Zahl seiner Flugzeuge verdoppeln würde, hätte er dennoch nicht die Fähigkeit zur Invasion, und zwar wegen der Zahlen im Bereich der Panzer und der Artillerie bei uns. Deswegen liegt hier der Schlüsselbereich.
    Ich habe einen Diskussionsvorschlag gemacht, den ich hier in seinen wesentlichen Elementen noch einmal kurz ansprechen möchte, und ich hoffe, daß er die Diskussion in der NATO in dem Sinne beeinflußt, wie ich das vorhin angesprochen habe. Für die Zentralregion sollten wir bei dem kampfentscheidenden Großgerät gemeinsame Obergrenzen auf niedrigerem Niveau unterhalb dessen, was die NATO heute hat, vereinbaren

    (Kühbacher [SPD]: Sehr gut!)

    und dann durch asymmetrische Abrüstung dieses erreichen. Das bedeutet immer noch, daß die Sowjetunion in diesem Bereich ein Vielfaches tun muß.
    Wenn dies geschehen ist, sollten wir zugleich zu einer Halbierung innerhalb dieser Obergrenzen des in der aktiven Truppe stehenden kampfentscheiden-



    Rühe
    den Großgerätes bereit sein und die Überführung des aus der aktiven Truppe herausgelösten Materials in Depots veranlassen, die dann unter gegenseitige Kontrolle gestellt werden. Die Verhandlungsformel könnte also lauten: gleiche Obergrenzen auf niedrigerem Niveau minus 50 %.

    (Kühbacher [SPD]: Sehr gut! — Voigt [Frankfurt] [SPD]: Fast wortgleich mit unserem Parteitagsbeschluß!)

    Dann kommt als drittes Element hinzu, daß das Verhältnis zwischen den Stationierungsstreitkräften und den einheimischen Streitkräften nicht stimmt. Das gilt in erster Linie für den Warschauer Pakt. Ich meine, in der Zentralregion des Warschauer Pakts sollte die Sowjetunion als Stationierungsmacht keineswegs mehr Panzer haben als alle die Staaten, wo sowjetische Panzer stationiert sind, zusammen.

    (Zustimmung der Abg. Frau Traupe [SPD])

    Das heißt, sie sollte höchstens 50 % haben. Wenn dies verwirklicht wird, dann würde das das Gesicht Europas verändern.
    Um ein konkretes Beispiel zu geben: Es sollte möglich sein, sich in der Zentralregion auf jeweils 15 000 Kampfpanzer zu einigen. Die Hälfte davon könnte jeweils in Depots gelagert werden. Das würde bedeuten, daß nur 7 500 Kampfpanzer verbleiben. Wenn dann auch die dritte Regel gilt, daß kein Land als Stationierungsland mehr haben sollte, als die einheimischen Truppen ausmachen, dann würde das z. B. bedeuten, daß die Sowjetunion nach diesem Vorschlag nur noch 3 750 Kampfpanzer in den aktiven Einheiten außerhalb ihres eigenen Territoriums haben dürfte.

    (Frau Traupe [SPD]: Das ist auch mehr als genug!)

    Ich glaube, daß jedermann erkennen kann, daß dies ein tiefgreifender Schritt wäre, der sicherheitspolitisch und auch politisch das Gesicht Europas entscheidend verändern könnte.
    Ich meine, das ist ein Vorschlag, der sicherheitspolitisch verantwortbar ist und den wir deswegen mutig angehen sollten. Wir sollten diese Diskussion so führen, daß wir die Verhandlungen mit unserer Öffentlichkeit nicht Herrn Gorbatschow überlassen. Vielmehr sollten wir diese Diskussion selbst aktiv führen, so wie das auch Franz Josef Strauß gesagt hat: Wir müssen einen Vorschlag machen, den man nicht einfach vom Tisch wischen kann, sondern den man in diesen Verhandlungen ernst nehmen muß.

    (Sehr gut! bei der SPD)

    — Ich freue mich immer über Unterstützung.

    (Zuruf von der SPD: Unsere Beschlüsse in Münster!)

    Nur, ich muß Ihnen sagen, daß Sie etwas ganz anderes vorgeschlagen haben, Herr Vogel.

    (Dr. Vogel [SPD]: Nein, genau das!)

    Im Augenblick ist es so, daß die Sowjetunion in diesem Bereich 20 000 Panzer mehr hat als der Westen.
    Sie haben vorgeschlagen, daß jede Seite um 50 % reduziert,

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Nein! — Voigt [Frankfurt] [SPD]: Den Parteitagsbeschluß richtig zitieren!)

    d. h. bei Ihnen bleiben die Ungleichgewichte, die wir jetzt haben, während wir hier in einem ersten Schritt Gleichheit herstellen und dann zu weiterer gleichgewichtiger Abrüstung kommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich freue mich also über Ihren Beifall, aber überprüfen Sie noch einmal Ihre Politik, die hier weiterhin sehr stark auf einseitige Abrüstung setzt.


Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Voigt?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Volker Rühe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Ganz kurz, denn ich kenne die Vorschläge sehr gut. Bitte.