Rede:
ID1109001800

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 7
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Herr: 1
    6. Abgeordnete: 1
    7. Bangemann.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/90 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 90. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 7. September 1988 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1989: (Haushaltsgesetz 1989) (Drucksache 11/2700) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1988 bis 1992 (Drucksache 11/2701) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt (Fortsetzung): Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1988: (Nachtragshaushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/2650) Dr. Vogel SPD 6113 B Dr. Waigel CDU/CSU 6124 C Frau Vennegerts GRÜNE 6133 B Dr. Bangemann FDP 6136B Dr. Kohl, Bundeskanzler 6141 B Dr. Ehmke (Bonn) SPD 6152 B Rühe CDU/CSU 6160A Genscher, Bundesminister AA 6165 C Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 6168 C Wimmer (Neuss) CDU/CSU 6170D Kühbacher SPD 6174 A Frau Seiler-Albring FDP 6179A Frau Beer GRÜNE 6181 C Dr. Scholz, Bundesminister BMVg 6183 D Gerster (Worms) SPD 6188 C Dr. Friedmann CDU/CSU 6190 B Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 6193 D Dr. Hauchler SPD 6197 B Hoppe FDP 6201 A Volmer GRÜNE 6202 B Nächste Sitzung 6205 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 6207* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. September 1988 6113 90. Sitzung Bonn, den 7. September 1988 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 9. 9. Andres 7. 9. Dr. Becker (Frankfurt) 9. 9. Böhm (Melsungen)* 9. 9. Brandt 7. 9. Büchner (Speyer) 7. 9. Dr. von Bülow 8. 9. Clemens 7. 9. Frau Dr. Däubler-Gmelin 7. 9. Gallus 8. 9. Dr. Glotz 7. 9. Dr. Hauff 9. 9. Hiller (Lübeck) 9. 9. Höpfinger 9. 9. Frau Hoffmann (Soltau) 9. 9. Ibrügger** 9. 9. Dr.-Ing. Kansy** 9. 9. Frau Karwatzki 9. 9. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Kelly 8. 9. Kuhlwein 9. 9. Dr. Kunz (Weiden)** 9. 9. Lutz 7. 9. Dr. Meyer zu Bentrup 8. 9. Niegel* 9. 9. Oostergetelo 9. 9. Frau Pack* 7. 9. Dr. Probst 9. 9. Rappe (Hildesheim) 9. 9. Dr. Riedl (München) 7. 9. Seidenthal 7. 9. Frau Steinhauer 9. 9. Frau Terborg 7. 9. Tietjen 9. 9. Toetemeyer 8. 9. Frau Weiler 9. 9. Westphal 9. 9. Frau Wilms-Kegel 9. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Christa Vennegerts


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich das Bild betrachte, das der Bundesfinanzminister und soeben auch Herr Waigel vom Zustand dieser Republik zeichnen, habe ich den Eindruck, ich lebe in einem anderen Staat als Sie.

    (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Diese Äußerung fällt auf Sie zurück, Frau Kollegin!)

    Das Sammelsurium an politischen Fehlentscheidungen und Widersprüchlichkeiten, das Ausmaß an Konzeptionslosigkeit und politischen Unterlassungssünden, das sich im Vorfeld des Haushalts 1989 abgespielt hat und in seinem Entwurf selber zum Ausdruck kommt, wird diesem Land leider noch teuer zu stehen kommen.
    Obwohl inzwischen jeder um die Fragwürdigkeit und die Kurzfristigkeit konjunktureller Datenentwicklungen weiß, begehen Sie, Herr Stoltenberg, die grenzenlose Peinlichkeit, ein konjunkturelles Strohfeuerchen, das nichts anderes als die Entwicklung eines Vierteljahres darstellt — das wissen Sie ganz genau — , als großen Triumph Ihrer Politik der Absenkung der Staatsquote zu verkaufen.
    In der „Wirtschaftswoche" vom 12. August dieses Jahres bestätigt Professor Ernst Helmstädter — seines Zeichens Mitglied des Sachverständigenrates und in dieser Eigenschaft sicherlich kein großer Kritiker der Bundesregierung — , daß die konjunkturelle Entwicklung im zweiten Halbjahr 1988 das Ergebnis der autonomen Entwicklung der Märkte sei. Ich zitiere:
    ... ohne jedes Zutun der Wirtschaftspolitik. Von daher kommt seit Monaten kein positiver Impuls mehr.
    Tatsache ist: Die Auslastung der Sachkapazitäten ist seit zwei Jahren unverändert, und die Arbeitslosenquote verbleibt nahe dem historischen Höchststand. Das ist beschämend, Herr Bundeskanzler! Herr Waigel hat von Solidarität gesprochen. Was ist denn mit der Solidarität mit den Arbeitslosen, frage ich Sie, mit mehr als 2,2 Millionen Arbeitslosen? Wo bleibt da diese Solidarität? Mehr als 2,2 Millionen Menschen werden eiskalt vom Tellerrand der Alltagspolitik gekippt, d. h. mehr als 2,2 Millionen Frauen, Männer und Jugendliche ohne Arbeit, an denen die sogenannten Segnungen der Steuerreform spurlos vorübergehen, die aber gleichwohl durch die Verbrauchsteuererhöhung mit zur Kasse gebeten werden und damit u. a. den Höherverdienenden steigende Einkommen mitfinanzieren dürfen.
    Wer ein Arbeitslosengeld von 1 000 DM bezieht, wer auf Rente oder Sozialhilfe in Höhe von 500 DM angewiesen ist, den läßt es herzlich unberührt, ob eine erfolgreiche Politik der Inflationsbekämpfung die Preise für CD-Spieler oder Personal Computer nach unten treibt. Dem Popanz drohender Inflationsgefahren werden seit Jahren systematisch Arbeitsplätze geopfert.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Und, Herr Waigel, ich muß Ihrem Gedächtnis hier einmal auf die Sprünge helfen. Sie haben Herrn Pöhl, den Bundesbankpräsidenten, vorhin zitiert. Dann müssen Sie auch sagen, daß in den Bundesbankberichten ganz klar steht, daß die Unternehmensgewinne den höchsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg erreicht haben und daß trotzdem nicht investiert wird. Wie erklären Sie sich das? Da sind Sie die Antwort hier schuldig geblieben und verdrehen die Tatsachen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Finanzminister Stoltenberg hat in seiner gestrigen Rede so blumig davon gesprochen, daß eine niedrige Steuerquote eine Entfesselung der schöpferischen Kräfte mündiger Bürger mit sich bringen werde. Der schlagendste Beweis dafür, daß sich diese schöpferischen Kräfte keineswegs in der Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze entladen, ist die finanzielle Lage der Bundesanstalt für Arbeit. Bis vor kurzem noch ein Überschußbetrieb, kann sie im nächsten Jahr ein stolzes Defizit von 5 Milliarden DM aufweisen. Der totale Verzicht auf jegliche Art aktiver Arbeitsmarktpolitik von seiten dieser Bundesregierung darf jetzt von den Arbeitslosen mit 910 Millionen DM selber bezahlt werden, wie vor einigen Tagen aus dem Arbeitsministerium zu hören war. Die schöpferischen Kräfte der Bundesanstalt für Arbeit werden darüber hinaus um 540 Millionen DM beschnitten werden. So die unverantwortlichen Pläne von Arbeitsminister Blüm. Die Arbeitslosenquote, Herr Waigel, haben Sie hier angesprochen. Das sind teilweise Traumquoten, von denen Sie sprechen. Gucken Sie doch einmal ins Emsland, gucken Sie an die Nordseeküste, gucken Sie in be-



    Frau Vennegerts
    stimmte Bereiche, wie es da mit der Arbeitslosigkeit aussieht!
    Auch die sich in letzter Zeit häufenden Diskussionen über eine Verlängerung von Maschinenlaufzeiten werden zum Abbau der Arbeitslosigkeit nichts beitragen, im Gegenteil. Wenn Oskar Lafontaine auf dem SPD-Parteitag in der vergangenen Woche in Münster erklärt, Voraussetzung für eine aktive Beschäftigungspolitik sei auch eine ökologische und industriepolitische Erneuerung durch eine Reform des Finanz- und Steuersystems, so begrüßen wir es, daß Erkenntnisse, die wir seit Jahren propagieren, eine solche Verbreitung erfahren. Sie sprachen hier heute in ähnlicher Weise, Herr Vogel, und das begrüßen wird. Wenn Oskar Lafontaine zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit in diesem Zusammenhang längere Maschinenlaufzeiten, Flexibilisierung der Arbeitszeit und Wiedereinführung der Wochenendarbeit als Lösungsmöglichkeiten vorschlägt und dafür Lob von Graf Lambsdorff, Industrievertretern und Vertretern der Regierungskoalition erntet, dann sind wir mit vielen Gewerkschaftern der Meinung, daß solche Wege als gefährliche Entwicklung abzulehnen sind.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Es wäre der Abbau der von der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung in Jahrzehnten mühsam erkämpften sozialen Rechte. Wege aus der Arbeitslosigkeit müssen sich durch Erweiterung, nicht aber durch Einengung sozialer Rechte auszeichnen. Nur so kommen wir sinnvoll aus der Arbeitslosigkeit heraus.
    Durch Ihre Politik werden soziale Konsens- und Solidarstrukturen aufgekündigt und wird der Egoismus in diesem Land systematisch stimuliert und finanziert. Wer wird denn noch angehalten, soziales Mit- und Verantwortungsgefühl zu entwickeln, wenn die Rückkehr zum Faustrecht der Prärie fast täglich von den politisch Verantwortlichen vorexerziert wird?
    Aus der Idee, der Bund solle die Hälfte der Soziallasten übernehmen, um den Gemeinden mehr Luft für Investitionen zu geben, ist ein Gefeilsche einiger Landesfürsten geworden. Von den Sozialhilfeempfängern ist dabei nicht mehr die Rede. Leider, kann ich nur sagen. Die sind hinten runtergefallen, wie fast immer bei Ihrer Politik.
    Die unter dem Strich übriggebliebenen 2,4 Milliarden DM sogenannter Strukturhilfe sind ein drastisches Beispiel für die ordnungspolitischen Widersprüchlichkeiten und Fehlleistungen der Bundesregierung. Wo liegt denn, bitte, die Logik einer Politik, die mit der einen Hand Ländern und Gemeinden durch eine Steuersenkungspolitik finanziell die Luft abschnürt, um mit der anderen Hand unkontrolliert 2,4 Milliarden in die Taschen der Länder fließen zu lassen? Da die Bundesländer nicht verpflichtet sind, die Bonner Gelder tatsächlich in die Gemeinden weiterzuleiten, kann man sich an fünf Fingern ausrechnen, daß damit die Löcher in den Haushalten gestopft werden. Von einer sinnvollen planerischen Strukturpolitik kann dabei auch nicht mehr die Rede sein; vom bürokratischen Aufwand ganz zu schweigen.
    Da die Regierung Subventionen nicht im Gesamtzusammenhang struktur- und wirtschaftspolitischer
    Ziele sieht, sondern immer nur als einen Haushaltsposten, den sie angeblich kürzen will, wuchern Sie unter der Hand um so planloser. Das zeigt die Zuwachsrate des Haushalts des Bundeswirtschaftsministeriums um 20 % . Der Fall Airbus, wo ein beispielloser Konzentrationsprozeß, nämlich die Fusion von MBB und Daimler-Benz, durch Übernahme künftiger Währungsrisiken sozusagen auf Staatskosten finanziert werden soll: wo bleibt da denn Ihre Rückführung der Staatsquote? Da muß man die Regierung doch einmal fragen. Herr Bangemann, Sie sitzen da. Wir werden darüber noch diskutieren. Das ist doch wirklich förmlich lächerlich, was Sie da machen. Das ist für mich skandalös.

    (Beckmann [FDP]: Na, na! Langsam!)

    Die Weltraumfahrt, von deren tieferem Sinn selbst Forschungsminister Riesenhuber nicht mehr restlos überzeugt ist, verschlingt im Haushalt 1989 17,4 % des Forschungsetats. Jede vierte Forschungs-Mark wird in den nächsten Jahren für diesen Zweck verfeuert werden. Die Zukunftsfinanzierung ist nicht gesichert. Die Lawine der Folgekosten, ähnlich wie im Fall Airbus, ist unübersehbar.

    (Frau Garbe [GRÜNE]: Unverantwortbar! — Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Forschung einstellen!)

    — Man muß eine andere Forschung betreiben.
    Der Haushaltsentwurf 1989 und die Politik der Bundesregierung folgen keinen politischen Programmen, die sich an den drängendsten gesellschaftlichen Problemen und Anforderungen orientieren. Dementsprechend werden keine politischen Prioritäten gesetzt und in einen langfristigen planvollen Zusammenhang gebracht. Der Begriff „Mittelfristige Finanzpolitik" spricht eine eigene Sprache; er ist nur noch Makulatur.
    Der Eiertanz um die Erdgassteuer ist ein beredtes Beispiel für den Charakter dieser Politik. Kurzfristige Ausschläge des Konjunkturbarometers bestimmen politische Entscheidungen. Ich zitiere den FDP-Vize Solms, der vor einigen Tagen dazu bemerkt hat: Wenn wir die viel besseren Zahlen damals schon gehabt hätten, hätten wir die Steuern nicht so stark angehoben.
    Unter solchen Bedingungen ist die Regierung immer gezwungen, dem jeweils stärksten Druck nachzugeben. Das ist aber keine planerisch verantwortliche Politik, sondern eine Haushalts- und Finanzpolitik nach Rambo-Manieren.

    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN — Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Das war aber ein Kompliment für Rambo!)

    Herr Stoltenberg, ich spreche Sie jetzt direkt an: In fast schon neokolonialistischer Positur gebärdet sich der Bundesfinanzminister gegenüber den Ländern der sogenannten Dritten Welt, wenn er ihnen die Bonner Haushaltspolitik als Allheilmittel für ihre wirtschaftlichen Probleme empfiehlt, zum Beispiel mehr Sparsamkeit in den öffentlichen Haushalten und den Abbau wettbewerbshemmender Strukturen, als seien dies die Ursachen für ihre Armut. In arroganter Art und Weise versucht er, die bestehenden Abhängig-



    Frau Vennegerts
    keitsverhältnisse zu kaschieren. Ich finde, dieses Kapitel ist eines der traurigsten dieser Politik hier.
    Diese Arroganz der Macht hat sich für uns in erschütternder Weise auch in der Auseinandersetzung um die Durchführung der Flugschau in Ramstein gezeigt. Alle Warnungen, Menschenleben aus militärischem Imponiergehabe nicht aufs Spiel zu setzen, wurden von den Veranstaltern und Politikern wie dem für die Genehmigung verantwortlichen Bundesverteidigungsminister leichtfertig ignoriert. Was muß eigentlich noch passieren, bevor Sie alle Tiefflüge einstellen?
    Ein weiteres desolates Kapitel Ihrer Regierungspolitik sind Ihre sogenannten Reformvorhaben. Eines der für diese Legislaturperiode angekündigten Reformprojekte der Bundesregierung ist die sogenannte Reform des Gesundheitswesens. Unter Reform versteht man eine strukturelle Verbesserung eines bestimmten Bereiches, z. B. unter Bildungsreform eine Erneuerung des Bildungssystems im Sinne einer Verbesserung der Zugangsmöglichkeiten und nicht zuletzt der besseren materiellen Ausstattung etc. Das ist für mich eine Reform.
    Wie heruntergekommen die Vorstellungen der Regierung von Reformen sind, zeigt sich daran, daß Sie ein reines Kostendämpfungsgesetz mit vielen unsozialen Auswirkungen als Reformwerk zu verkaufen versuchen und den Kritikern einer solchen Politik dann vorwerfen, sie sperrten sich gegen notwendige Reformen. Das mag Ihnen mit der Ihnen eigenen sozialen Demagogie in der ersten Runde der Diskussion vielleicht halbwegs gelungen sein, obwohl ich bezweifle, daß die Leute Ihnen das abnehmen.
    Inzwischen ist es aber so, daß die großen Reformprojekte der Regierung Kohl — Steuerreform, Gesundheitsreform, Rentenreform und Postreform — bei ihrer konkreten Inangriffnahme mittlere bis schwere Koalitionskrisen auslösen und diese sogenannten Reformen bei den Bürgerinnen und Bürgern, die deren Auswirkungen zu spüren bekommen, auf Ablehnung stoßen.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sprechen Sie mal von Ihrem Konzept!)

    Von daher bezweifle ich, ob die Regierung die angekündigten Maßnahmen überhaupt durchführen wird, will sie nicht den letzten Kredit in der Bevölkerung verspielen. Aber das ist Ihr und nicht unser Problem.

    (Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Das ist in der Tat richtig!)

    Ich habe im Zusammenhang mit der Kritik der Wirtschafts- und Finanzpolitik dargestellt, wie sich die Regierung beim Aufbau des Mammutrüstungskonzerns omnipotent in Szene setzt, während dieselbe Regierung bei der Bewältigung der uns bedrückenden Umweltprobleme als schlapper Nachtwächterstaat in Erscheinung tritt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Der Bundesumweltminister betätigt sich als PublicRelations-Stelle der Regierung und darf heiße Luft ablassen. Sein Etat für das gesamte Umweltministerium ist mit weniger Finanzmitteln ausgestattet als der
    Etatposten des Verteidigungsministers zum Umweltschutz, wobei unter Umweltschutz im Verteidigungsministerium zu verstehen ist: Beseitigung der Manöverschäden und Verlagerung der Tiefflüge ins Ausland.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das zahlen doch die Verursacher, gute Frau!)

    Das ist Umweltschutz bei Ihnen.
    Die Tätigkeit des Ministers Töpfer beschränkt sich im wesentlichen darauf, Broschüren über das drucken zu lassen, was an kläglicher Umweltpolitik versucht wurde bzw. das, was man tun müßte, aber dann doch nicht tut. Im Zusammenhang mit dem Nord- und Ostseesterben erklärt er uns, daß er ein Programm von etwa 20 Milliarden DM und ein Vetorecht im Kabinett benötige, um wirksame Umweltpolitik zu betreiben. Dann darf er in den darauffolgenden Tagen in der Zeitung lesen, daß er für sein 20 Milliarden-Projekt vom Bundesfinanzminister keine müde Mark erhält, weil das Geld des Bundeshaushalts schon ausgegeben bzw. anderweitig verplant ist und der Bundeskanzler auch kein Verständnis für sein Vetorecht hat. Aber vielleicht hören wir dazu heute noch etwas von Ihnen, Herr Kohl.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Darauf können Sie sich verlassen!)

    Umweltpolitik, die diesen Namen verdient, läßt sich in einem der reichsten Industriestaaten der Welt eben nicht in einem Ein-paar-hundert-Millionen-DM-Ressort erledigen, sondern muß integraler Bestandteil eines jeden Ressorts dieses Haushaltsbudgets sein.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wirksame Umweltpolitik in dieser Industriegesellschaft läßt sich nicht mit ein paar Hochglanzbroschüren mit noch so wohlklingenden Absichtserklärungen machen.
    Auch den Umweltschutz als Staatsziel ins Grundgesetz aufzunehmen, Herr Vogel, wie Sie es heute erwähnt haben, ist meiner Meinung nach unzureichend, wenn die Taten fehlen. Da nützt auch nicht die Aufnahme ins Grundgesetz. Ich denke, da können wir uns einig sein.
    Um eine ökologische Politik zu betreiben, sind grundsätzlich strukturelle Änderungen notwendig, zu denen Sie offensichtlich nicht bereit sind. Am Beispiel Wasser will ich das verdeutlichen: Selbst bei dem von Töpfer vorgeschlagenen und von der Regierung nicht in Angriff genommenen 20-Milliarden-DM-Programm zur Nordseesanierung sollten die Konsumenten einen großen Teil der Finanzmittel aufbringen. Damit wird das Verursacherprinzip, das hier immer so propagiert wird, auf den Kopf gestellt;

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    denn die Industrie müßte nach dem Verursacherprinzip in erster Linie zur Kasse gebeten werden. Wir, die GRÜNEN, sind der Meinung, daß derjenige, der Risiken für Mensch und Umwelt schafft, bei Eintritt eines Schadens auch dafür haften muß. Wir werden deshalb in diesem Herbst einen Gesetzentwurf zum Umwelthaftungsrecht einbringen, da es nach geltendem Recht oft unmöglich ist, Umweltverschmutzer zum Schadensausgleich heranzuziehen. Die Aktivitäten der Bundesregierung beschränken sich bisher auf die



    Frau Vennegerts
    Einsetzung der interministeriellen Arbeitsgruppe vor zwei Jahren. Von Herrn Engelhard hört man nur, daß es unmöglich sein wird, es noch in dieser Legislaturperiode zu novellieren, was heißt, daß es, so fürchte ich, doch auf die lange Bank geschoben wird. Wir werden in dieser Frage hartnäckig bleiben.
    Das trifft auch auf die von uns angekündigte Generaldebatte zum Thema Wasser in diesem Hause zu. Bei dieser Debatte werden wir die Regierung zwingen, sich zu allen Problemen der Wasserversorgung zu äußern.
    Auch der Bereich der eklatanten Fehlentwicklung in der Landwirtschaftspolitik wie der Verseuchung der Böden und Gewässer durch Nitrate und Pestizide muß in diesem Zusammenhang genannt werden. Statt Flächenstillegungen zu subventionieren und eine Agrarpolitik zu fördern, die z. B. Hormonskandale durch eine Massentierhaltung erst möglich macht, sollte eine für Mensch und Tier verträgliche Landwirtschaft gefördert werden. Auch das wäre eine strukturelle Änderung.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Um eine ökologische Politik wirksam zu betreiben, müßte ein Gesamtkonzept in Angriff genommen werden. Dazu ist diese Regierung wohl leider nicht imstande.
    Was die konservativ-liberale Regierung uns als Umweltpolitik zu verkaufen versucht, ist kurzatmig, konzeptionslos und letztlich dumm.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aber, aber!)

    Der Finanzminister und Herr Waigel haben uns gestern und heute erzählt, wie toll die wirtschaftliche und konjunkturelle Lage sich in den letzten Monaten dank ihrer Politik entwickelt habe. Wenn das so zutreffen sollte, wie Sie es hier darstellen, dann ist mir völlig schleierhaft, weshalb Sie Ihren Umweltminister als Minister ohne Portefeuille, wie man das früher nannte, behandeln. Spätestens bei den Folgekosten einer verfehlten Umweltpolitik kommt doch die finanzielle Seite des Problems in verstärkter Form wieder auf Sie zu, nur mit der Konsequenz, daß inzwischen nicht mehr gutzumachende Schäden an Mensch und Natur verübt worden sind.
    Ich erlaube mir, eine solche Politik dumm zu nennen, wobei ich daran erinnern möchte, daß Dietrich Bonhoeffer darauf hingewiesen hat, daß Dummheit nicht wesentlich ein intellektueller, sondern ein menschlicher Defekt ist.

    (Beifall bei den GRÜNEN)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bangemann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Martin Bangemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht ist es doch nützlich, wenn wir mal mit den Tatsachen beginnen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine gute Idee!)

    Wir haben seit der Neuorientierung der Wirtschaftspolitik im Herbst 1982 durch die Koalition der Mitte
    die wirtschaftspolitischen Rahmendaten und Voraussetzungen für die Entfaltung der Wirtschaft gesetzt. Die Erfolge der Wirtschaftspolitik haben ein Vertrauen in diese Politik geschaffen und dadurch die Voraussetzungen für Beständigkeit und die heute gute Konstitution der Wirtschaft gestärkt.

    (Reuschenbach [SPD]: Und die Kapitalflucht!)

    Die gravierenden Datenänderungen, die wir Ende des vergangenen Jahres bei den Wechselkursen zu verzeichnen hatten, die unruhige Situation an den Börsen und den Warenmärkten haben eine Zeitlang Unsicherheiten ausgelöst. Es ist richtig, daß wir Anfang diesen Jahres, als wir den Jahreswirtschaftsbericht zu erstellen hatten, vor dem Problem standen, daß alle zugrunde liegenden Daten erwarten ließen, daß sich der Wirtschaftsaufschwung in diesem Jahr fortsetzen würde, daß aber alle wesentlich an der Diskussion Beteiligten mit wenigen Ausnahmen davon ausgingen, daß die Verschlechterung der Stimmung infolge der Auseinandersetzungen an den Börsen diese Daten nicht zum Zuge kommen lassen würde. Eine der Ausnahmen war die Bundesbank. Eine zweite Ausnahme war der Sachverständigenrat. Als wir beim Jahreswirtschaftsbericht mit Rücksicht auf diese Stimmung gesagt haben, wir können 1,5 % bis 2 % Wirtschaftswachstum auch in diesem Jahr erreichen, standen wir einem Chor von Hohn und Spott gegenüber, nicht zuletzt auch aus den Reihen der Opposition.
    Meine Damen und Herren, ich sage das nicht, um im Lichte des Recht-Behaltens dazustehen, sondern ich sage das, weil daran zweierlei abzulesen ist. Erstens. Wenn ich ständig falsche Prognosen abgebe — die Opposition hat in den zurückliegenden fünf Jahren zur wirtschaftlichen Entwicklung ständig falsche Prognosen abgegeben —,

    (Dr. Jens [SPD]: Sie doch auch!)

    kann man das auf zweierlei Arten erklären. Sie können zum einen Ihre Rolle als Opposition mißverstehen und einfach aus Mißgunst der Regierung und ihrer Tätigkeit gegenüber schlechte Stimmung machen wollen. Das wäre die eine Erklärung. Die andere Erklärung ist — die nehme ich jetzt einmal an, weil ich damit der Opposition weniger zu nahe trete — , daß sie kein Vertrauen in die Politik hat, die diese guten Ergebnisse gezeitigt hat.

    (Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Herr Bangemann, beides ist richtig!)

    Das heißt — zweitens — , daß es gar nicht auf die Prognosefähigkeit der Opposition ankommt, sondern es kommt darauf an, daß sie eine andere, falsche Politik im Auge hat, wenn sie unsere eigene, bessere, beurteilt. Das ist das entscheidend Unterschiedliche zwischen unseren Positionen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wir haben — das ist eine Tatsache, die niemand leugnen kann — seit Anfang 1983 einen Wachstumstrend, der durchschnittlich bei rund 21/2 % pro Jahr liegt, nach einer Stagnation zwischen 1979 und 1982. Wir haben dieses Wachstum erzielt, ohne daß es zu Preissteigerungen gekommen ist. Das, meine ich, verehrte Frau Kollegin, sollte man nicht mit der Bemerkung über die Preise von CD-Playern wegwischen,



    Dr. Bangemann
    gerade nicht im Zusammenhang mit Menschen, die
    mit wenig Einkommen auskommen müssen. Denn
    — ich unterstelle, daß Sie als Mitglied des Haushaltsausschusses das wissen — der Verbraucherpreisanstieg ist während aller dieser Jahre um 1 To herum gewesen. Das war gerade für Menschen mit geringem Einkommen ein großer sozialer Erfolg, den diese Regierung erzielt hat. Das können Sie nicht herunterreden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Jens [SPD]: Das war durch die Energiekosten! Das war nicht die Regierung!)

    Wir haben, Herr Kollege Jens — das kann man nicht bestreiten —, in diesem Zeitraum 1982/87 einen Verbraucherpreisanstieg — Sie wissen ganz genau, daß CD-Player bei diesem Verbraucherpreisindex überhaupt keine Rolle spielen — von 11/2 % gehabt, gegenüber 41/2 % in dem vorangegangenen Fünfjahreszeitraum.

    (Dr. Jens [SPD]: Das war weltweit so! Das war überall so!)

    — Ich unterstelle einmal, daß Sie diesen Zeitraum noch überblicken können. — Das heißt, meine Damen und Herren, daß diese Politik auch sozial ihre erfolgreichen Auswirkungen hat. Die Erwerbstätigenzahl ist im Sommer 1988 um 820 000 höher als im letzten Tiefpunkt, nämlich Ende 1983. Auch die Arbeitslosenzahl ist im August gesunken. Es ist richtig, daß wir im Jahreswirtschaftsbericht damit nicht gerechnet haben, weil ein Wirtschaftswachstum von 1,5 % bis 2 % nicht ausgereicht hätte. Nachdem heute gesagt werden kann, wir werden über 3°/0 erreichen — angesichts der Zahlen des ersten Halbjahres ist das gar nicht einmal übertrieben, sondern eher untertrieben —, kann man auch sagen, daß es positive Auswirkungen auf die Zahl der Arbeitslosen geben wird.
    Es ist richtig — ich habe das von dieser Stelle bei jeder Gelegenheit gesagt — , daß die Arbeitslosigkeit heute kein ausschließlich konjunkturelles Problem mehr ist, sondern daß sie zu einem Strukturproblem geworden ist, weil die neu geschaffenen Arbeitsplätze Qualifikationsanforderungen stellen, die nicht von allen Arbeitslosen erfüllt werden. Deswegen ist die Ausbildung, die ständige Weiterbildung, der eigentliche Schlüssel zur Bekämpfung dieses Strukturelements von Arbeitslosigkeit.
    Meine Damen und Herren, auch die Gewinne sind
    — wie die Realeinkommen — angestiegen. Die Bundesbank hat darauf hingewiesen, daß in den vergangenen drei Jahren der höchste Anstieg der Realeinkommen der abhängig Beschäftigten in der Geschichte der Bundesrepublik zu verzeichnen ist, verehrter Herr Kollege Vogel.

    (Dr. Vogel [SPD]: Darum sind sie im Anteil auf 57 % gesunken!)

    — Ich habe schon auf dem Gewerkschaftstag der IG Chemie versucht, Ihnen das zu erklären.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das war völlig vergeblich!)

    — Sie haben recht, es war umsonst. Ich versuche es aber noch einmal.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Es ist wieder umsonst, weil Sie von etwas ganz anderem reden! — Dr. Jens [SPD]: Die Lohnquote ist auf 57 % gesunken!)

    — Ich bin davon sehr betroffen, Herr Kollege Vogel, weil ich nämlich Jurist bin und bisher immer dachte, Einserjuristen müßten gewissen Erkenntnissen zugänglich sein.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das war ich nie!)

    — Sie waren das nicht? Na gut, dann erklärt das vielleicht einiges.

    (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ich meine, Herr Kollege Vogel, zwei Dinge müßten Sie doch verstehen: Erstens. Wir haben einen Zuwachs der Realeinkommen. Zweitens. Wir haben auch einen Zuwachs bei den Gewinnen der Unternehmen, der prozentual höher liegt als der Zuwachs bei den Realeinkommen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Wir haben eine gewaltige Umverteilung!)

    — Das ist nun keine Umverteilung. Ich versuche die Erklärung jetzt noch einmal:

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aufpassen!)

    Die Produktion ist heute kapitalintensiver, als sie es in der Vergangenheit war,

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Es ist doch in Finanzanlagen gegangen!)

    und sie wird weiter zunehmend kapitalintensiv sein. Weil das so ist, braucht ein Unternehmen heute schon allein deswegen höhere Gewinne, um diesen gewachsenen Kapitalbedarf zu befriedigen.

    (Dr. Jens [SPD]: Und wohin gehen die Gewinne?)

    Außerdem braucht ein Unternehmen heute höhere Gewinne, um eine höhere Eigenkapitalquote zu haben.

    (Dr. Vogel [SPD]: Geldanlagen!)

    Während der Zeit, in der die Eigenkapitalquote der Unternehmen ständig gesunken ist, ist die Gefährdung der Arbeitsplätze gestiegen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)

    Wenn in der Bauindustrie vor Jahren im Durchschnitt eine Eigenkapitalquote von unter 1 % galt, muß man sich doch nicht wundern, wenn ein solches Unternehmen beim geringsten Windstoß umfällt und wenn dabei Arbeitsplätze vernichtet werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) Deswegen brauchen wir Gewinne.

    Gewinne brauchen wir auch — auch das muß man Ihnen immer wieder sagen — , weil die zunehmende Verflechtung der Weltwirtschaft die deutsche Indu-



    Dr. Bangemann
    strie dazu zwingen wird, auch im Ausland zu investieren.

    (Dr.Vogel [SPD]: Investieren, aber nicht Geld anlegen!)

    Auch da fangen Sie immer Ihre Arie an und sagen: Die Investitionen der Unternehmen im Ausland schaffen keine Arbeitsplätze in der Bundesrepublik.

    (Dr. Vogel [SPD]: Wir haben von Geldanlagen geredet!)

    Das zeigt, Herr Kollege Vogel, wie begrenzt Ihr wirtschaftspolitischer Horizont ist.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Waigel [CDU/CSU]: Das kann man wohl sagen! — Dr. Vogel [SPD]: Ab nach Brüssel!)

    Eine Volkswirtschaft, die ihr Bruttosozialprodukt zu einem Drittel aus den Außenwirtschaftsbeziehungen bezieht, muß im Ausland investieren. Sie muß gerade heute, wo Kooperation an die Stelle des klassischen Handels getreten ist, im Ausland neue Partner suchen, um auf diese Weise Arbeitsplätze sicherer zu machen. Da liegen die unbestreitbaren Erfolge dieser Politik.
    Nun sagen Sie — auch Frau Vennegerts hat das gesagt — : Na ja, das ist eigentlich alles gar nicht die Politik, sondern das ist sozusagen von selbst gekommen. Sie zitieren dabei die Marktkräfte. Man muß sich schon wirklich fragen, ob es nicht bessere Kronzeugen für die Marktwirtschaft gibt als Sie. Das darf ich hier mit aller Unbescheidenheit wohl einmal feststellen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Aber wir haben auch die Staatsquote gesenkt. Der Herr Kollege Vogel hat auf dem schon zitierten Gewerkschaftstag — wie übrigens auch der Kollege Rappe — darauf verwiesen, das sei durchaus gar nicht so besonders lobenswert, denn das bedeute ja auch, daß man die Sozialquote gesenkt habe. Da sieht man einmal, was sozialistische Politik im Verständnis der SPD heute ist! Ich muß nämlich sozialistische Politik in Schutz nehmen. Der Kollege Waigel, mit dem ich sonst in allen Punkten übereinstimmen kann, hat hier einen Punkt angesprochen, dem ich nicht zustimme. Herr Kollege Waigel, Sie haben mit Blick auf die SPD davon gesprochen, die sozialistische Politik der SPD überzeuge nicht und habe versagt. Nun muß ich Ihnen sagen — und ich sage das wirklich mit großer Freude, weil ich dazu beitragen kann, daß Sie in diesem Urteil noch präziser werden — : Die SPD betreibt eine Politik, die von weiten Teilen des internationalen Sozialismus gar nicht mehr akzeptiert wird.

    (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)

    Herr Kollege Waigel, wenn Sie nach Frankreich gehen, werden Sie feststellen, daß dort die Regierung, die ja bekanntermaßen von der Sozialistischen Partei gestellt wird, sehr vernünftige Wirtschaftspolitik macht.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Das habe ich in der Rede gesagt!)

    Wenn Sie nach Spanien gehen, dann werden Sie bei
    weitem keinen Ministerpräsidenten finden, der etwa
    den höheren Anteil von Gewinnen in der spanischen
    Industrie kritisiert. Nein, er freut sich darüber; er macht Pressekonferenzen und vertritt das als großen Erfolg seiner Regierung.
    Wenn Sie mir noch folgen wollen, Herr Kollege Waigel,

    (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)

    und zwar ein wenig weiter weg nach Neuseeland und Australien, wo ebenfalls zwei völlig reinrassige sozialistische Regierungen bestehen,

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Warum gehen Sie denn da nicht hin. Herr Bangemann?)

    dann werden Sie feststellen, daß manches, was dort beim Beschneiden von Sozialausgaben gemacht wird, von Ihnen, Herr Waigel, als einem reaktionären Konservativen als zu weitgehend empfunden würde.

    (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)

    Deswegen, meine Damen und Herren, muß man hier vorsichtig sein, so wie auch mit den Prognosen, die aus den jetzt schon gelichteten Reihen der SPD stammen und

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Die haben nicht gewußt, daß Sie in Bonn sind!)

    auf die ich jetzt aus Zeitgründen nicht eingehen will.
    Meine Damen und Herren, diese wirtschaftspolitische Grundkonzeption ist nicht nur durch diese aktuellen Daten bestätigt worden, sondern sie enthält auch ein Strukturkonzept. Sie ist ein Stück Gesellschaftspolitik, die Zukunft gewinnen soll. Deswegen ist es richtig, daß wir uns nicht einfach mit dem zufriedengeben, was wir heute erreicht haben. Das könnte man ja machen. Wir könnten uns jetzt hierhinstellen und sagen: Alles ist bestens. Nein, das tun wir nicht. Wir wissen vielmehr, daß diese Erfolge Strukturelemente enthalten müssen, damit sie auch in Zukunft wieder erreicht werden können. Das ist das Bemühen um Leistungsbereitschaft und Wettbewerb. Das ist nicht das Fördern von kaltem Egoismus, sondern dahinter steckt die Erkenntnis, daß ein Mensch, der leistungsbereit und leistungsfähig ist, nicht nur für sich selber einen größeren materiellen Nutzen erringen kann, sondern auch ein menschlicheres Leben führt.

    (Reuschenbach [SPD]: In Brüssel z. B.!)

    In Leistungsbereitschaft steckt nicht ein kalter Egoismus. Das ist eigentlich vielmehr ein humaner Ansatz, den wir vollenden wollen. Dazu braucht man nun Reformen.
    Meine Damen und Herren, wenn Sie sich einmal in der Geschichte der Bundesrepublik umsehen und die Reformvorhaben betrachten, die die verschiedenen Regierungen, gleich welcher Parteicouleur, in Angriff genommen haben, dann stellen Sie fest: Es hat bisher keine Regierung gegeben, die in so großem Umfang und mit einem so großen Mut auch gegenüber Interessenten diese Reformvorhaben in Angriff genommen hat wie die jetzige. Wo hat es denn das gegeben?
    Ich weiß, Sie bemühen sich immer wieder, die Steuerreform zu zerreden und darauf aufmerksam zu machen, daß damit eine Umverteilung stattfindet. Sie vergessen dabei völlig und Sie erwähnen es auch nie,



    Dr. Bangemann
    Herr Kollege Vogel, daß ein großer Teil der Steuerzahler, mehr als 700 000, in Zukunft überhaupt keine Steuern mehr zahlen wird. Sie vergessen dabei, daß die Situation der kinderreichen Familien erstmalig im Steuerrecht einigermaßen merkbar verbessert wird. Sie vergessen dabei, daß ein Großteil gerade der kleinen und mittleren Betriebe, die in Personalgesellschaften geführt werden, von dieser Steuerreform etwas haben.
    Erst vor kurzem hat der Präsident des ZDH, als er wegen der von Ihnen erwähnten Debatte um den großen Befähigungsnachweis beim Bundeskanzler und bei mir war, noch einmal ausdrücklich bestätigt, wie dankbar das Handwerk und damit 90 % der kleinen und mittleren Unternehmen in der Bundesrepublik für die Steuerreform sind.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Abg. Dr. Jens [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Lassen Sie mich bitte einmal zu Ende reden, Herr Jens. Wir können uns ja vielleicht außerhalb dieses Raumes unterhalten, wenn Sie eine Frage an mich haben.

    (Widerspruch bei der SPD)

    Lassen Sie mich wenigstens den einen Gedankengang zu Ende bringen.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Wir müssen Ihnen noch die Fahrkarte nach Brüssel bezahlen!)

    — Herr Ehmke, ich würde Ihnen sogar eine Fahrkarte nach weiter weg bezahlen, wenn es darauf ankäme.

    (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)

    Herr Kollege Vogel, Sie sagen hier — daran kann man schon sehen, wie Ihnen die Argumente ausgegangen sind —, die Bundesregierung hätte Zweifel an ihrer Entschlossenheit gesät, den großen Befähigungsnachweis zu verteidigen. Wir haben eine unabhängige Deregulierungskommission eingesetzt. Nun stellen Sie sich einmal vor, meine Damen und Herren, was der Oppositionsführer gemacht hätte, wenn etwa der Wirtschaftsminister oder das Kabinett oder der Kanzler einer solchen Kommission Anweisungen gegeben hätten, was da für ein Theater über — wie Sie es ausgedrückt haben — die Macht und alles das, was wir damit an

    (Frau Garbe [GRÜNE]: Arroganz der Macht!)

    Arroganz zeigen, losgegangen wäre. — Richtig, das Wort fehlte mir. Ich bin so wenig arrogant, daß mir gar nicht einfällt, wie das heißt.

    (Heiterkeit bei der FDP und der CSU/CSU)

    Stellen Sie sich einmal vor, was das für ein Zirkus gewesen wäre! Jetzt haben wir die Deregulierungskommission völlig unabhängig und frei arbeiten lassen, und sie hat einen Fragebogen nicht nur an das Handwerk, sondern auch an andere Einrichtungen der Wirtschaft verschickt, um festzustellen,

    (Frau Vennegerts [GRÜNE]: Es gibt doch schon Bücher über Deregulierung! Das ist doch lächerlich!)

    wo das Handwerk — ich beschränke mich jetzt einmal darauf — eigene Deregulierungsvorstellungen entwickeln kann und was in diesem Zusammenhang das Handwerk vom großen Befähigungsnachweis sagt. Das ist der ganze Vorgang. Als dann im Handwerk darüber eine Diskussion begann, hat mein Staatssekretär Schlecht in einem Brief darüber aufgeklärt, daß die Bundesregierung keinerlei Absicht hat, den großen Befähigungsnachweis abzuschaffen. Dann ging die Diskussion weiter. Ich habe daraufhin im Einverständnis mit dem Bundeskanzler die Herren zu einem Gespräch eingeladen. Wir haben bei diesem Gespräch beide darüber aufklären können, daß die Position der Bundesregierung nicht nur die ist, daß wir den Befähigungsnachweis erhalten wollen, sondern daß wir dafür schon die Voraussetzungen auch im europäischen Zusammenhang geschaffen haben; denn in der Einheitlichen Akte, die den Binnenmarkt begründet, steht ausdrücklich drin, daß der große Befähigungsnachweis für uns nicht zur Debatte steht. Das benutzen Sie nun. Aber man muß nun wirklich sagen: Es fällt Ihnen nichts anderes mehr ein. Die Umwelt entspricht nicht Ihren Vorstellungen, und nun lassen Sie Ihre Referenten irgendwo kramen, und dann tragen Sie hier solche Sachen vor.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Müssen Sie dann eine Viertelstunde darüber reden? — Weiterer Zuruf von der SPD: Das scheint Ihnen unter die Haut gegangen zu sein! — Abg. Dr. Jens [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Bitte.