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    Plenarprotokoll 11/75 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 75. Sitzung Bonn, Freitag, den 22. April 1988 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 5059 A Wahl des Abg. von der Wiesche zum Schriftführer als Nachfolger des Abg. Schreiner . 5075 D Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde betr. Auswirkungen der Vorhaben der Bundesregierung zur Strukturreform im Gesundheitswesen Hoss GRÜNE 5059 B Dr. Becker (Frankfurt) CDU/CSU . . . 5060 C Dreßler SPD 5061 B Cronenberg (Arnsberg) FDP 5062 B Dr. Blüm, Bundesminister BMA 5063 C Heinemann, Minister des Landes NordrheinWestfalen 5065 C Seehofer CDU/CSU 5066 D Kirschner SPD 5067 D Dr. Thomae FDP 5068 D Frau Unruh GRÜNE 5069 D Günther CDU/CSU 5070 A Haack (Extertal) SPD 5071 A Frau Limbach CDU/CSU 5072 B Egert SPD 5073 A Wüppesahl fraktionslos 5074 B Kolb CDU/CSU 5074 D Tagesordnungspunkt 16: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Susset, Eigen, Michels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paintner, Bredehorn, Heinrich, Frau Folz-Steinacker, Dr. Rumpf, Timm und der Fraktion der FDP zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD: Agrarbericht 1987 (11/536, 11/85, 11/86, 11/521, 11/1347) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Agrarbericht 1988 (Drucksachen 11/1760, 11/1761) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Flinner, Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN: Flächengebundene Bestandsobergrenzen in der Tierhaltung zum Schutz der bäuerlichen Landwirtschaft und der Umwelt (Drucksache 11/ 1986) d) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs einen Gesetzes über die Förderung der Sillegung landwirtschaftlicher Nutzflächen sowie der Extensivierung und Umstellung der Erzeugung (Extensivierungsgesetz) (Drucksache 11/2158) e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Flinner, Kreuzeder und der Fraktion DIE GRÜNEN: Einführung eines 50 %igen Beimischungszwangs von Getreide für die Mischfutterindustrie (Drucksachen 11/ 580, 11/1535 (neu) Kiechle, Bundesminister BML . . 5076C, 5105 B Oostergetelo SPD 5080 D II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. April 1988 Susset CDU/CSU 5083 B Frau Flinner GRÜNE 5086 A Paintner FDP 5088 B Jansen SPD 5090 B Eigen CDU/CSU 5093 A Kreuzeder GRÜNE 5095 A Bredehorn FDP 5097 A Kißlinger SPD 5099 C Niegel CDU/CSU 5101 C Frau Adler SPD 5103 B Pfuhl SPD 5104 C Zusatztagesordnungspunkt: Einspruch des Abgeordneten Thomas Wüppesahl gegen den am 21. April 1988 erteilten Ordnungsruf 5106 D Nächste Sitzung 5106 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 5107* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 5107* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. April 1988 5059 75. Sitzung Bonn, den 22. April 1988 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 22. 4. Dr. Ahrens * 22. 4. Frau Beck-Oberdorf 22. 4. Dr. Biedenkopf 22. 4. Borchert 22. 4. Brandt 22. 4. Breuer 22. 4. Frau Bulmahn 22. 4. Carstens (Emstek) 22. 4. Daubertshäuser 22. 4. Dr. Dollinger 22. 4. Doss 22. 4. Ebermann 22. 4. Frau Fischer 22. 4. Gattermann 22. 4. Dr. Glotz 22. 4. Dr. Götz 22. 4. Gröbl 22. 4. Dr. Haack 22. 4. Frau Dr. Hamm-Brücher 22. 4. Dr. Hauff 22. 4. Haungs 22. 4. Heinrich 22. 4. Irmer 22. 4. Jaunich 22. 4. Kastning 22. 4. Dr. Klejdzinski 22. 4. Louven 22. 4. Neumann (Bremen) 22. 4. Regenspurger 22. 4. Reuschenbach 22. 4. Frau Schilling 22. 4. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Schmidt (Nürnberg) 22. 4. Dr. Schmude 22. 4. Dr. Schneider (Nürnberg) 22. 4. Schröer (Mülheim) 22. 4. Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) 22. 4. Frau Simonis 22. 4. Spilker 22. 4. Stratmann 22. 4. Frau Trenz 22. 4. Voigt (Frankfurt) 22. 4. Wartenberg (Berlin) 22. 4. Frau Wieczorek-Zeul 22. 4. Wilz 22. 4. Wischnewski 22. 4. Dr. Zimmermann 22. 4. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Vorsitzende des Innenausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 11/883 Nr. 26, 28 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß sie die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen haben: Finanzausschuß Drucksache 11/1895 Nr. 2.1 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/1998 Nr. 2.1 bis 2.4 Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Drucksache 11/1895 Nr. 2.36
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    Rede von Ignaz Kiechle


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs am 11. und 12. Februar dieses Jahres in Brüssel hat auf dem weiteren Weg nach Europa eine ganze Reihe von Barrieren beiseite räumen können. So beschlossen die Staats- und Regierungschefs eine beträchtliche Erhöhung der Eigenmittel der Gemeinschaft, um die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit abzuwenden, eine neue Lastenverteilung zwischen den Mitgliedstaaten bei der Mittelaufbringung, eine Aufstockung der Mittel für die Strukturfonds, um verstärkt den wirtschaftlich schwachen Ländern und Regionen der Gemeinschaft zu helfen.
    Speziell im Agrarbereich wurde die EG-Agrarpolitik insgesamt auf eine neue finanzielle Basis gestellt, wurde bei pflanzlichen Erzeugnissen neben Produktionsschwellen die sogenannte Flächenstillegung als obligatorisches Instrument der Mengenanpassung EG-weit eingeführt, kann älteren Landwirten ein Angebot gemacht werden, die Bewirtschaftung ihrer Betriebe einzustellen, bevor sie das normale Rentenalter erreichen.
    Die EG-Agrarpolitik war in den letzten Jahren ganz eindeutig durch die schwierige Haushaltslage der Europäischen Gemeinschaft bestimmt. Mehr als einmal schien die EG dem finanziellen Zusammenbruch nahe. Mit den zukunftsweisenden Gipfelbeschlüssen zum EG-Haushalt gibt es nun auch wieder mehr Klarheit für die EG-Agrarpolitik.
    Darüber hinaus ist deutlich geworden: Der Wille, den europäischen Binnenmarkt in den 90er Jahren zu vollenden, ist nicht nur gewachsen, er hat auch Kompromisse möglich gemacht, mit denen zuvor kaum einer gerechnet hat. Das weitere wirtschaftliche und politische Zusammenwachsen in der Europäischen Gemeinschaft ist somit eine Tatsache, auf die sich alle Bereiche — natürlich auch die EG-Landwirtschafts-und -Agrarpolitik — einzustellen haben; denn die Beseitigung von Handelshemmnissen und Grenzbarrieren, die Vereinheitlichung der Wettbewerbsbedingungen, zusätzliche Chancen für Wachstum und Be-



    Bundesminister Kiechle
    schäftigung, aber auch mehr Wettbewerb werden die Folgen sein.
    Die EG-Agrarpolitik hat in der Vergangenheit oft im Brennpunkt öffentlichen Interesses gestanden. Meist hat sie negative Schlagzeilen gemacht. Die in Art. 39 des EWG-Vertrages aufgeführten Ziele, nämlich die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern, auf diese Weise der landwirtschaftlichen Bevölkerung bessere Einkommen und eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten, die Märkte zu stabilisieren, die Versorgung mit Nahrungsmitteln sicherzustellen, für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen, hat die EG zum Teil erfüllt. Einige Ziele hat sie sogar übererfüllt.
    Statt mit dem Mangel wie noch vor 30 Jahren kämpfen wir heute mit dem Überfluß in der Nahrungsmittelerzeugung.
    Ein weiteres Beispiel für einen hohen Grad der Zielverwirklichung der EG-Agrarpolitik: Wären die Preise für Nahrungsmittel bei uns in den letzten acht Jahren in gleichem Umfang wie die übrige Lebenshaltung gestiegen, hätten die Verbraucher 1986/87 je rund 13 Milliarden DM mehr dafür ausgeben müssen.
    Neben dieser Erfolgsbilanz zeigt der Agrarbericht 1988 aber auch ganz deutlich die Schattenseiten oder das auf, was nicht erreicht wurde. Die Einkommenssituation in der Landwirtschaft ist alles andere als befriedigend — zumindest bei uns. Während sich im abgelaufenen Wirtschaftsjahr die Gewinne der Vollerwerbsbetriebe im Durchschnitt des Bundesgebietes leicht verbessern konnten — je Unternehmen um 2,6 % auf 39 653 DM —, ist im laufenden Wirtschaftsjahr, das am 1. Juli zu Ende geht, wieder mit einem deutlichen Rückgang der Gewinne um 7 % zu rechnen.
    Ein Auf und Ab bei den Einkommen ist für selbständige Berufe nichts Ungewöhnliches und für den landwirtschaftlichen Betrieb nicht selten eine Folge auch der Witterung, denn sie beeinflußt Erntemenge und -qualität. Seit gut einem Jahrzehnt, genauer seit dem Wirtschaftsjahr 1975/76, allerdings verharrt, mit Schwankungen, der durchschnittliche Gewinn unserer Vollerwerbsbetriebe jedoch ziemlich auf der Stelle. Er lag 1975/76 bei 25 900 DM und liegt im Wirtschaftsjahr 1986/87 je Arbeitskraft bei 26 700 DM. Der Abstand zum gewerblichen Vergleichslohn ist in dieser Zeit zunehmend größer geworden.
    Für die, die sich die Sache sehr einfach machen, sind die Schuldigen dieser Einkommensmisere jeweils immer schnell ausgemacht. So wird der EG-Agrarpolitik vorgeworfen, den Bauern die notwendigen Preisanhebungen für ihre Produkte zu verweigern; der Bundesregierung wird vorgehalten, zuwenig für die Bauern zu tun.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Richtig!) Wo und was sind aber die Tatsachen?

    Zunächst einmal zu den geforderten Preisanhebungen. Preisanhebungen müssen nicht nur gewollt, sondern am Markt auch durchsetzbar sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es zeigt sich jedoch jeden Tag aufs neue: Solange auf wichtigen Agrarmärkten Überschüsse erzeugt werden, gibt es kaum Spielraum für positiv wirkende preispolitische Maßnahmen. Im Gegenteil: Ohne Reformschritte zur Mengenbegrenzung wächst die Gefahr, daß das preispolitische Netz der landwirtschaflichen Marktordnungen ständig schwächer, ja schließlich sogar völlig wirkungslos wird. Dies konnte die Bundesregierung bisher nie akzeptieren, und eine solche Entwicklung wird sie auch nicht hinnehmen.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Werden Sie Ihre Bauern opfern?)

    Eines muß man aber sehen: Bei der Erzeugung sogenannter nördlicher Produkte, wie Milch, Getreide und Fleisch — Produkte, mit denen wir mit unseren direkten Nachbarn in Konkurrenz stehen — , wirtschaften viele unserer Betriebe unter schwierigen strukturellen und regionalen Verhältnissen. Immerhin liegen bei uns 50 % der Flächen in benachteiligten Gebieten. In größeren Tierbeständen — das kann man nicht bestreiten — und auf besseren Standorten kann im Regelfall kostengünstiger produziert werden. Dort könnten die Bauern länger auch noch mit Erzeugerpreisen auskommen, die in kleineren Betrieben und Beständen das schnelle Aus bedeuten würden.
    Worauf es zukünftig ankommt, ist, Angebot und Nachfrage besser aufeinander abzustimmen, und dies EG-weit. Wie bei Milch muß auch bei pflanzlichen Produkten ein Weg gesucht werden, der das Preisstützungssystem soweit wie möglich erhält und trotzdem eine Begrenzung der Produktion möglich macht. Nach langen und, ich glaube, auch zähen Verhandlungen konnte in Brüssel schließlich eine Einigung gefunden werden, die darauf hinausläuft, daß alle Mitgliedstaaten Flächenstillegungsmaßnahmen durchführen müssen und finanzielle Anreize die EGweite Anwendung sicherstellen.
    Ich kenne, meine Damen und Herren, die vielen Bedenken, die gegen dieses Konzept vorgebracht werden. Ich weiß auch: Es wird nicht ganz einfach sein, die beim Gipfel beschlossene sogenannte Flächenstillegung und die bereits vor einem Jahr beschlossenen Extensivierungs- und Umstellungsmaßnahmen in die Praxis umzusetzen. Für eine Reihe sehr praktischer Probleme, wie z. B. eine einigermaßen gleichmäßige regionale Verteilung und relative Pachtpreisneutralität, müssen wir, jedenfalls soweit als möglich, Lösungen finden.
    Trotzdem: Realistische, die Einkommen der Bauern berücksichtigende Alternativen zur direkten Produktionsbegrenzung sehe ich nicht. Und: Je zögerlicher wir den Weg der direkten Mengenbegrenzung bei pflanzlichen Produkten gehen, desto drastischer könnte der Preisdruck sein, der dann folgt. Würde die Bundesregierung nur den Bedenkenträgern und Schwarzmalern folgen, geschähe nichts, weder bei uns noch in der EG.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Bauern protestieren!)

    Ich bin daher den Koalitionsfraktionen für den Initiativentwurf eines Extensivierungsgesetzes sehr



    Bundesminister Kiechle
    dankbar, das wir heute in erster Lesung und in verbundener Debatte mit dem Agrarbericht beraten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich wünsche unseren Bauern, daß wir damit bei pflanzlichen Produkten zu einem ähnlichen Ergebnis wie bei Milch kommen.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Von Wünschen können sie nicht leben!)

    Trotz mancher Irritationen in den letzten Wochen über eine weitere vorübergehende Aussetzung von Milchquoten gegen finanziellen Ausgleich bleibt doch wahr: Bei Milch nähern wir uns mit großen Schritten dem Ziel, daß die Erzeugerpreise wieder vom Marktgeschehen bestimmt werden, und zwar positiv für die Milcherzeuger.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist durch Standhaftigkeit erreicht worden!)

    Der vor einem Jahr noch riesige Berg an Butter- und Magermilchpulvervorräten in der Europäischen Gemeinschaft ist von Mitte April 1987 mit 995 000 Tonnen Butter und 767 000 Tonnen Magermilchpulver bis jetzt, am selben Stichtag im Jahr 1988, also nur in einem Jahr, auf 530 000 Tonnen Butter und 200 000 Tonnen Magermilchpulver abgeschmolzen. Er ist damit so weit abgeschmolzen, daß schon bald von einer normalen, für die Sicherung der Ernährung notwendigen Lagerhaltung gesprochen werden kann. Die positive Tendenz bei den Preisen ist deutlich zu spüren.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Wieviel Bauern sind dafür geopfert worden?)

    Der Erzeugerpreis bei Milch hat sich mehr und mehr gefestigt. Das bestätigt auch der Agrarbericht 1988. Er belegt nämlich, daß die Futterbaubetriebe nicht nur gegenüber anderen Betriebsformen einkommensmäßig deutlich aufgeholt haben, sondern im laufenden Wirtschaftsjahr auch mit dem geringsten Einkommensrückgang rechnen müssen.
    Unser Ziel bleibt es, bei Milch den nationalen Referenzmengenüberhang so schnell wie möglich abzubauen, um dann die Garantiemengenregelung flexibler gestalten zu können. Das heißt, es sollen Saldierungsmöglichkeiten für die in den Betrieben unter- und überlieferten Mengen genutzt werden, und es soll eine Lösung für die Handelbarkeit von Quoten gefunden werden.
    Bei den derzeitigen EG-Verhandlungen über die Agrarpreise sind wir bemüht, eine Verbesserung der Kommissionsvorschläge zu erreichen. Eine Anhebung der administrierten Preise kann ich jedoch angesichts der Ratsmehrheit leider nicht in Aussicht stellen. Wegen der Vorgaben des Europäischen Gipfels dürfen wir schon von Erfolg sprechen, wenn wir die negativen Wirkungen einzelner Vorschläge der EG-Kommission — ich nenne als Beispiel die Halbierung der monatlichen Zuschläge für die Lagerkosten bei Getreide — in Grenzen halten können.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz vieler Kritik kann niemand bestreiten, daß die jetzige
    Bundesregierung wie keine andere zuvor ihre direkten Hilfen für die Bauern ausgeweitet hat.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Gegen die Bauern, nicht für die Bauern!)

    So konnten die Gewinnunterschiede im Durchschnitt der landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe zwischen benachteiligten und nicht benachteiligten Gebieten weitgehend ausgeliehen werden — etwas, was bisher kaum bemerkt oder genannt wird. Dies ist in erster Linie auf die erhöhte Ausgleichszulage zurückzuführen. In den benachteiligten Gebieten erhalten Vollerwerbsbetriebe mit Ausgleichszulage im Durchschnitt heute 3 729 DM.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Denen haben Sie ja vorher schon viel mehr gekürzt, als Sie ihnen jetzt zusätzlich geben! Das sind die Tatsachen!)

    Das sind immerhin fast 10 % ihres Gewinns. Von 1983 bis 1988 hat allein der Bund die Mittel für diese Zulage von 65 Millionen auf 445 Millionen DM aufgestockt.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Sagen Sie mal, was für den einzelnen Betrieb herauskommt!)

    Dazu kommen noch die Mittel der Länder.
    Im gleichen Zeitraum sind die Bundesmittel zur agrarsozialen Sicherung um mehr als ein Drittel von 3,55 Milliarden DM auf 4,85 Milliarden DM — das ist ein Plus von 1,3 Milliarden DM — gestiegen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Schließlich sollte auch der Einkommensausgleich über die Mehrwertsteuer in Höhe von 5 % — in dem jetzt laufenden Jahr werden das 2,8 Milliarden DM sein — berücksichtigt werden.
    Viel zuwenig ist bekannt, in welchem Maß sich diese und andere direkte Hilfen des Staates auf die Einkommen in den Betrieben auswirken. Wir haben darüber Berechnungen angestellt und haben feststellen können: Die direkten Hilfen machen immerhin rund ein Drittel des Gesamteinkommens in den Vollerwerbsbetrieben aus — im Durchschnitt gesehen. Hierin zeigt sich die Solidarität der Gesamtbevölkerung mit der Landwirtschaft.
    Aber man muß auch folgendes sehen: Trotz des beträchtlichen Umfangs staatlicher Hilfen für unsere Bauern gibt es weiterhin gut und schlecht strukturierte, hochleistungsfähige und kaum noch existenzfähige, besser und nichts verdienende Betriebe nebeneinander, manchmal auch unter gleichen Umständen. Ich ziehe daraus den Schluß: Mehr Geld allein sichert offensichtlich nicht die Zukunft der bäuerlichen Betriebe. Ich kann daher nur wiederholen, was ich bereits vor einem Jahr von dieser Stelle aus gesagt habe: Es gibt auf Dauer keine Agrarpolitik, die Leistungsschwäche in Wohlstand umzumünzen vermag.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Trotzdem treten immer wieder Verteilungskünstler
    auf den Plan, die da meinen, einem Teil der Betriebe
    Mittel, Marktanteile oder Einkommenschancen weg-



    Bundesminister Kiechle
    nehmen zu können, um sie anderen Betrieben zu geben.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Genau das macht ihr!)

    Dabei werden oftmals die strukturellen Verhältnisse in unserer Landwirtschaft vergessen oder schlicht und einfach verdrängt.
    Laut Agrarbericht wiesen z. B. nur 0,7 % unserer Betriebe eine Fläche von 100 ha und mehr auf. Nur in 3,2 % der Betriebe standen 50 und mehr Kühe. Nur in 2,9 % der Betriebe wurden mehr als 400 Mastschweine gehalten. Das sind wahrlich keine Größenordnungen, bei denen man schon von dem Überhandnehmen sogenannter Agrarfabriken sprechen könnte,

    (Eigen [CDU/CSU]: Sehr gut, Herr Minister!)

    bei denen etwa viel zur sogenannten Umverteilung zu holen wäre.
    Ich kann deshalb auch einem Konzept nichts abgewinnen, die Preise am Markt sich einfach einpendeln zu lassen und sogenannten bedürftigen Betrieben — da sagt man dann immer „kleine und mittlere" — zum Ausgleich direkte Einkommenshilfen zu gewähren. Allein auf die Frage, was denn bedürftige Betriebe sind, fällt die Antwort schwer, gibt es im Grunde nur problematische Antworten. Neben sozialen Aspekten muß nämlich bedacht werden, daß unsere Landwirtschaft künftig im Wettbewerb um 320 Millionen Verbraucher auf dem europäischen Binnenmarkt noch mehr mithalten soll.
    Das ist im übrigen auch bei Bewirtschaftungsbeschränkungen zu bedenken, die nur unseren Betrieben auferlegt werden oder werden sollen, aber nicht oder nicht gleichermaßen in den übrigen Mitgliedstaaten gelten oder gelten würden.
    Zunehmend werden von der Gesellschaft Leistungen der Landwirtschaft für die Erhaltung von Natur und Landschaft nachgefragt. Es mehren sich jedenfalls die Sorgen, wie in einigen Jahren unsere Landschaft ohne die pflegende Hand der Bauern aussehen könnte. Meines Erachtens kommt die Bevölkerung nicht umhin, bestimmte Arbeiten, die der Landwirt im Dienst der Natur und Umwelt ausführt, finanziell zu honorieren.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Deshalb ist eine Agrarpolitik gefragt, die Augenmaß im wahrsten Sinne des Wortes besitzt und sich an den Realitäten orientiert. Eine wichtige Realität ist: Wir haben es heute in der Bundesrepublik Deutschland mit einer Vielfalt von Betrieben zu tun, wie sie sonst in Europa kaum zu finden ist. Jeder zweite Betrieb

    (Zuruf der Abg. Frau Flinner [GRÜNE])

    — Sie könnten ja mal zuhören, Frau Flinner —,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das nützt bei ihr nichts!)

    — oder 336 000 Betriebe — ist heute bei uns noch voll auf das Einkommen aus der Landwirtschaft angewiesen. Rund 10 % der Betriebe — das sind 65 000 — verfügen über ergänzende, außerbetriebliche Einkommen. In den übrigen Betrieben — rund 40 % oder 280 000 — wird mittlerweile der größere Teil des Einkommens außerhalb der Landwirtschaft verdient.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Traurig genug!)

    Gezählt werden alle Betriebe ab 1 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche.
    Wie immer man diese Tatsache beurteilen will, die Einkommenskombination wird in Zukunft für viele die bessere Chance sein und bleiben, den Beruf des Landwirts auszuüben, ohne auf eine Teilnahme an der allgemeinen Einkommensentwicklung zu verzichten. Entscheidend ist nicht, wo das Geld verdient wird, sondern daß für die ganze Familie nachhaltig genug verdient wird und bäuerliches Eigentum erhalten bleibt.
    Der Agrarbericht 1988 belegt, daß in diesem Sinne in der Tat vieles für den Nebenerwerb spricht. Aber ich möchte ausdrücklich hinzufügen: Auf den leistungsfähigen Vollerwerbsbetrieb kann jedoch unter keinen Umständen verzichtet werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Besonders schwer haben es derzeit die älteren Landwirte, die keine Zusatzeinkommen außerhalb ihrer Betriebe mehr finden und die auch keinen Hofnachfolger haben.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Warum haben sie keinen?)

    Diesen Landwirten, die schon ein Leben lang hart gearbeitet haben, sollten wir eine Alternative bieten, damit sie nicht unbedingt auf ihren oftmals zu kleinen Betrieben bis zum üblichen Rentenalter weiter wirtschaften müssen. In diesem Sinne ist die durch den EG-Gipfel möglich gewordene Produktionsaufgaberente auch eine wichtige menschliche Hilfe für unsere bäuerlichen Familien.
    Den Strukturwandel in der Landwirtschaft können und wollen wir nicht unterbinden.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Das ist es!)

    Wir sind aber verpflichtet, ihn so weit wie möglich sozial erträglich zu gestalten. Es löst aber keine Probleme, mit dem Totschlag-Schlagwort vom Bauernsterben über Land zu ziehen und gegen den Strukturwandel in der Landwirtschaft sowie gezielte Umstellungshilfen für unsere Bauern Stimmung zu machen.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Umstellung auf was?)

    Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen: Maßgeblich für die Einkommensentwicklungen in der Landwirtschaft sind auch zukünftig die über den Markt erzielten Einkommen. Deshalb müssen die Betriebe ihre Bindungen zum Markt behalten und ausbauen können.
    Natürlich brauchen unsere Bauern weiterhin die staatliche Unterstützung, um sich selbst helfen zu können. Wir werden auch dafür sorgen müssen, daß die übrigen Leistungen der Landwirtschaft für die Gesellschaft außerhalb der Nahrungsmittelproduktion angemessen honoriert werden. Staatliche Hilfen



    Bundesminister Kiechle
    können jedoch die über den Markt erzielten Einkommen letztlich nur ergänzen, nicht aber ersetzen.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich fasse zusammen. Wir gehen mit großen Schritten auf die Vollendung des europäischen Binnenmarkts zu. Den Konsequenzen daraus wird sich auch die Agrarpolitik stellen müssen; denn es wird nicht möglich sein, auf dem Weg zum europäischen Binnenmarkt in allen anderen Bereichen die Schranken weiter abzubauen, aber gleichzeitig um unsere landwirtschaftlichen Betriebe neue oder höhere Schutzzäune zu ziehen. Daran muß man denken, wenn man die Agrarpolitik weiterentwickeln will.
    Die Elemente unseres Konzepts sind: Erstens. Die beste Preis- und Marktpolitik ist die Ordnung der Märkte. Bei pflanzlichen Produkten sollen uns Flächenstillegungen, Extensivierung und Umstellung der Produktion gegen Ausgleichszahlungen in Verbindung mit Haushaltsstabilisatoren einen deutlichen Schritt nach vorne bringen. Das Problem der Getreidesubstitute müssen wir, soweit es geht, bei den laufenden GATT-Verhandlungen zu entschärfen versuchen.
    Zweitens. Bei dem Werben um die Gunst der 320 Millionen Verbraucher auf dem EG-Binnenmarkt müssen unsere Betriebe konkurrenzfähig sein. Gleichzeitig soll die Produktion markt- und umweltgerecht sein. Angesichts sehr vielfältiger Forderungen an unsere Betriebe müssen wir aufpassen, daß ihnen nicht weitere unnötige Handschellen angelegt werden, die ihre wirtschaftliche Bewegungsfreiheit zusätzlich und über Gebühr einengen. Andererseits geht es zukünftig in der Nahrungsmittelproduktion nicht mehr darum, möglichst viel von allem zu produzieren. Vielmehr wird die Devise sein: Qualität und Vielfalt der Produkte. Ideenreichtum ist hier gefragt.
    Drittens. Neben der Nahrungsmittelproduktion ist eine zweite Produktionslinie — nachwachsende Rohstoffe — zu entwickeln. Wir werden unserer Landwirtschaft dabei helfen, Stück für Stück in Produktionsrichtungen einzusteigen, die der wachsenden Nachfrage der Verbraucher nach Naturprodukten Rechnung tragen. Auch unsere Industrie hat die Zeichen der Zeit erkannt. Eine nachhaltige Entlastung der Nahrungsmittelmärkte ist davon vorläufig jedoch noch nicht zu erwarten. Damit wäre allerdings in dem Maße zu rechnen, wie sich die Erdölvorräte erschöpfen, die Preise für Erdöl steigen und Biomasse als Energielieferant wettbewerbsfähig oder -fähiger würde. Mit Blick darauf werden wir unsere Vorsorgestrategie fortsetzen.
    Viertens. Allein über die Preise der Agrarprodukte sind landeskulturelle, landespflegerische und ökologische Leistungen der Landwirtschaft zukünftig immer weniger zu haben. Die Ausgleichszulage für Betriebe in benachteiligten Gebieten ist ein hilfreiches Instrument, um solche Leistungen der Landwirtschaft gezielt zu honorieren. Daneben müssen andere treten, die an den ökologischen Erfordernissen vor Ort orientiert sind.
    Fünftens. Das außerlandwirtschaftliche Einkommen bleibt oftmals die einzige Möglichkeit, die Einkommenssituation in vielen landwirtschaftlichen Betrieben zu verbessern. Wir brauchen also im ländlichen Raum ausreichend alternative Erwerbsmöglichkeiten.
    Sechstens. Den älteren Landwirten ohne Hofnachfolger ist aus sozialen, marktentlastenden und strukturverbessernden Gründen die Möglichkeit zu bieten, sich vorzeitig aus der aktiven beruflichen Tätigkeit zurückzuziehen.
    Siebtens. Der gezielte Einsatz von Bundesmitteln in der Agrarpolitik zur Sicherung und Entwicklung bäuerlicher Betriebe ist konsequent fortzusetzen. Es gibt bereits eine Vielzahl von Maßnahmen, die diesem Anspruch gerecht werden. Das gilt besonders für die agrarsoziale Sicherung. Aber auch hier gibt es noch manches zu verbessern. Im Laufe dieser Legislaturperiode soll das ja auch geschehen. Dabei ist die Beitragsgestaltung noch stärker als bisher auf die Einkommenssituationen in den Betrieben auszurichten.
    Sie sehen: Nicht eine einzige Maßnahme, ein ganzes Bündel von Maßnahmen ist notwendig, um unsere Landwirtschaft auf die zukünftigen Erfordernisse der Marktentlastung, der Wettbewerbsfähigkeit, des Umwelt- und Naturschutzes und des sozialen Ausgleichs einzustellen. Wir brauchen diese Maßnahmen nicht nacheinander, sondern nebeneinander. Das kostet natürlich Geld. Es ist gut eingesetzt, weil wir mit unseren Maßnahmen Orientierung geben für längerfristige betriebliche Entscheidungen und unseren Bauern und Bäuerinnen zugleich Mut machen, eine zweifellos schwierige Wegstrecke zu überwinden.
    Ich, meine Damen und Herren, danke für Ihre Aufmerksamkeit. Ich danke dem Parlament für vielfältige Einsicht in bisher notwendige und erforderliche kommende Maßnahmen für unsere Landwirte. Ich wünsche unseren Bäuerinnen und Bauern ein gutes Erntejahr auf ihren Höfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Oostergetelo.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Jan Oostergetelo


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister, zunächst ein paar Anmerkungen zu Ihrer Rede. In vielem, was Sie in Ihrer Rede angesprochen haben, haben wir jetzt Konsens. Dies stelle ich mit Freude fest, weil viele Forderungen dabei sind, die alte Forderungen von uns sind.

    (Lachen und Widerspruch bei der CDU/ CSU)

    Richtig ist, meine Damen und Herren, seine Äußerung, daß wir die Umweltleistungen besser honorieren müssen. Falsch ist, diese Hilfen dann, wie bei der Vorsteuerpauschale geschehen, nur an den Umsatz zu binden.
    Richtig ist Ihre Feststellung, daß allein Preise für die Agrarprodukte den Umweltleistungen nicht gerecht werden. Warum haben Sie dann direkte Leistungen in den vergangenen Jahren abgelehnt?
    Richtig ist, daß staatliche Hilfen die über den Markt zu erzielenden Einkommen ergänzen müssen. Warum sagen Sie dann immer, daß andere die am Markt zu



    Oostergetelo
    erzielenden Hilfen ersetzen wollen? Sozialdemokraten haben das nie gesagt.
    Richtig ist, daß ein Bündel von Maßnahmen nötig ist und Maßnahmen nicht nacheinander, sondern nebeneinander durchgeführt werden müssen. Warum legen Sie dann immer, wie jetzt geschehen, Einzelmaßnahmen vor und nicht ein Bündel, z. B. bestehend aus direkter Einkommensübertragung und Extensivierungsmaßnahmen?
    Herr Minister, Sie sind nun ein halbes Jahrzehnt im Amt. Dies ist der sechste Agrarbericht, den Sie vorlegen. Anzuerkennen ist die Offenheit Ihrer Rede, in der Sie zu einer ähnlichen Beurteilung kommen wie wir: Die Bilanz ist bedrückend.
    Als Sie Ihr Amt antraten, hatten die deutschen Landwirte — jeder von Ihnen weiß das — ihr bisher höchstes Einkommen erwirtschaftet. Trotzdem forderten Sie damals zweistellige Preiserhöhungen. Nach einem Regierungsjahr hatten wir dann den Sturz bei den bäuerlichen Einkommen. Bis heute haben sich die Einkommen von diesem Absturz nicht erholt, im Gegenteil: Für das laufende Wirtschaftsjahr rechnen selbst Sie mit zweistelligen Einbußen bei den meisten Produktbereichen. Heereman sagt, selbst 7 % seien viel zu optimistisch, und redet von 12 % im Schnitt.
    Auf dem Lande verbreitet sich weiter Hoffnungslosigkeit. Die Zahl der aufgegebenen Betriebe hat sich verdoppelt. 73 Betriebe pro Tag — den ersten Weihnachtstag eingerechnet — schließen die Hoftore. Wenn das so weitergeht, wird die Funktionsfähigkeit ganzer ländlicher Bereiche in Frage gestellt. Was das für die Menschen auf den Höfen, auf dem Lande und besonders für die Bauern bedeutet, wissen Sie genauso gut wie ich.
    Die Landwirtschaft ist so alt wie unsere Kultur. Sie ist die Grundlage unserer Gesellschaft. Wenn ein Bauer seinen Betrieb aufgeben muß, verliert er nicht nur seine Existenz wie ein Arbeitsloser — das ist beides schlimm — , sondern er verliert seine Identität; Bauer sein ist eine Lebensform.
    Obwohl der Strukturwandel weitergeht, ist massives staatliches Hinausdrängen unbarmherzig, unsozial und gegen die Interessen des ländlichen Raumes gerichtet.

    (Beifall bei der SPD)

    Im gesamtgesellschaftlichen Interesse wollen wir die bäuerliche Struktur, weil sie leistungsfähig ist, weil sie Ökologie und Ökonomie durch ihre Vielfalt besser zum Ausgleich bringen kann und die Voraussetzung ist für die Erhaltung der herrlichen Dörfer und des ländlichen Raumes, wo 50 % der Menschen wohnen,

    (Frau Saibold [GRÜNE]: Sehr richtig!)

    und weil Sie die Ernährung der Bevölkerung letztlich nur durch eine bodengebundene Landwirtschaft und eine dezentrale Versorgung auch in Krisenzeiten sicherstellen können.

    (Beifall bei der SPD)

    Darum, Freunde, müssen wir uns alle für eine Bündelung von Maßnahmen für eine möglichst große Zahl bäuerlicher Betriebe im Haupt- und Nebenerwerb einsetzen. Dazu gehören auch die Förderung und Verbesserung der Vermarktungsstrukturen und EG-weiter flächenbezogener Bestandsobergrenzen in der Tierhaltung, übrigens zur Stärkung der bäuerlichen Familienbetriebe und zum Schutz der Umwelt, sowie die strikte Einhaltung von Förderobergrenzen. Wiederholt haben wir die Abwendung von der gescheiterten Agrarpolitik und die Neuorientierung in Richtung auf mehr Markt und zusätzliche Einkommenssicherung durch produktionsneutrale direkte Einkommenshilfen gefordert.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Für wen? Roß und Reiter nennen, wer was kriegt und wer nichts kriegt!)

    Doch die Bundesregierung beharrte auf der sogenannten aktiven Preispolitik, ohne einkommenswirksame Hilfen und eine Bündelung begleitender Maßnahmen früh genug einzuleiten.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wir wollen das mal wissen hier!)

    Sie tragen die Verantwortung für die Entwicklung, wie wir sie heute vorfinden.
    Nun haben Sie nicht Preiserhöhung, wie Sie immer gefordert haben, sondern Preissenkung beschlossen, und das auf Vorschlag des Kanzlers drei Jahre im voraus, z. B. im Getreidebereich, wie Sie selber wissen.

    (Müller [Schweinfurt] [SPD]: So ist das!)

    Das sind Tatsachen, Freunde. Es ist wahr: Keine Regierung hat mehr Geld ausgegeben als diese. Wahr ist auch, daß nie weniger auf den Höfen angekommen ist.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Das kann man doch nicht bestreiten. Vor allem kleine und mittlere, meist umsatzarme Betriebe sind in immer stärkere Bedrängnis gekommen. Die von Ihnen in Brüssel durchgedrückte Milchquote hat drei Vierteln der Betriebe keine Perspektive gelassen. Man kann doch jetzt nicht von 16 Kühen leben, wenn man früher 20 brauchte. Und drei Viertel haben unter 20 Kühe. Mit der überschußtreibenden 5 %igen Vorsteuerpauschale wurden umsatzstarke Betriebe belohnt und umsatzschwache bestraft. Die Kluft innerhalb der Landwirtschaft vertieft sich zusätzlich.
    Zum 1. Juli 1988 fällt nun der Währungsausgleich endgültig weg. Das neue System benachteiligt uns als währungsstarkes Land extrem.
    Wir Sozialdemokraten haben uns seit langem für eine Flankierung des notwendigen Überschußabbaus durch direkte produktionsneutrale Einkommensübertragungen eingesetzt. Unser Programm von 1980, von 1985 und das Aktionsprogramm von 1988 machen hier eindeutige Vorgaben. Jedem Einsichtigen muß doch klar sein, daß in Zeiten wachsender Überschüsse trotz enormer Aufwendungen die bäuerlichen Einkommen allein über die Preise nicht gesichert werden können. Das geben Sie jetzt selber zu, dankenswerterweise, Herr Minister. Aber Bundesregierung und leider auch Bauernverband haben uns



    Oostergetelo
    wegen dieser Vorstellung lange Jahre kritisiert und nur eine aktive Preispolitik gefordert.

    (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Richtig! „Sozialistisches Machwerk" war das!)

    Die Entwicklungen der letzten Jahre haben uns voll bestätigt. Wir sehen mit einer gewissen Befriedigung, daß sowohl in Brüssel als auch hier in Bonn eine wenn auch leider viel zu späte Einsicht in neue Wege der Einkommensübertragung gewachsen ist. Wir müssen diesen Weg energisch weiterbeschreiten. Allerdings muß der Finanzminister seine unsinnige Blockadepolitik aufgeben, die am falschen Ende spart. Wir müßten von dem Teufelskreis des Immer-mehr-produzieren-Müssens weg. Wir müssen dort herauskommen. Darum: weg von produktionstreibenden Hilfen und hin zu produktionsneutralen existenzsichernden Hilfen!

    (Beifall bei der SPD)

    Hier geht es nicht nur um mehr Geld, sondern darum, daß das Geld auf den Höfen ankommt, meine Freunde.
    Unserer alten Forderung nach einer gerechten Einkommenspolitik hat die Bundesregierung nun nachzukommen.

    (Eigen [CDU/CSU]: Was ist gerechte Einkommenspolitik?)

    Damals haben wir sie schon gefordert. Von 1989 an ist ein Teil der Mehrwertsteuerpauschale — Sie verlangen ja 2 % mehr, Herr Eigen — neu zu gestalten. Dabei erwarten wir angemessen gestaffelte Ausgleichsbeträge, die an eine Einkommensschwelle gebunden sind. Existenzrettende und notwendende Hilfe für die Bauern: ja, Einkommensübertragung an Großverdiener, wer immer das sein mag: nein.
    Nun zur Extensivierungspolitik.

    (Eigen [CDU/CSU]: Jetzt haben wir es!)

    Wir begrüßen es, daß die Regierungschefs in ihrer Grundsatzentscheidung über Extensivierung, Flächenstillegung und Vorruhestand im letzten Februar einen Schritt hin zu einer Neuorientierung der Agrarpolitik getan haben. Es ist aber bedauerlich, daß die Regierungschefs keinerlei Anstöße für ein EG-weites direktes Einkommenssystem gegeben haben. Die EG-Kommission hat hier vor Jahresfrist Vorschläge vorgelegt, die, wenn auch unzulänglich, zumindest einen Einstieg in ein solches System bringen können. Ernsthaft darüber verhandelt wurde nicht. Dabei könnte dies ein Herzstück für die Verbesserung der Einkommenssituation sein. Die Bundesregierung sollte daher die Zeit ihres Vorsitzes im Ministerrat nutzen — und hierzu, Herr Minister, fordere ich Sie auf — , um hier zu entscheidenden Fortschritten zu kommen. Noch ist ein bißchen Zeit.

    (V o r s i t z: Vizepräsident Cronenberg)

    Die Koalitionsfraktionen haben nun im Eilverfahren einen Gesetzentwurf vorgelegt, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß zumindest die Flächenstillegung zum 1. Juli 1988 Anwendung finden kann.
    Diese Vorgehensweise entspricht zwar eher einem Überfall

    (Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!)

    als einem ordnungsgemäßen parlamentarischen Verfahren,

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    aber, Freunde, trotz unserer Bedenken haben wir uns diesem Verfahren nicht widersetzt; denn es geht uns vor allem darum, daß den Landwirten rechtzeitig geholfen wird, und zwar noch vor der Aussaat im kommenden Herbst.

    (Eigen [CDU/CSU]: Sonst nützt es auch nichts!)

    Wer das will, der muß bis zum Juli wissen, wo er dran ist. Deshalb werden wir das nicht blockieren, sondern konstruktiv mitarbeiten.

    (Beifall bei der SPD)

    Noch eine kritische Anmerkung ist notwendig: Mit dem Extensivierungsgesetz wird nur die Flächenstillegung ab 1. Juli 1988 Anwendung finden. Die für uns wichtigere Extensivierung und die Umstellung der Erzeugung sollen dagegen erst zu Beginn des nächsten Jahres wirksam werden. Wieder ein Jahr vergangen. Das gilt auch für den Vorruhestand für ältere Landwirte. Wir halten eine derartige zusätzliche Zersplitterung des Maßnahmenbündels nicht nur für unsinnig, sondern vor allem für den Landwirt für unzumutbar. Alle diese Maßnahmen stehen doch in ursächlichem Zusammenhang. Der Landwirt muß bei seiner konkreten Entscheidung alle Einzelheiten wissen, weil er entscheiden will und weil er entscheiden muß.
    Dieser magere Gesetzentwurf ist doch Ausdruck des offenen Streits zwischen den zuständigen Bundesressorts, zwischen Bundesregierung und Bundesländern sowie innerhalb der Regierungskoalition. Um diesen Streit zu überdecken, haben Sie diesen Weg gewählt und hoffen nun darauf, daß es noch rechtzeitig gelingt. Offen ist, ob dieses Verfahren wirklich Erfolg haben wird. Denn der Bundesrat kann das gesamte Verfahren noch zu Fall bringen.
    Wir Sozialdemokraten werden uns im kommenden Gesetzgebungsverfahren konstruktiv verhalten. Wir wollen, daß die Ausgestaltung zum Besten der Landwirte und ohne Verzögerung geschieht und daß Extensivierung eindeutig Vorrang vor Flächenstillegung hat. Großräumige dauerhafte Flächenstillegungen kommen für uns nicht in Betracht. Eine solche Maßnahme führt doch besonders in strukturschwachen Regionen zu einer wachsenden Verödung ganzer Landstriche, und es besteht die Gefahr, daß dann andere den Markt übernehmen. Rotationsbrache, extensive Beweidung und alternativer Landbau sind hervorzuheben. Die Höhe der Beihilfe sollte entsprechende Anreize geben.
    Soweit begrenzte Flächenstillegungen unter Berücksichtigung der Belange des Umwelt- und Naturschutzes vertretbar sind, sollten zusätzlich folgende Kriterien eingeführt werden: Die Maßnahmen sollten sich auf alle Ackerflächen beziehen. Die Stillegung sollte nur Teile eines Betriebes umfassen, es sollte



    Oostergetelo
    keine intensivere Bewirtschaftung auf den verbleibenden Flächen geben. Benachteiligte Gebiete und Berggebiete müßten von der Flächenstillegung ausgenommen werden können. Der sensible Pachtmarkt darf durch diese Maßnahmen nicht zusätzlich gestört werden.
    Ein Erfolg wird nur möglich sein, wenn alle Länder mitmachen, Aber wir wissen, daß einige Länder nur wiederwillig zugestimmt haben. Deshalb fordern wir die EG-Kommission als Kontrollinstanz auf, hier zu prüfen — und wir fordern einen Bericht der Bundesregierung — , daß nun alle mitmachen und nicht andere den Markt übernehmen, während wir die Produktion zurückfahren.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir beantragen deshalb Überweisung an den Ernährungsausschuß.
    Meine Damen und Herren, Sie sehen, wir werden konstruktiv mitarbeiten.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Endlich mal!)

    Alle Vorschläge, die der Minister angesprochen hat, sind Vorschläge, die unseren schon sehr verwandt sind, die er noch vor Jahren negiert hat.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Quatsch!)

    Besonders gilt es dafür zu sorgen, daß nun endlich auch im Bundeskabinett Klarheit herrscht und man nicht immer wieder bei einzelnen Maßnahmen den Eindruck haben muß, daß sich Stoltenberg und Kiechle nicht einig sind. Er spart wirklich am falschen Ende. Besonders die umsatzarmen Bauern haben in den letzten Jahren zuviel gelitten, meine Freunde. Wir müssen ihnen ohne jedes Wenn und Aber helfen, jetzt und sofort.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der SPD)