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    Plenarprotokoll 11/69 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 69. Sitzung Bonn, Freitag, den 11. März 1988 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 4686 C Tagesordnungspunkt 26: Aussprache über die Lage im Nahen Osten, insbesondere in den von Israel besetzten Gebieten Dr. Stercken CDU/CSU 4667 B Gansel SPD 4669 D Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 4672 B Schily GRÜNE 4674 B, 4680 D Genscher, Bundesminister AA 4674 C Frau Renger SPD 4676 D Frau Geiger CDU/CSU 4678 C Frau Bulmahn SPD 4681 D Tagesordnungspunkt 27: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (Drucksachen 11/281, 11/1892, 11/1943) Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 4683 D Singer SPD 4684 C Kleinert (Hannover) FDP 4684 D Frau Nickels GRÜNE 4685 C Engelhard, Bundesminister BMJ 4686 A Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen auf Einwilligung in die Veräußerung bundeseigener Grundstücke in Mannheim-Schönau (Drucksache 11/1992) 4686 C Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. de With, Singer, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Bachmaier, Klein (Dieburg), Dr. Pick, Schmidt (München), Schütz, Stiegler, Wiefelspütz, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Untersuchungshaft (Drucksache 11/688) Singer SPD 4686 D Marschewski CDU/CSU 4688 D Frau Nickels GRÜNE 4690 A Funke FDP 4691 B Engelhard, Bundesminister BMJ 4692 B Nächste Sitzung 4693 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 4695* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 4695* C Anlage 3 Beurteilung des Fan-Gutachtens und Gründe für die Nichtveröffentlichung; Konsequenzen für die Vorbereitung der Fußballeuropameisterschaft MdlAnfr 75, 76 04.03.88 Drs 11/1937 Brauer GRÜNE SchrAntw PStSekr Spranger BMI . . . . 4695* D Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. März 1988 4667 69. Sitzung Bonn, den 11. März 1988 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 11. 3. Bahr 11. 3. Frau Beck-Oberdorf 11. 3. Becker (Nienberge) 11. 3. Bindig 11. 3. Frau Brahmst-Rock 11. 3. Buschbom 11. 3. Buschfort 11. 3. Catenhusen 11. 3. Frau Conrad 11. 3. Ebermann 11. 3. Frau Fuchs (Köln) 11. 3. Dr. Gautier 11. 3. Dr. Glotz 11. 3. Dr. Götz 11. 3. Gröbl 11. 3. Dr. Hauff 11. 3. Dr. Haussmann 11. 3. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 11. 3. Frau Hensel 11. 3. Dr. Holtz 11. 3. Dr. Hüsch 11. 3. Ibrügger 11. 3. Dr. Jobst 11. 3. Frau Kelly 11. 3. Kiechle 11. 3. Klein (Dieburg) 11. 3. Klein (München) 11. 3. Dr. Köhler (Wolfsburg) 11. 3. Koschnick ** 11. 3. Lemmrich 11. 3. Lintner 11. 3. Frau Luuk 11. 3. Dr. Mechtersheimer 11. 3. Dr. Mertens (Bottrop) 11. 3. Meyer 11. 3. Müller (Schweinfurt) 11. 3. Dr. Neuling 11. 3. Oostergetelo 11. 3. Dr. Pinger 11. 3. Reimann 11. 3. Repnik 11. 3. Reschke 11. 3. Reuschenbach 11. 3. Frau Roitzsch (Quickborn) 11. 3. Sauer (Salzgitter) ** 11. 3. Schäfer (Mainz) 11. 3. Frau Schilling 11. 3. von Schmude 11. 3. Dr. Schneider (Nürnberg) 11. 3. Dr. Schöfberger 11. 3. Schreiber ** 11. 3. Schütz 11. 3. Schulze (Berlin) 11. 3. Seehofer 11. 3. Frau Simonis 11. 3. Dr. Spöri 11. 3. Stiegler 11. 3. Frau Teubner 11. 3. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Trenz 11. 3. Frau Unruh 11. 3. Verheugen 11. 3. Frau Dr. Vollmer 11. 3. Dr. Waigel 11. 3. Graf von Waldburg-Zeil 11. 3. Wieczorek (Duisburg) 11. 3. Wilz 11. 3. Wischnewski 11. 3. Wissmann 11. 3. Dr. de With 11. 3. Frau Wollny 11. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 7. März 1988 mitgeteilt, daß sie ihren Antrag „Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse in der Republik Südkorea", Drucksache 11/525, zurückzieht. Der Vorsitzende des Finanzausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht; Drucksache 11/883 Nr. 48 Drucksache 11/1526 Nr. 1.3 Drucksache 11/1450 Nr. 1.1, 1.2 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß sie die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen haben: Innenausschuß Drucksache 11/1656 Nr. 3.1 Finanzausschuß Drucksache 11/1707 Nr. 1 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Drucksache 11/1656 Nr. 3.38 Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Fragen des Abgeordneten Brauer (GRÜNE) (Drucksache 11/1937 Fragen 75 und 76) : Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse des jüngsten Fan-Gutachtens, und welche Gründe sprachen nach Ansicht der Bundesregierung gegen die ursprünglich geplante Entscheidung einer offiziellen Übergabe des Gutachtens an die Öffentlichkeit? Welche Schlußfolgerungen zieht sie für die Vorbereitung der bevorstehenden Fußballeuropameisterschaft, und wie soll nach Ansicht der Bundesregierung der internationale Fan-Meldedienst funktionieren bzw. ausgestaltet werden? 4696* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 69. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. März 1988 Zu Frage 75: Das Gutachten „Fankultur und Fanverhalten" wurde von den Mitgliedern der Projektgruppe „Sport und Gewalt" des Bundesinstituts für Sportwissenschaft als Weiterführung der ersten Studie zu „Sport und Gewalt" erstellt. Im Mittelpunkt des Gutachtens stehen Beschreibungen der heutigen Jugendkultur und ihres Strukturwandels, der Fankultur und Fanrealität, der Reaktionen von Sportvereinen, Medien und Polizei auf das Fanverhalten und eine Begründung der pädagogischen Arbeit mit Fußballfans aus der Sicht der Verfasser, was noch der kritischen Überprüfung bedarf. Der Bundesminister des Innern hat die Erstellung zwar initiiert, auf die inhaltliche Ausgestaltung des Gutachtens aber keinen Einfluß genommen. Ich bin z. B. der Ansicht, daß die im Gutachten immer wieder auftauchende Kritik am Polizeieinsatz nicht hilfreich ist. Bürger, auch Fußballzuschauer, haben Anspruch, vor einer gewaltorientierten Minderheit von Jugendlichen, für die der im Gutachten undifferenziert verwandte Begriff „Fan" im Grunde falsch ist und die Bezeichnung „Rowdy" besser paßt, geschützt zu werden. Die im Gutachten geforderte sogenannte Rückbindung des Polizeieinsatzes ist erst dann möglich, wenn keine gravierenden Rechtsverstöße durch Besucher von Fußballspielen mehr zu befürchten sind. Ursprüngliche Vorüberlegungen das Gutachten im Rahmen eines Pressegesprächs selbst der Öffentlichkeit vorzustellen hat der Bundesminister des Innern nach Vorlage des Gutachtens nicht weiter verfolgt, weil er wie dargetan, sich nicht inhaltlich mit ihm identifizieren kann. Zu Frage 76: Unmittelbare Schlußfolgerungen für die Vorbereitungen der Sicherheit zur Fußball-Europameisterschaft 1988 in der Bundesrepublik Deutschland sind dem Gutachten nicht zu entnehmen. Zwischen den EG-Partnerstaaten ist mit Zustimmung der verantwortlichen Bundesländer vereinbart, daß sicherheitsrelevante Fakten über einreisende Fan-Gruppen während der Fußball-Europameisterschaft 1988 rechtzeitig über einen zentralen Ansprechpartner an die zuständigen Polizeibehörden der Länder gesteuert werden.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans Stercken


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Welchen Sinn hat diese Debatte, und was sollten wir mit ihr zum Ausdruck bringen? Es kann wirklich kein Zweifel mehr daran bestehen, daß die Völker des Nahen Ostens der Kriege und Konflikte überdrüssig sind. Sie werden sich einer gerechten Friedensordnung nicht widersetzen, wenn dies für sie Befreiung von Angst und Not bedeutet. Dieser weithin gewonnenen Erfahrung widersprechen nicht die Anzeichen einer politischen und religiösen Radikalisierung, die oft nur deshalb eine Chance erhalten, weil gerechte Lösungen auf sich warten lassen.
    Die Mehrheit will endlich Frieden, Sicherheit und Entwicklung. Wenn solche Einsicht auch noch nicht Allgemeingut ist, so sollten es eben unsere Gedanken und Beiträge sein, diejenigen zu ermuntern, die Frieden suchen. Es wäre verhängnisvoll, wenn am Ende die derzeitigen Spannungen noch verstärkt würden. Das kann nicht der Zielsetzung deutscher Außenpolitik entsprechen; denn gerade aus unserem Lande sollte man Worte der Besonnenheit, der Versöhnung und der Aufforderung zur Zusammenarbeit hören können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wie soll denn auch nur einer dieser Konflikte enden, wenn diese vielfach historischen Auseinandersetzungen nicht durch einen neuen Anfang überwunden werden, durch ein neues Prinzip der Zusammenarbeit, durch die allein Frieden geschaffen wird?
    Das gilt insbesondere für den nun schon seit sechs Jahren anhaltenden Krieg zwischen dem Irak und dem Iran. Er ist Bestandteil der gesamten Konfliktsituation im Nahen Osten und kann daher nicht ausgeklammert werden.
    Deutsche und europäische Politik ist gut beraten, wenn sie sich weiterhin mit beiden Seiten im Dialog befindet und das ganze politische und wirtschaftliche Gewicht darauf konzentriert, den Frieden, auf den sich die miteinander Kämpfenden besinnen sollten, als die Voraussetzung ihres Überlebens und einer menschenwürdigen Entwicklung ihrer Länder zu begreifen.
    Die barbarischen Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung sind kein Weg zu diesem Frieden. Von den Völkern ist längst zu hören, wie sehr sie diesen Krieg hassen. Die Verantwortung liegt allein bei den Regierenden, die auch nach dem Willen der Vereinten Nationen an den Verhandlungstisch gehören, weil sie wie alle erfahrenen Beobachter wissen, daß dieser Krieg nicht gewonnen werden kann.
    Es gibt nicht die geringste Aussicht auf eine militärische Entscheidung. Warum also wird das Morden fortgesetzt? Diese eindringliche Frage an die Regierenden und die Regierten sollte den Willen bestärken, das Schlachtfeld mit dem Verhandlungstisch zu tauschen. Auch ein noch so trickreiches Konzept führt nicht an dieser einzigen Lösungsmöglichkeit vorbei.
    Der Brief des iranischen Außenministers an den Generalsekretär der Vereinten Nationen vom 28. Februar 1988 scheint ein Schritt auf dem Weg zur Respektierung der Resolution 598 des Sicherheitsrates zu sein. Leider sind inzwischen von einem Regierungssprecher in Teheran erneut Vorbedingungen geltend gemacht worden, die nicht Bestandteil der Resolution sind.
    Es sollte keinen Zweifel an unserer Haltung geben: Wir erwarten von den Kriegführenden, daß sie sich der eindringlichen Bitte der gesamten Völkergemeinschaft der Vereinten Nationen unterwerfen. Bringen Sie Ihren Völkern den Frieden, den Ihnen Gott aufgetragen hat! Das ist nämlich sein Wille.
    Es war seit dem Ausbruch der Kampfhandlungen auch für uns Deutsche schwer, in manchen Grenzbereichen des Exports das Sensible vom Unbedenklichen zu unterscheiden. Aber machen wir daraus bitte keine Waffenlieferungen an Kriegführende! Das will niemand von uns, und deshalb sollten wir es uns auch nicht unterstellen.

    (Gansel [SPD]: Wir sollten es auch nicht tun!)




    Dr. Stercken
    Andere müssen sich fragen lassen, ob sie weiterhin die Verantwortung tragen können, an der Fortsetzung dieses Krieges mitzuwirken.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Um den Krieg geht es doch gar nicht!)

    Die deutsche Außenpolitik hat in Teheran wie in Bagdad in diesem Sinne mitgewirkt. Wie die Vereinten Nationen und interparlamentarische Initiativen hat sie sich bemüht, die Gefahr einer Ausgrenzung des Irans zu vermeiden. Ich hatte in Teheran den Eindruck, daß man dies als einen guten Dienst bewertet hat.
    Mit solchen Bemühungen ist allerdings nicht zu vereinbaren, was von seiten der Hizbollah im Libanon unter deutlichen Verbindungen mit Teheran unserem Landsmann Rudolph Cordes angetan wird. Seit sich vor drei Wochen der stellvertretende iranische Ministerpräsident über das Fernsehen an die französische Regierung gewandt hat, wissen wir, daß ein direkter Zusammenhang zwischen den Geiselnahmen im Libanon und Zielsetzungen der iranischen Politik ausdrücklich bestätigt worden ist. Seine Erpressung war überdeutlich: Wenn Frankreich seine Politik gegenüber dem Iran nicht ändere, könne eine Befreiung der französischen Geiseln im Libanon nicht erwartet werden. Dies ist nach meiner Erkenntnis das erste Mal, daß sich die iranische Regierung mit kriminellen Aktionen identifiziert. Wir übersehen nicht, wie oft dies in der Praxis geschieht, aber es ist doch etwas anderes, ob dies ohne erkennbare Schuldige geschieht oder ob sich eine Regierung offen zu einem Verbrechen bekennt. Um dies auch als Christ klar auszusprechen: Ein Staat, der sich ausdrücklich auf sein Handeln im Namen Gottes beruft, sollte davor zurückschrecken, in seinem Namen Verbrechen zu billigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Präsident Assad hat dem Bundesminister des Auswärtigen wie auch mir die volle Unterstützung Syriens bei der Befreiung aller Geiseln zugesagt. Mein Besuch im Libanon hat mir gezeigt, daß dies ernst gemeint ist. Syrien bringt darin auch seinen Wunsch zum Ausdruck, seine Beziehungen zur Europäischen Gemeinschaft, insbesondere zur Bundesrepublik Deutschland, zu verbessern. Ich empfehle, dieses Interesse zu nutzen. Dies kann auch dazu dienen, die Bereitschaft zum Dialog in der Region zu fördern.
    Ohne Frieden gibt es keine wirtschaftliche Entwicklung, ohne Frieden gibt es auch keine Investitionen. Können wir also in der Frage der Geiseln im Libanon der Unterstützung Syriens sicher sein, so möchte ich von dieser Stelle einmal mehr an die Regierung in Teheran appellieren, die konstruktive deutsche Außenpolitik dadurch zu erleichtern, daß durch ein Machtwort des Iran dieser menschenverachtende Terror beendet und Rudolph Cordes seiner Familie zurückgegeben wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Ein weiterer Bruder Hamadei befindet sich zur Zeit in Teheran. Mit ihm kann die iranische Regierung jederzeit in Verbindung treten, nm dem Eindruck entgegenzuwirken, daß sie sich weiterhin mit Verbrechen zu identifizieren gedenkt. Ich kann mir vorstellen, daß sich der ganze Deutsche Bundestag dieser Aufforderung anschließt.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Zeichen des Friedens und der Zusammenarbeit braucht auch der Libanon. Seine Destabilisierung ist nicht die Folge der Anwesenheit fremder Truppen auf seinem Territorium. Die untereinander verfeindeten Gruppen in seinem Land müssen zur nationalen Einheit zurückkehren und sich auf ein Arbeitsprogramm verständigen, an dessen Ende eine von allen gebilligte staatliche Ordnung steht. Es wird keinen dauerhaften Frieden und keine nationale Unabhängigkeit geben, solange sich die Konfliktparteien nicht darauf verständigen, ihr Staatswesen gemeinschaftlich zu betreiben. Unzureichende staatliche Machtmittel machen den Libanon weiterhin von außerlibanesischen Interventionen abhängig. Auch hier verstärkt eine Parteinahme für diese oder jene Gruppe das Spannungsfeld.
    Unser Rat für das noch funktionsfähige Parlament sollte daher sein, die verbliebenen Institutionen nationaler Zusammenarbeit zu stärken, um einen neuen Anfang zu ermöglichen. Nicht fremde Mächte sind gefordert, sondern die Libanesen selbst. Wenn die staatliche Ordnung wieder gefestigt ist, gibt es keinen Grund und keinen Vorwand mehr, fremde Truppen, syrische oder israelische und schließlich auch die der Vereinten Nationen, auf libanesischem Territorium zu stationieren.
    Das wird allerdings kaum möglich sein, wenn nicht zugleich eine Lösung für das Los unzähliger Flüchtlinge, vor allem im Libanon, in Syrien, in Jordanien, aber auch für das Schicksal der in den von Israel besetzten Gebieten lebenden Palästinenser gefunden wird. Wer 40 Jahre seines Lebens in Lagern verbringen mußte, ist mit Sprüchen nicht mehr abzuspeisen. Er verlangt nach Menschlichkeit und Freiheit. Dies hätte sich gegebenenfalls schon erreichen lassen können, wenn nicht in den 50er und 60er Jahren die Parole von der Vernichtung Israels die Politik vieler arabischer Staaten und Organisationen bestimmt hätte.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das ist wahr!)

    Lange Jahre hat der Staat Israel diesen Existenzkampf führen müssen. Niemand in der Region war bereit, den Überlebenden eine Heimstatt zu geben und ihrem Staat Grenzen des Friedens zu gewähren.
    Dies hat sich heute allerdings grundlegend geändert. Ein Blick auf alle Nachbarn Israels und auf die politische Einschätzung in aller Welt zeigt, daß es im Augenblick keine ernsthafte Bedrohung für die Existenz des Staates Israel gibt und daß sich daher unser Augenmerk auch auf eine menschliche und gerechte Lösung für das Schicksal all derer richten muß, die endlich aus den öden, kollektiven und inhumanen Lebens- und Herrschaftsformen befreit werden müssen.
    Doch dies ist nur auf dem Weg der Verhandlung und der Zusammenarbeit, nicht durch eine neue Konfrontation zu erreichen. Auf eine solche Zielsetzung



    Dr. Stercken
    sollten sich alle unsere Beiträge konzentrieren. Mit naßforschen Erklärungen ist niemandem geholfen, am allerwenigsten denen, deren Leiden wir beenden möchten. Da sollten wir uns eher an den intensiven Bemühungen des amerikanischen Außenministers orientieren, der mit großer Geduld den Versuch unternommen hat, schon jetzt einen Durchbruch zu erzielen.
    Ich will nicht untersuchen, wie günstig der augenblickliche Zeitpunkt dafür war. Nach meinem Urteil wird sich vor den Wahlen in Israel wenig bewegen. Um so eindringlicher ist schon jetzt unser Appell, danach an der Organisation von Menschlichkeit und Gerechtigkeit aktiv mitzuwirken. Dies darf nicht an formalen Einwänden scheitern. Auch für die Interessen der Israelis gibt es heute viel mehr Verständnis bei seinen Nachbarn, weil sich auch ihre Sicherheit, ihr Frieden und ihre Unabhängigkeit nicht einseitig organisieren lassen.
    Auch die Sowjetunion scheint inzwischen zu erkennen, daß einseitige Optionen Konflikte verlängern, die von niemandem gewonnen werden können. Die offenbar erwogene Aufnahme diplomatischer Beziehungen könnte sich daher positiv auf diesen Prozeß auswirken. Wenn die von mir dargestellte Analyse so zutrifft, dann kann unser Rat im Augenblick nur sein, bis zur Aufnahme der Gespräche behutsam und menschlich zu verfahren. Ich meine, daß es gerechtfertigt ist, auf einen solchen Gang der Dinge zu vertrauen. Man wird sich noch einige Monate gedulden müssen. Um so wichtiger ist es, daß bald ein Zeichen aller gegeben wird, daß Menschlichkeit und Gerechtigkeit für alle am Ende des jetzt begonnenen Prozesses stehen.
    Ich verzichte auf Ratschläge, wie das alles im Rahmen vieler Konferenzen erreicht werden könnte. Allen Betroffenen muß die Gelegenheit gegeben werden, für ihr Recht zu plädieren. Wie soll am Ende ein Frieden stehen, wenn sich der Kampf im Untergrund fortsetzt?
    In dieser Auffassung bin ich auch durch den früheren Außenminister und jetzigen Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses der Knesset, Abba Eban, bestärkt worden. Er empfiehlt uns nicht, die Biographien palästinensischer Führer zu studieren, sondern zu erforschen, was sie heute denken. Was sind jetzt ihre Vorstellungen? Wie stellen sie sich ihren Frieden mit Israel vor? Wer nimmt ein repräsentatives Mandat für sie wahr?
    Als Parlamentarier sind wir Parlamentäre. Der Auswärtige Ausschuß wird in der nächsten Woche mit einer Delegation in Tunis sein. Ich habe Arafat bitten lassen, uns auf diese Fragen Antwort zu geben. Gilt sein Wort für alle, ist dies ein Wort des Friedens und der Versöhnung, dann werde ich jedenfalls meinen israelischen Freunden empfehlen, einen neuen Weg zu wagen.
    Ich sage dies als Angehöriger eines Volkes, dessen politische Führung einen Abgrund zwischen den Völkern der Deutschen und der Juden aufgerissen hat. Die Erinnerung bleibt Bestandteil unserer Gegenwart und unserer Zukunft. Mit guten Gedanken haben wir dennoch stabile Brücken über diese Schlucht gebaut.
    Wir wissen, wie schwer das war. Warum soll die Feindschaft der letzten Jahrzehnte, die so viel Leid bei Israelis und Arabern verursacht hat, nicht ähnlich überwunden werden? Achtung und Zusammenarbeit statt Haß und Krieg!
    In Europa schaffen wir heute historische Gesten des Friedens und der Versöhnung. Warum schließen wir dies für die Lösung der Probleme im Nahen Osten aus? Die Woche der Brüderlichkeit habe ich nie selektiv verstanden. Sie betrifft auch die Brüderlichkeit mit den arabischen Semiten. Wer jemanden ausschließt, trägt letztlich nicht zum Frieden bei.
    Wenn wir uns in der Europäischen Gemeinschaft nicht so intensiv mit den formellen Fragen beschäftigt hätten, wäre vielleicht das politische Beispiel deutlich geworden, das wir mit der Organisation dieser Friedensordnung aller Welt gegeben haben. Wir haben gezeigt, daß man Frieden nicht herbeireden oder nur einen Friedensvertrag unterschreiben muß, sondern daß dieser Frieden die Organisation von Zusammenarbeit ist. Daher ist die Gemeinschaft wie kein anderer Gesprächspartner befähigt, Empfehlungen zu erläutern, die nicht einen Kirchhofsfrieden im Nahen Osten entstehen lassen, sondern die den Umgang miteinander konstruktiv mit Leben erfüllen.
    Nahum Goldmann hat schon vor drei Jahrzehnten — ich komme zum Schluß -- solche Gedanken ausgesprochen. Er war seiner Zeit voraus. Der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft hat im Gespräch mit König Hussein von Jordanien erfahren können, welche Gedanken sich in diesem Dialog der Verantwortlichen für die Sache des Friedens erschließen lassen. Nur darum muß es uns in dieser Stunde des Ringens für den Frieden gehen.
    Salam, Shalom!

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Gansel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Norbert Gansel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine „Aussprache über die Lage im Nahen Osten, insbesondere in den von Israel besetzten Gebieten", wie es in der Tagesordnung des Bundestages heute heißt, kann nicht eine Aussprache nur über die anderen sein. Sie ist in einem deutschen Parlament unvermeidlich auch eine Aussprache über uns selbst. Eine Aussprache über den Nahen Osten kann sich aber auch nicht auf die Politik Israels beschränken; denn in zweifacher Weise gilt, was der Theologe Helmut Gollwitzer so formuliert hat:
    Wo jüdisches Unrecht größer gemalt wird und mit strengeren Maßstäben gemessen wird als Unrecht anderswo, da regt sich Antisemitismus in moralischer Tarnung.
    Das größte Unrecht im Nahen Osten ist der Krieg. Deshalb spreche auch ich zunächst über das größte Unrecht im Nahen Osten, den Krieg zwischen dem Irak und dem Iran. In diesem Krieg sind nunmehr seit acht Jahren fast eine Million Menschen getötet, verwundet, vertrieben worden. Die Rüstungsindustrien der ganzen Welt profitieren davon, auch bei uns. Die



    Gansel
    Menschen scheinen darüber in Vergessenheit geraten zu sein, auch bei uns.
    Wo blieb die Entrüstung derer, die heute die Benutzung jugendlicher Steinewerfer für den gewalttätigen Protest der Palästinenser beklagen, als Tausende junger Iraner für die alljährliche Frühjahrsoffensive in das Maschinengewehrfeuer geschickt wurden? Wo war die Kritik, die heute am Tränengas der israelischen Armee Anstoß nimmt, als die irakische Luftwaffe mit Giftgasgranaten und -bomben die chemische Kriegsführung begann?
    Herr Außenminister, hat die Bundesregierung wirklich alles getan, urn auszuschließen, daß Firmen aus der Bundesrepublik Deutschland bei der Produktion dieser Chemiewaffen dabei waren? Wir sind für diesen Krieg mitverantwortlich, solange die Waffen der iranischen Infanterie auf Maschinen produziert werden, für die die Bundesrepublik noch im letzten Jahr Ersatzteillieferungen genehmigt hat. Solange irakische Raketen in den Städten des Iran einschlagen und noch ein irakischer Offizier Raketentechnik an einer Bundeswehrhochschule studiert, sind wir beteiligt, Herr Vorsitzender.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Die SPD hat den Beitrag von Außenminister Genscher zu dem Beschluß 598 des UN-Sicherheitsrats mit der ultimativen Forderung, die Feindseligkeiten einzustellen, begrüßt. Aber seit August 1987 streiten die Diplomaten darüber, ob dieser Beschluß nur als Ganzes oder schrittweise umgesetzt werden kann. Inzwischen wird weiter geschossen und gestorben.
    Wenn der Iran nicht wiederum mit Herrn Genscher taktiert, sondern wirklich bereit ist, einen Waffenstillstand zu akzeptieren, sobald eine internationale Kommission durch die UNO eingesetzt wird, um die Kriegsschuldfrage zu klären — also nicht erst, wenn sie die Kriegsschuld des Irak festgestellt hat — , dann sollte diese Chance genutzt werden. Andernfalls werden gezielte und abgestufte Sanktionen gegen den Iran und möglicherweise auch gegen den Irak notwendig. Es geht jetzt auch um die Funktionsfähigkeit und Glaubwürdigkeit der UNO, die für die Zukunft unserer Welt so wichtig ist.
    Es gibt an der UNO berechtigte und viel unberechtigte Kritik. Wer sich aber von Vorurteilen freimachen kann, wird gerade im Nahen Osten sehen, daß es ohne die Vereinten Nationen mehr Krieg und Elend und weniger Hoffnung gäbe.
    Im Libanon leisten die Hilfsorganisationen der UNO und das Internationale Rote Kreuz eine großartige Arbeit, die wir weiter — auch finanziell — unterstützen müssen. Dort herrscht nun seit 13 Jahren ein Bürgerkrieg religiöser, ethnischer und sozialer Gegensätze, aber auch ein Stellvertreterkrieg fremder Einmischung von Palästinensern, Syrern, Israelis, Iranern und Amerikanern, von dem man sich in Deutschland erst betroffen fühlte, als auch Deutsche zu Opfern von Geiselnahmen wurden. „Im Libanon ist ein ganzes Volk zur Geisel genommen" sagte der libanesische Staatspräsident, als er besorgt nach dem Schicksal der Deutschen befragt wurde. Man vergißt allzu leicht über dem Leid eines Deutschen, dessen Heimkehr wir fordern, 3 Millionen Libanesen.
    Die Innenminister in der Bundesrepublik Deutschland — und wir — müssen verantworten, wie mit Asylbewerbern aus dem Libanon umgegangen wird. Wer Frauen und Kinder in den Libanon zurückschickt, kann sie zu Geiseln machen. Wer Männer zurückschickt, macht sie womöglich zu Geiselnehmern.

    (Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Abgeordneten der FDP)

    Die Soldaten der UN-Friedenstruppen, die Blauhelme, sind in diesem archaischen Krieg die wahren Helden. Sie versuchen, Frieden zu schaffen, ohne Waffen einzusetzen, und mehr als 100 von ihnen haben dabei ihr Leben geopfert. Der kommandierende General aus Irland, sein Adjutant von den Fidschinseln und sein spanischer Zivilberater, wie ich sie 1983 in Beirut erlebt habe, symbolisieren für mich die gemeinsame Verantwortung der Menschheit für ihr Überleben, die Hoffnung auf eine mit Machtmitteln ausgestattete internationale Rechtsordnung, die eines Tages die nationalen Heere und die Milizen ablösen und den Krieg und Bürgerkrieg der Zukunft verhindern wird.
    Aber das ist schöne Utopie. Häßliche Realität ist die Eskalation der Gefühle und Gewaltmanifestationen zwischen Palästinensern und Israelis: Straßenbarrikaden und prügelnde Soldaten, Steinwürfe und tödliche Schüsse — auch auf Frauen und Kinder —, Terror und Gegenterror.
    Sind wir Deutsche zu solchen wechselseitigen Beschreibungen berechtigt? Müssen oder dürfen wir für die israelische oder für die palästinensische Seite Partei ergreifen? Ist eine Nahostpolitik der Bundesregierung überhaupt zu legitimieren?
    Es gibt bei uns die Tendenz, diese Frage zu umgehen, indem die Formulierung von Nahostpolitik in die Gremien der Europäischen Gemeinschaft verlagert wird. Ich bin aber überzeugt, daß wir uns von der Last der Geschichte nicht befreien können.

    (Sehr wahr! bei der FDP)

    Wir können sogar für die Politik frei werden, indem wir uns zu dieser Last bekennen.
    Ich sage das als deutscher Sozialdemokrat. Carlo Schmid ist 1945 Mitglied der SPD geworden, weil die SPD als einzige Partei nach Naziherrschaft und Krieg ihren Namen nicht ändern mußte — so sagte er. Die Reichstagsfraktion der SPD hat keine Stimme für Hitler gegeben. Meine Partei hat keine Nürnberger Gesetze und keinen Globke wiedergutzumachen. Die Frauen und Männer, die die SPD für meine Generation erhalten haben, sind selbst durch die Hölle der KZs, den Schmerz der Emigration und die Gefahr des Widerstands gegangen. Viele haben mit und für ihre jüdischen Brüder und Schwestern gelitten.
    Ich habe bei Kurt Schumacher gelesen und bei Willy Brandt gelernt, daß sie das nicht für die SPD gemacht haben, sondern für ihre Mitmenschen und für ihr Volk. Sollte es also eine Kollektivschuld des deutschen Volkes je gegeben haben und gar weiter geben, so wäre es nicht möglich, sich als Sozialdemokrat von seinem Teil durch das moralische Guthaben der eigenen Partei zu befreien.

    (Beifall bei der SPD)




    Gansel
    Ich gehöre zwar zu der Generation, in der es aus Altersgründen eine individuelle Schuld an den Verbrechen gegen die Juden nicht mehr geben kann. Aber ich kann doch die Haftung für die Taten der Generation meiner Eltern nicht von mir weisen und die Scham für die historischen Untaten meines Volkes nicht abstreifen.

    (Beifall bei der SPD, den GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Hirsch [FDP])

    Ja, ich bin überzeugt, daß wir nur insoweit Deutsche sein können, wie wir uns zu dieser Bindung bekennen.
    Es gibt nicht die Gnade der späten Geburt, und eine Arroganz der Spätgeborenen darf es nicht geben.

    (Beifall bei der SPD den GRÜNEN und bei Abgeordneten der FDP)

    Sich so nach Gelegenheit zu drücken ist eine deutsche Untugend, wie es auch eine deutsche Untugend ist, in der Politik extrem zu vereinfachen: Die einen Deutschen wollen am erfolgreichen Israel bewältigen, was Deutsche den Juden angetan haben, indem sie die Politik Israels vorbehaltlos unterstützen. Die anderen identifizieren sich mit der PLO, weil sie eine Wiedergutmachung für die Leiden der Palästinenser wollen, die sie als „Opfer der Opfer" bezeichnen. In dieser Formulierung liegt eine unerträgliche Gleichsetzung von Nazi-Deutschland mit Israel, also von Tätern und Opfern.

    (Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

    Der Staat Israel war für die Juden nicht nur die Erfüllung einer religiösen und politischen Sehnsucht des letzten Jahrhunderts. Er war auch die notwendige Form des Überlebens nach den Jahren der Verfolgung, des Holocaust. Durch diese Staatsgründung wurden die Palästinenser Opfer weiter wirkender Untaten, die die Deutschen an den Juden begangen hatten. Die Kausalkette, die die Nazis in Gang gesetzt hatten, reicht eben von Polen bis Palästina, von 1933 bis 1988 und weiter.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Historische Kausalität nimmt uns aber nicht die politische Entscheidungsfreiheit. Selbst die einfachen Positionen der einen wie der anderen Deutschen werden nämlich in dem Maße problematisch, wie die Politik Israels im eigenen Land und die der PLO in den eigenen Reihen umstritten sind.
    Weil er sich gegen die offizielle Politik für den friedlichen Ausgleich entschieden hatte, wurde unser Freund, der PLO-Funktionär Issam Sartawi, auf der Konferenz der Sozialistischen Internationale 1983 ermordet. Wir müssen heute an ihn denken.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Weil sie der Gewalt der Waffen und der harten Linie ihrer Regierung nicht mehr trauen, haben junge Israelis den militärischen Dienst im Libanon verweigert
    und jetzt in Massen für die Menschenrechte der Palästinenser in den besetzten Gebieten demonstriert.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Nein, wir alle können der Entscheidung für eine selbstverantwortete Politik nicht entgehen. Ich bin überzeugt, daß Geschichte einen Sinn haben könnte, hielte sie Vergebung für die Deutschen bereit, so weit, wie sie zu einem sicheren Überleben und zu einem friedlichen Nebeneinander von Israelis und Palästinensern beitragen könnten. Es liegt an uns, der Geschichte diesen Sinn zu geben, auch indem wir es versuchen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN und der CDU/CSU)

    Eine deutsche Nahostpolitik ist nicht aus Opportunismus, sondern aus Überzeugung eine Politik, die weder anti-israelisch pocht antipalästinensisch ist. Wir sind pro-israelisch und pro-palästinensisch.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Wir sollten deshalb weniger verurteilen und mehr helfen.
    Unsere Aufgabe ist es nicht, den vielen Nahostplänen weitere hinzuzufügen. Vielleicht können wir dazu beitragen, daß Selbstvertrauen und Vertrauen wachsen, daß endlich mit einem begonnen wird. Israel muß wissen, daß wir seinem Recht auf staatliche Existenz und sichere Grenzen fest verbunden sind. Aber durch brennende Autoreifen, durch Streiks und selbst durch Steinwürfe palästinensischer Jugendlicher wird die Sicherheit Israels nicht gefährdet. Eine Armee, die gegen solchen Widerstand eingesetzt wird, kann nicht militärisch siegen, sie kann politisch verlieren. Es helfen deshalb nur politische Lösungen. Auch das rechte Spektrum der israelischen Politik muß dabei erkennen, daß eine schleichende Annexion der besetzten Gebiete, die den Palästinensern nur Bürgerrechte zweiter Klasse gewährt, nicht gelingen kann. Israel wird kein Apartheidstaat werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Der militärische Flügel der PLO muß erkennen, daß der unbewaffnete Aufstand im Gaza-Streifen und im Westjordanland in der Weltöffentlichkeit und in der Staatengesellschaft für die Sache der Palästinenser mehr bewirkt hat als die Kommando- und Terroraktionen der letzten Jahre.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Immer mehr Israelis werden erfahren, daß die Palästinenser ein Volk sind mit dem Recht auf Selbstbestimmung. „Wir sind ein Volk, der Feind macht uns ohne unseren Willen dazu, wie das immer in der Geschichte so war" , hat Theodor Herzl, der Begründer der zionistischen Bewegung, vor über hundert Jahren über die Juden geschrieben. „In der Bedrängnis stehen wir zusammen, und da entdecken wir plötzlich unsere Kraft." Erkennen die Israelis in diesem Zitat heute nicht auch das Werden einer palästinensischen Nation?



    Gansel
    Ob die Palästinenser ihre organisatorische Identität in einem souveränen Staat, in einer Konföderation mit Jordanien oder in anderer Weise finden, wird erst am Ende eines Friedensprozesses und nicht an seinem Anfang beantwortet werden können. Diese Antwort wird nicht ohne die PLO gegeben werden, die die überwiegende Mehrheit der Palästinenser als ihre Sprecherin anerkennt.
    Wer jetzt aber aus der Bundesrepublik Maximalforderungen nach einem souveränen Palästinenserstaat in die eine Richtung oder begrenzte Autonomie in die andere Richtung aufstellt, der muß wissen, daß er sich nicht nur klüger gibt als die Betroffenen selbst, sondern auch dazu beitragen kann, daß der Verhandlungsprozeß überhaut nicht beginnt.
    Das palästinensische Volk ist auf der Suche nach seinem Staat, und es wird ihn mit Gewalt finden, wenn ihm nicht durch Verhandlungen geholfen wird. Auch dabei wird die UNO wieder eine wichtige Rolle spielen. Es wäre gut, wenn die Generalversammlung die Resolution revidieren würde, in der der Zionismus mit dem Rassismus gleichgesetzt wird,

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    und es wäre gut, wenn das israelische Parlament jenes Gesetz aufheben würde, das israelischen Bürgerinnen und Bürgern verbietet, mit Mitgliedern der PLO zu sprechen.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Herr Präsident! In diesen Tagen wird der Staat Israel 40 Jahre alt. Wir wünschen ihm zum Jahrestag alles Gute. Wir wünschen dem Staat Israel das Beste: eine friedliche Zukunft und glückliche Entwicklung mit den Staaten, die seine Nachbarn sind und seine Nachbarn sein werden.

    (Beifall bei allen Fraktionen)