Rede von
Imma
Hillerich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
Ich fände es gut, wenn Sie die Jugendlichen aus der ganzen Welt fragen würden, ob sie dieses Ausbildungssytem wollen. Davon bin ich nicht überzeugt.
Ich habe aus der Perspektive der Jugendlichen gesprochen, aus der Perspektive ihrer Entwicklung.
Praxisnähe: Der hochgepriesene große Vorteil des Lernorts Betrieb steht in vielen Betrieben, besonders in der Industrie, nur noch auf dem Papier. Wegen einer häufig hochkomplexen, hochtechnisierten und dadurch ausbildungsungeeigneten Betriebsstruktur findet Ausbildung dort weitgehend außerhalb der eigentlichen Produktion in relativ verschulter Form in Lehrwerkstätten statt. Die Ausbildungsphasen in der betrieblichen Fertigung ähneln eher Betriebspraktika. Die Frage liegt nahe, ob sich durch diese Entwicklung die Betriebe als bestimmende Hauptträger in der Berufsausbildung nicht selbst entbehrlich machen. Ist der Lernort Betrieb nicht vielfach zu einer Fiktion geworden?
Wegen der knapp bemessenen Redezeit kann ich nur kurz auf das Problem des Ausbildungspersonals im betrieblichen Bereich eingehen. Besonders hervorstechend sind dort die Klagen von Ausbilderinnen, Ausbildern und Auszubildenden über mangelnde pädagogische und — hier meine ich mit Blick auf das Alter der meisten Auszubildenden — auch erwachsenen-pädagogische und fachliche Vorbildung sowie weitgehend fehlende Weiterbildungsmöglichkeiten für die Ausbilderinnen und Ausbilder. Ihre Weiterbildung muß dringend verbindlich geregelt werden. Da reicht eine konzertierte Aktion nicht aus. Sie muß geregelt werden gerade im Hinblick auf die betriebliche Durchsetzung der neuen Ausbildungsordnungen. Die vom Bundesinstitut für Berufsbildung, Gewerkschaften und anderen Trägern angebotenen Weiterbildungsveranstaltungen und auch die vom BIBB entwickelten Arbeits- und Umsetzungshilfen sind bisher nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
In diesem Zusammenhang ist das Subsidiaritätsprinzip, das Sie anpeilen, Herr Minister, ziemlich abenteuerlich. Modernisierte Ausbildungsordnungen auszuhandeln und gesetzlich zu verankern war sicher überfällig. Das ist aber nur die eine, in Hochglanzbroschüren kräftig aufpolierte Seite der Medaille. Sie in der Praxis aber auch durchzusetzen entzieht sich im dualen System weitgehend der staatlichen Steuerung bzw. der öffentlichen Kontrolle. Das ist die andere, nicht ganz so ansehnliche Seite. Ich rate Ihnen sehr, sich darüber einmal mit den Jugendlichen zu unterhalten.
Es läge nun nahe, wenigstens von den Berufsschulen eine effektive Durchsetzung staatlicher Bildungspolitik zu erwarten. Weit gefehlt! Die restriktive Einstellungspraxis der Länder in den vergangenen Jahren hat hier einen Lehrermangel produziert, der heute schon zu Abwerbungskampagnen einzelner Bundesländer führt. Baden-Württemberg bietet Berufsschullehrerinnen und -lehrern Gehaltszuschläge an, um sie ins Ländle zu locken. Der Verband der Berufsschullehrer annonciert verzweifelt in zahlreichen niedersächsischen Tageszeitungen, um Lehrerkolleginnen und -kollegen für Metall- und Elektroberufe nach Nordrhein-Westfalen zu holen. Hier fehlen 4 000 Berufsschullehrer. Die Folgen sind Unterrichtsausfall und mangelnde Qualität des Unterrichts. In allgemeinbildenden Fächern fällt zur Zeit jede zweite Unterrichtsstunde aus. Auch da ist längerfristig kaum eine Entlastung abzusehen, da berufspädagogische Fächer kaum noch studiert werden. Die materielle Ausstattung der Berufsschulen entspricht vielfach nicht den Anforderungen an die proklamierte technologische und ökonomische Erneuerung der Wirtschaft.
Meine Damen und Herren, da haben Sie Ihren stolzen Schwan, das vielgepriesene duale System; er ist in Wirklichkeit ein häßliches Entlein. — Jetzt blinkt es hier so fürchterlich. Ich würde eigentlich gerne noch etwas zu unseren Alternativvorstellungen sagen, aber das schaffe ich leider nicht mehr.