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ID1107802000

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    Plenarprotokoll 11/78 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 78. Sitzung Bonn, Freitag, den 6. Mai 1988 Inhalt: Tagesordnungspunkt 24: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz) (Drucksache 11/ 2237) b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Reichsversicherungsordnung (Drucksache 11/280) c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (Drucksache 11/1623) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einordnung der Vorschriften über die Meldepflichten des Arbeitgebers in der Kranken- und Rentenversicherung sowie im Arbeitsförderungsrecht und über den Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags in das Vierte Buch Sozialgesetzbuch — Gemeinseme Vorschriften für die Sozialversicherung — (Drucksache 11/2221) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von der Abgeordneten Frau Unruh und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzierung einer besseren Pflege (Bundespflegegesetz) (Drucksache 11/1790 [neu]) Dr. Blüm CDU/CSU 5273 D Dreßler SPD 5281 A Dr. Blüm CDU/CSU (Erklärung nach § 30 GO) 5287 C Dreßler SPD (Erklärung nach § 30 GO) . 5288 A Cronenberg (Arnsberg) FDP 5288 A Frau Wilms-Kegel GRÜNE 5292 D Günther CDU/CSU 5296 B Egert SPD 5299 B Seehofer CDU/CSU 5303 B Frau Unruh GRÜNE 5306B, 5324 A Dr. Thomae FDP 5308 A Heyenn SPD 5309 D Dr. Becker (Frankfurt) CDU/CSU . . . 5311D Dr. Knies, Minister des Landes Niedersachsen, Beauftragter des Bundesrates . . . 5314 C Jaunich SPD 5316A Wüppesahl fraktionslos 5318D Zink CDU/CSU 5320 B Haack (Extertal) SPD 5321 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA 5324 B Nächste Sitzung 5325 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 5327* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 5327* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Mai 1988 5273 78. Sitzung Bonn, den 6. Mai 1988 Beginn: 9.03 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein * 6. 5. Dr. Ahrens * 6. 5. Dr. Bangemann 6. 5. Frau Beck-Oberdorf 6. 5. Becker (Nienberge) 6. 5. Frau Blunck * 6. 5. Böhm (Melsungen) * 6. 5. Büchner (Speyer) * 6. 5. Bühler (Bruchsal) * 6. 5. Catenhusen 6. 5. Frau Conrad 6. 5. Daweke 6. 5. Dr. Dregger 6. 5. Frau Fischer * 6. 5. Frau Flinner 6. 5. Gallus 6. 5. Gattermann 6. 5. Frau Geiger 6. 5. Geis 6. 5. Dr. Geißler 6. 5. Dr Götz 6. 5. Dr. Hauff 6. 5. Dr. Haussmann 6. 5. Frhr. Heeremann von Zuydtwyck 6. 5. Hiller (Lübeck) 6. 5. Dr. Hitschler * 6. 5. Ibrügger 6. 5. Jansen 6. 5. Jungmann 6. 5. Klein (Dieburg) 6. 5. Klein (München) 6. 5. Dr. Klejdzinski 6. 5. Leidinger 6. 5. Lemmrich * 6. 5. Link (Diepholz) 6. 5. Frau Luuk * 6. 5. Meyer 6. 5. Dr. Müller * 6. 5. Dr. Neuling 6. 5. Niegel * 6. 5. Frau Pack * 6. 5. Pfeifer 6. 5. Dr. Probst 6. 5. Reddemann * 6. 5. Regenspurger 6. 5. Reuschenbach 6. 5. Dr. Riedl (München) 6. 5. Ronneburger 6. 5. Roth (Gießen) 6. 5. Frau Rust 6. 5. Dr. Scheer * 6. 5. Scheu 6. 5. Schmidt (München) * 6. 5. von Schmude * 6. 5. Dr. Schneider (Nürnberg) 6. 5. Schreiner 6. 5. Schröer (Mülheim) 6. 5. Frau Simonis 6. 5. Steiner * 6. 5. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Uelhoff 6. 5. Dr. Unland * 6. 5. Dr. von Wartenberg 6. 5. Wimmer (Neuss) 6. 5. Wissmann 6. 5. Würtz 6. 5. Zierer * 6. 5. Dr. Zimmermann 6. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 29. April 1988 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Gesetz über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1988 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge in Zivil- und Handelssachen (Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz - AVAG) Gesetz zu dem Übereinkommen vom 10. April 1984 über den Beitritt der Republik Griechenland zu dem am 19. Juni 1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Gesetz zu der Änderung vom 16, Oktober 1985 des Übereinkommens vom 3. September 1976 über die Internationale Seefunksatelliten-Organisation (INMARSAT-Übereinkommen) Gesetz zu dem Dritten Protokoll vom 12. Mai 1987 zur Änderung des Vertrages vom 27. Oktober 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik und dem Großherzogtum Luxemburg über die Schiffbarmachung der Mosel Gesetz zu dem Übereinkommen vom 11. Dezember 1987 zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, der Italienischen Republik, dem Königreich der Niederlande und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland über Inspektionen in bezug auf den Vertrag zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Beseitigung ihrer Flugkörper mittlerer und kürzerer Reichweite Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht: Rechtsausschuß Drucksache 10/5012 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 11/841 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß sie die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen haben: Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/2089 Nr. 3-8 Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Drucksache 11/1895 Nr. 2.35 Ausschuß für Verkehr Drucksache 11/929 Nr. 2.28 Drucksache 11/1107 Nr. 2.11 Drucksache 11/1707 Nr. 29 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 11/779 Nr. 2.55 Drucksache 11/1365 Nr. 3.30 Drucksache 11/1656 Nr. 3.39 Anlagen zum Stenographischen Bericht
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    Rede von Rudolf Dreßler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In seiner Regierungserklärung vom 18. März 1987 hat der amtierende Bundeskanzler angekündigt:
    Wir brauchen ... eine Generalüberholung der sozialen Krankenversicherung mit dem Ziel erhöhter Wirtschaftlichkeit bei vertretbaren Beitragssätzen. Eine umfassende Strukturreform im Gesundheitswesen wird unverzüglich eingeleitet.
    Meine Damen und Herren, mit dem, was uns die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP heute als Gesetzentwurf andienen, soll bei den Bürgerinnen und Bürgern der Eindruck erweckt werden, die Ankündigung von Herrn Kohl in seiner Regierungserklärung werde erfüllt.
    Mit seinem sattsam bekannten Wortschwall versucht insbesondere der Bundesarbeitsminister, der Öffentlichkeit einzureden, dies sei die versprochene Gesundheitsreform. Für die SPD-Fraktion stelle ich fest: Das, was wir heute in erster Lesung beraten, hat mit einer Gesundheitsreform nichts, aber auch gar nichts zu tun.

    (Beifall bei der SPD)

    Das, was wir heute debattieren, ist vielmehr eine Fortsetzung der Politik der gnadenlosen Umverteilung von unten nach oben.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Sie sollten sich einmal etwas Neues einfallen lassen!)

    Was wir heute beraten, ist ein reines Abkassierungsmodell zu Lasten der Versicherten, zu Lasten der Kranken und zu Lasten der Patienten.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Da sagt dieser Arbeitsminister hier, das sei Politik mit Herz. Wissen Sie, was das ist, Herr Blüm? Sozialpolitik aus dem Geldbeutel der kleinen Leute. Das ist das, was Sie hier betreiben.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Wenn die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP das heute zur Beratung anstehende Abkassierungsgesetz als ersten Schritt zu einer Strukturreform im Gesundheitswesen ausgeben, so betreiben sie Etikettenschwindel. Ja, sie betreiben eine bewußte Täuschung der Öffentlichkeit. Ziel ist, von den eigentlichen unsozialen Auswirkungen ihres Vorhabens abzulenken.
    Diskussion und Wortwahl im Regierungslager im Zusammenhang mit diesem Gesetzesvorhaben sind in den vergangenen Wochen und Monaten auf erstaunliche Weise verschoben worden. War noch in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers die „sachgemäße, die qualitativ hochwertige und finanzierbare Versorgung der Patienten" Ziel einer Gesundheitsreform, so wird heute vor allen Dingen von der Senkung angeblich zu hoher Lohnnebenkosten gesprochen. Nicht mehr die sachgerechte Versorgung der Patienten bei stabilen Beitragssätzen steht im Vordergrund, sondern die Senkung der Ausgaben der Betriebe für die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger. Das ist etwas ganz anderes.

    (Frau Steinhauer [SPD]: So ist es!)

    Sie wollen die Unternehmer entlasten und die kranken Arbeitnehmer belasten, Herr Blüm. Das ist die Quintessenz.

    (Beifall bei der SPD)

    Ihr Abkassierungsmodell im Gesundheitswesen fügt sich nahtlos an Ihre unsoziale Steuerreform an.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Den Kleinen wird genommen und den Großen wird gegeben.

    (Frau Limbach [CDU/CSU]: Das ist doch unwahr! Das wissen Sie doch!)

    — Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ein guter Ratschlag, weil Sie sich so aufregen:

    (Frau Limbach [CDU/CSU]: Aber nicht von Ihnen!)

    Laufen Sie bitte schnell zum nächsten Arzt. Lassen Sie sich noch einmal das Beruhigungsmittel Valium verschreiben. Das wird nämlich auch gestrichen.

    (Frau Limbach [CDU/CSU]: Das brauchen Sie, Herr Dreßler! — Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Das heißt jetzt Diazepam!)

    Senkung der Lohnnebenkosten: Das zeigt, wie Sie über das, was sich mit diesem Begriff verbindet, denken. „Lohnnebenkosten", das meinen Sie doch abwertend. Sie verstehen darunter doch überflüssigen Ballast, den es abzuwerfen gelte. So ist das von Ihnen doch gemeint.

    (Heyenn [SPD]: So ist es!)

    Als sich der Bundestag im vergangenen September zum erstenmal mit diesen Plänen beschäftigte, hat Herr Blüm — wie üblich — das Blaue vom Himmel versprochen. Ausgewogen sollte das Gesetz werden. Die Lasten sollten gleichmäßig auf Patienten und Kranke einerseits und auf Ärzte, Zähnärzte und Pharma-Industrie andererseits verteilt werden. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat von



    Dreßler
    dieser Stelle aus sein Wort gegeben, vor den mächtigen Interessengruppen der Anbieter im Gesundheitswesen nicht in die Knie zu gehen. Und wie sieht das heute aus?

    (Feilcke [CDU/CSU]: Genauso!) Sie, Herr Blüm, haben Ihr Wort gebrochen.


    (Zustimmung bei der SPD)

    Herr Blüm, Sie sind in die Knie gegangen vor Verbänden der Ärzte, der Zahnärzte und vor allen Dingen vor der pharmazeutischen Industrie.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

    Von Ausgewogenheit keine Spur.
    Das beste Beispiel ist der von Ihnen angekündigte Solidarbeitrag der pharmazeutischen Industrie. Sie haben Ihr Wort gegeben, daß es ein Gesetz ohne einen Solidarbeitrag der pharmazeutischen Industrie nicht geben werde. Sie haben sogar die Höhe dieses sogenannten Solidarbeitrages festgelegt: 1,7 Milliarden DM sollten es sein. Herr Blüm, ich frage Sie: Wo ist der Solidarbeitrag der pharmazeutischen Industrie, den Sie zur Vorbedingung für dieses Gesetzesvorhaben gemacht haben? — Ich stelle fest: Einen Solidarbeitrag der Pharmaindustrie gibt es nicht.

    (Scharrenbroich [CDU/CSU]: Fragen Sie Herrn Apel! — Feilcke [CDU/CSU]: Den hat Apel verhindert!)

    Die pharmazeutische Industrie erklärt zudem verbindlich, einen solchen Solidarbeitrag werde es auch in Zukunft nicht geben. Der Bundesarbeitsminister hat die Öffentlichkeit hinters Licht geführt. Das ist Täuschung und Wortbruch, Herr Blüm.

    (Beifall bei der SPD)

    Als wir uns vor 14 Tagen in einer Aktuellen Stunde mit dem Gesundheitswesen befaßten, hat der Arbeitsminister von dieser Stelle aus erklärt, das, was im Gesundheitswesen eingespart werde — das hat er heute auch wieder gesagt — , gehe den Versicherten nicht verloren, es werde ihnen vielmehr zurückgegeben

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es doch!)

    in Form von neuen Leistungen und in Form von Beitragssatzsenkungen. Zurückgegeben? — Das ist eine Verhöhnung der Versicherten und Patienten, Herr Blüm. Sie kassieren bei den Kranken durch drastische Selbstbeteiligungsregelungen ab und wollen damit die Leistungen für die Pflegebedürftigkeit verbessern. Es ist der Gipfel sozialer Ungerechtigkeit, wenn die Kranken die Pflegebedürftigen finanzieren müssen, Herr Blüm.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Herr Blüm, seit wann muß eine benachteiligte Gruppe für die Benachteiligungen anderer Gruppen einstehen? — Seit Sie Arbeitsminister sind, seit dieser Zeit ist das der Fall.

    (Beifall bei der SPD)

    Fällt Ihnen eigentlich angesichts der Ärzteeinkommen von durchschnittlich über 150 000 DM im Jahr,
    von Zahnärzteeinkommen von durchschnittlich über
    200 000 DM im Jahr, von Spitzengewinnen in der pharmazeutischen Industrie wirklich keine andere Finanzierung für die notwendige Verbesserung der Leistungen bei Pflegebedürftigkeit ein, als ausgerechnet die Kranken zur Kasse zu bitten?

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Das Schlimme ist, daß Sie wissen, daß es nicht stimmt!)

    Was Sie hier betreiben — Herr Cronenberg, auch Sie —, hat nichts mit Ausgewogenheit zu tun. Das ist sozialer Zynismus, was Sie hier betreiben.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Das ist eine infame Lüge!)

    Vor drei Tagen hat der amtierende Arbeitsminister im Rahmen seiner öffentlichen Auftritte — hier war es das Westdeutsche Fernsehen — mit sichtbar stolz geschwellter Brust — heute auch wieder — zu seinem Gesetzentwurf wörtlich erklärt: „So weit hat sich noch niemand vorgetraut. " Diese entlarvende Feststellung will ich dick unterstreichen: Kein Sozialminister, egal, ob Sozialdemokrat oder Christdemokrat, hat mit solcher Kaltschnäuzigkeit den Patienten das Geld aus der Tasche gezogen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)

    So weit ist tatsächlich noch niemand gegangen. So weit sind in der Vergangenheit auch noch keine Abgeordneten der CDU/CSU gegangen.

    (Zustimmung bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Sie sind die ersten, die so weit gehen.
    2,5 Milliarden DM streichen Sie beim Zahnersatz. 1 Milliarde DM, später 2 Milliarden DM beim Sterbegeld. 2,4 Milliarden DM Beitragserhöhung in der Rentnerkrankenversicherung.

    (Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Geben wir zurück, wenn der Beitrag sinkt!)

    500 Millionen DM werden abkassiert durch Erhöhung der Rezeptgebühr. 150 Millionen DM Streichungen bei Heilmitteln, 760 Millionen DM bei Brillen, 170 Millionen DM bei Hörgeräten, 300 Millionen DM bei Hilfsmitteln, 250 Millionen DM bei der Kieferorthopädie, 170 Millionen DM bei Kuren, 800 Millionen DM bei Fahrtkosten. — Ja, Herr Blüm, es ist richtig: So weit hat sich noch niemand vorgetraut.
    Deshalb wenden wir uns jetzt dem Kapitel Bagatellen und dem Kapitel Luxus zu. Originalton Blüm als Rechtfertigung:
    Bagatellen werden nicht mehr bezahlt. Luxus ist nicht Sache der Krankenversicherung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Eine der vielen unstrittigen Bla-Bla-Erklärungen!

    (Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Das behaupten Sie doch selbst!)

    Bereits im Dezember 1987, vor fünf Monaten, habe ich von dieser Stelle aus gefragt: Ist es eine Bagatelle, wenn ein Arbeitnehmer mit 2 500 DM Monatsein-



    Dreßler
    kommen für seine Zahnprothese von 3 000 DM — ein üblicher Preis — zukünftig 1 500 DM selbst bezahlen muß?

    (Zuruf des Abg. Seehofer [CDU/CSU])

    — Ist das eine Bagatelle, Herr Seehofer?

    (Seehofer [CDU/CSU]: Das ist doch konstruiert, was Sie sagen!)

    Oder soll es neuerdings so sein, daß die Zahnprothese unter „Luxus" fällt?
    Im Dezember wurde diese Frage nicht beantwortet. Der Arbeitsminister, die CDU/CSU, die FDP hatten nun fünf Monate Zeit, sich eine Antwort zu überlegen. Ich bin gespannt, ob die Regierungsparteien mittlerweile sprachfähig geworden sind.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Sie hören ja nicht zu!)

    Diese Regierung ist so sozial, daß sie den Kranken per Gesetz für die zukünftig hohen Zahnarztrechnungen Raten- und Abschlagszahlungen gewährt.

    (Urbaniak [SPD]: Unerhört! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Diese Bundesregierung und die CDU/CSU wissen also genau, daß die Patienten die Rechnungen nicht mehr bezahlen können.

    (Urbaniak [SPD]: Kredithaie!)

    Meine Damen und Herren von der Koalition, ein Wort zum Sterbegeld. Sie wollen den Bürgern das Sterbegeld brutal zusammenstreichen oder ganz wegnehmen. Warum sagen Sie den Bürgern nicht, daß den Mitgliedern des Deutschen Bundestages ein Sterbegeld von 16 908 DM zusteht? Diejenigen, die fast 17 000 DM an Sterbegeld bekommen, nehmen den kleinen Leuten das Sterbegeld weg! Da kann ich nur sagen: Pfui Deibel!

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Lachen bei der CDU/CSU)

    Was Sie hier machen — und da lachen die noch! —, ist eine Politik nach dem Motto: den Kleinen Wasser predigen, aber selber den Wein saufen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Über Sie kann man nur noch weinen!)

    Wenn die Bürger angesichts einer solch schamlosen Verhaltensweise die Auffassung vertreten, die da oben würden sich auf Kosten der kleinen Leute zunächst einmal selbst bedienen, wer wollte dem dann noch widersprechen? Was hat das noch mit Solidarität zu tun?

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Herr Dreßler, haben Sie bei der Diätenerhöhung zugestimmt?)

    Wir werden unser besonderes Augenmerk auch auf die Haltung der CDU-Sozialausschüsse richten. Der vorgelegte Gesetzentwurf ist mit den Beschlüssen des letzten Bundeskongresses der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft unvereinbar. Er läuft den Erklärungen vom Oktober 1987 diametral entgegen. Es wird sich zeigen, ob sich die Sozialausschüsse — wie so oft in der Vergangenheit — als Trojanisches
    Pferd in den Reihen der Arbeitnehmerschaft mißbrauchen lassen.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Sehr gut!)

    Es wird sich zeigen, ob einmal mehr nach dem Grundsatz verfahren wird: Was schert mich mein dummes Geschwätz — sprich: meine Beschlußlage — von gestern?

    (Scharrenbroich [CDU/CSU]: Deswegen haben wir die Festbeträge!)

    Was wollten Sie noch alles? Sie wollten die andere Hälfte der abkassierten Milliarden den Beitragszahlern zurückgeben — ein starkes Stück angesichts der tatsächlichen Auswirkungen Ihres Gesetzes. Da fällt mir zuallererst die von Ihnen geplante Beitragsrückerstattung für die Gesunden ein. Sie schröpfen die Alten und Kranken und geben es den Gesunden und Jungen zurück. Was hat das mit sozialer Gerechtigkeit zu tun, frage ich Sie.

    (Beifall bei der SPD — Scharrenbroich [CDU/ CSU]: Das ist pure Demagogie, was Sie da betreiben!)

    Es ist schon schlimm genug, daß Sie die kleinen Leute mit Ihrer Politik durch den Kakao ziehen, aber das Sie von ihnen verlangen, diesen Kakao auch noch selbst auszutrinken, das ist eine bodenlose Verhöhnung.

    (Frau Limbach [CDU/CSU]: Und was Sie betreiben, das ist bodenlose Demagogie!)

    Herr Blüm will unser Gesundheitswesen billiger machen, sagt er. Wer hätte denn etwas dagegen? Es ist genug da, was billiger werden könnte. Aber genau da verändert Herr Blüm nichts. Statt dort zu sparen, piesacken Sie die kleinen Leute mit Selbstbeteiligungen oder verschlechtern ihre Versorgung: beim Zahnersatz, in der Kieferorthopädie, beim Sterbegeld, beim Rentnerkrankenversicherungsbeitrag, um nur einiges zu nennen.
    Keine schnoddrige Bemerkung ist diesem Sozialminister zu billig und kein Vergleich verächtlich genug. Gegenüber der „Dithmarscher Landeszeitung", Ausgabe vom 2. Mai 1988, erklärte dieser Bundesminister — ich zitiere wörtlich — :
    Früher sind die Leute mit 35 Jahren fröhlich gestorben, heute jammern sie sich bis 80 durch.

    (Pfui-Rufe von der SPD — Jahn [Marburg] [SPD]: Das ist doch nicht zu fassen!)

    Herr Blüm, Sie überschreiten mit solchen verächtlichen Äußerungen die Grenze des Zumutbaren.

    (Dr. Vogel [SPD]: Noch einmal langsam wiederholen! — Weitere Zurufe von der SPD — Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Und das aus Ihrem Munde?)

    Wenn Ihnen die Argumente fehlen, Herr Blüm, um Ihre unsoziale Politik zu verteidigen, ersparen Sie den Bürgerinnen und Bürgern solche unzumutbaren Äußerungen!

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)




    Dreßler
    Da stellt er sich hier hin und sagt: Wir handeln gegen Geschmacklosigkeiten. Herr Blüm, jammern Sie hier nicht herum, wenn Sie mit Ihren Geschmacklosigkeiten Ihre Kritiker einholen und sogar noch überbieten.

    (Frau Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Der Dreßler beißt wieder ins Mikrophon!)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reimann?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Rudolf Dreßler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Bitte.