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ID1106901400

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    Plenarprotokoll 11/69 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 69. Sitzung Bonn, Freitag, den 11. März 1988 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 4686 C Tagesordnungspunkt 26: Aussprache über die Lage im Nahen Osten, insbesondere in den von Israel besetzten Gebieten Dr. Stercken CDU/CSU 4667 B Gansel SPD 4669 D Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 4672 B Schily GRÜNE 4674 B, 4680 D Genscher, Bundesminister AA 4674 C Frau Renger SPD 4676 D Frau Geiger CDU/CSU 4678 C Frau Bulmahn SPD 4681 D Tagesordnungspunkt 27: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (Drucksachen 11/281, 11/1892, 11/1943) Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 4683 D Singer SPD 4684 C Kleinert (Hannover) FDP 4684 D Frau Nickels GRÜNE 4685 C Engelhard, Bundesminister BMJ 4686 A Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen auf Einwilligung in die Veräußerung bundeseigener Grundstücke in Mannheim-Schönau (Drucksache 11/1992) 4686 C Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. de With, Singer, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Bachmaier, Klein (Dieburg), Dr. Pick, Schmidt (München), Schütz, Stiegler, Wiefelspütz, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Untersuchungshaft (Drucksache 11/688) Singer SPD 4686 D Marschewski CDU/CSU 4688 D Frau Nickels GRÜNE 4690 A Funke FDP 4691 B Engelhard, Bundesminister BMJ 4692 B Nächste Sitzung 4693 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 4695* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 4695* C Anlage 3 Beurteilung des Fan-Gutachtens und Gründe für die Nichtveröffentlichung; Konsequenzen für die Vorbereitung der Fußballeuropameisterschaft MdlAnfr 75, 76 04.03.88 Drs 11/1937 Brauer GRÜNE SchrAntw PStSekr Spranger BMI . . . . 4695* D Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. März 1988 4667 69. Sitzung Bonn, den 11. März 1988 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 11. 3. Bahr 11. 3. Frau Beck-Oberdorf 11. 3. Becker (Nienberge) 11. 3. Bindig 11. 3. Frau Brahmst-Rock 11. 3. Buschbom 11. 3. Buschfort 11. 3. Catenhusen 11. 3. Frau Conrad 11. 3. Ebermann 11. 3. Frau Fuchs (Köln) 11. 3. Dr. Gautier 11. 3. Dr. Glotz 11. 3. Dr. Götz 11. 3. Gröbl 11. 3. Dr. Hauff 11. 3. Dr. Haussmann 11. 3. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 11. 3. Frau Hensel 11. 3. Dr. Holtz 11. 3. Dr. Hüsch 11. 3. Ibrügger 11. 3. Dr. Jobst 11. 3. Frau Kelly 11. 3. Kiechle 11. 3. Klein (Dieburg) 11. 3. Klein (München) 11. 3. Dr. Köhler (Wolfsburg) 11. 3. Koschnick ** 11. 3. Lemmrich 11. 3. Lintner 11. 3. Frau Luuk 11. 3. Dr. Mechtersheimer 11. 3. Dr. Mertens (Bottrop) 11. 3. Meyer 11. 3. Müller (Schweinfurt) 11. 3. Dr. Neuling 11. 3. Oostergetelo 11. 3. Dr. Pinger 11. 3. Reimann 11. 3. Repnik 11. 3. Reschke 11. 3. Reuschenbach 11. 3. Frau Roitzsch (Quickborn) 11. 3. Sauer (Salzgitter) ** 11. 3. Schäfer (Mainz) 11. 3. Frau Schilling 11. 3. von Schmude 11. 3. Dr. Schneider (Nürnberg) 11. 3. Dr. Schöfberger 11. 3. Schreiber ** 11. 3. Schütz 11. 3. Schulze (Berlin) 11. 3. Seehofer 11. 3. Frau Simonis 11. 3. Dr. Spöri 11. 3. Stiegler 11. 3. Frau Teubner 11. 3. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Trenz 11. 3. Frau Unruh 11. 3. Verheugen 11. 3. Frau Dr. Vollmer 11. 3. Dr. Waigel 11. 3. Graf von Waldburg-Zeil 11. 3. Wieczorek (Duisburg) 11. 3. Wilz 11. 3. Wischnewski 11. 3. Wissmann 11. 3. Dr. de With 11. 3. Frau Wollny 11. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 7. März 1988 mitgeteilt, daß sie ihren Antrag „Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse in der Republik Südkorea", Drucksache 11/525, zurückzieht. Der Vorsitzende des Finanzausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht; Drucksache 11/883 Nr. 48 Drucksache 11/1526 Nr. 1.3 Drucksache 11/1450 Nr. 1.1, 1.2 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß sie die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen haben: Innenausschuß Drucksache 11/1656 Nr. 3.1 Finanzausschuß Drucksache 11/1707 Nr. 1 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Drucksache 11/1656 Nr. 3.38 Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Fragen des Abgeordneten Brauer (GRÜNE) (Drucksache 11/1937 Fragen 75 und 76) : Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse des jüngsten Fan-Gutachtens, und welche Gründe sprachen nach Ansicht der Bundesregierung gegen die ursprünglich geplante Entscheidung einer offiziellen Übergabe des Gutachtens an die Öffentlichkeit? Welche Schlußfolgerungen zieht sie für die Vorbereitung der bevorstehenden Fußballeuropameisterschaft, und wie soll nach Ansicht der Bundesregierung der internationale Fan-Meldedienst funktionieren bzw. ausgestaltet werden? 4696* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. März 1988 Zu Frage 75: Das Gutachten „Fankultur und Fanverhalten" wurde von den Mitgliedern der Projektgruppe „Sport und Gewalt" des Bundesinstituts für Sportwissenschaft als Weiterführung der ersten Studie zu „Sport und Gewalt" erstellt. Im Mittelpunkt des Gutachtens stehen Beschreibungen der heutigen Jugendkultur und ihres Strukturwandels, der Fankultur und Fanrealität, der Reaktionen von Sportvereinen, Medien und Polizei auf das Fanverhalten und eine Begründung der pädagogischen Arbeit mit Fußballfans aus der Sicht der Verfasser, was noch der kritischen Überprüfung bedarf. Der Bundesminister des Innern hat die Erstellung zwar initiiert, auf die inhaltliche Ausgestaltung des Gutachtens aber keinen Einfluß genommen. Ich bin z. B. der Ansicht, daß die im Gutachten immer wieder auftauchende Kritik am Polizeieinsatz nicht hilfreich ist. Bürger, auch Fußballzuschauer, haben Anspruch, vor einer gewaltorientierten Minderheit von Jugendlichen, für die der im Gutachten undifferenziert verwandte Begriff „Fan" im Grunde falsch ist und die Bezeichnung „Rowdy" besser paßt, geschützt zu werden. Die im Gutachten geforderte sogenannte Rückbindung des Polizeieinsatzes ist erst dann möglich, wenn keine gravierenden Rechtsverstöße durch Besucher von Fußballspielen mehr zu befürchten sind. Ursprüngliche Vorüberlegungen das Gutachten im Rahmen eines Pressegesprächs selbst der Öffentlichkeit vorzustellen hat der Bundesminister des Innern nach Vorlage des Gutachtens nicht weiter verfolgt, weil er wie dargetan, sich nicht inhaltlich mit ihm identifizieren kann. Zu Frage 76: Unmittelbare Schlußfolgerungen für die Vorbereitungen der Sicherheit zur Fußball-Europameisterschaft 1988 in der Bundesrepublik Deutschland sind dem Gutachten nicht zu entnehmen. Zwischen den EG-Partnerstaaten ist mit Zustimmung der verantwortlichen Bundesländer vereinbart, daß sicherheitsrelevante Fakten über einreisende Fan-Gruppen während der Fußball-Europameisterschaft 1988 rechtzeitig über einen zentralen Ansprechpartner an die zuständigen Polizeibehörden der Länder gesteuert werden.
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    Rede von Michaela Geiger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Selten habe ich so lange über eine Bundestagsrede nachgedacht, und selten ist es mir so schwergefallen, die passenden Worte zu finden; denn wir sehen jeden Tag erschütternde Bilder im Fernsehen.
    Gernot Römer hat dies in der „Augsburger Allgemeinen" vom 23. Februar 1988 so beschrieben:
    Erschreckendes geschieht im Namen Israels: Soldaten der ruhmreichsten Armee in Nahost, Söhne und Enkel von Hitlers Opfern, schießen auf Kinder; brechen Palästinensern gewollt Knochen; haben versucht, ... Araber ... bei lebendigem Leib zu begraben.
    Dürfen wir dazu schweigen? Dürfen wir dies verdammen? Wir Deutschen sind ganz sicher die letzten, die den Staat Israel anklagen dürfen. Aber wir müssen mahnen und klarmachen, daß Gewalt kein Mittel der Politik sein darf, ganz gleich, in welchem Gebiet der Erde.
    Beim Aufstand im Westjordanland und in Gaza werden, wie wir uns tagtäglich im Fernsehen überzeugen können, Kinder, Jugendliche und Frauen vorgeschickt. Das stellt die israelischen Soldaten vor eine sehr schwierige Aufgabe. Auf solche Situationen sind die jungen Israelis nicht vorbereitet. Es kommt zu falschen Reaktionen. Die jungen Soldaten sind für Kinderaufstände nicht geschult worden.
    Israel hat vier Kriege zur Selbsterhaltung führen müssen und damit ehrenvoll abgeschnitten. Beim jetzigen Kampf gegen die zivile Bevölkerung fühlen sich manche Soldaten so stark provoziert, daß sie auf schlimme Weise überreagieren. Die israelische Justiz versucht, die Übergriffe zu ahnden, und die Presse prangert das Unrecht an; denn es gibt glücklicherweise in Israel eine funktionierende, westlich geprägte, im Abendland verwurzelte Demokratie.
    Ich rede nicht dem Verschweigen oder Vertuschen das Wort. Meine Fraktion hat stets die Übergriffe sowohl der israelischen Soldaten als auch der Palästinenser verurteilt und beide Seiten zur sofortigen Gewalteinstellung aufgefordert. Denn eines ist sicher: Jeder geworfene Stein, jeder abgefeuerte Schuß schaffen Haß und machen die Aussöhnung zwischen dem israelischen und dem palästinensischen Volk noch schwieriger.

    Frau Geiger
    Die Situation in den besetzten Gebieten hat sich in den letzten Jahren sehr verschlechtert. Dies hat zu Eruptionen der Gewalt auf beiden Seiten geführt. Manfred Rowold beschrieb dies in der „Welt" vom 22. Januar 1988 folgendermaßen:
    Als 1967 das kleine Israel sich der drohenden arabischen Übermacht erwehren mußte und dies mit Bravour tat, da gebührte den drei Millionen Juden auf diesem Landstrich von der Größe Hessens die Bewunderung der Welt, zumindest der westlichen — David hatte Goliath besiegt. In den zwei Jahrzehnten seither haben sich die Rollen vertauscht, die Sympathien sind ins Wanken geraten. Denn aus David ist in den Augen der breiten Öffentlichkeit ein Goliath geworden. Und jene Palästinenser, die Steine werfen, sind für viele die neuen Davids.
    Vor allem das Stagnieren des Friedensprozesses zwischen Israelis und Arabern hat bei den Bewohnern der besetzten Gebiete mehr und mehr zu Frustrationen geführt. Stillstand kann diese Probleme nicht lösen, sondern verschärft sie. Das gilt auch für das israelisch-arabische Verhältnis. Die fehlende Zukunftsperspektive für ihr politisches Schicksal hat die Palästinenser radikalisiert. Die Radikalisierung macht jetzt ihrerseits die Aussichten auf eine Verständigung zunichte.
    Die Ausschreitungen einzelner israelischer Soldaten haben das Klima weiter angeheizt. Wer hier wen provoziert — wer kann diese Frage heute in diesem Strudel von Gewalt überhaupt noch beantworten? Deshalb wäre es auch völlig verfehlt, wenn wir hier im Bundestag einseitige Schuldzuweisungen vornähmen. Das würde das Gegenteil von dem bewirken, was wir erreichen wollen. Die Fronten würden sich weiter verhärten, statt Dialogbereitschaft zu fördern.
    Die Krise hat in Israel selbst zu einer quälenden Gewissenserforschung geführt. Viele Israelis stellen sich erschrocken die Frage: Wie konnte dies alles geschehen? Fast täglich protestieren israelische Bürger gegen das blutige Geschehen in den besetzten Gebieten und gegen die Palästinenserpolitik ihrer Regierung.
    Es spricht für Israel, daß es die Berichterstattung in den besetzten Gebieten nicht behindert hat, sondern daß es sich tagtäglich mit diesen schlimmen Bildern auseinandersetzt. Wo sonst geschieht dies auf der Welt, wo Bevölkerungsgruppen gegen eine Staatsgewalt aufbegehren?

    (Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Sehr wahr!)

    Von über 100 Toten in Aserbeidschan wird gesprochen, vom Einsatz von Panzern in Armenien, von Unruhen in den baltischen Gebieten, in Kronstadt, in Sri Lanka, im Punjab, um nur einige zu nennen. Bildberichterstattung oder gar Fernsehfilme gibt es darüber nicht, obwohl diese Ereignisse nicht minder erschütternd sind.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Wir, die Bundesrepublik Deutschland, haben aus moralischen und politischen Gründen nicht nur das
    Recht, sondern auch die Pflicht, im Rahmen unserer
    Möglichkeiten zu einer Friedensregelung im Nahen Osten beizutragen. Daß wir dies nicht allein, sondern mit unseren EG-Partnern und vor allem auch in Absprache mit den USA tun, ist selbstverständlich.
    Meine Fraktion rät zur Behutsamkeit und zur politischen Zurückhaltung. Das bedeutet nicht fehlende Teilnahme oder fehlendes Engagement für alles, was den Konflikt entschärft, was die Sprachlosigkeit überwindet und den Ausgleich vorbereitet. Wir unterstützen die Bundesregierung in ihrer Haltung, wie sie auch in der gemeinsamen Erklärung der EG zum Ausdruck kommt.
    Wir halten es für absolut erforderlich, daß die Lebensbedingungen für die Bewohner der besetzten Gebiete verbessert werden. Deshalb ist es zu begrüßen, daß die EG Hilfe gewähren will und bestimmten Erzeugnissen aus diesen Gebieten präferentiellen Zugang zum Gemeinschaftsmarkt einräumt. Israel sollte diese Maßnahmen nicht länger behindern. Auf der anderen Seite war es aber auch ein großer Fehler, daß das Europaparlament mit den Stimmen der Sozialisten verhindert hat, daß die jüngsten Kooperationsabkommen mit Israel in Kraft treten können. Sanktionen — wo auch immer — haben keinen Sinn.
    Bei einer Debatte über den Nahen Osten sollte der Blickwinkel nicht auf das ungelöste israelisch-palästinensische Dilemma und schon gar nicht auf Israel und die PLO verengt werden. Wir haben es schließlich mit einem ganzen Herd von unterschiedlichen und doch irgendwie untereinander verbundenen Konflikten zu tun. Der ganze Nahe Osten ist heute Krisengebiet. Eine einfühlsame deutsche Politik in Nahost kann der schrittweisen Befriedung ganz sicher dienlich sein.
    Noch mehr Gewicht hat die einheitliche Politik der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, wie sie in der Erklärung der Außenminister zum Nahen Osten vom 23. Februar 1988 in Brüssel formuliert wurde.
    Für unsere deutsche Politik im Nahen und Mittleren Osten gelten die folgenden Grundsätze:
    Erstens. Die Mitverantwortung für die Existenz Israels in sicheren Grenzen gehört zu den Grundfesten der deutschen Außenpolitik. Diese Mitverantwortung bedeutet aber nicht das automatische Einverständnis mit allen Positionen der israelischen Politik. Das galt und gilt insbesondere für Israels Politik in den besetzten Gebieten. Die Siedlungspolitik in diesen Gebieten, von der Israels Freunde im Westen abrieten, hat sich als Bumerang erwiesen. Sie hat Israel letztlich nicht mehr, sondern weniger Sicherheit gebracht.
    Zweitens. Seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland gehört der Verzicht auf Androhung und Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele zu den Grundsätzen unserer Außenpolitik. Daher fordern wir die Anerkennung und Einhaltung dieser Norm zur Konfliktlösung auch für Nahost. Solange die PLO nicht glaubwürdig auf Haß und Terror gegenüber Israel verzichtet, kann sie unserer Auffassung nach kein hilfreicher Partner in dem Prozeß zur friedlichen Konfliktregelung sein. Einer israelischen Regierung könnte kein Staatsgebilde in nächster Nähe zugemutet werden, in dem eine PLO das Sagen hätte,



    Frau Geiger
    die zu brutalen Anschlägen und Geiselnahmen bereit ist.
    Drittens. Genauso wie wir das Selbstbestimmungsrecht für unser eigenes deutsches Volk fordern, treten wir auch für das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes ein. Das darf aber nicht zu Lasten anderer Völker in Nahost gehen und muß die Lebensinteressen Israels berücksichtigen. Besondere Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit Israels, eventuell eine Entmilitarisierung besetzter Gebiete, könnten dem Rechnung tragen.
    Viertens. Wir treten für eine einvernehmliche Verhandlungslösung ein, da nur so ein Ausgleich der Rechte beider Seiten erreicht werden kann. Wir unterstützen dabei alle Initiativen, die dein Friedensprozeß neue Impulse geben und den Dialog zwischen den Beteiligten wiederaufleben lassen.
    Ich wiederhole: Der erste und wichtigste Schritt ist die Einstellung der Gewalt auf beiden Seiten.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Auf der Grundlage dieser Leitlinien tritt die Bundesrepublik Deutschland seit Jahren für Frieden und Stabilität in der für uns politisch, strategisch und wirtschaftlich so wichtigen Region ein. Leider ist diese Region heute friedloser denn je. Die Hoffnungen auf einen Erfolg, die 1979 mit dem Camp-David-Abkommen und nachfolgenden Initiativen verbunden waren, sind geschwunden. Im Libanon halten die Spannungen und die Bürgerkriegssituation an. Der Krieg zwischen Irak und Iran geht brutaler denn je weiter und ist gerade in diesen Tagen wieder eskaliert, ohne daß wir im Bundestag darüber eine Debatte geführt haben.
    Wir müssen befürchten, daß es so schnell nicht zur Stabilisierung der Region kommt. Das Mißtrauen sitzt tief und ist durch diejenigen mitzuverantworten, die mit Mord und Terror jahrelang Politik zu machen versuchten. Außer Leid, Fanatismus und Entsetzen hat diese Strategie der Gewalt nichts gebracht. Mit ihr muß eindeutig und endgültig gebrochen werden. Ich sage das bewußt auch vor dem Hintergrund des jüngsten Terroranschlags im Süden Israels, der in dieser Woche wieder sechs Menschenleben gekostet hat.
    Der Bürgermeister von Jerusalem und Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, Teddy Kollek, ein Mann, der sich um ein friedliches Miteinander von Juden und Arabern große Verdienste erworben hat, hat erst in diesen Tagen die Europäer um Geduld gebeten und an unsere eigene lange und leidvolle Geschichte bis zur Verständigung und Aussöhnung erinnert. Es steht zu befürchten, daß sich der Nahe Osten jetzt auf diesem langen und leidvollen Weg befindet, und wir sollten diesen Weg mit allem Nachdruck zu begradigen versuchen und dabei sowohl unsere guten Beziehungen zu Israel als auch zu den arabischen Staaten einsetzen. Noch haben wir und die Europäer Einfluß auf beide Seiten, den es zu nutzen gilt. Dabei müssen wir unseren Dialog mit den Arabern intensivieren, um ihre Bereitschaft zur Beteiligung an den Friedensbemühungen zu fördern.
    Frieden im Nahen Osten ist auch ohne die Großmächte weder denkbar noch haltbar. Sie können mit
    allen Konfliktparteien den Frieden durchsetzen und glaubhaft garantieren. Die Vereinigten Staaten sind dankenswerterweise bereits aktiv geworden. Für die Bemühungen von US-Außenminister Shultz hätte ich mir allerdings in den letzen Wochen eine stärkere europäische Rückendeckung gewünscht, auch wenn der Erfolg der Shultz-Mission noch ungewiß ist. Shultz hat zumindest mit einer wahren Kärrnerarbeit versucht, positive Anstöße zu geben. Und den Arabern möchte ich sagen: Die Aufrichtigkeit des Shultz-Engagements können Sie schon daran sehen, daß die jetzige amerikanische Regierung die eventuellen Früchte dieser Politik ja gar nicht mehr selbst ernten kann. Die Araber sollten ebenso wie die Israelis die Vorschläge also ernsthaft prüfen.
    Alle Länder im Nahen Osten haben das Recht, innerhalb sicherer, anerkannter und garantierter Grenzen in Frieden zu leben. Solange jedoch um das gleiche Stück Land verschiedene Besitzansprüche miteinander in Fehde liegen, sind die Chancen auf einen dauerhaften Frieden leider gering.
    Schließen möchte ich heute mit den Worten von Asher Ben Nathan, dem ersten Botschafter des Staates Israel in der Bundesrepublik, anläßlich des 40-JahreJubiläums am vergangenen Sonntag. Er hat gesagt:
    Wie oft, wenn alles schwarz und hoffnungslos aussieht, gibt es Lichtstrahlen, die Quellen neuer Hoffnung sind, die Erkenntnis vieler Araber, daß Israel eine Tatsache ist, mit der man sich abfinden muß und die mit Gewalt nicht zu beseitigen ist. Andererseits wird die auf beiden Seiten sich durchsetzende Erkenntnis, daß man miteinander verhandeln muß, letzthin zu Lösungen führen, die allen Beteiligten das Recht auf Sicherheit, Identität und Selbstverwaltung garantieren.
    Ich wünsche sehr, daß er recht behalten wird. Danke schön.

    (Beifall bei allen Fraktionen)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Schily.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Otto Schily


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Der historische Ort, in dem auch nach 40 Jahren diese Debatte stattfindet, bleibt auch in diesem Jahr, 1988, Auschwitz. Zwischen Juden und Deutschen gibt es für alle Zeiten keine einfachen Wahrheiten. Wir müssen der Versuchung der heimlichen oder offenen Entlastung widerstehen. Auch mit einer noch so polierten Patentmoral können wir uns nicht vor den Schatten der Vergangenheit in Sicherheit bringen. Weder vergessen noch verzweifeln: Das ist der schwierige Rat, den es anzunehmen gilt. Das begründet das Bündnis des Gewissens mit Israel, Israel als Hoffnung und Zuflucht für die Juden auf der ganzen Welt. Das begründet zugleich die Verpflichtung auf die Unteilbarkeit der Menschenrechte ohne Ausnahme und überall.

    (Beifall bei den GRÜNEN)


    Schily
    Deshalb muß das Existenzrecht Israels von uns ebenso selbstverständlich anerkannt werden wie das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Diese zwei Gerechtigkeiten, das Existenzrecht Israels und das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser, stehen scheinbar in einem unauflösbaren Widerspruch. Nach Karl Marx entscheidet zwischen zwei gleichen Rechten die Gewalt. Dieser elende Satz, dem vermutlich viele Völkerrechtler zustimmen, führt aber unweigerlich in den Untergang und zur Aufhebung der jeweils eigenen Legitimation. Gewalt verwandelt Gerechtigkeit in Ungerechtigkeit. Das war es, was eine Palästinenserin meinte, als sie einem israelischen Soldaten zurief: „Seid Ihr verrückt geworden? Ihr zerstört Euer eigenes Land. "
    Die Machtkonkurrenz der beiden Lager im Nahen Osten, die Siegesbesessenheit, die Sicherheit durch die fortwährende Ausdehnung des jeweiligen Machtbereichs zu erlangen trachtet, wird in Zerstörung und Selbstzerstörung enden. Der israelische Ministerpräsident Schamir auf der einen Seite, im starren Festhalten an dem expansiven Ziel eines Groß-Israel unter Einbeziehung der besetzten Gebiete, und PLO-Außenminister Kadumi auf der anderen Seite, der unverhüllt den ebenso expansiven Machtanpsruch auf Gesamtpalästina unter Einbeziehung Israels proklamiert, sie werden den Frieden nicht erreichen. Unmenschlichkeit, Terror und Gegenterror, getötete palästinensische und jüdische Kinder und Frauen, Haß und Rache werden so nie aufhören.
    Zwei Gerechtigkeiten können nur zueinander kommen, wenn sie sich wechselseitig anerkennen. Der fatalistischen Formel von Marx ist der Gedanke eines arabischen Freundes von Henryk Broder vorzuziehen, der meinte, der Klügere gebe erfahrungsgemäß nicht immer nach, daher müsse der Stärkere den ersten Schritt tun. Die israelische Friedensbewegung ist entschlossen, den ersten Schritt zu gehen. Sie demonstriert für „Land gegen Frieden". Ihr vertrauen wir, sie ist unsere Hoffnung, ihr gilt unsere Unterstützung.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Unsere Hoffnung sind die israelischen Offiziere, von denen einige dem Generalstab angehören, die in einem Brief an Ministerpräsident Schamir zu Verhandlungen mit den Palästinensern aufgefordert haben. Unsere Hoffnung sind israelische Soldaten, die von ihrem Recht auf Befehlsverweigerung Gebrauch machen. Unsere Hoffnung sind israelische Intellektuelle, die zu Gesprächen mit der PLO auffordern. Unsere Hoffnung sind Palästinenser wie Hana Seniora, die ohne Vorbehalte Gespräche mit Israelis führen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Unsere Hoffnung sind Uri Avneri und Mate Peled und viele andere, die sich für Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Juden und Arabern einsetzen. Unsere Hoffnung ist die Tochter des ermordeten palästinensischen Politikers Sartauwi, die erst vor kurzem zu Gesprächen mit Israelis zusammengetroffen ist. Unsere Hoffnung sind die Juden in der Diaspora, die
    in ihrer überwältigenden Mehrheit für eine Verständigung mit den Palästinensern eintreten. Unsere Hoffnung sind alle Juden und Araber, die sich nicht entmutigen und, von wem immer, einschüchtern lassen.
    Alle Hoffnung hängt davon ab, daß Gespräche und Verhandlungen in Gang kommen und die Waffen schweigen. Eine internationale Friedenskonferenz unter der Schirmherrschaft der UNO und mit Beteiligung aller Konfliktparteien einschließlich der PLO darf nicht länger hinausgezögert werden. Eine umfassende Lösung kann nicht am Anfang der Verhandlungen stehen. Die direkte Straße geradeaus zum Frieden: Wo soll sie sein? Es kommt darauf an, Übergänge zu finden. Jeder Vorschlag im Sinne von Annäherungen an den Frieden sollte willkommen sein.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

    Die Shultz-Initiative ist möglicherweise ein solcher Vorschlag, der bei gutem Willen Bewegung in die verhärteten Fronten bringen könnte, auch wenn er noch nicht eine endgültige Friedensregelung enthält. Der Shultz-Plan kann hilfreich sein, wenn er als Interimslösung verstanden wird. Nicht zufällig lehnen sowohl der israelische Ministerpräsident Schamir als auch der syrische Staatspräsident Assad den Shultz-Plan kategorisch ab. Schamir befürchtet offenbar, daß jede Autonomieregelung nur eine Zwischenphase darstellt, an deren Ende ein palästinensischer Staat nicht mehr zu verhindern ist. Das bewog ihn seinerzeit dazu, gegen die Ratifizierung des Camp-David-Abkommens zu stimmen. Diesem Widerstreben liegt die richtige Erkenntnis zugrunde, daß eine Autonomieregelung eine bessere Ausgangsposition für die Gründung eines palästinensischen Staates ist als der gegenwärtige Zustand. Einige arabische Regierungen widersetzen sich dem Shultz-Plan, weil sie einer Defacto-Anerkennung Israels ausweichen wollen.
    Zu einer internationalen Friedenskonferenz gibt es nur eine tödliche Alternative. Wer die Gewalt nicht zum Schiedsrichter machen will, wird auf Maximalforderungen verzichten und Kompromisse suchen müssen. Nur das eröffnet die reale Aussicht auf eine friedliche Nachbarschaft Israels mit einem palästinensischen Staat, auf wirtschaftliche Kooperation zwischen Israelis und Palästinensern und auf Freiheit der Kulturen und Religionen in der gesamten Region.
    Shalom! Salam!

    (Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der CDU/CSU)