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ID1106208100

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    Plenarprotokoll 11/62 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 62. Sitzung Bonn, Freitag, den 26. Februar 1988 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zur schriftlichen Kritik des Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern vom 9. Februar 1988 an Vorhaben der Bundesregierung Dr. Vogel SPD 4263 B Dr. Schäuble, Bundesminister BK . . . 4264 B Schily GRÜNE 4266C, 4276B Gattermann FDP 4276 C Dr. Apel SPD 4268 D Dr. Langner CDU/CSU 4269 D Frau Simonis SPD 4271 A Dr. Faltlhauser CDU/CSU 4271D Stiegler SPD 4273 A Beckmann FDP 4273 D Lenzer CDU/CSU 4275 A Dr. Daniels (Bonn) CDU/CSU 4276 D Tagesordnungspunkt 18: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jugendhilfe und Familie — die Entwicklung familienunterstützender Leistungen der Jugendhilfe und ihre Perspektiven — Siebter Jugendbericht —; Stellungnahme der Bundesregierung zum Siebten Jugendbericht (Drucksachen 10/6730, 11/1541) Frau Pack CDU/CSU 4278 A Dr. Böhme (Unna) SPD 4280 A Eimer (Fürth) FDP 4283 A Frau Krieger GRÜNE 4284 D Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister BMJFFG 4286B Vizepräsident Cronenberg 4288 B Tagesordnungspunkt 19: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dreßler, Frau Schmidt (Nürnberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Chancen und Risiken der Anwendung neuer Methoden der künstlichen Befruchtung und bei Eingriffen in menschliche Keimzellen (Drucksache 11/ 1662) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Kabinettbericht zur künstlichen Befruchtung beim Menschen (Drucksache 11/1856) Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 4289 A Seesing CDU/CSU 4292 B Frau Schmitt-Bott GRÜNE . . . 4294A, 4307 B Funke FDP 4296 A Engelhard, Bundesminister BMJ 4297 D Frau Conrad SPD 4299 B Frau Männle CDU/CSU 4301 C Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister BMJFFG 4302 B Catenhusen SPD 4304 B Dr. Voigt (Northeim) CDU/CSU 4306 A Geis CDU/CSU 4308 A Nächste Sitzung 4309 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 4310* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 4310* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1988 4263 62. Sitzung Bonn, den 26. Februar 1988 Beginn: 9.02 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amling 26. 2. Austermann 26. 2. Frau Beck-Oberdorf 26. 2. Becker (Nienberge) 26. 2. Egert 26. 2. Dr. Ehmke (Bonn) 26. 2. Dr. Glotz 26. 2. Dr. Geißler 26. 2. Genscher 26. 2. Dr. Götz 26. 2. Gröbl 26. 2. Dr. Häfele 26. 2. Frau Hämmerle 26. 2. Hasenfratz 26. 2. Frau Hasselfeldt 26. 2. Hauser (Esslingen) 26. 2. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 26. 2. Helmrich 26. 2. Frau Hensel 26. 2. Jansen 26. 2. Jaunich 26. 2. Jungmann 26. 2. Frau Kelly 26. 2. Klein (Dieburg) 26. 2. Klose 26. 2. Lowack 26. 2. Lüder 26. 2. Frau Dr. Martiny-Glotz 26. 2. Dr. Mechtersheimer 26. 2. Dr. Mertens (Bottrop) 26. 2. Michels 26. 2. Dr. Mitzscherling 26. 2. Möllemann 26. 2. Paintner 26. 2. Poß 26. 2. Dr. Probst 26. 2. Rappe (Hildesheim) 26. 2. Regenspurger 26. 2. Repnik 26. 2. Reuschenbach 26. 2. Frau Rust 26. 2. Frau Schilling 26. 2. Frau Schoppe 26. 2. Schröer (Mülheim) 26. 2. Dr. Spöri 26. 2. Stratmann 26. 2. Frau Trenz 26. 2. Frau Vennegerts 26. 2. Wartenberg (Berlin) 26. 2. Dr. Wernitz 26. 2. Wieczorek (Duisburg) 26. 2. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Wieczorek-Zeul 26. 2. Wissmann 26. 2. Wolfgramm (Göttingen) 26. 2. Frau Wollny 26. 2. Zeitlmann 26. 2. Dr. Zimmermann 26. 2. Zink 26. 2. Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 5. Februar 1988 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Gesetz zu dem Internationalen Kakao-Übereinkommen von 1986 Gesetz zu dem Vertrag vom 19. Dezember 1984 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg über den Verlauf der gemeinsamen Staatsgrenze Gesetz zu dem Vertrag vom 26. März 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über die Berichtigung der deutsch-belgischen Grenze im Bereich der regulierten Grenzgewässer Breitenbach und Schwarzbach, Kreise Aachen und Malmedy Gesetz zu dem Abkommen vom 16. Mai 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen Gesetz zu dem Vertrag vom 23. März 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bolivien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen Gesetz zu dem Vertrag vom 4. Mai 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Östlich des Uruguay über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen Gesetz zu dem Vertrag vom 20. Oktober 1986 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Nepal über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen Der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 11/138 Nr. 1.10, 1.28, 1.29 Drucksache 11/1181 Nr. 1.1 Drucksache 11/1656 Nr. 1.15, 1.16 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß sie die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen haben: Haushaltsausschuß Drucksache 11/929 Nr. 2.6 Ausschuß für Forschung und Technologie Drucksache 11/929 Nr. 2.31
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Wolf-Michael Catenhusen


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen, Frau Ministerin Süssmuth, in zwei Dingen durchaus sehr zustimmen: Das eine betrifft Ihren Hinweis, daß alle gesetzlichen Regelungen, die wir in diesem Bereich treffen wollen und treffen müssen, nicht bis ins letzte hinein zu kontrollieren sind und daß wir deshalb darauf angewiesen sind, daß auch die Bevölkerung, die Eltern, aber auch die Wissenschaftler eigenverantwortlich, aus eigener Erkenntnis bereit sein müssen, einen Wertekonsens, den wir hier in der Gesellschaft erarbeiten, mit zu akzeptieren und auch aktiv für die Einhaltung der Regeln, die wir setzen, in ihren Bereichen einzutreten.
    Das andere, meine Damen und Herren, betrifft Ihren Hinweis darauf, Frau Süssmuth, daß es in einigen Fragen offensichtlich noch Dissens in der Koalition gibt. Es ist gut, daß er hier heute einmal klar auf den Tisch gelegt worden ist. Ich glaube, es gibt eine breite Bereitschaft im Hohen Haus. Sie dazu zu drängen, Ihren Dissens möglichst schnell zu lösen. Denn die Entwicklung geht sehr schnell voran, und es ist so, daß wir hier in einigen Fragen wirklich einen sehr raschen, akuten Handlungsbedarf haben, der mit der bedächtigen Gangart unseres Justizministers vielleicht nicht angemessen zu beantworten ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, Reproduktionsbiologie und Gentechnologie können natürlich nicht nur Familienstrukturen zerstören, sie können die Zeugung und Aufzucht von Menschen auch zu einem anonymen, kommerziell betriebenen Geschäft machen. Ich denke, meine Damen und Herren, die Reichweite dieser Techniken, über die wir heute reden, stellt auch unsere Vorstellungen von den Grenzen wissenschaftlicher, medizinischer Eingriffe am Menschen in grundsätzlicher Weise in Frage. Ja, wir sehen sogar eine Entwicklung vor uns, mit der die Türen in eine Zukunft geöffnet werden können, bei der wir alle versucht sein könnten, den Menschen nach unseren Vorstellungen verbessern zu wollen.
    Bei der Retortenbefruchtung sind — zunächst in gutgemeinter Absicht: um betroffenen Frauen eine zu häufige hormonelle Stimulation zur Entnahme von Eizellen zu ersparen — Eizellen in größerer Zahl entnommen und auf Vorrat befruchtet worden. Allein aber die Existenz einiger überzähliger befruchteter menschlicher Eizellen hat weltweit, auch bei uns, rasch in großer Zahl Stimmen in der Wissenschaft laut werden lassen, diese Embryonen durch Einsatz in der medizinischen Forschung — so könnte man sagen — einer gesellschaftlich sinnvollen Verwendung zukommen zu lassen.
    Embryonenforschung sagt sich international an und wird auch in Ländern wie Australien oder Großbritannien bereits betrieben. Das juristische Schlupfloch für Embryonenforschung ist der rechtsfreie Raum, der für befruchtete Eizellen in den ersten 14 Tagen pragmatisch gelassen wurde, um bestimmte Methoden der Empfängnisverhütung nicht zu kriminalisieren. Ich denke, daß dieser rechtsfreie Raum gegenüber der Wissenschaft geschlossen werden muß.
    Deutsche Mediziner haben im Dritten Reich Menschen durch wissenschaftliche Experimente „verbraucht" . Es war eine sehr befreiende Tat, daß international Ärzte aus Anlaß der Nürnberger Prozesse im Jahre 1947 einen Kodex formuliert haben, der den klinisch-experimentellen Umgang mit den Menschen regelte und der zuletzt 1975 in Tokio weiterentwickelt wurde.
    In diesem Standesrecht, das weltweit von Ärzten gesetzt wurde, werden zwei Kategorien von Experimenten an Menschen unterschieden. Es wird zwischen Experimenten unterschieden, die einen unmittelbaren therapeutischen Zweck für das Individuum verfolgen, und solchen, die dem biomedizinischen Fortschritt dienen könnten. Letztere sind aber nach Auffassung der Ärzte nur bei Erwachsenen zulässig, die über Zweck und mögliche Folgen eines solchen Eingriffs informiert sein müssen.
    Meine Damen und Herren, es gibt für mich keinen Anlaß, angesichts der Entwicklung in der Embryologie von diesen Prinzipien gegenüber dem menschlichen Leben abzugehen. Ich denke, diese Prinzipien müssen auch gegenüber medizinischer Forschung und gegenüber medizinischem Eingriff am ungeborenen Leben gelten.

    (Beifall bei der SPD)

    Befruchtete menschliche Eizellen sind auf individuelles Leben angelegt. Sie haben einen moralischen Status und verdienen deshalb auch den Schutz unserer Gesellschaft. Mich hat erschreckt, mit welcher Unbefangenheit demgegenüber die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Max-Planck-Gesellschaft die Möglichkeit einer Erzeugung von Embryo-



    Catenhusen
    nen ausschließlich zu Forschungszwecken eröffnen wollen.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Ich kann mir das nur damit erklären, daß hier die Betreiber selber den Griffel zu den Stellungnahmen der wissenschaftlichen Organisationen geführt haben. Kein wissenschaftliches Erkenntnisinteresse allgemein kann für mich die Erzeugung von menschlichen Embryonen nur zu diesem Zweck rechtfertigen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich denke, daß wir hier als Gesetzgeber ein Schlupfloch schließen müssen, daß das Standesrecht solchen Forschungen nach wie vor lassen möchte, wenn dort hochrangige wissenschaftliche Interessen von seiten der Wissenschaft geltend gemacht werden könnten.

    (Beifall bei der SPD)

    Denn diese Forderungen, meine Damen und Herren, heißt in der Praxis letztendlich, daß die Wissenschaft doch selber bestimmen möchte und bestimmen soll, wenn im Einzelfall Embryonen zu Forschungszwekken erzeugt oder verbraucht werden sollen.
    Von seiten der Wissenschaftler wird uns nun entgegengehalten, Embryonenforschung könnte notwendig sein, um über Erkenntnisgewinn möglicherweise Menschen künftig helfen zu können, etwa bei der Krebstherapie oder sogar, wie in Amerika erörtert wird, indem Föten Gewebe zu Zwecken der Organtransplantation entnommen wird, Gewebe, das aus menschlichen Embryonen gewonnen werden soll.
    Britische Ärzte fordern ja sogar schon, daß bei einer In-vitro-Fertilisation gewonnenen befruchteten menschlichen Eizelle in den ersten Stadien der Zellteilung Zellen abgespaltet und tiefgefroren werden sollen. Man könnte dann im Bedarfsfall daraus einmal später für im Erwachsenenleben des Menschen auftauchende Krankheiten und Verschleißerscheinungen Ersatzgewebe und -organe regenerieren.
    Wir sollten uns klar gegen eine Entwicklung der Medizin aussprechen, bei der Experimente mit menschlichem Leben in den Anfangsstadien, die bestimmten medizinischen Fortschritten dienen sollen, als so wichtig angesehen werden könnten, daß das Forschungsziel höher bewertet wird als der Respekt vor diesem Leben.
    Meine Damen und Herren, Eingriffe in menschliche Erbanlagen stehen uns technisch sicherlich nicht schon in den nächsten Monaten oder in den nächsten Jahren ins Haus. Aber ich denke, die ethischen Probleme liegen schon heute auf der Hand. Eine Taktik, heute eine solche technische Möglichkeit zu verbieten, weil sie technisch sowieso noch nicht machbar ist, der Wissenschaft aber augenzwinkernd zu versichern, daß die mit lautem Theaterknall heute verschlossene Tür beim ersten realen Antrag aus der Wissenschaft natürlich jederzeit wieder geöffnet werden könnte, wird uns als Politiker in unserer Glaubwürdigkeit auf Dauer eher Schaden als nutzen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren — das ist
    meine schärfste Kritik an dem Bericht der Bundesregierung — , daß eine solche taktische Position auch in dem Bericht der Bundesregierung eingenommen wird, wenn ich sehe, daß Minister dieser Regierung jederzeit versichern, sie könnten sich durchaus vorstellen, daß es hochrangige medizinische Interessen gibt, die doch wieder zu einer Keimbahntherapie führen könnten.
    Meine Damen und Herren, wir setzen uns für ein strafrechtliches Verbot gentechnischer Eingriffe in die Keimbahn des Menschen ein. Wir lehnen diese Möglichkeit ab, weil diese Therapieform heute mit unabsehbaren Gefahren einer Schädigung der befruchteten menschlichen Eizelle verbunden ist.
    Wir lehnen diese Eingriffe aber auch für den Fall ab, daß eine solche Therapie ohne gesundheitliche Risiken für Betroffene vorgenommen werden könnte, denn welches Recht haben wir als jetzt Lebende eigentlich, die Erbanlagen künftiger Generationen bestimmen zu wollen? Es gibt keine Kriterien dafür, eine solche Therapieform künftig auf die Behandlung schwerster nicht behandelbarer Erbkrankheiten begrenzen zu können. Auch wenn ein solches Experiment erfolgreich durchgeführt werden könnte: Wer gibt uns das Recht, den Menschen nach Maß konstruieren zu wollen? Denn jede Therapie, die in die Erbanlagen des Menschen eingreift, ist zugleich ein Eingriff in das genetische Programm künftiger Generationen. Der Versuch, das genetische Programm des Menschen nach unseren Vorstellungen zu optimieren, ist nach meiner Vorstellung von menschlicher Würde und auch vom Bild des Menschen als Geschöpf Gottes — ich denke, daß deckt sich mit der Vorstellung vieler Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause — nicht vereinbar.
    Meine Damen und Herren, wir sind nicht aufgerufen, die Moral an die neuen technischen Möglichkeiten anzupassen — so hätten es viele Wissenschaftler gerne — , sondern wir sind aufgerufen, die Vorstellung der Verfassung von menschlicher Würde gegen neue Möglichkeiten der Medizin und Biologie zu verteidigen. Wir müssen selbst die Grenzen medizinischer Forschung und bei Eingriffen am Menschen ziehen. Es stimmt mich optimistisch, daß der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor Markl, dazu festgestellt hat — ich zitiere —:
    Es kann keine Frage sein, daß sich der Wissenschaftler der normativen, der rechtlichen und ethischen Grenzsetzung für die Methoden seines Forschens zu unterwerfen hat, nicht widerspruchslos zwar in einer freien Gesellschaft, aber er darf solche Grenzziehung nicht mit dem Anspruch auf Forschungsfreiheit leugnen oder gar mißachten.
    Meine Damen und Herren, wir sollten bei diesen Fragen die Wissenschaftler selbst sehr stark in unsere Diskussion einbeziehen, ohne polemische Vorverurteilung, ohne Diskussionsverweigerung. Im Gegenteil, ich möchte die Wissenschaftler auffordern, ihre Argumente endlich öffentlich, offen zugänglich in der Bundesrepublik darzulegen.

    (Beifall bei der SPD, bei der CDU/CSU und der FDP)




    Catenhusen
    Wir wollen die Argumente der Wissenschaftler in unserem Beratungsprozeß unpassend abwägen. Aber, meine Damen und Herren, auch die Wissenschaft ist in dieser Diskussion selbst Partei, und sie muß es akzeptieren, daß wir uns ihren Ergebnissen in unserer ethischen Bewertung nicht automatisch anschließen.

    (Zustimmung bei der SPD und den GRÜNEN)

    Aber, meine Damen und Herren, nur durch Einbeziehung der Wissenschaftler in die Diskussion können wir erreichen, daß gesetzliche Regelungen, die wir treffen, zumindest von Teilen der Wissenschaftler akzeptiert werden. Das ist für uns auch eine wichtige Chance, darauf zu hoffen, daß unsere mangelhaften Kontrollmöglichkeiten in diesem Bereich durch aktives Mittun von Wissenschaftlern selbst verstärkt werden.
    Schönen Dank.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Voigt.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Karsten D. Voigt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, in der Frage, ob Experimente an Embryonen oder gar in Keimbahnzellen durchgeführt werden sollen, sind wir uns hier im Parlament einig. Ich schließe mich denjenigen an, die aufgeführt haben, welche negativen Folgen aus diesen Experimenten abgeleitet werden können.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, nehmen Sie mir ab, daß es jemandem, der selbst 15 Jahre im Bereich der molekularen Genetik experimentell gearbeitet hat, nicht leichtfällt, diese Äußerung hier vor dem Deutschen Bundestag zu machen. Ich bin aber der Meinung, daß wir möglichst früh — zum gegenwärtigen Zeitpunkt und von jetzt an sehr schnell — durch eine Umsetzung zu rechtlichen Normen, zu einer Festlegung des ethisch Machbaren kommen müssen, um auch demjenigen, der weiter forscht — ich werde gleich noch darauf eingehen —, die Grenzen aufzuzeigen, innerhalb derer er das tun darf, was sicherlich sinnvoll ist. Ich meine da vor allem — ich werde das am Ende meines kleinen Beitrags noch ausführlich erwähnen — , das, was gentechnisch in anderen Bereichen denkbar ist.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir in Abwägung des Prozesses hochrangige Forschung und Menschenwürde zu der definitiven Entscheidung kommen, daß Experimente in der Keimbahn, daß Experimente an Embryonen verboten werden sollen, so ist das nicht Ausdruck einer Angst vor diesen gesamten Möglichkeiten, sondern es ist Ausdruck der Tatsache, daß wir der Menschenwürde ein sehr hohes Gewicht zumessen.
    Aus der Sicht der Naturwissenschaft beginnt artspezifisches menschliches Leben mit der Befruchtung, d. h. also in dem Augenblick, wo Samen und Ei im Kern verschmelzen. Ein Mensch wird also nicht Mensch, sondern ist es durch sein genetisches Programm von Anfang an — wenn Sie das auch anders interpretieren wollen, ist Individualität nicht auf eine
    kleinere Einheit zurückführbar, ohne ihre Qualität zu verlieren — und hat damit Lebensrecht und den Schutz aller zu genießen.
    Durch Experimente am Embryo und durch Eingriffe in die Keimbahn ist die Menschwerdung selbst Gegenstand des Versuches geworden, d. h. der Mensch selbst wird zum Objekt.
    Der Präsident der Bundesärtzekammer vertritt die Auffassung — Herr Catenhusen hat ja schon die Auffassung der DFG und der Max-Planck-Gesellschaft hier deutlich gemacht; ich teile seine Bewertung, daß wir dort dringend eine Diskussion brauchen, die auch die Stellungnahmen dieser Organisationen für uns durchsichtig macht — , daß die Kontrollkommission der Bundesärztekammer ausreiche, um ein Ausufern, einen Mißbrauch der Möglichkeiten zu verhindern. Ich persönlich bin nicht der Auffassung, daß das, was wir jetzt vorhaben, von vornherein der Wissenschaft, vor allem der ärtzlichen Wissenschaft, unethisches Handeln unterstellt. Wir sind aber der Meinung, daß im Interesse der Forschenden, im Interesse der medizinischen Wissenschaft Regeln notwendig sind, die zu ihrer eigenen Sicherheit ihr zukünftiges Handeln bestimmen und einen Entwurf für die Zukunft für sie darstellen.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist nicht unsere Absicht, mit einer Einschränkung in irgendeiner Form die Neugierde, die fruchtbringende Neugierde der Wissenschaft zu beschränken oder zu unterbinden. Sie ist die Triebfeder für viele wichtige Entscheidungen und Forschungsergebnisse gewesen. Sie hat uns immer an die Grenzen dessen geführt, was vorher denkbar gewesen ist, sie hat vertraute Vorstellungen in Frage gestellt und gesellschaftliche Tabus ad absurdum geführt. Sie hat aber auch — und das ist der wesentlichste Punkt unserer heutigen Diskussion — zu einer erneuten Sensibilisierung für das Leben beigetragen. Der Schutz des werdenden Lebens kann nicht nur der Schutz menschlichen Lebens im Frühstadium sein, sondern muß es in der Gesamtheit seiner Entwicklung sein.
    Auch wenn wir uns darüber im klaren sind, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß nicht jeder Versuch an Embryonen oder mit Embryonen unbedingt in den Versuch einfließen muß, das genetische Material zu verändern, gentechnische Experimente zu machen, so ist doch der Weg dorthin — Herr Catenhusen hat das hier deutlich aufgezeigt, und auch Frau Conrad hat darauf hingewiesen — sehr, sehr schnell machbar. Das heißt, das Tor ist geöffnet. Von daher ist ein Verbot der Forschung in diesen zwei Bereichen in meinen Augen dringend notwendig.

    (Beifall bei allen Fraktionen)

    Das darf aber nicht dazu führen, daß die Beschäftigung mit der Gentechnik allgemein damit in Mißkredit gerät. Ganz im Gegenteil. Ich glaube, daß wir, wenn wir diesen Teil aus der gesamten Forschung herausziehen, eher eine Akzeptanz für diese Technik finden werden. Ich halte das für einen ganz wesentlichen Punkt, den zweifelsohne diejenigen, die die Gentechnik in ihren Chancen gegenüber den Risiken



    Dr. Voigt (Northeim)

    zum positiven Ergebnis hin bewertet haben, unterstreichen werden.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    Wenn wir uns also entscheiden, meine sehr verehrten Damen und Herren, Grenzen der Anwendbarkeit von wissenschaftlichen Erkenntnissen aufzuzeigen, so geschieht das aus der Ehrfurcht vor dem Leben. Diese Ehrfurcht vor dem Leben ist keine Ehrfurcht aus Angst. Angst ist eine irrationale Größe, deren Stärke eher im Sichzurückziehen liegt als in der Lebensbejahung. Wenn wir versuchen wollen, eine positive Einstellung zum Leben und seiner Würde zu finden, so gibt es neben der Verneinung aus Angst und dem unkritischen Fortschrittsglauben auf der Basis des Dennoch und Trotzdem den Weg, den uns die jüdischchristliche Tradition aufzeigt. Das bedeutet: Hier wird die Natur nicht als natürlicher Automatismus verstanden und das Leben nicht als eine Form der Selbstorganisation.
    Es wäre allerdings eine völlig kurzschlüssige Reaktion, wollten wir die jüdisch-christliche Tradition unserer wissenschaftlich-technischen Welt im Sinne eines Entweder-Oder gegenüberstellen. Das letztere ist ohne die erstere nicht denkbar. Die Gen- und Fortpflanzungstechnologie erzeugt nicht Leben, sondern handhabt vorhandenes Leben. Leben ist aber nicht dazu da, um unnötig gequält und als leicht zu entledigendes Objekt benutzt zu werden. Leben ist auch nicht dazu da, um durch seine Manipulation unsere Neugierde zu befriedigen, obwohl uns das wissenschaftlich neugierige Eindringen in die Geheimnisse des Lebens den Lebenskontext besser zu verstehen lehrt und uns unsere verantwortliche Mitarbeit am Leben ermöglicht.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir uns bei der Forschung an Embryonen und beim Eingriff in die menschliche Keimbahn zu einem Verbot und zu einer Beschränkung der Freiheit der Wissenschaft entscheiden, so geschieht das nicht aus der irrationalen Angst, sondern im Bewußtsein, daß vor dem grundsätzlich zu bejahenden Fortschrittsgedanken die Verantwortung für die Würde des Menschen zu stehen hat. Nicht die Methode der Gentechnik ist unmoralisch, sondern in diesem Fall die Anwendung am Menschen mit dem Ziel, Embryonen zu schädigen, das Erbgut, irreparabel zu verändern.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)