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ID1106207900

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    Plenarprotokoll 11/62 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 62. Sitzung Bonn, Freitag, den 26. Februar 1988 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zur schriftlichen Kritik des Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern vom 9. Februar 1988 an Vorhaben der Bundesregierung Dr. Vogel SPD 4263 B Dr. Schäuble, Bundesminister BK . . . 4264 B Schily GRÜNE 4266C, 4276B Gattermann FDP 4276 C Dr. Apel SPD 4268 D Dr. Langner CDU/CSU 4269 D Frau Simonis SPD 4271 A Dr. Faltlhauser CDU/CSU 4271D Stiegler SPD 4273 A Beckmann FDP 4273 D Lenzer CDU/CSU 4275 A Dr. Daniels (Bonn) CDU/CSU 4276 D Tagesordnungspunkt 18: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jugendhilfe und Familie — die Entwicklung familienunterstützender Leistungen der Jugendhilfe und ihre Perspektiven — Siebter Jugendbericht —; Stellungnahme der Bundesregierung zum Siebten Jugendbericht (Drucksachen 10/6730, 11/1541) Frau Pack CDU/CSU 4278 A Dr. Böhme (Unna) SPD 4280 A Eimer (Fürth) FDP 4283 A Frau Krieger GRÜNE 4284 D Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister BMJFFG 4286B Vizepräsident Cronenberg 4288 B Tagesordnungspunkt 19: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dreßler, Frau Schmidt (Nürnberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Chancen und Risiken der Anwendung neuer Methoden der künstlichen Befruchtung und bei Eingriffen in menschliche Keimzellen (Drucksache 11/ 1662) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Kabinettbericht zur künstlichen Befruchtung beim Menschen (Drucksache 11/1856) Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 4289 A Seesing CDU/CSU 4292 B Frau Schmitt-Bott GRÜNE . . . 4294A, 4307 B Funke FDP 4296 A Engelhard, Bundesminister BMJ 4297 D Frau Conrad SPD 4299 B Frau Männle CDU/CSU 4301 C Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister BMJFFG 4302 B Catenhusen SPD 4304 B Dr. Voigt (Northeim) CDU/CSU 4306 A Geis CDU/CSU 4308 A Nächste Sitzung 4309 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 4310* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 4310* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1988 4263 62. Sitzung Bonn, den 26. Februar 1988 Beginn: 9.02 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amling 26. 2. Austermann 26. 2. Frau Beck-Oberdorf 26. 2. Becker (Nienberge) 26. 2. Egert 26. 2. Dr. Ehmke (Bonn) 26. 2. Dr. Glotz 26. 2. Dr. Geißler 26. 2. Genscher 26. 2. Dr. Götz 26. 2. Gröbl 26. 2. Dr. Häfele 26. 2. Frau Hämmerle 26. 2. Hasenfratz 26. 2. Frau Hasselfeldt 26. 2. Hauser (Esslingen) 26. 2. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 26. 2. Helmrich 26. 2. Frau Hensel 26. 2. Jansen 26. 2. Jaunich 26. 2. Jungmann 26. 2. Frau Kelly 26. 2. Klein (Dieburg) 26. 2. Klose 26. 2. Lowack 26. 2. Lüder 26. 2. Frau Dr. Martiny-Glotz 26. 2. Dr. Mechtersheimer 26. 2. Dr. Mertens (Bottrop) 26. 2. Michels 26. 2. Dr. Mitzscherling 26. 2. Möllemann 26. 2. Paintner 26. 2. Poß 26. 2. Dr. Probst 26. 2. Rappe (Hildesheim) 26. 2. Regenspurger 26. 2. Repnik 26. 2. Reuschenbach 26. 2. Frau Rust 26. 2. Frau Schilling 26. 2. Frau Schoppe 26. 2. Schröer (Mülheim) 26. 2. Dr. Spöri 26. 2. Stratmann 26. 2. Frau Trenz 26. 2. Frau Vennegerts 26. 2. Wartenberg (Berlin) 26. 2. Dr. Wernitz 26. 2. Wieczorek (Duisburg) 26. 2. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Wieczorek-Zeul 26. 2. Wissmann 26. 2. Wolfgramm (Göttingen) 26. 2. Frau Wollny 26. 2. Zeitlmann 26. 2. Dr. Zimmermann 26. 2. Zink 26. 2. Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 5. Februar 1988 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Gesetz zu dem Internationalen Kakao-Übereinkommen von 1986 Gesetz zu dem Vertrag vom 19. Dezember 1984 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg über den Verlauf der gemeinsamen Staatsgrenze Gesetz zu dem Vertrag vom 26. März 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über die Berichtigung der deutsch-belgischen Grenze im Bereich der regulierten Grenzgewässer Breitenbach und Schwarzbach, Kreise Aachen und Malmedy Gesetz zu dem Abkommen vom 16. Mai 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen Gesetz zu dem Vertrag vom 23. März 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bolivien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen Gesetz zu dem Vertrag vom 4. Mai 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Östlich des Uruguay über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen Gesetz zu dem Vertrag vom 20. Oktober 1986 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Nepal über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen Der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 11/138 Nr. 1.10, 1.28, 1.29 Drucksache 11/1181 Nr. 1.1 Drucksache 11/1656 Nr. 1.15, 1.16 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß sie die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen haben: Haushaltsausschuß Drucksache 11/929 Nr. 2.6 Ausschuß für Forschung und Technologie Drucksache 11/929 Nr. 2.31
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rita Süssmuth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kabinettsbericht zur künstlichen Befruchtung ist noch nicht die Endentscheidung, aber ein ganz wichtiger Zwischenschritt. Weil Frau Däubler-Gmelin heute morgen auf Sankt Gallen verwiesen hat, möchte ich sagen: Wir sind dicht auf den Spuren und im Vergleich unter den europäischen Ländern sogar sehr viel früher als alle anderen.
    Es ist nicht so, daß in der Wissenschaft, unter Ärzten Einigkeit herrscht, wie hier zu verfahren ist. Die Richtlinien der Bundesärztekammer lassen hier mehr offen, als ich mit meinen Positionen vertreten könnte.
    Es ist unter den Wissenschaftlern immer wieder nicht nur die Frage nach der Einhaltung des Art. 5 gestellt worden, sondern auch die Frage, was das denn nun wieder die Politik anginge, ob wir uns nicht aus diesem Bereich zurückzuhalten hätten,

    (Zuruf von den GRÜNEN: Das hätten sie gerne!)

    weil die Wissenschaft hier keinen Verbotskatalog brauche, keinen Reglementierungsbedarf habe.
    Mein Kollege Engelhard hat zu Recht darauf verwiesen, daß auch der Art. 5 des Grundgesetzes dem übergeordneten Art. 1 unterstellt ist. Da hier heute vormittag gefragt wurde, warum ich es so mit der Eigenverantwortung hielte, muß ich Ihnen sagen: Kein System der Welt wird mit seinen Kontrollen die menschliche Eigenverantwortung überbieten können; sie ist unverzichtbar.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Ich frage mich auch, welchen Freiheitsbegriff und welches Freiheitsverständnis wir zugrunde legen, wenn nicht am Anfang all unseres Bemühens die Verantwortung des Individuums steht. Diese Verantwortung ist durch nichts anderes zu ersetzen, wohl zu flankieren.
    Ich gehöre zu einer Generation, die noch jene Wissenschaftler gelesen hat, die aus dem Krieg zurückgekommen sind, für die es damals Selbstverpflichtung war, in ihren Niederschriften festzuhalten: Hoffentlich kommen wir nie wieder dahin, daß wir Wissenschaft und Bildung, Wissenschaft und Ethos auseinanderreißen.
    Ethikkommissionen, wie wir sie seit 1973 in den Universitäten eingerichtet haben, sind bei allem Zugeständnis ihrer Notwendigkeit für mich dennoch Krücken, Hilfsmittel, weil nicht mehr in Personen verankert ist, was in Personen verankert sein müßte.

    (Frau Saibold [GRÜNE]: Und bei der Gentechnik versagen sie! Da werden sie Ihrer Aufgabe nicht gerecht!)

    — Ich arbeite eines nach dem anderen ab.
    Deswegen ist das eine die Einordnung der Freiheit in die Verantwortung, das andere das, was wir regeln, auch unter Strafbewehrung regeln, weil es hier in erster Linie der Bildung klarer Normen dient; das ist ja die Aufgabe des Strafrechts, klar zu sagen als Orientierung für den Menschen, was sein darf und was nicht sein darf,

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    und erst in zweiter Linie dort einzugreifen, wo gegen diese Normen verstoßen wird.
    Insofern möchte ich hier noch mal korrigiert wissen: Für mich gehört das Verbot, an Embryonen zu forschen, weil sie menschliches Leben sind, auf dieselbe ethische, logische und dann strafrechtliche Ebene wie der Schutz des ungeborenen Lebens. Das ist nicht



    Bundesminister Frau Dr. Süssmuth
    zweierlei, sondern das ist ein und dasselbe zu schützende menschliche Leben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es ist ein Unterschied, ob ich meine, mit Verschärfung des Strafrechts Probleme lösen zu können, oder ob ich klare Strafrechtsbestimmungen in einer gesellschaftlichen Ordnung für die Menschen vorgebe.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr richtig!)

    Deswegen können wir mit keinem Mittel des Staates eine Garantie dafür geben, daß nicht doch Verstöße gegen diese Normen vorkommen,

    (Catenhusen [SPD]: So ist es!)

    sei es auf der Ebene der künstlichen Befruchtung, sei es im Umgang mit Embryonen.
    Gerade weil es so ist, ist es entscheidend, daß die Menschen selber auch in der zu führenden öffentlichen Diskussion ein so geschärftes Gewissen haben, daß sie mehr als nur Hemmungen entwickeln, in einer unerlaubten und menschenverletztenden Weise tätig zu werden.

    (Zustimmung des Abg. Catenhusen [SPD])

    Ich glaube, genau hier setzt die Frage nach Eigenverantwortung und Reglementierung sowie Kontrolle an. Überschätzen wir nicht die Möglichkeiten der Kontrolle, in keinem Bereich!
    Für uns im Kabinett und für die, die den Bericht erstellt haben, war wichtig, daß wir immer tiefer in diese komplizierte Materie eindringen und nicht mit vorschnellen Urteilen uns selber dazu bringen, Gesichtspunkte, die wichtig sind, zu vergessen.
    Ich möchte an dieser Stelle in unserer Fraktion stellvertretend für mehrere besonders Herrn Seesing für sein Engagement danken, für seine vertiefte Auseinandersetzung und für das, was er in Behutsamkeit und Klarheit dort zur Sprache bringt.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

    Ich habe eigentlich große Hoffnung, daß wir trotz der noch nicht abgeklärten Positionen uns an diesem Punkt wieder parteiübergreifend finden können und daß das Auswirkungen auch auf den Gesamtschutz des menschlichen Lebens vom Anfang bis zur Sterbestunde hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich glaube, das ist eine grundlegende Frage, die Demokraten einen müßte.
    Ich möchte in der kurzen Zeit, die mir bleibt, noch ein paar Punkte nennen, die unverzichtbar sind und bei denen ich noch immer den Eindruck habe, daß sie oft sehr unterschiedlich angegangen werden je nachdem, ob es mit der Erfahrung von Frauen oder mit der Erfahrung von Männern geschieht. Lassen Sie mich dafür zwei Bereiche anführen.
    Für mich hat die Anstrengung in dem Bereich „Wie gehen wir mit Störungen der Fruchtbarkeit um?" absoluten Vorrang vor jeglicher anderer Maßnahme. So steht es auch im Kabinettsbericht.

    (Seesing [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Das geht weit über medizinische Ursachen hinaus.
    Nun haben Sie, Frau Conrad, vorhin gefragt: Wie sieht es mit der Forschung aus? Inzwischen ist es soweit, daß ein neuer Forschungsschwerpunkt in dem Bereich „Forschung im Dienst der Gesundheit" aufgenommen wird und daß wir Forschungsprojekte zur medizinischen und nichtmedizinischen Erforschung der Unfruchtbarkeit auf den Weg gebracht haben. 1987 sind zwei unmittelbar auf den Weg gebracht worden. Weitere will der BMFT auf den Weg bringen. Es gibt sechs oder sieben Forschungsbereiche in der DFG, die in diesem Kontext stehen.

    (Catenhusen [SPD]: Richtig!)

    Ich bin sehr dafür, daß wir es ausweiten, damit nicht allzu schnell das Urteil der Mediziner Platz greift, hier könne der Mensch eingetretene Störungen nicht beseitigen. Jedenfalls hat dies absoluten Vorrang vor jedem technischen Mittel, das wir oft vorschnell einsetzen.

    (Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    Wir handeln danach. Und wenn heute morgen gesagt worden ist, in all den Jahren sei nichts passiert, dann möchte ich dazu sagen: Wir haben in den letzten Jahren an dieser Thematik sehr intensiv gearbeitet.
    Ein Zweites: Kindeswohl ist ein so wichtiger Gesichtspunkt, daß wir bei der heterologen Insemination und der nichtehelichen Konstellation mit Befruchtung immer fragen müssen: Was bedeutet das für das Kindeswohl?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wissen wir nicht aus der Adoption, in welch traumatischer Weise Adoptionskinder, bei denen sich Adoptionseltern große Mühe geben, oft auf der Suche nach ihren Herkunftseltern sind? Wir Menschen sind — für Gegenwart und Zukunft — auf unsere Vergangenheit angewiesen. Ohne sie entwickeln wir keine menschliche Identität.

    (Beifall bei der CDU/CSU und den GRÜNEN)

    Das sollten wir nicht vergessen, wenn wir zukünftig über heterologe Insemination entscheiden, weil wir hier Menschenunverträgliches für das Kind, aber in gleicher Weise, so fürchte ich, auch für die Mutter, die Paarbeziehung und den nichtleiblichen Vater auf den Weg bringen.
    Ich möchte hier dafür werben, daß wir in Zukunft mit Engagement nicht nur davon sprechen, daß wir keine gespaltene Mutterschaft wollen. Im Dienste der Väter muß die Rede genauso heißen: Wir wollen keine gespaltene Vaterschaft.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der Abg. Frau Saibold [GRÜNE])




    Bundesminister Frau Dr. Süssmuth
    Ich denke, dies muß auch in den juristischen Regelungen seinen Niederschlag finden.

    (Catenhusen [SPD]: Wir reden immer von Elternschaft! — Weiterer Zuruf von der SPD: Kein Dissens!)

    — Elternschaft heißt immer, daß sie ungeteilt ist.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Ja, für jeden Elternteil!)

    Ich denke, das sollte auch unser Maßstab sein, wenn wir über diese Fragen entscheiden müssen.
    Ich möchte dieses Feld nicht verlassen, ohne zu sagen: Ziehen wir daraus allerdings auch Konsequenzen für den Schutz des ungeborenen Lebens! Hier ist keine Zweiteilung der Argumente möglich.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Am Bereich der künstlichen Befruchtung lernen wir, wo die Grenzen unseres Tuns sein müssen. Ich möchte mit Paul Tillich enden: „Gerade die Grenze muß der Ort menschlicher Erkenntnis sein. " Damit sagt er umgekehrt das, was Jonas sagt: „Öffnet nicht die Büchse der Pandora, ohne zu wissen, welchen Gefährdungen ihr die Menschen aussetzt. "
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Frau Saibold [GRÜNE])



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Catenhusen.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolf-Michael Catenhusen


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen, Frau Ministerin Süssmuth, in zwei Dingen durchaus sehr zustimmen: Das eine betrifft Ihren Hinweis, daß alle gesetzlichen Regelungen, die wir in diesem Bereich treffen wollen und treffen müssen, nicht bis ins letzte hinein zu kontrollieren sind und daß wir deshalb darauf angewiesen sind, daß auch die Bevölkerung, die Eltern, aber auch die Wissenschaftler eigenverantwortlich, aus eigener Erkenntnis bereit sein müssen, einen Wertekonsens, den wir hier in der Gesellschaft erarbeiten, mit zu akzeptieren und auch aktiv für die Einhaltung der Regeln, die wir setzen, in ihren Bereichen einzutreten.
    Das andere, meine Damen und Herren, betrifft Ihren Hinweis darauf, Frau Süssmuth, daß es in einigen Fragen offensichtlich noch Dissens in der Koalition gibt. Es ist gut, daß er hier heute einmal klar auf den Tisch gelegt worden ist. Ich glaube, es gibt eine breite Bereitschaft im Hohen Haus. Sie dazu zu drängen, Ihren Dissens möglichst schnell zu lösen. Denn die Entwicklung geht sehr schnell voran, und es ist so, daß wir hier in einigen Fragen wirklich einen sehr raschen, akuten Handlungsbedarf haben, der mit der bedächtigen Gangart unseres Justizministers vielleicht nicht angemessen zu beantworten ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, Reproduktionsbiologie und Gentechnologie können natürlich nicht nur Familienstrukturen zerstören, sie können die Zeugung und Aufzucht von Menschen auch zu einem anonymen, kommerziell betriebenen Geschäft machen. Ich denke, meine Damen und Herren, die Reichweite dieser Techniken, über die wir heute reden, stellt auch unsere Vorstellungen von den Grenzen wissenschaftlicher, medizinischer Eingriffe am Menschen in grundsätzlicher Weise in Frage. Ja, wir sehen sogar eine Entwicklung vor uns, mit der die Türen in eine Zukunft geöffnet werden können, bei der wir alle versucht sein könnten, den Menschen nach unseren Vorstellungen verbessern zu wollen.
    Bei der Retortenbefruchtung sind — zunächst in gutgemeinter Absicht: um betroffenen Frauen eine zu häufige hormonelle Stimulation zur Entnahme von Eizellen zu ersparen — Eizellen in größerer Zahl entnommen und auf Vorrat befruchtet worden. Allein aber die Existenz einiger überzähliger befruchteter menschlicher Eizellen hat weltweit, auch bei uns, rasch in großer Zahl Stimmen in der Wissenschaft laut werden lassen, diese Embryonen durch Einsatz in der medizinischen Forschung — so könnte man sagen — einer gesellschaftlich sinnvollen Verwendung zukommen zu lassen.
    Embryonenforschung sagt sich international an und wird auch in Ländern wie Australien oder Großbritannien bereits betrieben. Das juristische Schlupfloch für Embryonenforschung ist der rechtsfreie Raum, der für befruchtete Eizellen in den ersten 14 Tagen pragmatisch gelassen wurde, um bestimmte Methoden der Empfängnisverhütung nicht zu kriminalisieren. Ich denke, daß dieser rechtsfreie Raum gegenüber der Wissenschaft geschlossen werden muß.
    Deutsche Mediziner haben im Dritten Reich Menschen durch wissenschaftliche Experimente „verbraucht" . Es war eine sehr befreiende Tat, daß international Ärzte aus Anlaß der Nürnberger Prozesse im Jahre 1947 einen Kodex formuliert haben, der den klinisch-experimentellen Umgang mit den Menschen regelte und der zuletzt 1975 in Tokio weiterentwickelt wurde.
    In diesem Standesrecht, das weltweit von Ärzten gesetzt wurde, werden zwei Kategorien von Experimenten an Menschen unterschieden. Es wird zwischen Experimenten unterschieden, die einen unmittelbaren therapeutischen Zweck für das Individuum verfolgen, und solchen, die dem biomedizinischen Fortschritt dienen könnten. Letztere sind aber nach Auffassung der Ärzte nur bei Erwachsenen zulässig, die über Zweck und mögliche Folgen eines solchen Eingriffs informiert sein müssen.
    Meine Damen und Herren, es gibt für mich keinen Anlaß, angesichts der Entwicklung in der Embryologie von diesen Prinzipien gegenüber dem menschlichen Leben abzugehen. Ich denke, diese Prinzipien müssen auch gegenüber medizinischer Forschung und gegenüber medizinischem Eingriff am ungeborenen Leben gelten.

    (Beifall bei der SPD)

    Befruchtete menschliche Eizellen sind auf individuelles Leben angelegt. Sie haben einen moralischen Status und verdienen deshalb auch den Schutz unserer Gesellschaft. Mich hat erschreckt, mit welcher Unbefangenheit demgegenüber die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Max-Planck-Gesellschaft die Möglichkeit einer Erzeugung von Embryo-



    Catenhusen
    nen ausschließlich zu Forschungszwecken eröffnen wollen.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Ich kann mir das nur damit erklären, daß hier die Betreiber selber den Griffel zu den Stellungnahmen der wissenschaftlichen Organisationen geführt haben. Kein wissenschaftliches Erkenntnisinteresse allgemein kann für mich die Erzeugung von menschlichen Embryonen nur zu diesem Zweck rechtfertigen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich denke, daß wir hier als Gesetzgeber ein Schlupfloch schließen müssen, daß das Standesrecht solchen Forschungen nach wie vor lassen möchte, wenn dort hochrangige wissenschaftliche Interessen von seiten der Wissenschaft geltend gemacht werden könnten.

    (Beifall bei der SPD)

    Denn diese Forderungen, meine Damen und Herren, heißt in der Praxis letztendlich, daß die Wissenschaft doch selber bestimmen möchte und bestimmen soll, wenn im Einzelfall Embryonen zu Forschungszwekken erzeugt oder verbraucht werden sollen.
    Von seiten der Wissenschaftler wird uns nun entgegengehalten, Embryonenforschung könnte notwendig sein, um über Erkenntnisgewinn möglicherweise Menschen künftig helfen zu können, etwa bei der Krebstherapie oder sogar, wie in Amerika erörtert wird, indem Föten Gewebe zu Zwecken der Organtransplantation entnommen wird, Gewebe, das aus menschlichen Embryonen gewonnen werden soll.
    Britische Ärzte fordern ja sogar schon, daß bei einer In-vitro-Fertilisation gewonnenen befruchteten menschlichen Eizelle in den ersten Stadien der Zellteilung Zellen abgespaltet und tiefgefroren werden sollen. Man könnte dann im Bedarfsfall daraus einmal später für im Erwachsenenleben des Menschen auftauchende Krankheiten und Verschleißerscheinungen Ersatzgewebe und -organe regenerieren.
    Wir sollten uns klar gegen eine Entwicklung der Medizin aussprechen, bei der Experimente mit menschlichem Leben in den Anfangsstadien, die bestimmten medizinischen Fortschritten dienen sollen, als so wichtig angesehen werden könnten, daß das Forschungsziel höher bewertet wird als der Respekt vor diesem Leben.
    Meine Damen und Herren, Eingriffe in menschliche Erbanlagen stehen uns technisch sicherlich nicht schon in den nächsten Monaten oder in den nächsten Jahren ins Haus. Aber ich denke, die ethischen Probleme liegen schon heute auf der Hand. Eine Taktik, heute eine solche technische Möglichkeit zu verbieten, weil sie technisch sowieso noch nicht machbar ist, der Wissenschaft aber augenzwinkernd zu versichern, daß die mit lautem Theaterknall heute verschlossene Tür beim ersten realen Antrag aus der Wissenschaft natürlich jederzeit wieder geöffnet werden könnte, wird uns als Politiker in unserer Glaubwürdigkeit auf Dauer eher Schaden als nutzen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren — das ist
    meine schärfste Kritik an dem Bericht der Bundesregierung — , daß eine solche taktische Position auch in dem Bericht der Bundesregierung eingenommen wird, wenn ich sehe, daß Minister dieser Regierung jederzeit versichern, sie könnten sich durchaus vorstellen, daß es hochrangige medizinische Interessen gibt, die doch wieder zu einer Keimbahntherapie führen könnten.
    Meine Damen und Herren, wir setzen uns für ein strafrechtliches Verbot gentechnischer Eingriffe in die Keimbahn des Menschen ein. Wir lehnen diese Möglichkeit ab, weil diese Therapieform heute mit unabsehbaren Gefahren einer Schädigung der befruchteten menschlichen Eizelle verbunden ist.
    Wir lehnen diese Eingriffe aber auch für den Fall ab, daß eine solche Therapie ohne gesundheitliche Risiken für Betroffene vorgenommen werden könnte, denn welches Recht haben wir als jetzt Lebende eigentlich, die Erbanlagen künftiger Generationen bestimmen zu wollen? Es gibt keine Kriterien dafür, eine solche Therapieform künftig auf die Behandlung schwerster nicht behandelbarer Erbkrankheiten begrenzen zu können. Auch wenn ein solches Experiment erfolgreich durchgeführt werden könnte: Wer gibt uns das Recht, den Menschen nach Maß konstruieren zu wollen? Denn jede Therapie, die in die Erbanlagen des Menschen eingreift, ist zugleich ein Eingriff in das genetische Programm künftiger Generationen. Der Versuch, das genetische Programm des Menschen nach unseren Vorstellungen zu optimieren, ist nach meiner Vorstellung von menschlicher Würde und auch vom Bild des Menschen als Geschöpf Gottes — ich denke, daß deckt sich mit der Vorstellung vieler Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause — nicht vereinbar.
    Meine Damen und Herren, wir sind nicht aufgerufen, die Moral an die neuen technischen Möglichkeiten anzupassen — so hätten es viele Wissenschaftler gerne — , sondern wir sind aufgerufen, die Vorstellung der Verfassung von menschlicher Würde gegen neue Möglichkeiten der Medizin und Biologie zu verteidigen. Wir müssen selbst die Grenzen medizinischer Forschung und bei Eingriffen am Menschen ziehen. Es stimmt mich optimistisch, daß der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor Markl, dazu festgestellt hat — ich zitiere —:
    Es kann keine Frage sein, daß sich der Wissenschaftler der normativen, der rechtlichen und ethischen Grenzsetzung für die Methoden seines Forschens zu unterwerfen hat, nicht widerspruchslos zwar in einer freien Gesellschaft, aber er darf solche Grenzziehung nicht mit dem Anspruch auf Forschungsfreiheit leugnen oder gar mißachten.
    Meine Damen und Herren, wir sollten bei diesen Fragen die Wissenschaftler selbst sehr stark in unsere Diskussion einbeziehen, ohne polemische Vorverurteilung, ohne Diskussionsverweigerung. Im Gegenteil, ich möchte die Wissenschaftler auffordern, ihre Argumente endlich öffentlich, offen zugänglich in der Bundesrepublik darzulegen.

    (Beifall bei der SPD, bei der CDU/CSU und der FDP)




    Catenhusen
    Wir wollen die Argumente der Wissenschaftler in unserem Beratungsprozeß unpassend abwägen. Aber, meine Damen und Herren, auch die Wissenschaft ist in dieser Diskussion selbst Partei, und sie muß es akzeptieren, daß wir uns ihren Ergebnissen in unserer ethischen Bewertung nicht automatisch anschließen.

    (Zustimmung bei der SPD und den GRÜNEN)

    Aber, meine Damen und Herren, nur durch Einbeziehung der Wissenschaftler in die Diskussion können wir erreichen, daß gesetzliche Regelungen, die wir treffen, zumindest von Teilen der Wissenschaftler akzeptiert werden. Das ist für uns auch eine wichtige Chance, darauf zu hoffen, daß unsere mangelhaften Kontrollmöglichkeiten in diesem Bereich durch aktives Mittun von Wissenschaftlern selbst verstärkt werden.
    Schönen Dank.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)