Rede von
Günter
Straßmeir
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vorliegenden europäischen Vorlagen, Vorschläge der Kommission an den Rat der europäischen Verkehrsminister über Richtlinien und Verordnungen zur Gestaltung des europäischen Verkehrsmarktes, geben uns die Gelegenheit, heute noch einmal den Standpunkt der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion zu den aktuellen Fragen europäischer Verkehrspolitik darzulegen.
Diese Debatte gewinnt vor dem Hintergrund der deutschen Präsidentschaft in der Europäischen Gemeinschaft an Aktualität. Ich glaube, es besteht kein Zweifel daran, daß wir alle den Weg nach Europa gehen wollen, daß wir Europa bejahen. Die Bundesrepublik Deutschland braucht Europa aus vielfältigen politischen Gründen, aber natürlich auch wegen der engen wirtschaftlichen Verflechtung.
Der Anteil des Außenhandels mit den EG-Staaten steigt überproportional, und das hat auch Auswirkungen auf die Verkehrspolitik. So stieg der Anteil des grenzüberschreitenden Straßengüterverkehrs am gesamten Straßengüterverkehr seit 1960 von 10 % auf 45 %. Es handelt sich also um einen Wachstumsmarkt, nicht um einen schrumpfenden Markt, und deshalb sind vielleicht auch manche Befürchtungen ein wenig übertrieben.
Was wir wollen, ist eine europäische Verkehrsmarktordnung mit fairem Wettbewerb durch Chancengleichheit, ein europäischer Verkehrsmarkt und eine europäische Verkehrsmarktordnung, die die EFTA-Staaten Schweiz und Österreich nicht ausgrenzt, sondern so weit als möglich einbezieht.
Was wir nicht wollen, ist ein völlig deregulierter Markt mit der Folge von Überkapazitäten, ruinösem Wettbewerb, Vernichtung mittelständischer Strukturen und einem Verlust an Verkehrssicherheit. Wir wollen auch keine Marktordnung, deren Kernstück die Festlegung eines unzureichenden Krisenmechanismus bei eingetretenen Marktstörungen ist.
Wir wollen auch nicht, daß auf dem Wege zum Binnenmarkt durch automatische Liberalisierung ohne den Abbau schwerwiegender Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten des deutschen Verkehrsgewerbes irreparable Schäden für das deutsche Verkehrsgewerbe entstehen.
— Deswegen, Herr Kollege Daubertshäuser, sind wir für die Feststellung des Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung vom 18. März 1987 besonders dankbar,
wonach die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Verkehrsmarktes Zug um Zug mit einer Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen verbunden sein muß.
Aber, meine Damen und Herren, zunächst müssen die Grenzen des Gemeinsamen Marktes durchlässiger gemacht werden. Es gibt noch immer das Ärgernis unkalkulierter Wartezeiten bei der Grenzabfertigung. Dadurch entstehen Lohn- und Zinskosten. Eine sinkende Umlaufgeschwindigkeit und eine sinkende Jahresfahrleistung der Fahrzeuge wirken mindestens genauso negativ wie ein hoher Zoll, der an den EG-Grenzen erhoben wird. Verkehrspolitik muß einen reibungslosen Grenzübergang innerhalb der EG gewährleisten.
Aber wir müssen unsere Verkehrspolitik natürlich auch mit den EFTA-Staaten Schweiz und Österreich abstimmen. Es hat bereits einen Auftrag des EG-Rates gegeben, mit diesen Staaten Gespräche aufzunehmen. Wir haben Verständnis für die besonderen Belange und Belastungen dieser Länder. Im Vordergrund aber muß stehen, daß der Transitverkehr ein normaler und integraler Bestandteil des internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehrs ist. Er muß wie der bilaterale Verkehr auch im europäischen Umfang vereinfacht werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes und die Mailänder Beschlüsse, die die Vollendung des europäischen Binnenmarktes fordern, ist der politische Rahmen abgesteckt worden, aber dieser Rahmen ist durch die EG-Ministerratsbeschlüsse erst teilweise ausgefüllt worden. Es kommt nunmehr darauf an, den Weg zu finden, der den deutschen Anliegen gerecht wird. Hierbei gibt es das Problem, daß wir nicht immer in der Position der Mehrheit sind, sondern daß es auch Mehrheitsentscheidungen gegen uns geben kann, wenn wir nicht die geeigneten Bündnispartner finden; Entscheidungen, die bruchartige Auswirkungen auf die deutsche Verkehrswirtschaft haben können.
Wir müssen uns wohl damit abfinden, daß die deutsche Verkehrsmarktordnung nicht auf Europa übertragen werden kann. Wir müssen wohl hinnehmen, daß strukturelle Unterschiede, die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den übrigen EG-Staaten beim Lohnniveau und bei den Lohnnebenkosten entstehen, nie ganz ausgeräumt werden können.
Wir können aber verlangen, daß Liberalisierung und Harmonisierung dort, wo sie möglich sind, gleichgewichtig behandelt werden. Weil das nicht geschieht, haben wir den Spiegel in den Beschlüssen des heutigen Tages, indem wir den Empfehlungen der Kommission an den Rat der europäischen Verkehrsminister nicht zustimmen können.
Deutscher Bundestag — 11, Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Januar 1988 3897
Straßmeir
Um so erfreulicher ist es, meine Damen und Herren, daß das Europäische Parlament in seinen Entscheidungen und Beschlüssen weitgehend mit unserer deutschen Position übereinstimmt. Die Erhöhung des Gemeinschaftskontingentes wird auch vom Europäischen Parlament von Fortschritten bei der Angleichung der Wettbewerbsbedingungen abhängig gemacht. Die Kommission hat bereits Vorlagen erarbeitet und vorgelegt, die zwei Dinge zum Inhalt haben. Erstens. Sie beschreiben den Zustand des Binnenmarktes nach 1992. Zweitens legen sie den Weg der Liberalisierungsschritte bis 1992 fest. Es fehlt genau der für uns wesentliche Fahrplan für eine parallele Harmonisierung. Auf dem müssen wir bestehen.
Gleichfalls hat die Kommission noch keine Vorschläge unterbreitet, die Überkapazitäten und Marktmißbrauch verhindern können. Wir sind dem deutschen Verkehrsminister, Herrn Dr. Warnke, besonders dankbar, daß es ihm nach Jahren im Juni 1987 gelungen ist, endlich durchzusetzen, daß der Zusammenhang von Harmonisierungsbedürfnis und Anerkenntnis von Wettbewerbsverzerrungen in die Papiere und auch in die Beschlüsse Eingang gefunden hat. Was uns stört, ist, daß die Kommission noch keine geeigneten Vorschläge unterbreitet hat.
Wir sind deshalb so beharrlich bei unseren Forderungen, weil die Bundesrepublik Deutschland wegen ihrer zentralen Lage als Transitland Nummer eins in Europa zusätzlichen Straßenverkehr im Binnenmarkt magisch anziehen wird und sich deshalb weitere Integrationsschritte auf unserer Infrastruktur und Umwelt in besonderer Weise auswirken werden.
Wir haben natürlich Erwartungen an die deutsche Präsidentschaft. Wir ersuchen die Bundesregierung, während der deutschen Präsidentschaft die EG-Verkehrspolitik mit Nachdruck voranzutreiben und dabei insbesondere zu berücksichtigen, daß die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen auf dem Gebiet der verkehrsspezifischen Steuern und Abgaben und bei der einheitlichen Anwendung der Sozialvorschriften Fortschritte erfährt.
Das heißt im einzelnen: Annäherung der unterschiedlichen Steuern und Abgaben für Fahrzeuge, Abbau von Investitionszulagen für die Beschaffung von Lkws in anderen Staaten, Harmonisierung technischer Kontrollen der Fahrzeuge und wirksame Kontrollmaßnahmen bei der Überwachung der Sozialvorschriften in ganz Europa.
Bei diesen Voraussetzungen, meine Damen und Herren, wird unser mittelständisches Gewerbe — Personenverkehr, Straßengüterverkehr — auch künftig flexibel und leistungsstark den Anforderungen des Marktes genügen können. Diese Entscheidungen werden natürlich auch Auswirkungen auf den Werkfernverkehr haben. Ihn gilt es abzubauen. Im übrigen, meine Damen und Herren, hegen wir viel eher die Besorgnis, daß sich der Straßengüterverkehr mit seiner mittelständischen Struktur viel schneller, viel wirkungsvoller den neuen Herausforderungen anpassen wird als die wenig flexiblen Staatsbahnen. Hier, glaube ich, gibt es noch viel größere Probleme auf dem Weg nach Europa.
Die Politik ist aufgefordert, bei dem Abbau der Grenzen dafür zu sorgen, daß Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleibt. Die CDU/CSU-Fraktion steht ständig und intensiv mit den Verbänden des Gewerbes — Güterkraftverkehrsgewerbe und Omnibusgewerbe — in Verbindung. Wir werden gemeinsam den erforderlichen Beitrag für Europa leisten. Hierzu gehört allerdings auch — das ist das Thema des heutigen Tages —, daß wir realitätsfremde Vorschläge der Kommission ablehnen. Wir müssen stets bereit sein, alle Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß es gar nicht erst dazu kommt, daß ein Krisenmechanismus entsteht und eingesetzt werden muß.
Wir wollen darauf hinarbeiten, daß die Europäische Gemeinschaft durch einen funktionsfähigen Verkehrsmarkt künftig weiter gestärkt wird.