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    Plenarprotokoll 11/78 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 78. Sitzung Bonn, Freitag, den 6. Mai 1988 Inhalt: Tagesordnungspunkt 24: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz) (Drucksache 11/ 2237) b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Reichsversicherungsordnung (Drucksache 11/280) c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (Drucksache 11/1623) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einordnung der Vorschriften über die Meldepflichten des Arbeitgebers in der Kranken- und Rentenversicherung sowie im Arbeitsförderungsrecht und über den Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags in das Vierte Buch Sozialgesetzbuch — Gemeinseme Vorschriften für die Sozialversicherung — (Drucksache 11/2221) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von der Abgeordneten Frau Unruh und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzierung einer besseren Pflege (Bundespflegegesetz) (Drucksache 11/1790 [neu]) Dr. Blüm CDU/CSU 5273 D Dreßler SPD 5281 A Dr. Blüm CDU/CSU (Erklärung nach § 30 GO) 5287 C Dreßler SPD (Erklärung nach § 30 GO) . 5288 A Cronenberg (Arnsberg) FDP 5288 A Frau Wilms-Kegel GRÜNE 5292 D Günther CDU/CSU 5296 B Egert SPD 5299 B Seehofer CDU/CSU 5303 B Frau Unruh GRÜNE 5306B, 5324 A Dr. Thomae FDP 5308 A Heyenn SPD 5309 D Dr. Becker (Frankfurt) CDU/CSU . . . 5311D Dr. Knies, Minister des Landes Niedersachsen, Beauftragter des Bundesrates . . . 5314 C Jaunich SPD 5316A Wüppesahl fraktionslos 5318D Zink CDU/CSU 5320 B Haack (Extertal) SPD 5321 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA 5324 B Nächste Sitzung 5325 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 5327* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 5327* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Mai 1988 5273 78. Sitzung Bonn, den 6. Mai 1988 Beginn: 9.03 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein * 6. 5. Dr. Ahrens * 6. 5. Dr. Bangemann 6. 5. Frau Beck-Oberdorf 6. 5. Becker (Nienberge) 6. 5. Frau Blunck * 6. 5. Böhm (Melsungen) * 6. 5. Büchner (Speyer) * 6. 5. Bühler (Bruchsal) * 6. 5. Catenhusen 6. 5. Frau Conrad 6. 5. Daweke 6. 5. Dr. Dregger 6. 5. Frau Fischer * 6. 5. Frau Flinner 6. 5. Gallus 6. 5. Gattermann 6. 5. Frau Geiger 6. 5. Geis 6. 5. Dr. Geißler 6. 5. Dr Götz 6. 5. Dr. Hauff 6. 5. Dr. Haussmann 6. 5. Frhr. Heeremann von Zuydtwyck 6. 5. Hiller (Lübeck) 6. 5. Dr. Hitschler * 6. 5. Ibrügger 6. 5. Jansen 6. 5. Jungmann 6. 5. Klein (Dieburg) 6. 5. Klein (München) 6. 5. Dr. Klejdzinski 6. 5. Leidinger 6. 5. Lemmrich * 6. 5. Link (Diepholz) 6. 5. Frau Luuk * 6. 5. Meyer 6. 5. Dr. Müller * 6. 5. Dr. Neuling 6. 5. Niegel * 6. 5. Frau Pack * 6. 5. Pfeifer 6. 5. Dr. Probst 6. 5. Reddemann * 6. 5. Regenspurger 6. 5. Reuschenbach 6. 5. Dr. Riedl (München) 6. 5. Ronneburger 6. 5. Roth (Gießen) 6. 5. Frau Rust 6. 5. Dr. Scheer * 6. 5. Scheu 6. 5. Schmidt (München) * 6. 5. von Schmude * 6. 5. Dr. Schneider (Nürnberg) 6. 5. Schreiner 6. 5. Schröer (Mülheim) 6. 5. Frau Simonis 6. 5. Steiner * 6. 5. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Uelhoff 6. 5. Dr. Unland * 6. 5. Dr. von Wartenberg 6. 5. Wimmer (Neuss) 6. 5. Wissmann 6. 5. Würtz 6. 5. Zierer * 6. 5. Dr. Zimmermann 6. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 29. April 1988 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Gesetz über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1988 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge in Zivil- und Handelssachen (Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz - AVAG) Gesetz zu dem Übereinkommen vom 10. April 1984 über den Beitritt der Republik Griechenland zu dem am 19. Juni 1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Gesetz zu der Änderung vom 16, Oktober 1985 des Übereinkommens vom 3. September 1976 über die Internationale Seefunksatelliten-Organisation (INMARSAT-Übereinkommen) Gesetz zu dem Dritten Protokoll vom 12. Mai 1987 zur Änderung des Vertrages vom 27. Oktober 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik und dem Großherzogtum Luxemburg über die Schiffbarmachung der Mosel Gesetz zu dem Übereinkommen vom 11. Dezember 1987 zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, der Italienischen Republik, dem Königreich der Niederlande und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland über Inspektionen in bezug auf den Vertrag zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Beseitigung ihrer Flugkörper mittlerer und kürzerer Reichweite Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht: Rechtsausschuß Drucksache 10/5012 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 11/841 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß sie die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen haben: Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/2089 Nr. 3-8 Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Drucksache 11/1895 Nr. 2.35 Ausschuß für Verkehr Drucksache 11/929 Nr. 2.28 Drucksache 11/1107 Nr. 2.11 Drucksache 11/1707 Nr. 29 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 11/779 Nr. 2.55 Drucksache 11/1365 Nr. 3.30 Drucksache 11/1656 Nr. 3.39 Anlagen zum Stenographischen Bericht
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    Rede von Otto Zink


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Ende dieser Debatte

    (Jaunich [SPD]: Sie ist noch nicht zu Ende!)

    darf ich feststellen, daß sich die Regierungskoalition als handlungsfähig erwiesen hat.

    (Zuruf von der SPD: Im Abkassieren!)

    Eines der schwierigsten Reformvorhaben dieser Legislaturperiode ist auf den Weg der Gesetzgebung gebracht. Der Gesetzentwurf liegt vor. Das erzielte Ergebnis ist auch ein persönlicher Erfolg für Bundesarbeitsminister Dr. Norbert Blüm.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Jaunich [SPD]: Wieso Ergebnis?)

    Es ist auch ein Erfolg der Mitglieder der Arbeitsgruppe der Koalitionsfraktionen,

    (Jaunich [SPD]: Haben Sie nicht gehört, was Herr Thomae gesagt hat?)

    die mit der Vorbereitung der Entscheidung beauftragt war. Diese Mitglieder haben fast ein ganzes Jahr ununterbrochen getagt, und ich meine, das sollte Anerkennung finden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich möchte den Kollegen Dr. Becker, Günther und Seehofer aus meiner Fraktion besonders Dank sagen, schließe aber auch die Kollegen von der FDP-Fraktion mit ein. Bei allen Problemen, die es — auch in Sachfragen — immer gibt, hat man sich am Ende, glaube ich, gut zusammengerauft.

    (Dreßler [SPD]: Am Ende habt ihr euch aufs Abkassieren verständigt!)

    Meine Damen und Herren, der Regierungskoalition ist es gelungen, die Weichen für eine solidarische Erneuerung der Krankenversicherung zu stellen. Es wird dabei nicht nur gespart, es wird auch gestaltet. Die heutige Debatte hat gezeigt, daß es eine Alternative zum Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht gibt.

    (Frau Garbe [GRÜNE]: Die wollen Sie nur nicht hören!)

    Nach dem Verlauf der Debatte muß sich die Opposition eine Reihe von Fragen gefallen lassen: Stellt sie in Frage, daß ein ungebremstes Wachstum der Ausgaben angesichts der für die Beitragsentwicklung aufgezeigten Konsequenzen nicht länger in Betracht kommen kann?

    (Jaunich [SPD]: Antwort: Nein!)

    Geht es der Opposition wirklich um die Beitragssenkungen, um das Wohl der Versicherten und die bestmögliche medizinische Versorgung?

    (Zurufe von der CDU/CSU: Antwort: Nein!)

    Gibt sie dem System der gesetzlichen Krankenversicherung eine Chance für die Zukunft, oder will sie
    hier ein Manövrieren in eine Sackgasse vornehmen?

    (Jaunich [SPD]: Nein!)

    Meine Damen und Herren, wenn Beitragsbelastungen unerträglich geworden sind, ist es zum Reformieren zu spät.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Heyenn [SPD]: Muß man dann den Arbeitgeber entlasten und den Kranken belasten?)

    Von „Abkassierungsmodell" sollte der nicht sprechen, der Versicherte über Jahre mit steigenden Beiträgen zur Ader gelassen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




    Zink
    Bei dem Gesetzentwurf, den die Bundesregierung vorgelegt hat, ist gerade vermieden worden, die Finanzierungslasten einseitig auf die Versicherten zu verlagern.

    (Jaunich [SPD]: Glauben Sie das denn selber?)

    — Davon können Sie ausgehen.
    Tatsache ist: Von den 14 Milliarden DM, die gespart werden, soll die eine Hälfte zur Beitragssenkung verwandt werden. Die andere Hälfte der Einsparungen ermöglicht es, neue, drängende gesellschaftspolitische Ausgaben und Aufgaben in Angriff zu nehmen.
    Welchen Beitrag zur Lösung des Pflegeproblems hat es eigentlich zwischen 1969 und 1982 gegeben?

    (Seehofer [CDU/CSU]: Null-Lösung!)

    Alle Beteiligten müssen ihren Beitrag zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung leisten. Die Koalition nimmt in erster Linie und nachhaltig die Leistungserbringer in die Pflicht. Dem entspricht der heftige Widerstand aller Gruppen von Leistungserbringern gegen die angestrebte Strukturreform. Die Leistungserbringer richten ihre Kritik aber bezeichnenderweise nicht gegen diese Maßnahmen, sondern sie geben vor, sich ausschließlich im Interesse der Versicherten gegen die angebliche Schaffung des „gläsernen Patienten" , gegen den angeblichen Aufbau übermächtiger Bürokratien und gegen angebliche Verschlechterungen des Leistungsniveaus und des Umfangs der Versicherung zu wenden.

    (Jaunich [SPD]: Wo sie recht haben, haben sie recht, auch wenn man mit ihnen nicht verheiratet ist! — Seehofer [CDU/CSU]: Aber verwandt!)

    Eckpfeiler der Strukturreform im Gesundheitswesen sind die Festbeträge und der Beitrag der gesetzlichen Krankenversicherung zur Absicherung des Pflegerisikos. Der Festbetrag garantiert, daß der Versicherte eine medizinisch ausreichende und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung ohne Zuzahlung erhält.

    (Günther [CDU/CSU]: So ist es!)

    Die Festbeträge machen Zuzahlungn überflüssig. Sie sind versichertenfreundlich und fördern den Preiswettbewerb unter den Leistungserbringern.

    (Jaunich [SPD]: Auch das ist strittig!)

    Die Festbeträge werden nur schrittweise verwirklicht werden können. Dies bedeutet aber absolut nicht, daß nach 1991 keine Festbeträge mehr eingeführt werden könnten.

    (Jaunich [SPD]: Jetzt reden Sie gegen die FDP, oder wie?)

    Im Gegenteil, auch wenn ab 1991 prozentuale Selbstbeteiligung wirksam wird, bleibt es dabei, daß Festbeträge für alle dafür weiter geeigneten Arzneimitttel festgesetzt werden können.

    (Günther [CDU/CSU]: So ist es!)

    Die Einführung der prozentualen Selbstbeteiligung ab 1991

    (Haack [Extertal] [SPD]: 15 %!)

    für eine Übergangszeit und für einen Rest der Arzneimittel,

    (Jaunich [SPD]: Für eine Übergangszeit? Wo steht denn das? Herr Cronenberg, hören Sie gut zu!)

    die nicht festbetragsfähig sein werden, bedeutet eine ganz nachhaltige Herausforderung, die Umstellung der Festbeträge so bald und so zügig wie überhaupt nur möglich vorzunehmen. Die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen wird sich sicherlich dieser Aufgabe stellen und zeigen, daß sie diese Herausforderung ihrerseits annehmen wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Alle Einsparungen im Zusammenhang mit Festbeträgen, Bagatelleistungen oder zuvor übermäßig ausgeweiteten Leistungen lassen die vollwertige Versorgung der Versicherten mit allem medizinisch Notwendigem unberührt. Leistungen, die keiner solidarischen Absicherung bedürfen, sollen aus dem Leistungskatalog herausgenommen werden. Die Solidargemeinschaft der Beitragszahler kann nicht für alles zuständig sein, was wünschenswert ist, sie muß das medizinisch Notwendige zahlen.

    (Günther [CDU/CSU]: Das kann man nicht oft genug sagen! — Jaunich [SPD]: Eine halbe Prothese ist medizinisch notwendig?)

    Aus zeitökonomischen Gründen lege ich einiges auf die Seite. Wir werden noch viel Zeit haben, miteinander zu reden.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, die gesetzliche Krankenversicherung ist über 100 Jahre alt. Sie wurde unter Bismarck im Jahre 1883 mit dem Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter geschaffen.

    (Jaunich [SPD]: Jetzt können wir zustimmen!)

    Heute sind in der gesetzlichen Krankenversicherung einschließlich der mitversicherten Familienangehörigen 56 Millionen Bundesbürger versichert. Das sind 92 % der Bevölkerung.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf mich für Ihre Aufmerksamkeit sehr herzlich bedanken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haack (Extertal).

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Karl Hermann Haack


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute in erster Lesung den Entwurf des Gesundheits-Reformgesetzes. Ich möchte mich in meinem Diskussionsbeitrag mit dem Herzstück der Reform, nämlich mit dem Festbetragsmodell auseinandersetzen.
    Generell haben die Bürgerinnen und Bürger draußen im Lande begriffen: Es handelt sich bei diesem Gesetzentwurf nicht um eine Reform, sondern ledig-



    Haack (Extertal)

    lich — ich muß es wiederholen — um ein Abkassierungsmodell.

    (Jaunich [SPD]: Das kann man nicht oft genug sagen!)

    Im Rahmen der Festbeträge — ihres Herzstückes — und der daraus resultierenden Möglichkeit der Selbstbeteiligung sollen allein rund 3 Milliarden DM eingespart werden.
    In der Anlage zu Ihrem Gesetzentwurf kann man nachlesen, wo eingespart werden soll. Abkassiert werden bei den Patienten im Bereich Arzneimittel über 2 Milliarden DM. Abkassiert werden bei Rollstuhlfahrern, Prothesenträgern und anderen Behinderten 110 Millionen DM. Abkassiert werden bei Brillenträgern 760 Millionen DM. Abkassiert werden bei Heilmittelbenutzern 150 Millionen DM.

    (Günther [CDU/CSU]: Aber nicht nur bei den Versicherten!)

    Abkassiert werden bei den Trägern von Hörgeräten 170 Millionen DM. Im Rahmen des Festbetragsmodells insgesamt über 3 Milliarden DM. Aber treuherzig verkündet der Bundesarbeitsminister landauf, landab, im Fernsehen und heute auch hier: Ein jeder bekommt das medizinisch Notwendige,

    (Günther [CDU/CSU]: So ist es!) nur wer mehr will, muß mehr zahlen.


    (Richtig! bei der CDU/CSU)

    Ich sage Ihnen drei Punkte zu dem Festbetragsmodell. Das Festbetragsmodell ist der von der FDP gewollte Einstieg in die Selbstbeteiligung von 15 % bei Arzneimitteln, Heil- und Hilfsmitteln und damit eine Strafsteuer für Kranke;

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    denn bis 1991 werden beispielsweise auf dem Arzneimittelmarkt lediglich ein Drittel erfaßt.

    (Günther [CDU/CSU]: Das wissen Sie doch gar nicht!)

    — Herr Günther, Sie verbreiten doch schon Pressemeldungen, in denen Sie Herrn Cronenberg vorwerfen, er wolle nach 1991 keine Festbetragsregelungen mehr zulassen.

    (Günther [CDU/CSU]: Das habe ich nirgendwo erklärt. Das ist unwahr!)

    Gehen wir also davon aus: 1991 ein Drittel im Festbetrag, der Rest 15 To Selbstbeteiligung.
    Zweite Bemerkung: Das Festbetragsmodell belastet das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient.
    Dritte Bemerkung: Das Festbetragsmodell läßt die kostentreibenden Strukturen gerade auf dem Pharmamarkt unbereinigt.
    Zu den Festbeträgen bei Heil- und Hilfsmitteln, zum Einstieg in die Selbstbeteiligung in Höhe von 15 %: Tragende Säule im jetzigen System der gesetzlichen Krankenversicherung, also bisher, ist das Sachleistungsprinzip, d. h. der Patient bekommt aus Mitteln der Solidargemeinschaft das therapeutisch Notwendige an Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln. Nunmehr wird festgelegt: Die Kassen sollen einzelne Leistungen nur noch in Höhe festgelegter Festbeträge übernehmen. Den Rest soll der Versicherte aus eigener Tasche bezahlen. Er wird das sicherlich auch tun wollen, wenn ihm der Hausarzt z. B. zu einem bestimmten Medikament rät,

    (Jaunich [SPD]: Was soll er auch anderes tun?)

    welches im Preis über den Festbetrag der Kasse hinausgeht.
    Das gleiche gilt natürlich auch für Hörgeräte, Hilfsmittel der Orthopädie und auch für andere Sachen.
    Ab 1991 — das wird der Streit innerhalb der Koalition sein — soll dann bei all den Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln eine Selbstbeteiligung von 15 % eingeführt werden, für die es bisher zu keiner Festlegung von Festbeträgen gekommen ist.

    (Günther [CDU/CSU]: Wo steht das eigentlich?)

    — Besorgen Sie sich einmal die Pressemitteilungen und Presseauszüge von Herrn Cronenberg. Darin können Sie das alles nachlesen. Das ist die Lesart der FDP: ab 1991.
    Dazu prophezeie ich Ihnen: Die von der Festbetragsregelung betroffenen Leistungsanbieter, also die Pharmaindustrie sowie die Hersteller von Heil- und Hilfsmitteln, müssen ein Interesse daran haben, die Arbeit in dem ZK — wenn ich Ihnen das zurückgeben darf — der Bundesausschüsse, die darin besteht, die jeweiligen Festbeträge festzulegen, zu verschleppen und zu blockieren über Gutachterstreite, um das rettende Ufer der Selbstbeteiligung ab 1991 zu erreichen.

    (Sehr gut! bei der SPD — Günther [CDU/ CSU]: Das reden Sie ihnen jetzt ein!)

    Einen Volltreffer landen Sie, Herr Minister, bei jenen, die ständig Medikamente einnehmen müssen: Herz-Kreislauf-Kranke, Diabetiker, Rheuma- und Allergiekranke. Von diesen Krankheiten sind viele Menschen in unserem Lande betroffen, vor allen Dingen viele ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger. Diese werden nun um die ärztliche Verordnung feilschen müssen, und zwar in der Praxis ihres Arztes — trotz Härteregelungen, trotz Überforderungsklauseln.
    Und da bin ich bei dem zweiten Thema: Das Festbetragsmodell belastet das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. In § 81 Abs. 5 des Referentenentwurfs, Herr Minister, heißt es — ich darf einmal zitieren — :
    Verordnet der Arzt auf Wunsch des Versicherten ein Arzneimittel, dessen Preis den Festbetrag nach § 35 überschreitet, hat der Arzt den Versicherten auf die sich aus seiner Verordnung ergebende Pflicht zur Übernahme der Mehrkosten hinzuweisen.
    Wurde das Verhältnis zwischen Arzt und Patient bisher ausschließlich durch die Frage bestimmt „Wie werde ich wieder gesund, was kann meine Krankheit lindern? ' , so wird der Arzt dem Kranken, dem Behinderten oder dem Rentner ab kommendem Jahr etwas darüber sagen müssen, was die jeweilige Verordnung



    Haack (Extertal)

    — sei es ein Medikament, sei es ein Rollstuhl, ein Hörgerät — kostet

    (Frau Limbach [CDU/CSU]: Was ist denn daran falsch? — Scharrenbroich [CDU/CSU]: Sie können doch nur Geld aus dem Fenster schmeißen, sonst können Sie gar nichts!)

    und welchen Anteil der Patient zu tragen hat.
    Und nun will ich Ihnen das bildlich darstellen. Man stelle sich vor, Arzt und Patient beugen sich zwecks gemeinsamen Studiums über Preislisten der Anbieter mit dem Ergebnis, daß der Patient dem Arzt dann gestehen muß, daß er sich eine bestimmte, vom Arzt vorgesehene Verordnung finanziell nicht leisten kann. Also, er muß den Rentenbescheid jeweils dabeihaben.
    Ich glaube, hier wird die Unsäglichkeit Ihres Systems besonders deutlich. Durch die durch Festbeträge und Selbstbeteiligung ausgelöste Frage „Was kann ich mir leisten, und was kann ich mir nicht leisten?" wird das Verhältnis Arzt-Patient in einer unverantwortlichen Weise belastet. Und, Herr Blüm: Sind Sie sich eigentlich darüber im klaren, daß Sie mit dieser Bestimmung aus dem Sprechzimmer des Arztes einen Basar für Arzneimittel-, Heilmittel- und Hilfsmittelhersteller machen?