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ID1106901600

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    Plenarprotokoll 11/69 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 69. Sitzung Bonn, Freitag, den 11. März 1988 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 4686 C Tagesordnungspunkt 26: Aussprache über die Lage im Nahen Osten, insbesondere in den von Israel besetzten Gebieten Dr. Stercken CDU/CSU 4667 B Gansel SPD 4669 D Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 4672 B Schily GRÜNE 4674 B, 4680 D Genscher, Bundesminister AA 4674 C Frau Renger SPD 4676 D Frau Geiger CDU/CSU 4678 C Frau Bulmahn SPD 4681 D Tagesordnungspunkt 27: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (Drucksachen 11/281, 11/1892, 11/1943) Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 4683 D Singer SPD 4684 C Kleinert (Hannover) FDP 4684 D Frau Nickels GRÜNE 4685 C Engelhard, Bundesminister BMJ 4686 A Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen auf Einwilligung in die Veräußerung bundeseigener Grundstücke in Mannheim-Schönau (Drucksache 11/1992) 4686 C Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. de With, Singer, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Bachmaier, Klein (Dieburg), Dr. Pick, Schmidt (München), Schütz, Stiegler, Wiefelspütz, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Untersuchungshaft (Drucksache 11/688) Singer SPD 4686 D Marschewski CDU/CSU 4688 D Frau Nickels GRÜNE 4690 A Funke FDP 4691 B Engelhard, Bundesminister BMJ 4692 B Nächste Sitzung 4693 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 4695* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 4695* C Anlage 3 Beurteilung des Fan-Gutachtens und Gründe für die Nichtveröffentlichung; Konsequenzen für die Vorbereitung der Fußballeuropameisterschaft MdlAnfr 75, 76 04.03.88 Drs 11/1937 Brauer GRÜNE SchrAntw PStSekr Spranger BMI . . . . 4695* D Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. März 1988 4667 69. Sitzung Bonn, den 11. März 1988 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 11. 3. Bahr 11. 3. Frau Beck-Oberdorf 11. 3. Becker (Nienberge) 11. 3. Bindig 11. 3. Frau Brahmst-Rock 11. 3. Buschbom 11. 3. Buschfort 11. 3. Catenhusen 11. 3. Frau Conrad 11. 3. Ebermann 11. 3. Frau Fuchs (Köln) 11. 3. Dr. Gautier 11. 3. Dr. Glotz 11. 3. Dr. Götz 11. 3. Gröbl 11. 3. Dr. Hauff 11. 3. Dr. Haussmann 11. 3. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 11. 3. Frau Hensel 11. 3. Dr. Holtz 11. 3. Dr. Hüsch 11. 3. Ibrügger 11. 3. Dr. Jobst 11. 3. Frau Kelly 11. 3. Kiechle 11. 3. Klein (Dieburg) 11. 3. Klein (München) 11. 3. Dr. Köhler (Wolfsburg) 11. 3. Koschnick ** 11. 3. Lemmrich 11. 3. Lintner 11. 3. Frau Luuk 11. 3. Dr. Mechtersheimer 11. 3. Dr. Mertens (Bottrop) 11. 3. Meyer 11. 3. Müller (Schweinfurt) 11. 3. Dr. Neuling 11. 3. Oostergetelo 11. 3. Dr. Pinger 11. 3. Reimann 11. 3. Repnik 11. 3. Reschke 11. 3. Reuschenbach 11. 3. Frau Roitzsch (Quickborn) 11. 3. Sauer (Salzgitter) ** 11. 3. Schäfer (Mainz) 11. 3. Frau Schilling 11. 3. von Schmude 11. 3. Dr. Schneider (Nürnberg) 11. 3. Dr. Schöfberger 11. 3. Schreiber ** 11. 3. Schütz 11. 3. Schulze (Berlin) 11. 3. Seehofer 11. 3. Frau Simonis 11. 3. Dr. Spöri 11. 3. Stiegler 11. 3. Frau Teubner 11. 3. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Trenz 11. 3. Frau Unruh 11. 3. Verheugen 11. 3. Frau Dr. Vollmer 11. 3. Dr. Waigel 11. 3. Graf von Waldburg-Zeil 11. 3. Wieczorek (Duisburg) 11. 3. Wilz 11. 3. Wischnewski 11. 3. Wissmann 11. 3. Dr. de With 11. 3. Frau Wollny 11. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 7. März 1988 mitgeteilt, daß sie ihren Antrag „Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse in der Republik Südkorea", Drucksache 11/525, zurückzieht. Der Vorsitzende des Finanzausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht; Drucksache 11/883 Nr. 48 Drucksache 11/1526 Nr. 1.3 Drucksache 11/1450 Nr. 1.1, 1.2 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß sie die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen haben: Innenausschuß Drucksache 11/1656 Nr. 3.1 Finanzausschuß Drucksache 11/1707 Nr. 1 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Drucksache 11/1656 Nr. 3.38 Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Fragen des Abgeordneten Brauer (GRÜNE) (Drucksache 11/1937 Fragen 75 und 76) : Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse des jüngsten Fan-Gutachtens, und welche Gründe sprachen nach Ansicht der Bundesregierung gegen die ursprünglich geplante Entscheidung einer offiziellen Übergabe des Gutachtens an die Öffentlichkeit? Welche Schlußfolgerungen zieht sie für die Vorbereitung der bevorstehenden Fußballeuropameisterschaft, und wie soll nach Ansicht der Bundesregierung der internationale Fan-Meldedienst funktionieren bzw. ausgestaltet werden? 4696* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. März 1988 Zu Frage 75: Das Gutachten „Fankultur und Fanverhalten" wurde von den Mitgliedern der Projektgruppe „Sport und Gewalt" des Bundesinstituts für Sportwissenschaft als Weiterführung der ersten Studie zu „Sport und Gewalt" erstellt. Im Mittelpunkt des Gutachtens stehen Beschreibungen der heutigen Jugendkultur und ihres Strukturwandels, der Fankultur und Fanrealität, der Reaktionen von Sportvereinen, Medien und Polizei auf das Fanverhalten und eine Begründung der pädagogischen Arbeit mit Fußballfans aus der Sicht der Verfasser, was noch der kritischen Überprüfung bedarf. Der Bundesminister des Innern hat die Erstellung zwar initiiert, auf die inhaltliche Ausgestaltung des Gutachtens aber keinen Einfluß genommen. Ich bin z. B. der Ansicht, daß die im Gutachten immer wieder auftauchende Kritik am Polizeieinsatz nicht hilfreich ist. Bürger, auch Fußballzuschauer, haben Anspruch, vor einer gewaltorientierten Minderheit von Jugendlichen, für die der im Gutachten undifferenziert verwandte Begriff „Fan" im Grunde falsch ist und die Bezeichnung „Rowdy" besser paßt, geschützt zu werden. Die im Gutachten geforderte sogenannte Rückbindung des Polizeieinsatzes ist erst dann möglich, wenn keine gravierenden Rechtsverstöße durch Besucher von Fußballspielen mehr zu befürchten sind. Ursprüngliche Vorüberlegungen das Gutachten im Rahmen eines Pressegesprächs selbst der Öffentlichkeit vorzustellen hat der Bundesminister des Innern nach Vorlage des Gutachtens nicht weiter verfolgt, weil er wie dargetan, sich nicht inhaltlich mit ihm identifizieren kann. Zu Frage 76: Unmittelbare Schlußfolgerungen für die Vorbereitungen der Sicherheit zur Fußball-Europameisterschaft 1988 in der Bundesrepublik Deutschland sind dem Gutachten nicht zu entnehmen. Zwischen den EG-Partnerstaaten ist mit Zustimmung der verantwortlichen Bundesländer vereinbart, daß sicherheitsrelevante Fakten über einreisende Fan-Gruppen während der Fußball-Europameisterschaft 1988 rechtzeitig über einen zentralen Ansprechpartner an die zuständigen Polizeibehörden der Länder gesteuert werden.
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    Rede von Otto Schily


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Der historische Ort, in dem auch nach 40 Jahren diese Debatte stattfindet, bleibt auch in diesem Jahr, 1988, Auschwitz. Zwischen Juden und Deutschen gibt es für alle Zeiten keine einfachen Wahrheiten. Wir müssen der Versuchung der heimlichen oder offenen Entlastung widerstehen. Auch mit einer noch so polierten Patentmoral können wir uns nicht vor den Schatten der Vergangenheit in Sicherheit bringen. Weder vergessen noch verzweifeln: Das ist der schwierige Rat, den es anzunehmen gilt. Das begründet das Bündnis des Gewissens mit Israel, Israel als Hoffnung und Zuflucht für die Juden auf der ganzen Welt. Das begründet zugleich die Verpflichtung auf die Unteilbarkeit der Menschenrechte ohne Ausnahme und überall.

    (Beifall bei den GRÜNEN)


    Schily
    Deshalb muß das Existenzrecht Israels von uns ebenso selbstverständlich anerkannt werden wie das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Diese zwei Gerechtigkeiten, das Existenzrecht Israels und das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser, stehen scheinbar in einem unauflösbaren Widerspruch. Nach Karl Marx entscheidet zwischen zwei gleichen Rechten die Gewalt. Dieser elende Satz, dem vermutlich viele Völkerrechtler zustimmen, führt aber unweigerlich in den Untergang und zur Aufhebung der jeweils eigenen Legitimation. Gewalt verwandelt Gerechtigkeit in Ungerechtigkeit. Das war es, was eine Palästinenserin meinte, als sie einem israelischen Soldaten zurief: „Seid Ihr verrückt geworden? Ihr zerstört Euer eigenes Land. "
    Die Machtkonkurrenz der beiden Lager im Nahen Osten, die Siegesbesessenheit, die Sicherheit durch die fortwährende Ausdehnung des jeweiligen Machtbereichs zu erlangen trachtet, wird in Zerstörung und Selbstzerstörung enden. Der israelische Ministerpräsident Schamir auf der einen Seite, im starren Festhalten an dem expansiven Ziel eines Groß-Israel unter Einbeziehung der besetzten Gebiete, und PLO-Außenminister Kadumi auf der anderen Seite, der unverhüllt den ebenso expansiven Machtanpsruch auf Gesamtpalästina unter Einbeziehung Israels proklamiert, sie werden den Frieden nicht erreichen. Unmenschlichkeit, Terror und Gegenterror, getötete palästinensische und jüdische Kinder und Frauen, Haß und Rache werden so nie aufhören.
    Zwei Gerechtigkeiten können nur zueinander kommen, wenn sie sich wechselseitig anerkennen. Der fatalistischen Formel von Marx ist der Gedanke eines arabischen Freundes von Henryk Broder vorzuziehen, der meinte, der Klügere gebe erfahrungsgemäß nicht immer nach, daher müsse der Stärkere den ersten Schritt tun. Die israelische Friedensbewegung ist entschlossen, den ersten Schritt zu gehen. Sie demonstriert für „Land gegen Frieden". Ihr vertrauen wir, sie ist unsere Hoffnung, ihr gilt unsere Unterstützung.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Unsere Hoffnung sind die israelischen Offiziere, von denen einige dem Generalstab angehören, die in einem Brief an Ministerpräsident Schamir zu Verhandlungen mit den Palästinensern aufgefordert haben. Unsere Hoffnung sind israelische Soldaten, die von ihrem Recht auf Befehlsverweigerung Gebrauch machen. Unsere Hoffnung sind israelische Intellektuelle, die zu Gesprächen mit der PLO auffordern. Unsere Hoffnung sind Palästinenser wie Hana Seniora, die ohne Vorbehalte Gespräche mit Israelis führen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Unsere Hoffnung sind Uri Avneri und Mate Peled und viele andere, die sich für Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Juden und Arabern einsetzen. Unsere Hoffnung ist die Tochter des ermordeten palästinensischen Politikers Sartauwi, die erst vor kurzem zu Gesprächen mit Israelis zusammengetroffen ist. Unsere Hoffnung sind die Juden in der Diaspora, die
    in ihrer überwältigenden Mehrheit für eine Verständigung mit den Palästinensern eintreten. Unsere Hoffnung sind alle Juden und Araber, die sich nicht entmutigen und, von wem immer, einschüchtern lassen.
    Alle Hoffnung hängt davon ab, daß Gespräche und Verhandlungen in Gang kommen und die Waffen schweigen. Eine internationale Friedenskonferenz unter der Schirmherrschaft der UNO und mit Beteiligung aller Konfliktparteien einschließlich der PLO darf nicht länger hinausgezögert werden. Eine umfassende Lösung kann nicht am Anfang der Verhandlungen stehen. Die direkte Straße geradeaus zum Frieden: Wo soll sie sein? Es kommt darauf an, Übergänge zu finden. Jeder Vorschlag im Sinne von Annäherungen an den Frieden sollte willkommen sein.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

    Die Shultz-Initiative ist möglicherweise ein solcher Vorschlag, der bei gutem Willen Bewegung in die verhärteten Fronten bringen könnte, auch wenn er noch nicht eine endgültige Friedensregelung enthält. Der Shultz-Plan kann hilfreich sein, wenn er als Interimslösung verstanden wird. Nicht zufällig lehnen sowohl der israelische Ministerpräsident Schamir als auch der syrische Staatspräsident Assad den Shultz-Plan kategorisch ab. Schamir befürchtet offenbar, daß jede Autonomieregelung nur eine Zwischenphase darstellt, an deren Ende ein palästinensischer Staat nicht mehr zu verhindern ist. Das bewog ihn seinerzeit dazu, gegen die Ratifizierung des Camp-David-Abkommens zu stimmen. Diesem Widerstreben liegt die richtige Erkenntnis zugrunde, daß eine Autonomieregelung eine bessere Ausgangsposition für die Gründung eines palästinensischen Staates ist als der gegenwärtige Zustand. Einige arabische Regierungen widersetzen sich dem Shultz-Plan, weil sie einer Defacto-Anerkennung Israels ausweichen wollen.
    Zu einer internationalen Friedenskonferenz gibt es nur eine tödliche Alternative. Wer die Gewalt nicht zum Schiedsrichter machen will, wird auf Maximalforderungen verzichten und Kompromisse suchen müssen. Nur das eröffnet die reale Aussicht auf eine friedliche Nachbarschaft Israels mit einem palästinensischen Staat, auf wirtschaftliche Kooperation zwischen Israelis und Palästinensern und auf Freiheit der Kulturen und Religionen in der gesamten Region.
    Shalom! Salam!

    (Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der CDU/CSU)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Bulmahn.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. h.c. Edelgard Bulmahn


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist vielleicht die überzeugendste Rede, die aus innerer Bewegung abgebrochen wird. Ich danke Otto Schily dafür. Ich danke ihm aber auch dafür, daß er weitergemacht hat.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)




    Frau Bulmahn
    Diese Aussprache hat uns allen, besonders uns Jüngeren, gezeigt, daß eine Nahost-Debatte für uns auch eine Debatte über unsere Vergangenheit, über unsere schwere Erbschaft, über unser Selbstverständnis und über unsere Zukunft ist. Die neuerliche Zunahme von Gewalt, die zahlreichen Todesfälle im Gaza-Streifen und in dem Westjordanland bereiten uns allen große Sorge. Die bekanntgewordenen Übergriffe israelischer Soldaten, die Anwendung von Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen verstoßen gegen fundamentale Menschenrechte. Sie sind nicht zu rechtfertigen und können von uns nicht schweigend übergangen werden. Aber das ist nur eine Seite. Wir dürfen die andere Seite nicht übersehen: fanatisierte Kinder und Jugendliche, die mit Steinen und Molotowcocktails auf israelische Soldaten werfen, Israelis, die überfallen und ermordet werden, nicht nur Soldaten, sondern auch Zivilisten.
    Moralische Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit, einseitige Schuldzuweisungen, wie sie in den letzten Wochen häufiger vorkamen, sind in dieser Situation völlig fehl am Platze. Unser historisches Erbe und damit einhergehend die besondere Verantwortung, in der wir stehen, sind keine Frage des Alters, keine Frage einer bestimmten Generation. Sie ist geschichtlicher Fakt, ein Fakt, der uns allen, ob jung oder alt, eine besondere Zurückhaltung im Israel/Palästina-Konflikt auferlegt, ein Fakt, der uns auch besonders sensibel für die Bewegungen in unserem Lande machen sollte, die wieder das Motto „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen" predigen und die selbstgerecht auf andere zeigen.
    Unsere Geschichte gibt keinen Anlaß, uns wie Herr Bundesbildungsminister Möllemann moralisch über das Verhalten der israelischen Besatzungstruppen zu entrüsten, einseitige Verurteilungen vorzunehmen und mit Sanktionen zu drohen.

    (Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der CDU/CSU sowie der Abg. Frau Dr. HammBrücher [FDP])

    Es ist gespenstisch, wenn Herr Möllemann erklärt, Israels Ministerpräsident Schamir setze offenbar kühl darauf, daß vor dem Hintergrund des ungeheuerlichen Völkermordes an den Juden während der Naziherrschaft kaum jemand bereit sei, die derzeitige Politik Israels zu kritisieren. Diese einseitige Verurteilung Israels, zudem noch verbunden mit Drohungen durch deutsche Politiker, gibt nur jenen Alt- und Neunazis Auftrieb, die dankbar jede Gelegenheit ergreifen, die Verbrechen der NS-Zeit zu relativieren und zu verharmlosen und sie gegen andere Verbrechen aufzurechnen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Das, was in dem Zusammenhang der Nahostdebatte gesprochen worden ist, gesagt worden ist, geschrieben worden ist, in der Presse und in der Öffentlichkeit, hat mich persönlich verletzt. Das macht mir Angst; es macht mir Angst um die Zukunft unserer Demokratie. Meine Damen und Herren, die Förderung antisemitischer Tendenzen, die Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen dürfen wir nicht zulassen. Wenn wir sie zulassen, machen wir uns erneut schuldig. Was im deutschen Namen in Europa während des Nationalsozialismus geschehen ist, duldet keinen Vergleich. Der planmäßige Mord an Millionen von Juden ist ein in der Menschheitsgeschichte unvergleichbares Verbrechen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Angesichts von Auschwitz und Treblinka kann daher eine deutsche Verurteilung Israels nur zur Verhärtung der Fronten innerhalb Israels führen.
    Meine Damen und Herren, ich selbst habe ein Jahr in einem Kibbuz in Israel am Rande der Negev gelebt und gearbeitet. Ich weiß aus meiner persönlichen Erfahrung, wie mißtrauisch und sensibel Israelis — unabhängig von ihrer politischen Einstellung — auf eine derartige Einmischung aus Deutschland reagieren. Sie sind dann, wenn sie Vertrauen zu der Person gefaßt haben, zu diesem Gespräch bereit, aber sie wehren sich gegen plakative, pauschale, der Kompliziertheit der Situation nicht angemessene Kritik — meines Erachtens zu Recht.
    Vor dem Hintergrund des Holocaust, der zahlreichen Verfolgungen und Progrome in den anderen Ländern heißt Israeli zu sein, immer mit der Bedrohung und Angst zu leben: vor dem Krieg, vor dem Tod, dem eigenen, dem Tod der Kinder, der Verwandten, zu leben mit der Angst vor Überfällen, vor dem Verlust der Heimat. Kein Israeli wächst ohne diese Angst auf. Sichtbarer Ausdruck hierfür sind die Soldatinnen und Soldaten, das Gewehr auf der Schulter der Zivilisten, die Wachen, die nachts patrouillieren, der Luftschutzbunker unter dem Spielplatz, der Bunker vor dem Gemeinschaftsraum nahe der Synagoge, die militärischen Verteidigungsanlagen und die Camps.
    Jeder weiß, daß diese Bedrohung nicht der Vergangenheit angehört. Überfälle, mehr oder minder gewaltsame Auseinandersetzungen, Grenzverletzungen erlebt man täglich. Man hört und man liest darüber. Sie sind Bestandteil des normalen Lebens. Die Bedrohung ist Gegenwart, sie ist nicht eingrenzbar, und sie wirkt sich bis in das kleinste Dorf aus. Viele Israelis leben daher in dem Bewußtsein: Wir sind auf uns allein gestellt und müssen uns selbst verteidigen und schützen, und im Gegensatz zu unseren Großeltern können wir dies und tun es auch.
    Eine oberflächliche Betrachtungsweise, zu der die Wahrnehmung des Israel/Palästina-Konflikts per Bild und Film geradezu verführt, macht blind für Ursache und Entwicklung des Konflikts,

    (Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Sehr wahr!)

    und sie macht — das ist genauso entscheidend — blind für die vielfältigen politischen Strömungen und Gruppierungen in Israel und bei den Palästinensern und deren unterschiedliche Einschätzungen. Es gibt in Israel keine einheitliche Sicht des Palästina-Problems. Es gibt die Gruppe derjenigen, die die Palästinenser als Erbfeinde betrachten, die sie am liebsten auch aus den besetzten Gebieten restlos vertreiben würden, die ein Israel ohne Palästinenser wollen. Es gibt aber auch die wesentlich stärkere Friedensbewegung, die sich für eine Räumung der besetzten Gebiete, für ein nachbarschaftliches Verhältnis, für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser seit langem einsetzt, die ihnen gleiche Rechte und Chancen



    Frau Bulmahn
    einräumen will. Es gibt die Arbeiterpartei, die sich, wie Annemarie Renger bereits ausgesagt hat, mit ganz konkreten Schritten um einen dauerhaften Frieden bemüht. Es gibt den Likud-Block, und es gibt viele andere kleine Parteien, jeweils mit einer unterschiedlichen Sichtweise. Und — das sollte man nicht vergessen — es gibt die vielen jungen Israelis, die endlich einmal unbelastet, ohne das Schwert im Nakken zu spüren, leben möchten,

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    viele, die endlich Frieden wollen, weil es so viele andere notwendige Aufgaben in Israel zu erledigen gibt.
    Zur inneren Tragik des Nahost-Konfliktes gehört es, daß die Gründung des Staates Israel nur um den Preis neuer Opfer und neuer Leiden möglich war. Dem Existenzrecht Israels steht das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser gegenüber. Beide Ansprüche sind legitim und schließen sich so lange gegenseitig aus, wie es den Israelis und Palästinensern nicht gelingt, sich auf einen für beide Seiten tragfähigen Kompromiß zu verständigen. Eine Lösung des Nahost-Konflikts ist für beide Seiten eine Frage des Überlebens, eine Frage der Erhaltung ihrer persönlichen, aber auch ihrer politischen und moralischen Integrität.
    Eine deutliche Sprache spricht in diesem Zusammenhang ein Aufruf, den fast 500 israelische Psychologen, Psychiater, Sozialarbeiter und Geisteswissenschaftler unterschrieben haben:
    Seit 20 Jahren leben die Araber in besetzten Gebieten — ohne Bürgerrechte, in Furcht und Demütigung. Diese Situation hat einen schrecklichen Einfluß auf die jüdische Bevölkerung selbst. Wir sind jeden Tag mit Akten der Unterdrückung beschäftigt. Wir sind dabei, unser Gefühl für menschliches Leid zu verlieren, und unsere Kinder wachsen auf mit den Werten von Diskriminierung und Rassismus. Von einem todbringenden Standpunkt haben wir unsere Soldaten in eine unmögliche Situation gebracht.
    Die Situation der Palästinenser ist trostlos. Sie fühlen sich im Stich gelassen von den übrigen arabischen Ländern. Besonders die Menschen, die in Lagern leben, haben nichts als Hoffnungslosigkeit, Armut und den Wunsch nach Rache kennengelernt. Sie sind aufgegeben worden, auch von ihren angeblichen Freunden, für die sie — das ist immer mehr Palästinensern deutlich geworden — nur ein Spielball für deren Interessen waren.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Krieg ist kein Zustand, der unbegrenzt andauern kann, ohne daß die Beteiligten Schaden nehmen. Es muß möglich sein, eine Friedensordnung zu finden, die sowohl dem Existenzrecht Israels wie dem Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser Rechnung trägt. Es gibt keine andere Wahl.
    Es gibt aber auch Zeichen der Bewegung, Zeichen der Hoffnung. So zeigte die arabische Seite in den vergangenen Jahren, wie etwa auf der 9. Arabischen Gipfelkonferenz von 1982 in Fes, zunehmend Bereitschaft, die staatliche Existenz Israels anzuerkennen.
    Ähnliches ist auch in neueren Erklärungen Arafats erkennbar. Hoffnung machen auch die Vorschläge von Außenminister Shultz oder die Vorschläge des israelischen Außenministers Peres, der baldige Wahlen und Autonomieverhandlungen für die besetzten Gebiete sowie eine internationale Nahost-Friedenskonferenz befürwortet.
    Gesprächs- und Kompromißbereitschaft sowie Verhandlungen sind der einzige Weg, der aus dieser scheinbar ausweglosen Lage herausführen kann. Gerade deshalb hilft es weder Israel noch den Palästinensern, wenn wir Deutschen Schuldzuweisungen aussprechen und den moralischen Zeigefinger heben. Was notwendig ist, ist, die Bereitschaft zu fördern, miteinander zu reden, nicht nur auf Staatsebene, sondern auch von Frau zu Frau, von Mann zu Mann. Schuldzuweisungen und deklamatorische Appelle helfen in einer derartigen Situation nicht, sondern verhärten die jeweilige Seite, die sich nun noch einmal mehr im Recht fühlt. Sie verhindern somit die Bereitschaft zur Annäherung, zur Akzeptanz des anderen und stärken damit die Gegner eines Friedensplans im jeweiligen Lager.
    Wir alle wollen auf dem Weg zum Frieden helfen. Wir dürfen dabei aber zumindest nicht weiter stören.

    (Beifall bei allen Fraktionen)