Rede von
Otto
Schily
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Gansel, Sie haben heute eine sehr eindrucksvolle Rede gehalten. Was Sie zum Golf-Krieg, zum Libanon, zum israelisch-palästinensischen Konflikt gesagt haben — in allem kann ich Ihnen vorbehaltlos zustimmen.
Ich werde mich heute sehr bewußt auf den palästinensisch-israelischen Konflikt konzentrieren und beginnen mit dem Satz eines jüdischen Freundes:
Das Scheitern einer Bewältigung dort, wo der Monströsität des Verbrechens halber Bewältigung sich als vergeblich offenbart, angestrengte Mühe, die sich bestenfalls als aussichtsloser Entsorgungsversuch von Schuld erweist, all das gebiert eine Kultur, die von einem durch Auschwitz hervorgerufenen Schuldgefühl geprägt ist, das ständig nach Entlastung sucht.
So beschreibt Dan Diner die Strategie des Vergessens in Deutschland.
Zweifel sind berechtigt, ob die heutige Bundestagsdebatte die Entlastungssuche nicht mindestens unfreiwillig fördert. Auch wir GRÜNEN, die diese Debatte verlangt haben, müssen uns diesem Zweifel stellen.
In den Schluchten der deutschen Geschichte sind falsche und gierige Gleichungen unterwegs, die die drakonischen israelischen Militäraktionen in den besetzten Gebieten mit dem industriellen Massenmord während der Nazizeit auf eine Stufe stellen wollen. Von den Opfern der Opfer ist in zwielichtiger Weise die Rede.
Ich habe mit eigenen Ohren unlängst die Äußerungen eines Deutschen gehört, der seinen Abscheu vor den Brutalitäten der Israelis gegenüber den Palästinensern zum Ausdruck brachte. Im gleichen Atemzug entrüstete er sich darüber, daß die Juden den Deutschen immer noch die alten Geschichten vorhalten. Seine auftrumpfende Logik war: Wir sind quitt!
Das Blut läßt sich aber nicht abwaschen.