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ID1107804900

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    Plenarprotokoll 11/78 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 78. Sitzung Bonn, Freitag, den 6. Mai 1988 Inhalt: Tagesordnungspunkt 24: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz) (Drucksache 11/ 2237) b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Reichsversicherungsordnung (Drucksache 11/280) c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (Drucksache 11/1623) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einordnung der Vorschriften über die Meldepflichten des Arbeitgebers in der Kranken- und Rentenversicherung sowie im Arbeitsförderungsrecht und über den Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags in das Vierte Buch Sozialgesetzbuch — Gemeinseme Vorschriften für die Sozialversicherung — (Drucksache 11/2221) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von der Abgeordneten Frau Unruh und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzierung einer besseren Pflege (Bundespflegegesetz) (Drucksache 11/1790 [neu]) Dr. Blüm CDU/CSU 5273 D Dreßler SPD 5281 A Dr. Blüm CDU/CSU (Erklärung nach § 30 GO) 5287 C Dreßler SPD (Erklärung nach § 30 GO) . 5288 A Cronenberg (Arnsberg) FDP 5288 A Frau Wilms-Kegel GRÜNE 5292 D Günther CDU/CSU 5296 B Egert SPD 5299 B Seehofer CDU/CSU 5303 B Frau Unruh GRÜNE 5306B, 5324 A Dr. Thomae FDP 5308 A Heyenn SPD 5309 D Dr. Becker (Frankfurt) CDU/CSU . . . 5311D Dr. Knies, Minister des Landes Niedersachsen, Beauftragter des Bundesrates . . . 5314 C Jaunich SPD 5316A Wüppesahl fraktionslos 5318D Zink CDU/CSU 5320 B Haack (Extertal) SPD 5321 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA 5324 B Nächste Sitzung 5325 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 5327* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 5327* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Mai 1988 5273 78. Sitzung Bonn, den 6. Mai 1988 Beginn: 9.03 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein * 6. 5. Dr. Ahrens * 6. 5. Dr. Bangemann 6. 5. Frau Beck-Oberdorf 6. 5. Becker (Nienberge) 6. 5. Frau Blunck * 6. 5. Böhm (Melsungen) * 6. 5. Büchner (Speyer) * 6. 5. Bühler (Bruchsal) * 6. 5. Catenhusen 6. 5. Frau Conrad 6. 5. Daweke 6. 5. Dr. Dregger 6. 5. Frau Fischer * 6. 5. Frau Flinner 6. 5. Gallus 6. 5. Gattermann 6. 5. Frau Geiger 6. 5. Geis 6. 5. Dr. Geißler 6. 5. Dr Götz 6. 5. Dr. Hauff 6. 5. Dr. Haussmann 6. 5. Frhr. Heeremann von Zuydtwyck 6. 5. Hiller (Lübeck) 6. 5. Dr. Hitschler * 6. 5. Ibrügger 6. 5. Jansen 6. 5. Jungmann 6. 5. Klein (Dieburg) 6. 5. Klein (München) 6. 5. Dr. Klejdzinski 6. 5. Leidinger 6. 5. Lemmrich * 6. 5. Link (Diepholz) 6. 5. Frau Luuk * 6. 5. Meyer 6. 5. Dr. Müller * 6. 5. Dr. Neuling 6. 5. Niegel * 6. 5. Frau Pack * 6. 5. Pfeifer 6. 5. Dr. Probst 6. 5. Reddemann * 6. 5. Regenspurger 6. 5. Reuschenbach 6. 5. Dr. Riedl (München) 6. 5. Ronneburger 6. 5. Roth (Gießen) 6. 5. Frau Rust 6. 5. Dr. Scheer * 6. 5. Scheu 6. 5. Schmidt (München) * 6. 5. von Schmude * 6. 5. Dr. Schneider (Nürnberg) 6. 5. Schreiner 6. 5. Schröer (Mülheim) 6. 5. Frau Simonis 6. 5. Steiner * 6. 5. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Uelhoff 6. 5. Dr. Unland * 6. 5. Dr. von Wartenberg 6. 5. Wimmer (Neuss) 6. 5. Wissmann 6. 5. Würtz 6. 5. Zierer * 6. 5. Dr. Zimmermann 6. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 29. April 1988 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Gesetz über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1988 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge in Zivil- und Handelssachen (Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz - AVAG) Gesetz zu dem Übereinkommen vom 10. April 1984 über den Beitritt der Republik Griechenland zu dem am 19. Juni 1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Gesetz zu der Änderung vom 16, Oktober 1985 des Übereinkommens vom 3. September 1976 über die Internationale Seefunksatelliten-Organisation (INMARSAT-Übereinkommen) Gesetz zu dem Dritten Protokoll vom 12. Mai 1987 zur Änderung des Vertrages vom 27. Oktober 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik und dem Großherzogtum Luxemburg über die Schiffbarmachung der Mosel Gesetz zu dem Übereinkommen vom 11. Dezember 1987 zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, der Italienischen Republik, dem Königreich der Niederlande und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland über Inspektionen in bezug auf den Vertrag zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Beseitigung ihrer Flugkörper mittlerer und kürzerer Reichweite Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht: Rechtsausschuß Drucksache 10/5012 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 11/841 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß sie die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen haben: Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/2089 Nr. 3-8 Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Drucksache 11/1895 Nr. 2.35 Ausschuß für Verkehr Drucksache 11/929 Nr. 2.28 Drucksache 11/1107 Nr. 2.11 Drucksache 11/1707 Nr. 29 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 11/779 Nr. 2.55 Drucksache 11/1365 Nr. 3.30 Drucksache 11/1656 Nr. 3.39 Anlagen zum Stenographischen Bericht
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    Rede von Heike Wilms-Kegel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Sie jetzt an den Radios und an den Fernsehschirmen sitzen!

    (Unruhe und Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich möchte mich heute insbesondere an jene Menschen in unserem Lande wenden, die mit Hoffen und Bangen in dieser Stunde nach Bonn sehen und uns hören, nämlich die Kranken,

    (Feilcke [CDU/CSU]: Zum Glück haben die ja Sie!)

    die chronisch Kranken, die Behinderten, die Rentnerinnen und Rentner, die Arbeitsunfähigen, an die Millionen von Mitbürgerinnen und Mitbürger, die — wenn nicht heute, so bestimmt doch in Zukunft —



    Frau Wilms-Kegel
    mit den Untaten des Ministers Blüm bestraft werden.
    Sie alle sollen zunächst einmal wissen, mit welchen Versprechungen, Zusagen, Vertröstungen und Ankündigungen Minister Blüm versucht hat, im Deutschen Bundestag am 4. Dezember 1987 alle diejenigen zu beruhigen, die dieses unsoziale — ja, ich möchte sagen: asoziale — Gesetzesvorhaben richtig erahnten.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Blüm führte damals u. a. aus — ich zitiere — :
    Wir erwarten einen Solidarbeitrag der Pharmaindustrie. Ohne diesen Solidarbeitrag ist diese Krankenversicherungsrefom nicht zu machen. Wir wollen mit den Arzneimittelherstellern über die Wege reden. Aber ich bin ganz sicher, daß das Gesetz die dritte Lesung dieses Bundestages nicht ohne einen solchen Solidarbeitrag — um das ausdrücklich zu sagen — der Pharmaindustrie erreichen wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Heute, Herr Minister, wissen wir es besser.

    (Zuruf von der SPD: Wortbruch!)

    Sie wollten nicht in die Knie gehen; dabei zitterten Ihre Knie damals schon. Die Bauchlandung ist mittlerweile vollzogen, und Tatsache ist, daß die Mittel in Höhe des Solidarbeitrags nicht von der Pharmaindustrie erbracht werden, sondern von den Rentnerinnen und Rentnern in der Bundesrepublik Deutschland, und zwar in Höhe von 1,5 Milliarden DM. Welch ein Zufall! Genau in dieser Größenordnung sollte auch das Opfer der Pharmaindustrie liegen.
    Schämen Sie sich eigentlich nicht, Herr Minister, daß Sie den Tritt, den man Ihnen in die Kniekehle gegeben hat, so daß Sie umgefallen sind, an Rentnerinnen und Rentner weitergeben, die Ihr Kostendämpfungsgesetz durch Beitragserhöhungen weitgehend finanzieren sollen?
    Darüber hinaus wird gerade diese Gruppe unserer Bevölkerung durch vielfache Selbstbeteiligungen bei Massagen, Fangopackungen, Arzneimitteln, Taxifahrten und Zahnersatz kräftig zur Ader gelassen. Der soziale Minister Blüm fuhr damals fort:
    Deshalb: Zieht Euch warm an. Es wird uns ein kalter Wind entgegenwehen. Ich sage entschlossen: Wir werden uns auch von Lobbyisten nicht umstoßen lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lachen bei der SPD und den GRÜNEN ...)

    Herr Blüm, ich fordere Sie auf, heute vormittag einen Verband, eine Institution, irgendeinen Betroffenen außerhalb der Regierungsfraktion zu nennen, die mit Ihrer Diskriminierungskampagne einverstanden sind. Sind Sie wirklich der Meinung, daß es ein Ausdruck von Stärke ist, ja gar ein Ausdruck von demokratischem Verhalten, wenn Sie ungeachtet aller Mahnungen und Bitten um Verständnis einzelner Betroffener die Bundesrepublik mit Gesetzen überziehen, deren Auswirkungen nicht nur finanziell brutal, sondern auch inhuman sind?
    An welchen betroffenen Gruppen, Verbänden und Institutionen ist der Kelch des Ministers Blüm vorbeigegangen? Welche von ihnen sind von der Dampfwalze des Ministers nur leicht geschrammt worden, und welche Gruppen unserer Bevölkerung sind von der Wucht und der asozialen Dampfwalze aus dem Arbeitsministerium total erfaßt worden?

    (Feilcke [CDU/CSU]: Welche Ärztegruppe vertreten Sie denn? — Günther [CDU/CSU]: Wissen Sie überhaupt, was „asozial" ist?)

    Zunächst einmal können sich die Arbeitgeber zufrieden in ihren Sesseln zurücklehnen. Deren Ziele haben Sie erfolgreich umgesetzt, Herr Minister, nämlich die Lohnnebenkosten in Hundertmillionenhöhe zu reduzieren, so daß die positiven Bilanzen weiterhin zu bersten drohen. Für die haben Sie Ihren eben so beschworenen „Rettungsversuch in letzter Minute" gemacht.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    Die Lobbyistenzentrale der Arbeitgeber hier in Bonn hat sich bereits jetzt mehr als bezahlt gemacht.
    Zufrieden mit Ihnen, Herr Blüm, lehnen sich auch die Vertreter des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie in ihre Ledersessel zurück und danken ebenfalls ihren Lobbyisten hier in Bonn für die Ersparnis von 1,7 Milliarden DM,

    (Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Sie lesen die Zeitung nicht, Frau Wilms-Kegel!)

    die nun, wie ich bereits ausführte, von den Rentnerinnen und Rentnern aufgebracht werden.
    Es war eben ein Herr Blüm, dieses sogenannte Solidaropfer von 1,7 Milliarden DM zur Kanzlersache zu machen. Wenn wir uns nämlich jetzt die Ergebnisse dieses Kamingespräches zwischen dem Kanzler und dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie anschauen, dann wird endgültig klar, wer in Wahrheit die Gesundheitspolitik bei uns macht.
    Mit ein paar Abstrichen nehmen auch die Apotheker Ihren Gesetzentwurf freudig zur Kenntnis, waren doch die ursprünglichen Pläne so ausgestattet, daß auch die Apothekerschaft einen merklichen Beitrag leisten sollte.

    (Louven [CDU/CSU]: Sie nehmen uns jetzt in Schutz vor den Angriffen der Apotheker!)

    Auch hier hat sich Lobbyismus ausgezahlt, wobei wir nicht verkennen, daß es sehr viele kleine Apotheken gibt, die trotzdem um ihre Existenz und um die Arbeitsplätze ihrer Beschäftigten bangen müssen.
    Daß die Gesundheitslobby von vornherein gegen Sie Front gemacht und versucht hat, ihre Klientel zufriedenzustellen, ist noch nachvollziehbar. Was mir aber ganz und gar nicht nachvollziehbar ist, ist die Tatsache, daß es eine Institution gibt, die bewußt von Anfang an ihren Mitgliedern in den Rücken gefallen ist und sich auf Ihre Seite und auf die Seite der Arbeitgeber geschlagen hat, nämlich der Deutsche Gewerkschaftsbund. Bis kurz vor der Veröffentlichung des jet-



    Frau Wilms-Kegel
    zigen Gesetzentwurfes haben immer wieder maßgebliche Mitglieder des DGB darauf verwiesen, daß sie Ihre Forderungen, Herr Blüm, nach mehr Transparenz, Festzuschüssen für Arzneimittel und Selbstbeteiligung unterstützen. Erst einen Tag vor Bekanntgabe Ihres Gesetzentwurfes hat sich der DGB mit Bedauern dahin gehend geäußert, daß er nunmehr das Gesetzeswerk nicht mehr mittragen will.

    (Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Das ist das Lafontaine-Trauma von SPD und DGB! — Gegenruf des Abg. Dr. Vogel [SPD]: Ach ja!)

    Doch war der DGB dabei die einzige große Institution, die Ihnen in den letzten Monaten als Verbündete zur Seite stand.
    Wer aber sind nun die Verlierer? Wer bezahlt dieses sogenannte Reformwerk? Wer wird überwacht? Wer wird ausgehorcht? Bei welchen Menschen wird Ihre Dampfwalzenpolitik sichtbar? Die Bundesregierung hat allen Mahnungen zum Trotz Ihr sogenanntes Reformwerk unter ungeheurem Zeitdruck produziert. So sieht es auch aus.
    Selbst konservative, Ihnen nahestehende Wissenschaftler, Herr Blüm, und fachkundige Journalisten halten das Werk für schlecht, unausgegoren und unsozial. Aber während die Lobbyisten in den letzten Monaten ungeheuer viel Geld und Tinte in die Kritik über die ihren Besitzstand angeblich gefährdenden Teile des GRG gesteckt haben und doch offene Ohren und Türen bei Ihnen vorgefunden haben, so haben die wirklich Betroffenen — die chronisch Kranken, die behinderten Menschen — kein Geld und keine Lobby gehabt.

    (Dr. Knabe [GRÜNE]: Aber die brauchen das!)

    Die Verzweiflung der wirklich Betroffenen wurde nicht einmal zur Kenntnis genommen.
    Symptomatisch hierfür ist folgendes Beispiel, das mich — ehrlich gestanden — so furchtbar erschreckt hat, daß ich mich während des Gespräches mit dem Patientensprecher der Krankenanstalten Bethel für alle Politiker und Politikerinnen geschämt habe. Wie Sie sicherlich wissen, leben in den Anstalten von Bethel ca. 6 000 Langzeitkranke. Deren Patientensprecher hat in einem langen und ausführlichen Brief an Sie, Herr sozialer Minister, die Sorgen, Probleme und Ängste der Patienten dargelegt und natürlich gehofft — mit den übrigen 6 000 —, daß Sie es für nötig befinden, diesen Brief im Detail zu beantworten. Aber was macht der christliche Sozialminister? Im Gegensatz zu den Lobbyisten hier in Bonn bekommen der Patientensprecher und damit die 6 000 Kranken einen Formbrief mit der Anschrift: Sehr geehrte Frau, sehr geehrter Herr; nicht Zutreffendes durchgeixt; dann ein Standardbrief mit hohlen Phrasen ohne jeglichen Bezug! Daß dieser Brief eine riesengroße Enttäuschung hervorgerufen hat, brauche ich wohl nicht besonders zu betonen.
    Ich frage Sie, Herr Minister: Schämen Sie sich eigentlich nicht, daß Sie da, wo Geld- und Machteinfluß herrschen, mit diesen Verbänden stundenlange Gespräche führen und einer so großen Behinderteneinrichtung einen Formbrief zukommen lassen? Das war der Beweis für Ihre herzlose, asoziale Dampfwalzen-politik.
    Herr Blüm, ich hätte Sie herzlich gebeten, heute morgen nicht wieder die Sprüche loszulassen: Jeder bekommt das, was nötig ist. Seien Sie wenigstens heute morgen einmal ehrlich und sagen Sie der Bevölkerung, daß Kranke, Behinderte, chronisch Kranke, Rentnerinnen und Rentner nur dann keine Nachteile durch Ihr Reformwerk erfahren werden, wenn sie finanziell in der Lage sind, Ihre Streichungen auszugleichen.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    Sie erfassen jeden — außer diejenigen, die in der Lage sind, sich selbst zu versichern; denn von den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erreicht nur etwa ein Drittel annähernd gesund das Rentenalter, ein weiteres Drittel muß meist wegen chronischer Erkrankungen vorzeitig verrentet werden, und das letzte Drittel stirbt bereits vorher. Das ist die Ausgangslage.
    Tun Sie nicht immer so, als läge die gesamte Bevölkerung, insbesondere die Rentnerinnen und Rentner, auf Ihrer Ministertasche! Durch Ihre geplanten finanziellen Selbstbeteiligungen bei Hörgeräten, Brillen, Massagen, Kuren, Krankenhausaufenthalten, Arzneimitteln und Krankentransporten werden insbesondere die einkommensschwachen, die am häufigsten und schwersten Erkrankten, am stärksten belastet. Bei entsprechender Höhe der Selbstbeteiligung werden sich Arbeiter, Angestellte und Rentner überlegen, ob sie einen Arzt aufsuchen, ob sie medizinische Versorgung in Anspruch nehmen können. Sie können später, vielleicht sogar zu spät medizinische Hilfe erhalten.
    Die von Ihnen geforderten Selbstbeteiligungen, besser gesagt: zusätzlichen Selbstbeteiligungen, sind also nicht nur zutiefst unsozial, sondern widersprechen auch dem medizinischen Grundsatz: Vorbeugen ist besser als heilen.
    Hier sei ein Beispiel angeführt. Ein Arbeitnehmer benötigt unbedingt 6 Massagen plus 6 Fangopackungen. Dieser Arbeitnehmer bezahlte für diese Maßnahmen bisher 8 DM Selbstbeteiligung. In Zukunft wird er statt 8 DM 48 DM Selbstbeteiligung aufzubringen haben, wenn er wieder halbwegs gesund werden will.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Es gibt eine Funktionseinheit, Frau Kollegin!)

    Dies, Herr Blüm, ist eine 600 %ige Steigerung der Selbstbeteiligung. Geben Sie mir einmal eine logische Begründung dafür, warum ich in meinem Wohnort Bad Breisig 4 DM zuzahlen muß, kure ich aber in Baden-Baden, erhalte ich die Massage gratis.

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Ist das wahr?)

    Ich möchte noch ein Beispiel bringen. Familie X, Papa, Mama und zwei Kinder von elf und neun Jahren, Bruttoeinkommen 2 500 DM monatlich, netto 2 100 DM; kein Härtefall also! Im Jahre 1 nach GRG braucht der Vater eine Oberkieferprothese für sechs Zähne, eine Unterkieferprothese für 8 Zähne mit drei



    Frau Wilms-Kegel
    Kronen. Dafür mußte er schon bisher 1 700 DM zuzahlen. Nun sind es 3 000 DM zu seinen Lasten. Mama X merkt, daß es beim Zahnarzt nicht so schlimm ist und braucht nun auch eine Brücke für 3 Zähne. Bisher kostete sie das 410 DM, nun zahlt sie 820 DM. Die beiden Kinder müssen, wie das häufig so ist, in kieferorthopädische Behandlung, müssen also Klammern tragen. Diese Behandlung dauert im Durchschnitt etwa vier Jahre und kostet pro Kind und Jahr noch einmal rund 1 000 DM, wovon 600 DM sofort vorfinanziert werden müssen.

    (Hört! Hört! bei der SPD — Zuruf von den GRÜNEN: Christlich-sozial ist das!)

    In diesem Jahr kommt also auf die Familie X eine zusätzliche Belastung allein für zahnmedizinische Behandlung von 4 500 DM zu. Das sind 375 DM monatlich und damit unter Umständen sogar mehr als der ohnehin gezahlte Krankenkassenbeitrag. Das setzt übrigens voraus, daß in der Familie keiner anderweitig krank wird; denn dann müssen sie noch einmal zuzahlen.

    (Zuruf von der SPD: Sozialpolitik fürs Herz!)

    Die über 500 Millionen DM, die Sie für zahnmedizinische Prophylaxe ausgeben wollen, sind herausgeschmissenes Geld, solange sie mit der Werbung für Gummibärchen konkurrieren müssen.
    Sie machen es sich wirklich zu leicht, Herr Blüm. Sie erklären die Standardversorgung zum Luxus, und schon müssen die Beitragszahler erneut drauflegen. Die Zahnarztpraxen und Kieferorthopäden der Zukunft sind also wahrscheinlich mit einer zusätzlichen Kreditabteilung ausgestattet. Da bekanntermaßen heute schon sehr viel teurer, wenig haltbarer Schrott von den Spitzenverdienern unter den Zahnärzten in unsere Münder kommt: Gibt es vielleicht bald auch Leasingmodelle?
    Durch die Ausgrenzung von Medizin mit sogenannten umstrittenen Nutzen durch schulmedizinisch besetzte Kommission aus der Kassenerstattungspflicht besteht die Gefahr, daß Medizin aus dem naturheilkundlichen Bereich völlig diskriminiert wird und verschwindet. Wenn Patienten auf bewährte Naturheilmittel zurückgreifen müssen, müssen sie diese in Zukunft selbst bezahlen.
    Oder nehmen wir einen Landarzt. Der muß in Zukunft entweder bei der Diagnose pfuschen, um seinen Patienten eine kostenlose Krankenwagenfahrt zu ermöglichen, oder er muß den Patienten mit Verdacht auf Rippenbruch im überfüllten Bus zum 20 Kilometer entfernten Kreiskrankenhaus schaukeln lassen, damit der Patient dort geröntgt werden kann. Nicht überall herrschen auf Grund der Verkehrspolitik der Bundesregierung wirklich gute öffentliche Nahverkehrsverbindungen vor.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    Die zynischen Rechenschieber aus Ihrem Ministerium ziehen mit diesem Gesetzentwurf den Leuten mit wenigen Federstrichen Tausende von Mark im Jahr aus der Tasche.

    (Kolb [CDU/CSU]: Bei Ihnen gibt es keinen, der einen Rechenschieber betätigen kann!)

    — Das kann ich auch. — Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich von Ihnen vorrechnen lassen, daß sie ab 1989 die Wahl haben: entweder Urlaub oder Zahnersatz; und 1990 heißt es dann: Urlaub oder Brille. Zum Schluß wartet auf uns ja die Pflegeabsicherung.
    Was aber machen die Leute, die schon heute nichts zum Tauschen haben?
    Und überhaupt, Herr Blüm: Wieso maßen Sie sich an, über die Pflegeabsicherung als eine große Errungenschaft zu sprechen, die doch frühestens 1991 in Kraft tritt, wenn nicht Sie, sondern hoffentlich ein GRÜNER Arbeitsminister sein wird?

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die sogenannte Sozialklausel, die Sie sich ausgedacht haben, reicht hinten und vorne nicht aus. Dieses Alles-oder-nichts-Prinzip, nach dem jeder, der nur eine Mark über der Blümschen Härteschwelle liegt, in vollem Umfang draufzahlen muß, ist unmenschlich und geht an den sozialen Realitäten vorbei.
    Herr Minister, was haben Sie sich eigentlich bei der von Ihnen erfundenen stufenweisen Wiedereingliederung — zu deutsch: Teilarbeitsfähigkeit — gedacht? Sie haben nun vor, mit Ihrem Medizinischen Dienst — besser gesagt: den Blockwarten der Gesundheit, den Oberkontrollettis — die kranken Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so lange zu verfolgen, um sie dann beim Hausarzt zu denunzieren, die Krankheit sei keine Krankheit mehr, die Krankheitsdauer könne abgekürzt werden, die Krankentage sollten aufgeteilt werden zwischen Erholung und stundenweisem Arbeiten. Was haben Sie nur für ein Menschenbild, Herr Blüm! Lassen Sie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Ruhe gesund werden, und lassen Sie es nicht zu, daß die Spitzel des Gesundheitswesens in diskriminierender Form diese Menschen verfolgen!
    Den niedergelassenen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen möchte ich sagen: Lassen Sie sich nicht mißbrauchen von diesen Gesundheitsagenten des Ministers Blüm!
    Ein weiterer trauriger Gipfel Ihres Werkes Inhumanität ist der § 51, nach dem das Krankengeld dann gekürzt oder gestrichen werden kann, wenn der Nachweis geführt wird, daß der Versicherte diese Krankheit selbst verschuldet hat. Es ist einfach eine Unverschämtheit, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu unterstellen, sie würden ihre Krankheiten bewußt selbst herbeiführen.
    In welche Lage versetzen Sie eigentlich die behandelnden Ärzte, die Sie so unter Druck setzen lassen, einmal durch die Krankenkasse, zum anderen durch den Arbeitgeber und zum dritten durch Ihren sogenannten Medizinischen Dienst? Das ist eine unmögliche Situation für die Hausärztin bzw. den Hausarzt, die während der ganzen Praxiszeit hin- und hergerissen sind: Auf welche Seite schlage ich mich nun: auf die Seite des Patienten, der Zeit braucht, um gesund zu werden, oder auf die Seite der Krankenkassen oder des Herrn Ministers Blüm?
    Sie machen sich keine Gedanken darüber, die nachgewiesenen Gründe für Erkrankungen zu beseitigen, seien es nun Umwelt-, Arbeits- oder Lebensbe-



    Frau Wilms-Kegel
    dingungen. Nein, Sie bestrafen diese krank Gewordenen noch damit, daß Sie versuchen, die Krankheit, die Sie durch Ihre Umwelt- und Gesundheitspolitik produzieren, so darzustellen, als sei der Erkrankte selbst daran schuld. Das ist nicht christlich, das ist nicht sozial, das ist nicht menschenachtend; das ist einfach und schlicht eine Verhöhnung des kranken Menschen.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Heyenn [SPD]: Zynismus ist das!)

    Herr Blüm, die Presse zitiert Sie mit dem Satz: Komm, Junge, wir haben doch gewonnen! Dieser aufmunternde Satz zu Ihrem Mitstreiter Herrn Jung läßt für mich eine Schlußfolgerung zu: Sie haben an Erfahrung gewonnen, daß man so nicht mit der Gesundheitspolitik umspringen sollte. Gesundheitspolitik ist zum Durchpeitschen nicht geeignet. Sie verwechseln Gesundheitspolitik mit Boxkämpfen. Die Gesundheit unserer Bevölkerung ist zum Erringer von politischen K.o.-Siegen wahrlich keine geeignete Disziplin.
    Ich hoffe, Sie haben auch die Einsicht gewonnen und stehen zu Ihrer Aussage vom 4. Dezember 1987, daß, wenn der Solidarbeitrag der Pharmaindustrie nicht gezahlt wird, dieses Gesetzeswerk die dritte Lesung nicht sehen wird.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Sie haben die Chance, heute Ihr Gesicht wiederzufinden.

    (Zuruf von der SPD: Er hat keines mehr!)

    Sie haben die Chance, gegenüber der bundesdeutschen Bevölkerung Ihr Gesicht zu wahren, indem Sie ganz einfach nur ihre Aussage in die Tat umsetzen und Ihren Gesetzentwurf, eingebracht durch CDU/ CSU und FDP, zurückziehen lassen. Halten Sie doch wenigstens einmal Ihr Wort!

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Günther.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Horst Günther


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst bei dem Kollegen Julius Cronenberg von der FDP-Fraktion sehr herzlich dafür bedanken, daß er noch einmal richtiggestellt hat, was der Minister gemeint hat.

    (Zuruf von der SPD: Hat er nicht!)

    Der Minister ist ja vom Kollegen Dreßler falsch zitiert worden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, damit könnte man es eigentlich bewenden lassen, wenn nicht das ständige Wiederholen durch den Kollegen Dreßler deshalb erfolgt wäre, weil er mit einer wechselnden Zuschauerschaft vor dem Fernsehen gerechnet hat. Deswegen will ich noch einmal festhalten, was der Minister zur Korrektur selber gesagt hat. Herr Blüm hat das Gerede von der guten alten Zeit karikiert. Das hat er hier auch erklärt. Nach diesem Gerede wäre nämlich, so hat er gesagt, derjenige glücklich gewesen, der mit 35 Jahren gestorben ist, und wer heute 80 Jahre alt
    wird, wäre unglücklich. Dieses Denken wollte er karikieren; er wollte zum Ausdruck bringen, daß das nicht so ist. Auf den Fortschritt der heutigen Medizin und auf den Fortschritt in der Gesundheitsvorsorge wollte er hinweisen. Dann ist er hier vom Kollegen Dreßler mit diesem einen Satz aus der Presse sinnverdrehend zitiert worden, womit das Ganze zur Unwahrheit wurde.

    (Kolb [CDU/CSU]: Obwohl Herr Dreßler das Metier sehr gut kennt!)

    Herr Dreßler, ich muß Ihnen deutlich sagen: Sie wissen, daß Sie auch selber von der Presse schon oft falsch zitiert wurden, und Sie haben sich darüber — und zwar noch vor kurzem — sehr aufgeregt. Wenn Sie sich hier nun so aufführen, ist das in der Tat niederträchtig, ehrabschneidend und charakterlos.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Es wäre sicherlich sinnvoll gewesen, wenn Sie die Kraft besessen hätten, sich dafür hier zu entschuldigen oder wenigstens zu sagen, daß Sie sich vertan haben.

    (Kolb [CDU/CSU]: Er weiß nicht, was das ist! — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Er kann es nicht, Herr Kollege Günther! Wenn er den Mund aufmacht, kommt immer Polemik heraus!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, das paßt natürlich zu den blindwütigen und maßlosen Attakken der Gegner dieses Reformgesetzes, die wir seit Wochen erleben.

    (Reimann [SPD]: Es wird ja immer peinlicher!)

    Gegen sachliche und konstruktive Kritik kann man ja nichts einwenden, aber davon ist leider sehr wenig zu hören. Statt dessen zieht man mit Feuer und Schwert gegen das Reformvorhaben zu Felde, denn, meine Damen und Herren, man führt in der Tat einen Glaubenskrieg. Die Ungläubigen allerdings sind in diesem Falle wir, die Koalition, denn wir glauben nicht an das Heil einer Vergesellschaftung des Gesundheitswesens. Aber diese Vergesellschaftung ist das Konzept Ihrer Partei, der Sozialdemokratischen Partei.

    (Zuruf von der SPD: Wo steht das?)

    Dies können Sie in Ihrem eigenen Konzept nachlesen. Herr Dreßler hatte nicht den Mut, es hier vorzutragen, und die nachfolgenden Redner Ihrer Partei werden den Mut auch nicht haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich zitiere deshalb, weil Sie Ihr eigenes Konzept nicht wahrhaben wollen, aus diesem Konzept,

    (Dreßler [SPD]: Aber bitte vollständig, Herr Kollege, von vorne bis hinten!)

    und zwar in Form von Stichworten aus Ihrer Presseerklärung, Herr Dreßler, und der des Gesundheitsministers von Nordrhein-Westfalen, der der Sprecher der SPD-Gesundheitsminister ist. Ich zitiere:



    Günther
    Regionale Gesundheitskonferenzen, bestehend aus Gebietskörperschaften,

    (Zurufe von der SPD: Richtig! — Sehr gut!)

    Krankenkassen und Leistungsanbietern, die allesamt
    — hören Sie gut zu —
    in öffentlich-rechtlichen Körperschaften organisiert sind,

    (Zurufe von der SPD: Ja! — Richtig!)

    legen die Angebotskapazitäten fest und erstellen den Gesundheitsbedarfsplan einer Region.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Die brauchen den hauptamtlichen Patienten!)

    Meine Damen und Herren, reicht Ihnen das schon, oder soll ich weiter aus dem SPD-Konzept zitieren?

    (Zuruf von der SPD: Ja, bitte!)

    Die Herren selber tun das ja nicht. Öffentlich-rechtliche Körperschaften, also Behörden, sollen Ihren und meinen Gesundheitsbedarf planen, sie sollen den Gesundheitsbedarf aller Bürger planen! Planwirtschaft kennzeichnet andere Staatsformen als die unsere; sie wirkt sich stets zum Nachteil aller Bürger aus.

    (Dreßler [SPD]: Sie sollen zitieren, Herr Kollege, nicht kommentieren!)

    Deshalb lehnen wir sie ab.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dies ist die Struktur des Gesundheitswesens, die wir nicht wollen, und deshalb führt die SPD in der Tat diesen Glaubenskrieg. Sie diffamiert unser Konzept als ein sogenanntes Abkassierungsmodell, und sie wird dies — das sage ich zur ganzen Bevölkerung — in den nächsten Monaten ständig wiederholen.
    Natürlich muß man der SPD holzschnittartige Vereinfachungen durchaus zugestehen. Das, gebe ich zu, gehört auch zur Politik. Aber was uns hier vorgeworfen wird, geht in der Tat unter die Gürtellinie. Es soll bei den Versicherten, bei den Menschen im Lande den Eindruck erwecken, als sei die gesamte Reform nur darauf angelegt, ihnen Nachteile zuzufügen.

    (Zuruf von der SPD: So ist es!)

    Diese Darstellung ist wissentlich unwahr; denn Sie können unser Gesetz lesen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Wenn man lesen kann!)

    Es ist unanständig gegenüber allen Parteien der Koalition, diese so hinstellen zu wollen, als sei ihr politisches Sinnen und Trachten darauf gerichtet, dem Bürger allenthalben Nachteile zuzufügen und seinen Krankenversicherungsschutz zu untergraben.
    Genau das Gegenteil, meine Damen und Herren, ist der Fall. Unser Gesetzentwurf will die Leistungsfähigkeit der Krankenversicherung auf Dauer sichern — und dieses ist wichtig: auf Dauer sichern. Das Konzept lautet: Gegen die Ausuferung der Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung und ihre Überforderung durch allerlei Wünschenswertes setzen wir die Konzentration der Solidarität auf das Notwendige. Wer krank ist — und dies kann man nicht oft genug wiederholen, weil es immer bestritten wird — , dem
    wird auch künftig mit allen Kräften und mit allen geeigneten Mitteln geholfen werden.

    (Zuruf von der SPD: Abkassiert wird!)

    Deshalb bauen wir Überversorgungen ab, wir bekämpfen Verschwendung, um Notwendiges auch in Zukunft auf Dauer finanzieren zu können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, wir sichern die Mittel für die notwendigen Leistungen und für neue, bisher vernachlässigte Aufgaben, nämlich Pflege, Vorsorge und Früherkennung.
    Die Unwahrhaftigkeit des Vorwurfs der Opposition mit ihrem berühmten Schlagwort des Abkassierungsmodells ergibt sich aus allen Bestandteilen des Reformkonzepts und aus dessen Inhalt insgesamt. Meine Kollegen der Koalition, die noch sprechen werden, werde dieses für andere Bereiche ausführen; ich werden auf wichtige Teile des Leistungsrechts eingehen, damit die Bürger vernünftig und sachlich informiert werden.
    Gerade anhand der Festbeträge kann ich zeigen, daß es der Opposition auch in diesem Punkt nicht um eine sachliche Auseinandersetzung geht, sondern schlicht um die bloße Herabsetzung und Diffamierung einer Konzeption, und zwar deshalb, weil der Opposition wegen ihrer planwirtschaftlichen Vorstellungen die ganze Richtung nicht paßt.

    (Dreßler [SPD]: Karnevall ist aber vorbei!)

    Denn Sie wollen in der Tat die Planung. Wir wollen ein freiheitliches und soziales System. Dem entspricht das Festbetragsmodell, und es ist zudem völlig marktkonform. Deshalb paßt es der SPD auch nicht. Sie will — ich muß es wiederholen — die totale Planung im Gesundheitswesen.
    Aber weil das Festbetragsmodell marktkonform ist — denn es beschränkt sich auf die Bestimmungen des Leistungsrahmens der Krankenversicherung — , paßt es auch der Arzneimittelindustrie nicht; denn diese wünscht keineswegs mehr Wettbewerb und mehr Markt, sondern sie möchte den paradiesischen Zustand bewahren, bei dem sie sehr weitgehende Spielräume der Preisgestaltung hat und die Krankenkassen alles bezahlen müssen. Aber wenn wir diesem, wenn wir es beibehielten, wirklichen Abkassierungsmodell zu Leibe rücken wollen, versucht die SPD, uns mit allen Mitteln daran zu hindern. Dieses muß auch noch einmal deutlich gesagt werden.
    Fragen Sie, meine Herren von der SPD, einmal Herrn Rappe, was er davon hält. Vor diese Wahl gestellt, werden ihm die Festbeträge sicher dreimal lieber sein.
    Auch der DGB war die ganze Zeit über bis vor wenigen Tagen für Festbeträge. Das war auch logisch; denn Festbeträge bei Arzneimitteln, im übrigen auch bei Brillen, bei Hörgeräten, bei Heil- und Hilfsmitteln, bedeuten: Der Versicherte erhält alle notwendigen Leistungen in vollem Umfang und ohne jede Zuzahlung. Ich sage noch einmal: Sie brauchen sich über eine erhöhte Zuzahlung bei Heil- und Hilfsmitteln nicht aufzuregen. Wenn es dort Festbeträge gibt, wird der Versicherte auch dort überhaupt nichts zuzuzah-



    Günther
    len brauchen, und die Krankenkassen sind aufgerufen, mit den zuständigen Organen hier schnellstmöglich zu handeln. Dies fordere ich von dieser Stelle sehr eindringlich.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, dafür wird auch jeder Bürger sein; denn seine Interessen stehen bei immer weiter steigenden Beiträgen in der gesetzlichen Krankenversicherung auf dem Spiel. Immerhin reden wir hier für über 90 % der gesamten Bevölkerung.
    Wer also Gutes will, der muß sich darum bemühen, daß die Festbeträge sobald wie möglich und so weit wie möglich verwirklicht werden.
    Nun ist der DGB neuerdings allerdings nicht mehr für die Festbeträge; denn der Schulterschluß mit der SPD ist wichtiger als die Versorgung der Bürger.

    (Kolb [CDU/CSU]: Schulterschluß vor Vernunft!)

    Außerdem hätte man ansonsten einen weiteren brisanten Konfliktstoff gehabt. Nach der unerledigten Konflikt-Thematik der Arbeitszeitverkürzung kann man das im Augenblick nicht gebrauchen.

    (Dreßler [SPD]: Erzählen Sie doch mal, wofür die DAG ist!)

    Jawohl, meine Damen und Herren, so ist es und nicht anders. Aus solchen Gründen und auf diese Weise werden die Versicherteninteressen, die Interessen von 90 % und mehr der Bevölkerung, geopfert. Da das letztlich auch gar nicht anders vom DGB zu erwarten war, brauchte man nur noch einen guten Vorwand, um sich von der für richtig angesehenen Festbetragslösung zu verabschieden. Da kommt natürlich das Stichwort prozentuale Selbstbeteiligung.
    Ich habe überhaupt kein Problem, mich zur Frage der prozentualen Selbstbeteiligung eindeutig zu erklären. Ich war und bin kein Befürworter der prozentualen Selbstbeteiligung. Das gilt besonders für Arzneimittel.

    (Jaunich [SPD]: Aber sie kommt!)

    Denn ich bin davon überzeugt, daß richtig ist, was der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie selber dazu sagt — ich darf zitieren — :
    Die Konzentration der Arzneimittelausgaben auf relativ wenige Personen, insbesondere in den höheren Altersgruppen, kann als Hinweis auf die begrenzte Wirksamkeit prozentualer Selbstbeteiligungsregelungen mit Härtefallklauseln gewertet werden.
    Dazu noch eine Erläuterung. Zur Konzentration der Arzneimittelausgaben auf relativ wenige Personen wird im Jahresgutachten 1987 des Sachverständigenrats für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen ausgeführt, daß rund 80 % der Arzneimittelausgaben auf 25 % der Versicherten entfallen und daß die sogenannten verordnungsintensiven Patienten vor allem in den höheren Altersgruppen zu finden sind. Die Pharmaindustrie sagt also selbst: Prozentuale Selbstbeteiligungen mit Härtefallklauseln — denn diese werden von allen für notwendig gehalten — haben nur eine begrenzte Steuerungswirkung. Aber gerade
    deshalb sind natürlich die Pharmaindustrie, andere Leistungserbringer und andere Anbieter dafür.
    Von diesem Instrument ist also weder hinsichtlich einer Dämpfung der Preise noch hinsichtlich einer Dämpfung der Menge der Leistungen Wesentliches zu erwarten. Für uns ist deshalb klar: Ab Inkrafttreten des Gesetzes kommen Festbeträge. Das ist für die Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen, also für die Nachahmerpräparate der Gruppe eins der entsprechenden Gesetzesvorschrift, unproblematisch machbar. Diese Aussage gilt auch für einen Teil der Gruppe zwei, also für die Arzneimittel mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen.
    In diesem Bereich der Arzneimittel entfällt somit für den Versicherten jede Zuzahlung. Heute zahlt er 2 DM pro Medikament, in Zukunft zahlt er dafür überhaupt nichts. Dabei rechne ich damit, daß bis 1991 über 50 % der Arzneimittel unter den Festbetrag fallen werden. Also auch an dieser Stelle wieder nichts vom Abkassierungsmodell.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    In diesem Bereich spart der Versicherte bei jedem verordneten Arzneimittel die berühmten 2 DM, und die Krankenversicherung spart Ausgaben, die wir im Jahre 1989 zunächst vorsichtig auf 500 Millionen DM schätzen, im Jahre 1990 auf 950 Millionen DM, im Jahre 1991 auf 1,4 Milliarden DM und im Jahre 1992 auf 2 Milliarden DM; zum Wohle der Versicherten und zur Beitragsstabilität, meine Damen und Herren. Die Arzneimittelindustrie und die Apotheker gehen von erheblich höheren Zahlen aus. Das kann ich verstehen. Sie sind meines Erachtens aber falsch. Klar ist jedenfalls, daß es die Leistungserbringer sind, die die Umsatzeinbußen in hundertfacher Millionenhöhe hinnehmen müssen, während die Krankenkassen und damit selbstverständlich die Versicherten in entsprechender Höhe entlastet werden.
    Hieran ändert das Vorhaben überhaupt nichts, daß ab 1991 neben den Festbeträgen mit einer prozentualen Selbstbeteiligung gearbeitet wird; denn die Festbeträge gelten auch über 1991 hinaus weiter. Es gilt, daß auch ab 1991 weiterhin alle dafür geeigneten Arzneimittel nach und nach in die Festbetragslösung überführt werden. Auch das wird oft verschwiegen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Auch das Verfahren, nach dem Festbeträge zustande kommen, ist einwandfrei und klar geregelt. Der Bundesausschuß Ärzte und Krankenkassen bestimmt, für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge festgesetzt werden. Dabei sind Sachverständige der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft und Praxis sowie die Arzneimittelhersteller und die Apotheker beteiligt. Fachlicher Sachverstand und sachliche Richtigkeit sind also gewährleistet. Nicht die Politiker bestimmen die Festbeträge, sondern die Krankenkassen setzen die jeweiligen Festbeträge fest.
    Ich bin Herrn Heitzer vom AOK-Bundesverband sehr dankbar, daß er in der Sendung im ZDF gestern abend noch einmal sehr deutlich gesagt hat, daß die Krankenkassen die Versicherten nicht im Stich lassen und dafür sorgen würden, daß nach wie vor eine ver-



    Günther
    nünftige, medizinisch notwendige Versorgung gewährleistet sein werde durch das Festsetzen der Festbeträge durch die Krankenkassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Scharrenbroich [CDU/CSU]: Der Kollege Reimann von der IG Chemie hat das immer noch nicht verstanden!)

    Über die Arzneimittel hinaus soll auch die Versorgung der Versicherten mit Heil- und Hilfsmitteln auf Festbeträge umgestellt werden. Kritik an dieser Bestimmung des gesamten Leistungsrahmens der Krankenversicherung ist daher nicht berechtigt; denn für mehr als diesen Rahmen, also für mehr als das Notwendige, ist die Solidarkasse nicht zuständig.
    Herr Dreßler, ich muß Ihnen sagen: Wenn Sie hier dazu auffordern, schnell noch Valium zu besorgen, weil es dies demnächst nicht mehr gibt, ist das genau eine Aufforderung zur Ausbeutung der Krankenversicherung.

    (Lachen bei der SPD — Jaunich [SPD]: Das muß doch wohl ein Arzt verschreiben, oder ist das nicht verschreibungspflichtig? — Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Dafür gibt es heute schon Generika! — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU] : Nach dessen Rede können die Leute nicht mehr schlafen!)

    Denn wenn das Ihr Konzept ist, dann können Sie damit erst recht einmal abtreten. Dies, meine Damen und Herren, ist die Wahrheit, Sie haben dies hier heute getan.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, diese Gesundheitsreform ist mit das bedeutendste gesellschaftspolitische Vorhaben dieser Wahlperiode.

    (Jaunich [SPD]: Was ist das, was war das? Können Sie das noch einmal wiederholen?)

    Wir streben eine solidarische Erneuerung der gesetzlichen Krankenversicherung an. Wir wollen das hohe Niveau unseres Gesundheitswesens langfristig sichern und die Krankenkassen auf Dauer finanziell stabilisieren.
    Und wir stehen, meine Damen und Herren, um das noch einmal unmißverständlich zu sagen, solidarisch zu unserem hervorragenden Arbeitsminister Dr. Norbert Blüm.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Widerspruch bei der SPD)