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    Plenarprotokoll 11/69 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 69. Sitzung Bonn, Freitag, den 11. März 1988 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 4686 C Tagesordnungspunkt 26: Aussprache über die Lage im Nahen Osten, insbesondere in den von Israel besetzten Gebieten Dr. Stercken CDU/CSU 4667 B Gansel SPD 4669 D Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 4672 B Schily GRÜNE 4674 B, 4680 D Genscher, Bundesminister AA 4674 C Frau Renger SPD 4676 D Frau Geiger CDU/CSU 4678 C Frau Bulmahn SPD 4681 D Tagesordnungspunkt 27: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (Drucksachen 11/281, 11/1892, 11/1943) Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 4683 D Singer SPD 4684 C Kleinert (Hannover) FDP 4684 D Frau Nickels GRÜNE 4685 C Engelhard, Bundesminister BMJ 4686 A Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen auf Einwilligung in die Veräußerung bundeseigener Grundstücke in Mannheim-Schönau (Drucksache 11/1992) 4686 C Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. de With, Singer, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Bachmaier, Klein (Dieburg), Dr. Pick, Schmidt (München), Schütz, Stiegler, Wiefelspütz, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Untersuchungshaft (Drucksache 11/688) Singer SPD 4686 D Marschewski CDU/CSU 4688 D Frau Nickels GRÜNE 4690 A Funke FDP 4691 B Engelhard, Bundesminister BMJ 4692 B Nächste Sitzung 4693 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 4695* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 4695* C Anlage 3 Beurteilung des Fan-Gutachtens und Gründe für die Nichtveröffentlichung; Konsequenzen für die Vorbereitung der Fußballeuropameisterschaft MdlAnfr 75, 76 04.03.88 Drs 11/1937 Brauer GRÜNE SchrAntw PStSekr Spranger BMI . . . . 4695* D Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. März 1988 4667 69. Sitzung Bonn, den 11. März 1988 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 11. 3. Bahr 11. 3. Frau Beck-Oberdorf 11. 3. Becker (Nienberge) 11. 3. Bindig 11. 3. Frau Brahmst-Rock 11. 3. Buschbom 11. 3. Buschfort 11. 3. Catenhusen 11. 3. Frau Conrad 11. 3. Ebermann 11. 3. Frau Fuchs (Köln) 11. 3. Dr. Gautier 11. 3. Dr. Glotz 11. 3. Dr. Götz 11. 3. Gröbl 11. 3. Dr. Hauff 11. 3. Dr. Haussmann 11. 3. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 11. 3. Frau Hensel 11. 3. Dr. Holtz 11. 3. Dr. Hüsch 11. 3. Ibrügger 11. 3. Dr. Jobst 11. 3. Frau Kelly 11. 3. Kiechle 11. 3. Klein (Dieburg) 11. 3. Klein (München) 11. 3. Dr. Köhler (Wolfsburg) 11. 3. Koschnick ** 11. 3. Lemmrich 11. 3. Lintner 11. 3. Frau Luuk 11. 3. Dr. Mechtersheimer 11. 3. Dr. Mertens (Bottrop) 11. 3. Meyer 11. 3. Müller (Schweinfurt) 11. 3. Dr. Neuling 11. 3. Oostergetelo 11. 3. Dr. Pinger 11. 3. Reimann 11. 3. Repnik 11. 3. Reschke 11. 3. Reuschenbach 11. 3. Frau Roitzsch (Quickborn) 11. 3. Sauer (Salzgitter) ** 11. 3. Schäfer (Mainz) 11. 3. Frau Schilling 11. 3. von Schmude 11. 3. Dr. Schneider (Nürnberg) 11. 3. Dr. Schöfberger 11. 3. Schreiber ** 11. 3. Schütz 11. 3. Schulze (Berlin) 11. 3. Seehofer 11. 3. Frau Simonis 11. 3. Dr. Spöri 11. 3. Stiegler 11. 3. Frau Teubner 11. 3. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Trenz 11. 3. Frau Unruh 11. 3. Verheugen 11. 3. Frau Dr. Vollmer 11. 3. Dr. Waigel 11. 3. Graf von Waldburg-Zeil 11. 3. Wieczorek (Duisburg) 11. 3. Wilz 11. 3. Wischnewski 11. 3. Wissmann 11. 3. Dr. de With 11. 3. Frau Wollny 11. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 7. März 1988 mitgeteilt, daß sie ihren Antrag „Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse in der Republik Südkorea", Drucksache 11/525, zurückzieht. Der Vorsitzende des Finanzausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht; Drucksache 11/883 Nr. 48 Drucksache 11/1526 Nr. 1.3 Drucksache 11/1450 Nr. 1.1, 1.2 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß sie die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen haben: Innenausschuß Drucksache 11/1656 Nr. 3.1 Finanzausschuß Drucksache 11/1707 Nr. 1 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Drucksache 11/1656 Nr. 3.38 Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Fragen des Abgeordneten Brauer (GRÜNE) (Drucksache 11/1937 Fragen 75 und 76) : Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse des jüngsten Fan-Gutachtens, und welche Gründe sprachen nach Ansicht der Bundesregierung gegen die ursprünglich geplante Entscheidung einer offiziellen Übergabe des Gutachtens an die Öffentlichkeit? Welche Schlußfolgerungen zieht sie für die Vorbereitung der bevorstehenden Fußballeuropameisterschaft, und wie soll nach Ansicht der Bundesregierung der internationale Fan-Meldedienst funktionieren bzw. ausgestaltet werden? 4696* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. März 1988 Zu Frage 75: Das Gutachten „Fankultur und Fanverhalten" wurde von den Mitgliedern der Projektgruppe „Sport und Gewalt" des Bundesinstituts für Sportwissenschaft als Weiterführung der ersten Studie zu „Sport und Gewalt" erstellt. Im Mittelpunkt des Gutachtens stehen Beschreibungen der heutigen Jugendkultur und ihres Strukturwandels, der Fankultur und Fanrealität, der Reaktionen von Sportvereinen, Medien und Polizei auf das Fanverhalten und eine Begründung der pädagogischen Arbeit mit Fußballfans aus der Sicht der Verfasser, was noch der kritischen Überprüfung bedarf. Der Bundesminister des Innern hat die Erstellung zwar initiiert, auf die inhaltliche Ausgestaltung des Gutachtens aber keinen Einfluß genommen. Ich bin z. B. der Ansicht, daß die im Gutachten immer wieder auftauchende Kritik am Polizeieinsatz nicht hilfreich ist. Bürger, auch Fußballzuschauer, haben Anspruch, vor einer gewaltorientierten Minderheit von Jugendlichen, für die der im Gutachten undifferenziert verwandte Begriff „Fan" im Grunde falsch ist und die Bezeichnung „Rowdy" besser paßt, geschützt zu werden. Die im Gutachten geforderte sogenannte Rückbindung des Polizeieinsatzes ist erst dann möglich, wenn keine gravierenden Rechtsverstöße durch Besucher von Fußballspielen mehr zu befürchten sind. Ursprüngliche Vorüberlegungen das Gutachten im Rahmen eines Pressegesprächs selbst der Öffentlichkeit vorzustellen hat der Bundesminister des Innern nach Vorlage des Gutachtens nicht weiter verfolgt, weil er wie dargetan, sich nicht inhaltlich mit ihm identifizieren kann. Zu Frage 76: Unmittelbare Schlußfolgerungen für die Vorbereitungen der Sicherheit zur Fußball-Europameisterschaft 1988 in der Bundesrepublik Deutschland sind dem Gutachten nicht zu entnehmen. Zwischen den EG-Partnerstaaten ist mit Zustimmung der verantwortlichen Bundesländer vereinbart, daß sicherheitsrelevante Fakten über einreisende Fan-Gruppen während der Fußball-Europameisterschaft 1988 rechtzeitig über einen zentralen Ansprechpartner an die zuständigen Polizeibehörden der Länder gesteuert werden.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemand wird sich der Bewegung dieser Aussprache entziehen können. Ich wünsche mir die Erinnerung, die Sie, Herr Kollege Gansel, mit dem Wort Helmut Gollwitzers gegeben haben, in das Ohr all derjenigen, die sich jetzt und künftig an der Debatte über die Lage im Nahen Osten beteiligen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Der Blick in den Nahen Osten kann nicht dem Blick auf den irakisch-iranischen Krieg ausweichen. Das ist hier zu Recht gesagt worden. Es ist ein schrecklicher Krieg. Es ist auch zu Recht gesagt worden: Er könnte nicht — nicht so lange, nicht so schrecklich — geführt werden, wenn er nicht Zulieferung von außen erhielte.
    Um so wichtiger ist es, daß wir den Weg weitergehen, den wir im Juli beschritten haben mit der Entschließung 598 des Sicherheitsrates, eine Entschließung, die nur zustande kommen konnte, weil West und Ost, Nord und Süd im Sicherheitsrat sich auf einen Friedensweg verständigt haben. Wenn es jetzt darum geht, mit aller Kraft die Anwendung dieser Entschließung durchzusetzen, muß es bei dieser Einheit zwischen West und Ost, Nord und Süd bleiben; sonst wird die Sicherheitsratsentschließung in ihrer Wirkung verpuffen.
    Aber vielleicht ist diese Entscheidung des Sicherheitsrats ein Anfang gewesen für ein neues Umgehen von West und Ost bei der Lösung der Konflikte der Dritten Welt, ein Anfang, der von der Erkenntnis getragen ist, daß, aus welchem Konflikt immer, aus welchem Krieg immer, weder West noch Ost wahrhaft einen Vorteil ziehen könnten, auch ein Anfang gesteigerter Friedensverantwortung des Nordens für das, was in anderen Teilen unserer Welt vor sich geht.
    Im Mittelpunkt dieser Debatte stehen die schweren Unruhen, die am 8. Dezember 1987 in den von Israel besetzten Gebieten ausgebrochen sind. Sie dauern mit unverminderter Heftigkeit heute, drei Monate danach, noch immer an. Diese Unruhen sind offensichtlich spontan und ohne Einwirkung von außen entstan-



    Bundesminister Genscher
    den. Sie sind eine Bürgererhebung. Das macht sie um so gewichtiger, und das macht ihre Auswirkungen um so schwerwiegender.
    Diese Erhebung hat nichts zu tun und nichts gemein mit den von außen gesteuerten Kommando-, Terroraktionen, die sich gegen Israelis richten. Diese Erhebung ist das Aufbegehren einer Bevölkerung, deren Jugend vor allem alle Hoffnung zu verlieren droht. Repressionen und Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten erhöhen die Spannungen weiter.
    Diese Entwicklung in den besetzten Gebieten zeigt, daß der Nah-Ost-Konflikt in eine neue, noch brisantere Phase eingetreten ist. Für die Bundesrepublik Deutschland und für die Staaten der Europäischen Gemeinschaft liegt der Nahe Osten auch geographisch nicht fernab. Er ist in Wahrheit für uns eine Nachbarregion, deren Frieden und deren Stabilität von unmittelbarer Bedeutung für die Lage in Europa sind. Die Sicherheit des Nahen Ostens ist in Wahrheit auch unsere eigene Sicherheit.
    Wir Deutschen sind durch über eine lange Zeit gewachsene Freundschaft mit der arabischen Welt verbunden. Wir Deutschen sind uns jederzeit der geschichtlichen und der moralischen Dimension unseres Verhältnisses zum jüdischen Volk bewußt und noch mehr unserer sich daraus ergebenden Verantwortung.
    Dieser Verantwortung für das jüdische Volk und für den Staat Israel werden wir uns niemals entziehen, wir könnten uns dieser Verantwortung auch gar nicht entziehen. Der Bundespräsident hat das in seiner Rede am 8. Mai 1985 eindrucksvoll dargestellt. Diese innere Haltung muß unsere Haltung zum Staate Israel stets bestimmen. Das Mahnmal des Denkens und Fühlens in unserem eigenen Innern, von dem der Bundespräsident sprach, veranlaßt uns, bei allen Lösungsbemühungen für das Recht Israels auf Existenz in anerkannten und sicheren Grenzen einzutreten.
    Wir wissen, daß es Frieden im Nahen Osten — und das heißt auch Frieden für Israel — nur geben wird, wenn das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes verwirklicht werden kann.
    In Israel gibt es tiefe Betroffenheit und große Sorge über die Entwicklung in den besetzten Gebieten. Die dort angewandten Methoden, vor allem die schweren Übergriffe, stellen für viele Israelis die Frage nach dem Selbstverständnis der israelischen Demokratie. Bei meinem Besuch im Januar in Israel konnte ich feststellen, daß die Entwicklung in den besetzten Gebieten zu einer tiefgreifenden Diskussion in der israelischen Regierung, im Parlament und in der Öffentlichkeit geführt hat. Der erste Botschafter Israels in der Bundesrepublik Deutschland, Asher Ben Natan, hat zur Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit von der Spaltung der öffentlichen Meinung Israels gesprochen. Ich glaube aber, diese Diskussionen können helfen, den Weg zum Frieden zu finden.
    Wir jedenfalls müssen unsere Aufgabe darin sehen, die Kräfte zu stärken, die sich jetzt entschlossen um die Sache des Friedens bemühen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, nur wer die Geschichte der Gründung des Staates Israel nicht vergißt, nur wer daran denkt, daß diese Gründung des Staates Israel der Überlebenskampf der Überlebenden des Holocaust war, der wird das in sichereren Teilen der Welt manchmal schwer verständliche Sicherheitsbedürfnis Israels richtig einschätzen können. Dennoch wächst in Israel die Erkenntnis, daß der Status quo überwunden werden muß. Der Status quo in den besetzten Gebieten ist unhaltbar geworden.
    Ein Gespräch mit palästinensischen Persönlichkeiten aus den besetzten Gebieten bestätigte den Eindruck, daß die Perspektivlosigkeit im Leben der palästinensischen Bevölkerung in politischer, in wirtschaftlicher und in sozialer Hinsicht die schwerwiegendste Ursache für die seit Anfang Dezember anhaltenden Unruhen ist. Enttäuschung darüber, daß es keine Fortschritte bei den Lösungsversuchen gibt, hat gerade bei der Jugend zu Verbitterung und Verzweiflung geführt.
    Dazu kommt die in der gesamten arabischen Welt feststellbare verstärkte Rückbesinnung auf die Werte des Islam. Es ist charakteristisch, daß diese Stimmung vor allem im überfüllten Flüchtlingslager von Gaza um sich griff.
    Die Bundesregierung hat sich zusammen mit den europäischen Partnern gegen Übergriffe gewandt. Wir haben uns auch an den Beschlüssen des Sicherheitsrates beteiligt, die sich gegen Ausweisungen von Palästinensern richten.
    Unseren Vorsitz im Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft nutzen wir für eine aktive Rolle bei der friedlichen Lösung des arabisch-israelischen Konflikts und für eine Verbesserung der Lage in den besetzten Gebieten. Wir haben das am 8. Februar 1988 hier in Bonn getan, wo wir auch erneut eine internationale Konferenz unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen unterstützt haben. Wir betrachten eine solche Konferenz weiter als den geeigneten Rahmen, um den Friedensprozeß in Gang zu bringen.
    Wir können heute mit Befriedigung feststellen, daß dieser Gedanke in jüngster Zeit auch Eingang in die Vorschläge gefunden hat, die die Vereinigten Staaten zur Zeit den am Nahostkonflikt beteiligten Parteien unterbreiten. Wir begrüßen das amerikanische Engagement für eine Friedenslösung im Nahen Osten, wir werden diese Bemühungen mit unseren Möglichkeiten unterstützen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Meine Damen und Herren, die deutsche Nahostpolitik steht auf der Grundlage der gemeinsamen europäischen Positionen. Ihre wichtigsten Elemente sind das Existenzrecht Israels in sicheren und anerkannten Grenzen, das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes und der Gewaltverzicht.
    Wir nutzen den euroarabischen Dialog, um um Verständnis für friedliche Lösungen auch dort zu werben. Das Selbstbestimmungsrecht des palästinensichen Volkes haben wir in den Vereinten Nationen als erstes europäisches Land seit 1974 beständig unterstützt. Der Europäische Rat hat 1980 in der Erklärung von Venedig das Selbstbestimmungsrecht des palästi-

    Bundesminister Genscher
    nensischen Volkes gleichberechtigt neben das Existenz- und Sicherheitsrecht Israels wie auch das aller anderen Staaten der Region gestellt und von den Konfliktparteien den Verzicht auf Gewaltanwendung gefordert. Unser Appell für die internationale Konferenz wird hoffentlich bald zu Ergebnissen führen.
    Die Einladung der zwölf Außenminister an den jordanischen König in seiner Eigenschaft als Präsident der arabischen Gipfelkonferenz von Amman sollte eine Unterstützung für Bemühungen um friedliche Lösungen des Nahostkonflikts darstellen. In der Tat, diese Gipfelkonferenz von Amman hat die Möglichkeiten für eine friedliche Lösung verbessert.
    Neben den Bemühungen um eine politische Lösung sehen wir auch die Notwendigkeit, der Bevölkerung der besetzten Gebiete Hilfe zu leisten. Am 9. März hat das Europäische Parlament erneut seine Zustimmung zu den Protokollen mit Israel verweigert. Es hat zur Begründung auf die andauernden schweren Unruhen in den besetzten Gebieten hingewiesen. Ich hatte mich als Vorsitzender des Ministerrates im Europäischen Parlament für eine Freigabe dieser Mittel eingesetzt.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Ich möchte diesen Appell zur Freigabe auch heute von hier aus wiederholen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Meine Damen und Herren, eine Zustimmung zu diesen Protokollen darf aber nicht dazu führen, daß die berechtigten Interessen der Europäischen Gemeinschaft an wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit der Bevölkerung in den besetzten Gebieten behindert werden. Die Behinderung der Direktexporte landwirtschaftlicher Produkte aus den besetzten Gebieten durch die israelischen Behörden trifft auf die Ablehnung des Europäischen Parlaments und der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Der politische Zwang, dem die Bevölkerung dort täglich ausgesetzt ist, darf nicht auch noch durch wirtschaftlichen Zwang verstärkt werden.
    Wir gewähren humanitäre Hilfe, und wir unterstützen die VN-Organisationen dabei, die Flüchtlinge im Nahen Osten zu versorgen. Wir versuchen mit den Instrumenten unserer Entwicklungspolitik, den Palästinensern verbesserte Lebensmöglichkeiten zu verschaffen. Wir werden unsere Kontakte fortsetzen, um zur Friedenslösung beizutragen. Ich werde in Kürze mit dem algerischen Außenminister in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Ausschusses der Arabischen Liga für die besetzten Gebiete zusammentreffen. Ich hoffe, daß ein solches Zusammentreffen in Kürze auch mit dem israelischen Außenminister möglich sein wird.
    Der Nahostbeauftragte der amerikanischen Regierung hat uns gestern über die amerikanischen Bemühungen im Nahen Osten unterrichtet. Wir alle wissen: Der Nahostkonflikt befindet sich in einer wirklich kritischen Phase, aber vielleicht auch in einer Phase, die zum erstenmal eine wirkliche Friedenslösung ermöglicht. Die spontane Erhebung der palästinensischen
    Bevölkerung zeigt, daß nicht mehr viel Zeit übrig ist. Dieser Verantwortung müssen wir uns alle stellen.
    Meine Damen und Herren, wenn wir für das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes eintreten, so ist es nicht unsere Sache, darüber zu entscheiden, wie dieses Selbstbestimmungsrecht ausgeübt wird; das ist Sache der Palästinenser selbst. Nur eines muß auch sicher sein: Das Existenzrecht Israels darf dadurch nicht beeinträchtigt werden. Das ergibt sich aus dem Grundsatz des friedlichen Zusammenlebens der Völker.
    Europa kann bei der Suche nach Lösungen eine wichtige Rolle spielen. Wir wollen das auch. Ich denke, daß gerade die Bundesrepublik Deutschland -- und das muß den Sinn dieser Debatte ausmachen — hier ihre Verantwortung erkennen muß. Wir können uns der Hoffnung anschließen, die Asher Ben Natan in seiner Rede zur Woche der Brüderlichkeit ausgesprochen hat, nämlich daß das, was heute schon zwischen Deutschen und Juden möglich ist, eines Tages auch in Jerusalem eintreffen und gelingen möge, ein Tag der Versöhnung und ein Tag der Brüderlichkeit zwischen Juden und Arabern.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Renger.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Annemarie Renger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts hat Europa in zwei Weltkriegen einen sich ins Unermeßliche steigernden Sturm der Gewalt erlebt. Wir waren Zeugen der Verbrechen und der Menschenverachtung des Hitler-Regimes. Als um so bedrückender empfinden wir das unübersehbare Ausmaß an Gewalt und Barbarei, das wir seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in weiten Teilen der Welt beobachten müssen.
    Das Erschreckende ist nicht allein die ungeheure Zahl der Opfer von Krieg, Folter und anderen physischen und psychischen Verletzungen, sondern gleichermaßen die Erfahrung, daß der Circulus vitiosus der Gewalt nur in den seltensten Fällen durchbrochen werden konnte. Seit 1945 — so stellte Willy Brandt fest — hat es durch Kriege und Bürgerkriege mehr als 20 Millionen Tote, davon 95 % Zivilisten, gegeben. Ich erwähne dies, um die Proportionen dieser Gewalt hier einmal ins rechte Licht zu rücken.
    Friedensbemühungen in diesen weltweiten Konflikten waren meist vergeblich, und auch die Vereinten Nationen mußten immer wieder ihre Ohnmacht erkennen und büßten zudem dadurch an Autorität ein, daß sie sich in ihren Verurteilungen von Gewalt oft einseitig von Machtinteressen und Mehrheitsinteressen leiten lassen mußten. Sie sind eben nicht stärker, als wir sie alle machen.
    Das hat gerade Israel, besonders in der letzten Zeit, im Übermaß zu spüren bekommen. Seit der Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948, also schon lange bevor es besetzte Gebiete gab, sieht sich Israel kriegerischen Angriffen bis hin zu Vernichtungsdrohungen der arabischen Welt ausgesetzt. Dennoch hat Ben Gurion den Arabern damals als gleichberechtigten



    Frau Renger
    Nachbarn Frieden und Zusammenarbeit angeboten. Der seinerzeitige Generalsekretär der Arabischen Liga antwortete: Das wird ein Blutbad werden wie zur Zeit der Mongolen und der Kreuzzüge. — Bereits am 15. Mai 1948, also wenige Stunden nach der Proklamierung des Staates Israel, überschritten die Streitkräfte Ägyptens, Transjordaniens, des Iraks, Syriens und des Libanons die Grenzen. Mehrere Angriffskriege mußte Israel abwehren, und bis heute ist Israel auch dem Terror weiter ausgesetzt, wie auch der letzte Anschlag auf den zivilen Bus wieder bewiesen hat.
    Meine Damen und Herren, wenn ich heute zutiefst die Toten im besetzten Gaza-Streifen und in anderen Teilen beklage, wenn ich die unverantwortlichen Übergriffe von israelischen Soldaten verurteile — übrigens wie die meisten Israelis selbst —, wobei ich nicht unerwähnt lassen möchte, daß die Verantwortlichen auch bestraft werden — so habe ich natürlich nicht vergessen, daß jahrelang jüdische Kibbuzim vom Golan beschossen wurden, oder ich erinnere auch an das Massaker 1972, als 11 Mitglieder der israelischen Olympiamannschaft brutal getötet wurden. Den organisierten palästinensischen und arabischen Terror hat ja auch vielfältig die westliche Welt erlebt.
    Viele glauben, es sich heute leicht machen zu können, indem sie Israel für die Spannungen und Krisen im Nahen Osten verantwortlich machen, ja manche wollen Israel am liebsten vor ein Tribunal stellen. Das kann nicht hingenommen werden. Wer richten will, der muß erst einmal seine Legitimation nachweisen.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    Ich bin sehr glücklich, daß in dieser Debatte hier ein anderer Ton herrscht, nämlich der Ton, allen Seiten gerecht zu werden.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    Es darf nicht vergessen werden, wenn wir über Israel und die Situation in dieser Region sprechen, daß in diesem Staat Israel vor allem die Überlebenden des Naziterrors eine neue ersehnte Heimstatt gefunden haben, nachdem sie nicht mehr in den Ländern leben konnten, in denen sie und ihre Familien als Freiwild gejagt worden waren und das Grauen über die Ermordung von sechs Millionen jüdischer Menschen aus ganz Europa allgegenwärtig war. In dieses Land Israel waren viele Juden gekommen, die als verfolgte Minderheiten in anderen Teilen der Welt nun endlich frei und in Sicherheit leben wollten. Aber bis heute gibt es keine völkerrechtlich anerkannten und gesicherten Grenzen. Das muß man wissen.
    Ich frage eigentlich mehr nach draußen, wo man auch an den Stammtischen redet: Kann es wirklich einen Menschen geben, der den Juden dieses Land wieder streitig machen will? Muß nicht jeder verstehen, daß das Sicherheitsbedürfnis, auch wenn es übersteigert sein sollte, Bestandteil des täglichen Lebens ist? Sollten nicht gerade wir Deutschen in der Art und Weise, wie wir sprechen, zurückhaltend sein,

    (Dr. Stercken [CDU/CSU]: Richtig!) auch mit guten Ratschlägen?

    Ich erinnere an die Worte Kurt Schumachers, der gleich nach dem Zweiten Weltkrieg sagte:
    Die Hitler-Barbarei hat das deutsche Volk durch Ausrottung von sechs Millionen jüdischer Menschen entehrt. An den Folgen dieser Entehrung werden wir unabsehbare Zeiten zu tragen haben.
    Ich glaube, heute hat es keiner besser als Norbert Gansel gesagt, wie man das tragen kann. Ich füge hinzu: Das ist nun einmal die Last unserer Geschichte, aber auch unsere Chance, diese Last durch eine unanfechtbare klare und gerade Haltung abzutragen.
    Denen aber, die in Schmutzzeitungen einen neuen Antisemitismus direkt oder unterschwellig unter dem Deckmantel einer moralischen Entrüstung über — sicher empörende - Ausschreitungen einzelner in Gaza und anderswo propagieren, führen eine junge Generation erneut in die Irre. Dagegen müssen wir uns wenden.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Ich will keineswegs unerwähnt lassen, daß auch Israel völkerrechtswidrige Aktionen unternommen hat, die auf unseren heftigen Widerspruch gestoßen sind, aber auch in Israel scharfe Kritik gefunden haben. Wo gab es denn Demonstrationen gegen solche falschen Entscheidungen? Es war die erste wichtigste Handlung von Ministerpräsident Peres und Verteidigungsminister Rabin, der heute so in der Kritik steht, die israelischen Truppen aus dem Libanon herauszuführen.

    (Beifall bei der SPD)

    Gerade die Freunde Israels müssen dann reden, wenn von dieser Seite Unrecht geschieht. Aber es kommt immer darauf an, aus welchen Beweggründen man das tut. Sicher ist zu bedauern, daß die Israelis auch politische Gelegenheiten ungenutzt gelassen haben. Der in seinen Ansätzen positive Camp-David-Vertrag hatte nach der Ermordung des ägyptischen Präsidenten Sadat keine Basis mehr. Man fragt sich auch, warum er wohl ermordet worden ist. Die Leistung Sadats, dieses wahrhaft großen Mannes, versandete, obwohl die Israelis mit der Rückgabe des wirtschaftlich schon erschlossenen Sinai ihren Teil des Vertrags gegenüber Ägypten erfüllt hatten. Aber wo waren auch die palästinensischen Gesprächspartner? Es war ja unendlich schwer, sie ausfindig zu machen. Und es ist schon gesagt worden: Stellten sie sich zur Verfügung, so war die Bedrohung für sie selbst nachher so groß, daß sie mit ihrem Leben manchmal schon abschließen mußten.
    Es muß heute versucht werden, den Zipfel des Mantels der Geschichte wieder zu ergreifen: im Interesse Israels und für die Menschen, die insbesondere in Gaza und auch in der Westbank in einer nicht zu ertragenden Situation leben. Da hilft es gar nichts, wenn es ihnen in manchen Teilen besser als früher geht. Sie wollen nicht unter fremder Herrschaft leben. Das Problem der palästinensischen Araber muß gelöst werden, will man sie nicht in die Arme eines verhängnisvollen Fundamentalismus treiben. Aber auch aus einfacher schlichter Menschlichkeit müssen wir helfen.

    (Beifall bei allen Fraktionen)




    Frau Renger
    Die israelische Siedlungspolitik hat leider das Problem nicht leichter gemacht. Die israelische Zeitung der Arbeiterpartei, „Spektrum", schreibt sinngemäß: Es ist keine Überraschung, daß der Aufstand im GazaStreifen entstand, in dem über 600 000 Palästinenser in überfüllten Lagern ohne eine Zukunftsperspektive leben. Es kann nur eine politische Lösung zwischen Israel und denen geben, die von den Palästinensern autorisiert sind, in ihrem Namen zu sprechen.
    Wir Sozialdemokraten betrachten es nicht als Einmischung in die Angelegenheiten eines anderen Staates, wenn wir uns erlauben, unsere Meinung zu einem Konflikt zu äußern, der, wenn er nicht beigelegt wird, zu einer uns alle betreffenden Krise werden kann. Das Pulverfaß Nahost liegt vor unserer Haustür. Deshalb betonen die Parteien in der Sozialistischen Internationale, daß der gefährlichen Situation der Gewalt in den besetzten Gebieten ein Ende gesetzt werden und den Menschenrechte volle Geltung verschafft werden muß.
    Der SI-Nahostausschuß unterstützt wie die Arbeiterpartei unter ihrem Vorsitzenden, den Außenminister Shimon Peres, die Initiative zu einer internationalen Friedenskonferenz unter der Autorität der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Die Initiative des Außenministers der Vereinigten Staaten, George Shultz, ist ein entscheidender Schritt auf dieses Ziel hin.
    Meine Damen und Herren, Konfliktlösung bedeutet, von bloßen Deklarationen wegzukommen und praktische Schritte einzuleiten. Sicher sollten wir Deutschen uns nicht einbilden, hier Vorreiter sein zu können. Ähnliches gilt für die Europäische Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit, deren Parlament — auch der Außenminister hat das eben beklagt — leider gerade bereits abgeschlossene Handelsvereinbarungen abgelehnt hat. Solche Strafmaßnahmen gegen einen demokratischen Staat hat es noch niemals gegen einen nichtdemokratischen Staat ergriffen. Dieses Verhalten stärkt nämlich nur die Intransigenten in allen Lagern dieser Region.
    Jetzt kommt es aber darauf an, gerecht zu urteilen und produktiv an Konfliktlösungen mitzuarbeiten. Das heißt u. a., den kompromißbereiten Kräften in Israel und bei den Palästinensern Mut zu machen und sie auch in geeigneter Weise außenpolitisch zu unterstützen, Kräfte, die — wie der israelische Außenminister und mit ihm ein großer Teil der israelischen Bevölkerung sagte — vernünftige Lösungen auf dem Verhandlungswege erreichen wollen. Es wäre zu begrüßen, wenn sich der Premierminister Schamir dieser Auffassung anschließen könnte, die inzwischen weltweites Echo gefunden hat.
    Wir alle gehen davon aus, daß eine Lösung nicht anders möglich sein kann als so, daß sie natürlich wirklich sichere Grenzen Israels und sein Existenzrecht bestätigt.
    Wir wissen, wie schwer es ist, nach einer langen Zeit der Verhärtung, ja des Hasses, zu tragfähigen Kompromissen zu kommen. Die europäischen Staaten sind aufgerufen, hierbei zu helfen, sich politisch zu engagieren und auch feste materielle Zusicherungen zu geben, sich an dem wirtschaftlichen Aufbau zu beteiligen. Die Welt wartet darauf, daß es nicht nur bei verbalen Bekundungen bleibt, sondern daß auf israelischer wie auf palästinensischer Seite um einen dauerhaften Frieden ernsthaft gerungen wird. Eine Friedenskonferenz darf nicht eine Tribüne zur Selbstdarstellung oder eine Tribüne sein, wo der eine dem anderen das Schlimmste unterstellt. Es ist Zeit für Entscheidungen im Interesse der Menschen in dieser Region. Hier sind die Großmächte besonders gefordert, die für den Frieden in diesem Teil der Welt mitverantwortlich sind.
    In diesem Sinne: Shalom!

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Frau Garbe [GRÜNE])