Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die ungewöhnlich unpräzise Formulierung des Themas der heutigen Aktuellen Stunde hat dem neuen Bundesverteidigungsminister dazu verholfen, daß all diejenigen, die heute in dieser Aktuellen Stunde zu sprechen gezwungen sind und damit ihre Zeit für ein Thema verwenden, für das es vielleicht bessere Gelegenheiten gegeben hätte,
nun ganz sorgfältig nachgelesen haben, was er denn wo auch immer gesagt hat. Sie haben dem neuen Verteidigungsminister jedenfalls einen Aufmerksamkeitswert — auch in unseren Reihen — verschafft,
den er sonst so leicht vielleicht gar nicht bekommen hätte.
Der Deutsche Bundestag aber, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, sollte sich meiner Meinung nach mit seiner großen Mehrheit dagegen verwahren, daß Äußerungen eines designierten Verteidigungsministers dann zum Gegenstand einer Aktuellen Stunde gemacht werden, wenn sich die „Prawda" darüber aufregt. Wenn es in der „Prawda" hieß, er beurteile die sowjetische Politik nach alten Denkmustern, dann ist ja wohl die Feststellung erlaubt, daß derzeit in der Sowjetunion offenbar ein heftiger Feldzug notwendig ist, um die alten Denkmuster innerhalb der Sowjetunion selbst zu verändern. Ob das bis zu dem Allunionstag im Juni 1988 tatsächlich gelingt, bleibt mit Spannung abzuwarten. Wer von uns weiß denn, wie groß die Hausmacht Gorbatschows tatsächlich ist, auf die er sich stützen könnte?
Das, was sich zur Zeit vollzieht, meine Damen und Herren von den GRÜNEN — das ist das Eigentliche, was man heute ernsthaft sagen muß —, ist die Suche nach möglicher Übereinstimmung der Interessen auf beiden Seiten der Grenze, Übereinstimmung der Interessen der Staaten, aber auch der Menschen, die in diesen Staaten leben; Suche nach der positiven Antwort auf die Frage, wie es nicht nur zum Anhalten der Rüstungsspirale, sondern auch zum Abbau von Waffen kommen kann. Der erste Schritt auf diesem Weg hat sich mit dem INF-Vertrag vollzogen.
Aber ich sage Ihnen auch sehr deutlich: Haben nicht gerade Sie, die widerlegten Propheten, die Unglückspropheten von damals, noch die Äußerungen im Ohr, die etwa lauteten, nach dem Doppelbeschluß der NATO sei es keine Frage mehr, ob ein Krieg ausbreche, sondern nur noch die Frage, wann ein Krieg ausbreche? Wer in allen seinen Prophetien so widerlegt worden ist, sollte allerdings sehr vorsichtig sein, wenn er dem neuen Bundesverteidigungsminister mit Aktuellen Stunden glaubt nachweisen zu können, er sei sozusagen ein kalter Krieger.
Wir wünschen dem neuen Bundesverteidigungsminister Erfolg. Für uns hat die Erhaltung des Friedens mit immer weniger Waffen größeres Gewicht als jeder Gedanke an die Fortsetzung der gegenseitigen Bedrohung durch ständige Bereitschaft auf höchstem
Niveau, die ja auch uns dringend benötigte Mittel für drängende Aufgaben entzieht.
— Ich erinnere Sie wirklich noch einmal an INF, wenn Sie jetzt vom Jäger 90 sprechen.
Wie sieht es denn tatsächlich aus? Wir haben verbale Ankündigungen der Sowjetunion, auch Gorbatschows, bezüglich der Bereitschaft zum Abbau von Waffen.
Aber wir haben noch nicht den faktischen Beweis dafür, daß die Anstrengungen, konventionelle Rüstung zu vermindern, in der Sowjetunion etwa bereits zum Erfolg geführt hätten. Abgesehen von vertraglichen Regelungen über die landgestützten atomaren Mittelstreckenflugkörper gibt es bisher nur verbale Angebote der Sowjetunion zur Abrüstung. Die Realität sieht bisher leider — ich sage: leider — anders aus. Die Potentiale, die uns bedrohen, werden verstärkt und modernisiert.
Deswegen sage ich Ihnen: Wir werden uns auch mit dem neuen Verteidigungsminister ernsthaft darüber unterhalten, welche Wege wir zur Abrüstung, zur wirklichen Verminderung von Rüstung gemeinsam finden können. Herr Minister, Sie werden unsere Untersützung haben, wenn wir auf dem bisherigen Weg mit der Hoffnung auf Erfolg gemeinsam weitergehen können: zur Verringerung von Waffen, zur Sicherung des Friedens mit weniger Rüstungsaufwand.
Herzlichen Dank.