Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vorweg möchte ich eine Bemerkung machen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Pfeifer. In einer Zeitung, die in Hamburg erscheint, habe ich gelesen, daß der General Dr. Schäfer die Aussage gemacht hat — ich zitiere —:
Sollte sich der Anteil der Wehrdienstverweigerer noch erhöhen, sehe ich keine andere Möglichkeit, als zu dem alten Verfahren der Gewissensprüfung für Verweigerer zurückzukommen.
Das paßt zu der Aussage, die der neue Verteidigungsminister gemacht hat, als er vom „wankenden Wehrwillen" sprach. Deswegen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wäre es an der Zeit, daß Ihre Frau Ministerin, Ihre Chefin, dazu endlich einmal öffentlich etwas sagt. Sie sagt ja sonst zu allem, was landauf, landab passiert, etwas, aber dazu hat sie bis heute überhaupt nichts gesagt. Also müssen wir vermuten, daß die Ministerin nicht Manns genug ist — oder nicht Frau genug ist, wie Sie wollen — , dem öffentlich zu widersprechen. Ich glaube, es wäre an der Zeit!
Nun will ich zu dem Gesetz kommen. Es ist in einem Punkt gescheitert, nämlich insofern, als Sie mit dem Gesetz beabsichtigt haben, den Versuch zu unternehmen, eine Gewissensbeugung vorzunehmen. Diese Gewissensbeugung ist gescheitert, wie die Antragszahlen, die Sie selbst genannt haben, zeigen. Wir sind sehr froh darüber, daß sich kein Jugendlicher, kein junger Mann — so hoffen wir — hat einschüchtern lassen, sondern daß jeder seinem Gewissen gefolgt ist und seinen Antrag gestellt hat.
Eines aber bleibt übrig: Die FDP hat in bezug auf die 24 Monate Zivildienst eine Täuschung vorgenommen. Sie hat vor dem Wahltag 1987 gesagt — insbesondere der Herr Bangemann und die Frau Adam-Schwaetzer haben das angedeutet — , sie wolle in den Koalitionsverhandlungen erreichen, daß man von den 24 Monaten herunterkomme. Das ist nicht geschehen. Diese 24 Monate werden nun mit Zustimmung der FDP für die Zukunft ein fester Bestandteil dieses Gesetzes sein. Ich glaube, diese Wählertäuschung sollte man offen ansprechen. Die FDP muß den jungen Menschen erklären, weshalb sie diese Wählertäuschung vorgenommen hat.
Ich komme nun zu einem weiteren Punkt, der uns sehr beunruhigt. Es geht um die Drittelautomatik, also darum, daß diejenigen, die den Zivildienst am 1. Juni 1989 antreten, 24 Monate Dienst leisten müssen. Es gibt einen Antragsstau. Das bedeutet, daß diejenigen, die unter Umständen noch die Möglichkeit haben, auf 20 Monate ihren Zivildienst zu leisten, durch die Unfähigkeit der Regierung oder durch die mangelnden Kapazitäten des Bundesamtes für Zivildienst in die Gefahr kommen, 24 Monate Zivildienst leisten zu müssen.
Wir werden in der Gesetzesberatung darauf noch einmal zurückkommen. Wir bitten Sie heute schon, darauf zu achten — das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein — , daß kein junger Mensch unnötigerweise 24 Monate Dienst leisten muß nur deswegen, weil die Kapazitäten beim Bundesamt oder sonst irgendwo nicht ausreichen.
Ich komme zum nächsten Punkt: Sie sagen im Vorblatt, das Gesetz habe sich bewährt. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Es gibt viele Einzelpunkte, die nach wie vor sehr strittig sind. Ich beginne mit einem, der mir sehr am Herzen liegt: Für 10 bis
Deutscher Bundestag — 1 i. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. Mai 1988 5439
Gilges
15 % der jungen Menschen findet nach wie vor die Gewissensprüfung statt, nämlich für die, die schon einmal bei der Bundeswehr waren oder die während der Bundeswehrzeit ihren Antrag auf Wehrdienstverweigerung stellen. Für diese gilt das.
— Entschuldigen Sie einmal, Herr Sauer: 10 bis 15 % der Antragsteller ist kein kleiner Teil, das sind jährlich einige zigtausende. Sprechen Sie hier also bitte nicht von einem kleinen Teil; ich glaube, daß das unnötig ist. Es wäre sinnvoll, daß auch für diese Betroffenen die Gewissensprüfung in der alten Form, wie sie heute noch existiert, abgeschafft wird.
Das Gesetz hat sich z. B. auch nicht bei der Frage des Einsatzes bewährt. Wir stellen zunehmend fest, daß Sie beginnen, die Einsatzorte so zu strukturieren, daß ich manchmal den Eindruck habe, daß Sie zwei wichtige Punkte vernachlässigen: Das ist zum einen die Arbeitsmarktneutralität. Ich nenne hier den Einsatz in landwirtschaftlichen Betrieben. Ich habe weiterhin den Eindruck, daß sich der Zivildienst zunehmend zu einem Arbeitsdienst mausert. Ich glaube, daß da manch einem die Verhältnisse in der DDR im Kopf herumschwirren und daß man den Zivildienst nicht als Friedensdienst ausbauen will. Wir Sozialdemokraten wollen keinen Arbeitsdienst.
Ich hoffe, daß auch Sie den Zivildienst nicht so ausweiten wollen.
Ich will weiterhin auf die Probleme aufmerksam machen, die durch die Verlängerung entstehen: Durch den 24monatigen Zivildienst wird der Studienanfang der Betroffenen erschwert oder problematisch; wir werden im Ausschuß darauf noch einmal zurückkommen. Die Frage der Ausbildung und auch die Frage des Arbeitsplatzes werden zunehmend zu einem Problem, je länger die Zeit wird; Sie wissen das, Sie kennen das auch aus der Praxis.
Ein nächster Punkt, der uns sehr am Herzen liegt und der uns große Schwierigkeiten macht, ist die Frage der Einführungslehrgänge. Für 50 % der Zivildienstleistenden finden heute keine Einführungslehrgänge statt. Das ist eine große Erschwernis, insbesondere wenn Sie berücksichtigen, daß die Verschärfung des Zivildienstes gerade in Einsatzbereichen stattfindet, die sehr problematisch sind. Ich halte es auf die Dauer nicht für zulässig, daß junge Menschen, die mit Schwerstbehinderten umgehen, die bei alten Menschen Einzelbetreuung vornehmen oder die im Rettungsdienst tätig sind, keinen Einführungslehrgang haben. Dies ist eine schlimme Geschichte, und es ist angebracht, daß sich das Bundesministerium nun einmal aufrafft und sich bemüht, diese Einführungslehrgänge grundsätzlich für alle Zivildienstleistenden sicherzustellen.
Das gilt auch für die Betreuung der Zivildienstleistenden während dieser Zeit. Es gibt ja schwierige Einsatzorte, die psychische Probleme mit sich bringen. Ich denke jetzt gerade wieder an Fälle, in denen ein junger Zivildienstleistender mit einem Schwerstbehinderten umgehen muß. Das ist ja keine einfache Geschichte. Auch da findet keine laufende Betreuung statt.
Ich glaube, es ist auch angebracht, daß in der Ausgestaltung des Zivildienstes das Bundesministerium den Zivildienststellen — ob Arbeiterwohlfahrt, Caritas oder Diakonie — die Möglichkeiten schafft, daß eine Betreuung während dieser schweren Arbeit stattfindet. Dazu muß auch Geld bereitstehen, und das Ministerium sollte da eine Lösungsmöglichkeit schaffen.
Ich will zu einem nächsten Problem kommen, das Sie überhaupt nicht lösen wollen oder lösen können. Das ist die Frage der Totalverweigerung. Hier findet eine Doppelbestrafung statt. Ich meine, es wäre wirklich an der Zeit — Sie sagen ja, es sei jetzt abgeschlossen; so haben Sie das formuliert — , auch dieses Thema einmal abzuschließen und uns hier eine Lösung vorzulegen, mit der wir alle gemeinsam umgehen können.
Unsinnig ist auch die Regelung, daß derjenige, der seinen Antrag später stellt, also nach der oder während der Bundeswehrzeit, noch sechs Monate nachdienen muß. Das ist schlicht und einfach eine bösartige Bestrafung desjenigen, der das macht. Ich weiß nicht, wer sich das ausdenkt und wer sich das ausgedacht hat. Ich muß Ihnen sagen: Man braucht schon viel Einfallsreichtum, um solche Bösartigkeiten zu erfinden; ich sage es einmal so. Es gibt überhaupt keinen Grund dafür, daß man das macht.
Wir fordern, daß über dieses Gesetz in Zukunft hier jährlich berichtet wird, damit wir die Möglichkeit haben, im Deutschen Bundestag über all die Schwachstellen, die dieses Gesetz hat und auch in Zukunft noch haben wird, wenn es auf Dauer fortbesteht, zu debattieren.
Abschließend mächte ich sagen: Anläßlich des 50. Todestages von Carl von Ossietzky will ich daran erinnern, daß er einmal gesagt hat: „Ich war Pazifist, und ich werde Pazifist bleiben. " Ich hoffe, daß sich auch in dieser Republik noch viele junge Männer dieser Aussage anschließen und in Zukunft ihr im Grundgesetz verbrieftes Recht zur Verweigerung des Wehrdienstes und des Kriegsdienstes in Anspruch nehmen werden.
Herzlichen Dank.