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ID1109001600

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    Plenarprotokoll 11/90 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 90. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 7. September 1988 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1989: (Haushaltsgesetz 1989) (Drucksache 11/2700) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1988 bis 1992 (Drucksache 11/2701) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt (Fortsetzung): Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1988: (Nachtragshaushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/2650) Dr. Vogel SPD 6113 B Dr. Waigel CDU/CSU 6124 C Frau Vennegerts GRÜNE 6133 B Dr. Bangemann FDP 6136B Dr. Kohl, Bundeskanzler 6141 B Dr. Ehmke (Bonn) SPD 6152 B Rühe CDU/CSU 6160A Genscher, Bundesminister AA 6165 C Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 6168 C Wimmer (Neuss) CDU/CSU 6170D Kühbacher SPD 6174 A Frau Seiler-Albring FDP 6179A Frau Beer GRÜNE 6181 C Dr. Scholz, Bundesminister BMVg 6183 D Gerster (Worms) SPD 6188 C Dr. Friedmann CDU/CSU 6190 B Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 6193 D Dr. Hauchler SPD 6197 B Hoppe FDP 6201 A Volmer GRÜNE 6202 B Nächste Sitzung 6205 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 6207* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 90. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. September 1988 6113 90. Sitzung Bonn, den 7. September 1988 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 9. 9. Andres 7. 9. Dr. Becker (Frankfurt) 9. 9. Böhm (Melsungen)* 9. 9. Brandt 7. 9. Büchner (Speyer) 7. 9. Dr. von Bülow 8. 9. Clemens 7. 9. Frau Dr. Däubler-Gmelin 7. 9. Gallus 8. 9. Dr. Glotz 7. 9. Dr. Hauff 9. 9. Hiller (Lübeck) 9. 9. Höpfinger 9. 9. Frau Hoffmann (Soltau) 9. 9. Ibrügger** 9. 9. Dr.-Ing. Kansy** 9. 9. Frau Karwatzki 9. 9. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Kelly 8. 9. Kuhlwein 9. 9. Dr. Kunz (Weiden)** 9. 9. Lutz 7. 9. Dr. Meyer zu Bentrup 8. 9. Niegel* 9. 9. Oostergetelo 9. 9. Frau Pack* 7. 9. Dr. Probst 9. 9. Rappe (Hildesheim) 9. 9. Dr. Riedl (München) 7. 9. Seidenthal 7. 9. Frau Steinhauer 9. 9. Frau Terborg 7. 9. Tietjen 9. 9. Toetemeyer 8. 9. Frau Weiler 9. 9. Westphal 9. 9. Frau Wilms-Kegel 9. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Theodor Waigel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Nein. — Wir wollen bei der Reform an dem bewährten Rentensystem mit lohn- und beitragsbezogener Alterssicherung festhalten. Teile der Reform — wir treten dabei vor allem für einen deutlich höheren Bundeszuschuß ein — müssen bereits Anfang der 90er Jahre stufenweise in Kraft gesetzt werden. Auch Maßnahmen, die erst langfristig wirksam werden. müssen beizeiten klar sein. Der Versicherte soll seine Lebensplanung darauf einstellen können. Das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Rentenversicherung muß erhalten bleiben, Belastungen müssen gleichmäßig verteilt werden. Die Rentenreform wird um so besser gelingen, je mehr sich die Betroffenen solidarisch verhalten. Wir brauchen die Freundschaft zwischen den Generationen. Das große Reformwerk kann nur gemeinsam bewältigt werden. Wir würden es begrüßen, wenn es hier zu einer gemeinsamen Lösung unter den demokratischen Parteien und den Tarifpartnern käme.
    Ein wichtiger Punkt ist für uns der Schutz des Lebens, auch der Schutz des ungeborenen Lebens. Wir werden weiter auf die Verabschiedung des Beratungsgesetztes drängen. Gerade in diesem Bereich kommt der Schutzgedanke, der einer Politik aus christlicher Verantwortung zugrunde liegt, deutlich zum Ausdruck. Hier ist auch der Verantwortungsbereich der Kirchen berührt, an die ich appelliere, uns hier wie bisher zu unterstützen oder zu kritisieren, wenn es notwendig ist.
    Herr Kollege Vogel, Sie sind laut Handbuch des Deutschen Bundestages seit 1952 Mitglied der ÖTV. Was geht eigentlich in dieser Organisation vor, wenn nur noch ein Bewerber, der sich ausdrücklich zur bedingungslosen Freigabe der Schwangerschaftsabbrüche bekennt, die Möglichkeit erhält, in den Vorstand dieser Organisation gewählt zu werden? Sie sind doch ein Mann, der sonst immer für die politische Kultur im Lande eintritt. Warum haben Sie sich damals zu dieser Frage als Mitglied der ÖTV eigentlich nicht geäußert?

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Das wissen Sie ja gar nicht!)

    — Herr Vogel, wenn ich es nicht weiß, dann wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie es mir mitteilen könnten. Ich werde dann für die Verbreitung sorgen, die Sie bisher unterlassen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Danke schön, zu liebenswürdig! — Roth [SPD]: Im Bayernkurier!)

    — Durchaus.
    In schwierigen Gebieten der Innenpolitik hat die Bonner Koalition ihre Handlungsfähigkeit ebenfalls unter Beweis gestellt. Das Artikelgesetz zur inneren Sicherheit wurde auf den Weg gebracht. Wir stehen zum Demonstrationsrecht, wir sind jedoch nicht bereit, gewalttätige Demonstrationen tatenlos hinzunehmen. Wer vermummt oder bewaffnet an einer Demonstration teilnimmt, steht nicht unter dem Schutz



    Dr. Waigel
    des Grundgesetzes, sondern gehört in den Anwendungsbereich des Strafrechts.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Wer Zustände, wie wir sie in der Hafenstraße in Hamburg erlebt haben, akzeptiert oder hinnimmt, darf sich nicht wundern, wenn das Rechtsbewußtsein breitester Schichten unserer Bevölkerung ins Wanken gerät.
    Auf dem Parteitag in Münster und heute wieder sprach der Kollege Vogel von der politischen Ausbeutung des Geiseldramas. Wer die zuständigen Landesinnenminister für die fatalen Fehler dieses Dramas in die politische Verantwortung nehmen will, verstößt nach den moralischen Vorstellungen des Kollegen Vogel gegen die Mindeststandards politischer Kultur. Ich kann Ihnen darauf nur antworten: Wir sind nicht bereit, den Täterschutz vor den Opferschutz zu stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Herr Kollege Vogel, ich kann mich gut erinnern, wie Sie vor zwei Jahren bei der Flucht des Spions Tiedge den Bundesinnenminister persönlich und politisch angegriffen haben, einen Untersuchungsausschuß verlangt haben und in einer an Schäbigkeit nicht mehr zu überbietenden Form Vorwürfe gemacht haben. Hier ausgerechnet sind Sie nicht bereit, die politische Verantwortung derer, die wirklich wußten, was geschieht, und Einflußmöglichkeiten hatten, zu akzeptieren.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Und die total versagt haben!)

    Daß Sie in diesem Zusammenhang Gott anrufen, er möge uns vor gewissen Menschen schützen, das ist eine unglaubliche Blasphemie, für die Sie sich schämen und entschuldigen sollten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    In die Ost-West-Beziehungen ist seit dem Amtsantritt Gorbatschows Bewegung gekommen. Die Bonner Koalition hat entscheidend zur Verbeserung der Beziehungen zwischen Ost und West beigetragen. Wir stehen fest im westlichen Bündnis und verwirklichen auf dieser Grundlage eine Politik des Dialogs und der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas und sind deshalb auch ein für die östliche Supermacht kalkulierbarer Gesprächspartner.
    Obwohl die Spannungsursachen fortbestehen, ist die Zeit der offenen Konfrontation vorüber. Der bevorstehende Besuch Bundeskanzler Kohls in Moskau und der Besuch des Generalsekretärs Gorbatschow in Bonn werden ein deutlicher Beweis für den erreichten Fortschritt in den gegenseitigen Beziehungen sein.
    Eine neue Eiszeit in den Ost-West-Beziehungen, wie sie von der Opposition befürchtet worden war, fand ausschließlich in den Köpfen einiger Sozialdemokraten und am Nordpol und am Südpol statt. Das Gegenteil ist eingetreten. Das Ergebnis bei den Abrüstungsverhandlungen der beiden Großmächte im Bereich der Mittelstreckenflugkörper wäre ohne die feste Haltung dieser Bundesregierung und ohne den
    Vollzug des NATO-Doppelbeschluses nicht möglich gewesen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP)

    Durch unsere konsequente Politik konnte mehr Abrüstung erreicht werden, als die SPD je gefordert hat. Wäre es nach der SPD gegangen, hätten die Sowjets keine einzige ihrer SS-20-Raketen vernichten müssen. Der Verlauf der Verhandlungen bei den Mittelstreckenraketen hat gezeigt: Nicht mit Vorleistungen, nicht mit einseitigen Abrüstungsschritten, nicht mit bedingungsloser Übernahme sowjetischer Verhandlungspositionen, sondern einzig und allein durch die Demonstration von Entschlossenheit, durch Berechenbarkeit und Realismus sind echte Fortschritte im Bereich der Abrüstung und der Rüstungskontrolle möglich.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP — Klein [München] [CDU/CSU]: Entgegen allen SPD-Voraussagen!)

    Zu abrüstungspolitischen Vorleistungen besteht kein Anlaß. Immer wieder muß daran erinnert werden: Abrüstung, Rüstungsbeschränkung und Rüstungskontrolle sind kein Selbstzweck, sondern müssen der Verbesserung der Sicherheit und der Sicherung des Friedens dienen. Eine Abrüstungspolitik, die das sowjetische Übergewicht festschreibt oder sogar neue Ungleichgewichte schafft, dient diesem Ziel nicht. Sie würde vielmehr die Bedrohung von Frieden und Freiheit verstärken.
    Solange noch keine weiteren ausgewogenen Abrüstungsverträge vorliegen, dürfen wir in unseren Anstrengungen für Frieden und Sicherheit nicht nachlassen. Die Erhöhung des Verteidigungshaushalts im Haushaltsjahr 1989 ist dafür ein deutliches Signal. Die Soldaten der Bundeswehr haben einen Anspruch darauf, zur Erfüllung ihres schwierigen Auftrags zur Sicherung des Personalumfangs der Streitkräfte und für die Materialbeschaffung ausreichende Finanzmittel zu erhalten.
    Auch mit der Deutschlandpolitik können wir im Rahmen dessen, was ereichbar ist, zufrieden sein. Heute genau vor einem Jahr begann Erich Honecker seinen Besuch in der Bundesrepublik Deutschland. Ein großer Teil der Vorhaben, die vor Jahresfrist vereinbart worden waren, konnte verwirklicht werden.
    Die Bundesregierung ist in dem Bemühen vorangekommen, die schmerzlichen Folgen der Teilung unseres Vaterlandes zu lindern und die Menschen einander näherzubringen. Das Bewußtsein für die Einheit der Nation ist wach wie eh und je, und der Wille, sie zu bewahren, ist ungebrochen.
    Ein deutliches Zeichen der Verbesserung der OstWest-Beziehungen ist die sprunghaft gestiegene Zahl der Aussiedler. Mit der Bereitstellung von Sondermitteln im Bereich des Wohnungsbaus hat die Bundesregierung einen entscheidenden Beitrag zur Eingliederung der Aussiedler geleistet.
    Es geht jedoch nicht nur um die Bereitstellung finanzieller Mittel, um diesen Deutschen ein menschenwürdiges Leben in der Bundesrepublik



    Dr. Waigel
    Deutschland zu ermöglichen. Entscheidend ist vielmehr — und hier stimme ich dem Bundeskanzler und auch dem Oppositionsführer zu — , manche Verwirrung in der Offentlichkeit zu beseitigen. Allen muß klar sein: Aussiedler sind Deutsche. Sie sind Deutsche, die bis heute unter den Folgen des Zweiten Weltkriegs besonders schwer zu leiden haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD sowie der Abg. Frau Vennegerts [GRÜNE])

    Es ist beschämend, wenn die Aussiedler, die sich allen Widrigkeiten und Schwierigkeiten zum Trotz immer wieder zu ihrer deutschen Herkunft und Kultur bekannt haben, von manchem als Belastung für die Bundesrepublik Deutschland empfunden werden oder ihnen mit Gleichgültigkeit oder manchmal sogar mit Ablehnung gegenübergetreten wird. Einer wirtschaftlich gesunden Bundesrepublik Deutschland muß es möglich sein, diese Deutschen einzugliedern, wie es der Bundesrepublik Deutschland in ihrer Aufbauphase mit rund 12 Millionen Heimatvertriebenen und Flüchtlingen aus dem Osten gelungen ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Angesichts dieser unbestreitbaren Leistung in einer schwierigen Zeit des Aufbaus der Bundesrepublik bin ich mir der Zustimmung der Bürger unseres Landes, die diese Integrationsleistung selbst erlebt und durch ihre Arbeit ermöglicht haben, und ihrer Aufnahmebereitschaft für die Ausiedler sicher. Den Jüngeren unter uns muß dieses Vorbild Ansporn und Verpflichtung sein. Wir werben niemanden ab, wir gewähren aber denen Heimat, die in ihrer bisherigen Heimat heimatlos geworden sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Viele dieser Aussiedler würden es sicherlich vorziehen, in ihrer bisherigen Heimat zu bleiben. Was sie zur Ausreise bewegt, ist nicht nur die Hoffnung auf einen materiell höheren Lebenstandard, sondern vor allem der Mangel an Freiheit als das grundlegende Kennzeichen jeden Systems des real existierenden Sozialismus. Ob sich an diesem Zustand in den kommenden Jahren Entscheidendes ändern wird, werden wir in der Sowjetunion und in anderen Völkern beobachten können.
    Weite Teile der Weltöffentlichkeit sind gegenwärtig fasziniert von den innenpolitischen Vorgängen in der Sowjetunion. Glasnost und Perestroika sind für viele Menschen Ausdruck der Hoffnung auf innere Reformen, Liberalisierung, Demokratisierung, vielleicht auch Marktwirtschaft innerhalb des kommunistischen Systems der Zentralverwaltungswirtschaften. Gorbatschows Ziel ist es, die wirtschaftliche Effizienz in den Staaten des real existierenden Sozialismus zu steigern.
    Es stellt sich die Frage, warum Glasnost und Perestroika erforderlich sind, warum eine Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz im Laufe der Jahre zu einer Überlebensbedingung des kommunistischen Machtbereichs unumgänglich geworden ist. Die Antwort liegt auf der Hand: Glasnost und Perestroika sind Ausdruck der grundlegenden politischen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen im real existierenden Sozialismus. Ein politisches System, in dem alle Lebensbereiche vom Staat gesteuert werden, in dem die Volkswirtschaft unter einen zentralen Plan gestellt wird, in dem eine offene politische Willensbildung fehlt, ist nicht in der Lage, die Probleme von heute und morgen zu lösen. Es ist eigentlich kein Wunder, wenn diese Systeme in praktisch allen zivilen Sektoren der Technik mit Ausnahme der Weltraumforschung, in der Produktivität der Arbeit und des eingesetzten Realkapitals, in den Bemühungen zur Bekämpfung der Fehlentwicklungen im Umweltbereich zunehmend den Anschluß an die Entwicklungen im Westen verloren haben. In allen diesen Bereichen haben sich die freiheitlichen Systeme des Westens gegenüber dem real existierenden Sozialismus im Osten als eindeutig überlegen erwiesen. Dies sollte all jenen politischen und gesellschaftlichen Gruppierungen zu Denken geben, die unser System mit all seinen kleineren und größeren Fehlern teilweise oder ganz in Frage stellen, wirtschaftliche und soziale Gleichheit prinzipiell vor die Freiheit stellen und bei der Lösung politischer, wirtschaftlicher und sozialer Probleme ausschließlich auf die Allmacht des staatlichen Apparates setzen.

    (V o r s i t z : Vizepräsident Stücklen)

    Inwieweit Glasnost und Perestroika Wirklichkeit werden, hängt von den innenpolitischen Kräftekonstellationen in der Sowjetunion ab. Wir können Gorbatschows Kurs nicht durch einseitige Vorleistungen oder wirtschaftliche Geschenke unterstützen. Wir können ihn jedoch unterstützen, indem wir die Aufrechterhaltung unserer Verteidigungsfähigkeit mit der Bereitschaft zur Kooperation in wirtschaftlichen und technologischen Fragen verbinden, diese wirtschaftlich-technische Kooperation mit der Forderung nach dem Abbau der militärischen Übermacht Moskaus, und unsere Vorstellungen von politischen und menschlichen Grundrechten immer wieder verdeutlichen, die letztendlich den Reformprozeß in der Sowjetunion ausgelöst haben. Wir sollten uns auch nicht scheuen, nicht nur die Bewunderung für das, was Gorbatschow will oder vorhat, dann und wann zum Ausdruck zu bringen, sondern auch unsere wirkliche Bewunderung für jene, die nicht bereit waren, sich und ihren Geist knechten zu lassen, für Männer, die jeder Unbill des Systems widerstanden, wie Sacharow und viele andere.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben unsere Politik in den vergangenen Jahren in den Zusammenhang übergreifender Ideen und Prinzipien gestellt. Unsere Ordnungspolitik im weitesten Sinne des Begriffs ist von liberalen und sozialen Grundsätzen geprägt. Bei der Bewältigung der wirtschaftlichen Probleme haben wir mit Erfolg den Schwerpunkt auf die Freiheit und Eigenverantwortung der Bürger sowie auf die Kräfte des Marktes gelegt. Unsere Steuerpolitik orientiert sich gleichermaßen an der Leistungsfähigkeit wie — ich möchte das betonen — an der Leistungsbereitschaft der Bürger. Grundlage unserer Reformmaßnahmen im Bereich des Gesundheitswesens bildet ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Solidarität und Subsidiarität.



    Dr. Waigel
    Freundschaft zwischen den Generationen ist unser Leitgedanke bei der Strukturreform in der Rentenversicherung. Personalität und Achtung der menschlichen Würde leiten unsere Bemühungen beim Schutz des Lebens, vor allem des ungeborenen Lebens.
    Unsere Umwelt- und Energiepolitik stellt die voraussehbaren Folgen und Nebenfolgen aller alternativen Wege in Rechnung und ist mithin verantwortungsethisch ausgerichtet, wie es der Preisträger Jonas von uns fordert. In der Landwirtschaftspolitik bemühen wir uns um einen Ausgleich zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Herausforderungen. Unsere Außen- und Sicherheitspolitik orientiert sich an Bergsträssers Weltkonzeption einer freiheitlichen Ordnung, d. h. einer freien Gemeinschaft freier Völker.
    Die Koalition der Mitte hat in allen Bereichen der Politik ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt.

    (Dr. de With [SPD]: Besonders bei den Arbeitslosen!)

    Sie wird die noch ausstehenden Vorhaben auf den Weg bringen und verabschieden, und sie wird auf der Grundlage eines positiven Wählervotums mit Bundeskanzler Kohl ihre Arbeit über 1990 hinaus fortsetzen.
    Ich danke Ihnen.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat Frau Abgeordnete Vennegerts.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Christa Vennegerts


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich das Bild betrachte, das der Bundesfinanzminister und soeben auch Herr Waigel vom Zustand dieser Republik zeichnen, habe ich den Eindruck, ich lebe in einem anderen Staat als Sie.

    (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Diese Äußerung fällt auf Sie zurück, Frau Kollegin!)

    Das Sammelsurium an politischen Fehlentscheidungen und Widersprüchlichkeiten, das Ausmaß an Konzeptionslosigkeit und politischen Unterlassungssünden, das sich im Vorfeld des Haushalts 1989 abgespielt hat und in seinem Entwurf selber zum Ausdruck kommt, wird diesem Land leider noch teuer zu stehen kommen.
    Obwohl inzwischen jeder um die Fragwürdigkeit und die Kurzfristigkeit konjunktureller Datenentwicklungen weiß, begehen Sie, Herr Stoltenberg, die grenzenlose Peinlichkeit, ein konjunkturelles Strohfeuerchen, das nichts anderes als die Entwicklung eines Vierteljahres darstellt — das wissen Sie ganz genau — , als großen Triumph Ihrer Politik der Absenkung der Staatsquote zu verkaufen.
    In der „Wirtschaftswoche" vom 12. August dieses Jahres bestätigt Professor Ernst Helmstädter — seines Zeichens Mitglied des Sachverständigenrates und in dieser Eigenschaft sicherlich kein großer Kritiker der Bundesregierung — , daß die konjunkturelle Entwicklung im zweiten Halbjahr 1988 das Ergebnis der autonomen Entwicklung der Märkte sei. Ich zitiere:
    ... ohne jedes Zutun der Wirtschaftspolitik. Von daher kommt seit Monaten kein positiver Impuls mehr.
    Tatsache ist: Die Auslastung der Sachkapazitäten ist seit zwei Jahren unverändert, und die Arbeitslosenquote verbleibt nahe dem historischen Höchststand. Das ist beschämend, Herr Bundeskanzler! Herr Waigel hat von Solidarität gesprochen. Was ist denn mit der Solidarität mit den Arbeitslosen, frage ich Sie, mit mehr als 2,2 Millionen Arbeitslosen? Wo bleibt da diese Solidarität? Mehr als 2,2 Millionen Menschen werden eiskalt vom Tellerrand der Alltagspolitik gekippt, d. h. mehr als 2,2 Millionen Frauen, Männer und Jugendliche ohne Arbeit, an denen die sogenannten Segnungen der Steuerreform spurlos vorübergehen, die aber gleichwohl durch die Verbrauchsteuererhöhung mit zur Kasse gebeten werden und damit u. a. den Höherverdienenden steigende Einkommen mitfinanzieren dürfen.
    Wer ein Arbeitslosengeld von 1 000 DM bezieht, wer auf Rente oder Sozialhilfe in Höhe von 500 DM angewiesen ist, den läßt es herzlich unberührt, ob eine erfolgreiche Politik der Inflationsbekämpfung die Preise für CD-Spieler oder Personal Computer nach unten treibt. Dem Popanz drohender Inflationsgefahren werden seit Jahren systematisch Arbeitsplätze geopfert.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Und, Herr Waigel, ich muß Ihrem Gedächtnis hier einmal auf die Sprünge helfen. Sie haben Herrn Pöhl, den Bundesbankpräsidenten, vorhin zitiert. Dann müssen Sie auch sagen, daß in den Bundesbankberichten ganz klar steht, daß die Unternehmensgewinne den höchsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg erreicht haben und daß trotzdem nicht investiert wird. Wie erklären Sie sich das? Da sind Sie die Antwort hier schuldig geblieben und verdrehen die Tatsachen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Finanzminister Stoltenberg hat in seiner gestrigen Rede so blumig davon gesprochen, daß eine niedrige Steuerquote eine Entfesselung der schöpferischen Kräfte mündiger Bürger mit sich bringen werde. Der schlagendste Beweis dafür, daß sich diese schöpferischen Kräfte keineswegs in der Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze entladen, ist die finanzielle Lage der Bundesanstalt für Arbeit. Bis vor kurzem noch ein Überschußbetrieb, kann sie im nächsten Jahr ein stolzes Defizit von 5 Milliarden DM aufweisen. Der totale Verzicht auf jegliche Art aktiver Arbeitsmarktpolitik von seiten dieser Bundesregierung darf jetzt von den Arbeitslosen mit 910 Millionen DM selber bezahlt werden, wie vor einigen Tagen aus dem Arbeitsministerium zu hören war. Die schöpferischen Kräfte der Bundesanstalt für Arbeit werden darüber hinaus um 540 Millionen DM beschnitten werden. So die unverantwortlichen Pläne von Arbeitsminister Blüm. Die Arbeitslosenquote, Herr Waigel, haben Sie hier angesprochen. Das sind teilweise Traumquoten, von denen Sie sprechen. Gucken Sie doch einmal ins Emsland, gucken Sie an die Nordseeküste, gucken Sie in be-



    Frau Vennegerts
    stimmte Bereiche, wie es da mit der Arbeitslosigkeit aussieht!
    Auch die sich in letzter Zeit häufenden Diskussionen über eine Verlängerung von Maschinenlaufzeiten werden zum Abbau der Arbeitslosigkeit nichts beitragen, im Gegenteil. Wenn Oskar Lafontaine auf dem SPD-Parteitag in der vergangenen Woche in Münster erklärt, Voraussetzung für eine aktive Beschäftigungspolitik sei auch eine ökologische und industriepolitische Erneuerung durch eine Reform des Finanz- und Steuersystems, so begrüßen wir es, daß Erkenntnisse, die wir seit Jahren propagieren, eine solche Verbreitung erfahren. Sie sprachen hier heute in ähnlicher Weise, Herr Vogel, und das begrüßen wird. Wenn Oskar Lafontaine zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit in diesem Zusammenhang längere Maschinenlaufzeiten, Flexibilisierung der Arbeitszeit und Wiedereinführung der Wochenendarbeit als Lösungsmöglichkeiten vorschlägt und dafür Lob von Graf Lambsdorff, Industrievertretern und Vertretern der Regierungskoalition erntet, dann sind wir mit vielen Gewerkschaftern der Meinung, daß solche Wege als gefährliche Entwicklung abzulehnen sind.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Es wäre der Abbau der von der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung in Jahrzehnten mühsam erkämpften sozialen Rechte. Wege aus der Arbeitslosigkeit müssen sich durch Erweiterung, nicht aber durch Einengung sozialer Rechte auszeichnen. Nur so kommen wir sinnvoll aus der Arbeitslosigkeit heraus.
    Durch Ihre Politik werden soziale Konsens- und Solidarstrukturen aufgekündigt und wird der Egoismus in diesem Land systematisch stimuliert und finanziert. Wer wird denn noch angehalten, soziales Mit- und Verantwortungsgefühl zu entwickeln, wenn die Rückkehr zum Faustrecht der Prärie fast täglich von den politisch Verantwortlichen vorexerziert wird?
    Aus der Idee, der Bund solle die Hälfte der Soziallasten übernehmen, um den Gemeinden mehr Luft für Investitionen zu geben, ist ein Gefeilsche einiger Landesfürsten geworden. Von den Sozialhilfeempfängern ist dabei nicht mehr die Rede. Leider, kann ich nur sagen. Die sind hinten runtergefallen, wie fast immer bei Ihrer Politik.
    Die unter dem Strich übriggebliebenen 2,4 Milliarden DM sogenannter Strukturhilfe sind ein drastisches Beispiel für die ordnungspolitischen Widersprüchlichkeiten und Fehlleistungen der Bundesregierung. Wo liegt denn, bitte, die Logik einer Politik, die mit der einen Hand Ländern und Gemeinden durch eine Steuersenkungspolitik finanziell die Luft abschnürt, um mit der anderen Hand unkontrolliert 2,4 Milliarden in die Taschen der Länder fließen zu lassen? Da die Bundesländer nicht verpflichtet sind, die Bonner Gelder tatsächlich in die Gemeinden weiterzuleiten, kann man sich an fünf Fingern ausrechnen, daß damit die Löcher in den Haushalten gestopft werden. Von einer sinnvollen planerischen Strukturpolitik kann dabei auch nicht mehr die Rede sein; vom bürokratischen Aufwand ganz zu schweigen.
    Da die Regierung Subventionen nicht im Gesamtzusammenhang struktur- und wirtschaftspolitischer
    Ziele sieht, sondern immer nur als einen Haushaltsposten, den sie angeblich kürzen will, wuchern Sie unter der Hand um so planloser. Das zeigt die Zuwachsrate des Haushalts des Bundeswirtschaftsministeriums um 20 % . Der Fall Airbus, wo ein beispielloser Konzentrationsprozeß, nämlich die Fusion von MBB und Daimler-Benz, durch Übernahme künftiger Währungsrisiken sozusagen auf Staatskosten finanziert werden soll: wo bleibt da denn Ihre Rückführung der Staatsquote? Da muß man die Regierung doch einmal fragen. Herr Bangemann, Sie sitzen da. Wir werden darüber noch diskutieren. Das ist doch wirklich förmlich lächerlich, was Sie da machen. Das ist für mich skandalös.

    (Beckmann [FDP]: Na, na! Langsam!)

    Die Weltraumfahrt, von deren tieferem Sinn selbst Forschungsminister Riesenhuber nicht mehr restlos überzeugt ist, verschlingt im Haushalt 1989 17,4 % des Forschungsetats. Jede vierte Forschungs-Mark wird in den nächsten Jahren für diesen Zweck verfeuert werden. Die Zukunftsfinanzierung ist nicht gesichert. Die Lawine der Folgekosten, ähnlich wie im Fall Airbus, ist unübersehbar.

    (Frau Garbe [GRÜNE]: Unverantwortbar! — Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Forschung einstellen!)

    — Man muß eine andere Forschung betreiben.
    Der Haushaltsentwurf 1989 und die Politik der Bundesregierung folgen keinen politischen Programmen, die sich an den drängendsten gesellschaftlichen Problemen und Anforderungen orientieren. Dementsprechend werden keine politischen Prioritäten gesetzt und in einen langfristigen planvollen Zusammenhang gebracht. Der Begriff „Mittelfristige Finanzpolitik" spricht eine eigene Sprache; er ist nur noch Makulatur.
    Der Eiertanz um die Erdgassteuer ist ein beredtes Beispiel für den Charakter dieser Politik. Kurzfristige Ausschläge des Konjunkturbarometers bestimmen politische Entscheidungen. Ich zitiere den FDP-Vize Solms, der vor einigen Tagen dazu bemerkt hat: Wenn wir die viel besseren Zahlen damals schon gehabt hätten, hätten wir die Steuern nicht so stark angehoben.
    Unter solchen Bedingungen ist die Regierung immer gezwungen, dem jeweils stärksten Druck nachzugeben. Das ist aber keine planerisch verantwortliche Politik, sondern eine Haushalts- und Finanzpolitik nach Rambo-Manieren.

    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN — Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Das war aber ein Kompliment für Rambo!)

    Herr Stoltenberg, ich spreche Sie jetzt direkt an: In fast schon neokolonialistischer Positur gebärdet sich der Bundesfinanzminister gegenüber den Ländern der sogenannten Dritten Welt, wenn er ihnen die Bonner Haushaltspolitik als Allheilmittel für ihre wirtschaftlichen Probleme empfiehlt, zum Beispiel mehr Sparsamkeit in den öffentlichen Haushalten und den Abbau wettbewerbshemmender Strukturen, als seien dies die Ursachen für ihre Armut. In arroganter Art und Weise versucht er, die bestehenden Abhängig-



    Frau Vennegerts
    keitsverhältnisse zu kaschieren. Ich finde, dieses Kapitel ist eines der traurigsten dieser Politik hier.
    Diese Arroganz der Macht hat sich für uns in erschütternder Weise auch in der Auseinandersetzung um die Durchführung der Flugschau in Ramstein gezeigt. Alle Warnungen, Menschenleben aus militärischem Imponiergehabe nicht aufs Spiel zu setzen, wurden von den Veranstaltern und Politikern wie dem für die Genehmigung verantwortlichen Bundesverteidigungsminister leichtfertig ignoriert. Was muß eigentlich noch passieren, bevor Sie alle Tiefflüge einstellen?
    Ein weiteres desolates Kapitel Ihrer Regierungspolitik sind Ihre sogenannten Reformvorhaben. Eines der für diese Legislaturperiode angekündigten Reformprojekte der Bundesregierung ist die sogenannte Reform des Gesundheitswesens. Unter Reform versteht man eine strukturelle Verbesserung eines bestimmten Bereiches, z. B. unter Bildungsreform eine Erneuerung des Bildungssystems im Sinne einer Verbesserung der Zugangsmöglichkeiten und nicht zuletzt der besseren materiellen Ausstattung etc. Das ist für mich eine Reform.
    Wie heruntergekommen die Vorstellungen der Regierung von Reformen sind, zeigt sich daran, daß Sie ein reines Kostendämpfungsgesetz mit vielen unsozialen Auswirkungen als Reformwerk zu verkaufen versuchen und den Kritikern einer solchen Politik dann vorwerfen, sie sperrten sich gegen notwendige Reformen. Das mag Ihnen mit der Ihnen eigenen sozialen Demagogie in der ersten Runde der Diskussion vielleicht halbwegs gelungen sein, obwohl ich bezweifle, daß die Leute Ihnen das abnehmen.
    Inzwischen ist es aber so, daß die großen Reformprojekte der Regierung Kohl — Steuerreform, Gesundheitsreform, Rentenreform und Postreform — bei ihrer konkreten Inangriffnahme mittlere bis schwere Koalitionskrisen auslösen und diese sogenannten Reformen bei den Bürgerinnen und Bürgern, die deren Auswirkungen zu spüren bekommen, auf Ablehnung stoßen.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sprechen Sie mal von Ihrem Konzept!)

    Von daher bezweifle ich, ob die Regierung die angekündigten Maßnahmen überhaupt durchführen wird, will sie nicht den letzten Kredit in der Bevölkerung verspielen. Aber das ist Ihr und nicht unser Problem.

    (Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Das ist in der Tat richtig!)

    Ich habe im Zusammenhang mit der Kritik der Wirtschafts- und Finanzpolitik dargestellt, wie sich die Regierung beim Aufbau des Mammutrüstungskonzerns omnipotent in Szene setzt, während dieselbe Regierung bei der Bewältigung der uns bedrückenden Umweltprobleme als schlapper Nachtwächterstaat in Erscheinung tritt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Der Bundesumweltminister betätigt sich als PublicRelations-Stelle der Regierung und darf heiße Luft ablassen. Sein Etat für das gesamte Umweltministerium ist mit weniger Finanzmitteln ausgestattet als der
    Etatposten des Verteidigungsministers zum Umweltschutz, wobei unter Umweltschutz im Verteidigungsministerium zu verstehen ist: Beseitigung der Manöverschäden und Verlagerung der Tiefflüge ins Ausland.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das zahlen doch die Verursacher, gute Frau!)

    Das ist Umweltschutz bei Ihnen.
    Die Tätigkeit des Ministers Töpfer beschränkt sich im wesentlichen darauf, Broschüren über das drucken zu lassen, was an kläglicher Umweltpolitik versucht wurde bzw. das, was man tun müßte, aber dann doch nicht tut. Im Zusammenhang mit dem Nord- und Ostseesterben erklärt er uns, daß er ein Programm von etwa 20 Milliarden DM und ein Vetorecht im Kabinett benötige, um wirksame Umweltpolitik zu betreiben. Dann darf er in den darauffolgenden Tagen in der Zeitung lesen, daß er für sein 20 Milliarden-Projekt vom Bundesfinanzminister keine müde Mark erhält, weil das Geld des Bundeshaushalts schon ausgegeben bzw. anderweitig verplant ist und der Bundeskanzler auch kein Verständnis für sein Vetorecht hat. Aber vielleicht hören wir dazu heute noch etwas von Ihnen, Herr Kohl.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Darauf können Sie sich verlassen!)

    Umweltpolitik, die diesen Namen verdient, läßt sich in einem der reichsten Industriestaaten der Welt eben nicht in einem Ein-paar-hundert-Millionen-DM-Ressort erledigen, sondern muß integraler Bestandteil eines jeden Ressorts dieses Haushaltsbudgets sein.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wirksame Umweltpolitik in dieser Industriegesellschaft läßt sich nicht mit ein paar Hochglanzbroschüren mit noch so wohlklingenden Absichtserklärungen machen.
    Auch den Umweltschutz als Staatsziel ins Grundgesetz aufzunehmen, Herr Vogel, wie Sie es heute erwähnt haben, ist meiner Meinung nach unzureichend, wenn die Taten fehlen. Da nützt auch nicht die Aufnahme ins Grundgesetz. Ich denke, da können wir uns einig sein.
    Um eine ökologische Politik zu betreiben, sind grundsätzlich strukturelle Änderungen notwendig, zu denen Sie offensichtlich nicht bereit sind. Am Beispiel Wasser will ich das verdeutlichen: Selbst bei dem von Töpfer vorgeschlagenen und von der Regierung nicht in Angriff genommenen 20-Milliarden-DM-Programm zur Nordseesanierung sollten die Konsumenten einen großen Teil der Finanzmittel aufbringen. Damit wird das Verursacherprinzip, das hier immer so propagiert wird, auf den Kopf gestellt;

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    denn die Industrie müßte nach dem Verursacherprinzip in erster Linie zur Kasse gebeten werden. Wir, die GRÜNEN, sind der Meinung, daß derjenige, der Risiken für Mensch und Umwelt schafft, bei Eintritt eines Schadens auch dafür haften muß. Wir werden deshalb in diesem Herbst einen Gesetzentwurf zum Umwelthaftungsrecht einbringen, da es nach geltendem Recht oft unmöglich ist, Umweltverschmutzer zum Schadensausgleich heranzuziehen. Die Aktivitäten der Bundesregierung beschränken sich bisher auf die



    Frau Vennegerts
    Einsetzung der interministeriellen Arbeitsgruppe vor zwei Jahren. Von Herrn Engelhard hört man nur, daß es unmöglich sein wird, es noch in dieser Legislaturperiode zu novellieren, was heißt, daß es, so fürchte ich, doch auf die lange Bank geschoben wird. Wir werden in dieser Frage hartnäckig bleiben.
    Das trifft auch auf die von uns angekündigte Generaldebatte zum Thema Wasser in diesem Hause zu. Bei dieser Debatte werden wir die Regierung zwingen, sich zu allen Problemen der Wasserversorgung zu äußern.
    Auch der Bereich der eklatanten Fehlentwicklung in der Landwirtschaftspolitik wie der Verseuchung der Böden und Gewässer durch Nitrate und Pestizide muß in diesem Zusammenhang genannt werden. Statt Flächenstillegungen zu subventionieren und eine Agrarpolitik zu fördern, die z. B. Hormonskandale durch eine Massentierhaltung erst möglich macht, sollte eine für Mensch und Tier verträgliche Landwirtschaft gefördert werden. Auch das wäre eine strukturelle Änderung.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Um eine ökologische Politik wirksam zu betreiben, müßte ein Gesamtkonzept in Angriff genommen werden. Dazu ist diese Regierung wohl leider nicht imstande.
    Was die konservativ-liberale Regierung uns als Umweltpolitik zu verkaufen versucht, ist kurzatmig, konzeptionslos und letztlich dumm.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aber, aber!)

    Der Finanzminister und Herr Waigel haben uns gestern und heute erzählt, wie toll die wirtschaftliche und konjunkturelle Lage sich in den letzten Monaten dank ihrer Politik entwickelt habe. Wenn das so zutreffen sollte, wie Sie es hier darstellen, dann ist mir völlig schleierhaft, weshalb Sie Ihren Umweltminister als Minister ohne Portefeuille, wie man das früher nannte, behandeln. Spätestens bei den Folgekosten einer verfehlten Umweltpolitik kommt doch die finanzielle Seite des Problems in verstärkter Form wieder auf Sie zu, nur mit der Konsequenz, daß inzwischen nicht mehr gutzumachende Schäden an Mensch und Natur verübt worden sind.
    Ich erlaube mir, eine solche Politik dumm zu nennen, wobei ich daran erinnern möchte, daß Dietrich Bonhoeffer darauf hingewiesen hat, daß Dummheit nicht wesentlich ein intellektueller, sondern ein menschlicher Defekt ist.

    (Beifall bei den GRÜNEN)