Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn das Abkommen über die Beseitigung der atomaren Mittelstreckenraketen tatsächlich verwirklicht wird, dann wird dies einen ersten wichtigen Schritt in Richtung einer nuklearen Abrüstung zwischen den beiden Supermächten bedeuten. Die internationale Lage könnte sich weiter entspannen.
Indessen macht der Krieg in Afghanistan schmerzhaft deutlich, daß Frieden auch im Atomzeitalter mehr sein muß als das Schweigen der Waffen zwischen Blöcken und mehr als Abrüstungsabkommen zwischen den Supermächten.
Eine gegenüber der Dritten Welt umgestaltete Politik der Sowjetunion, eine außenpolitische Perestrojka, die Abschied nähme vom Krieg und der militärischen Intervention als Mittel der Politik, würde ein positives Signal nicht nur für die Nord-Süd-Beziehungen, sondern auch für die gesamte Weltpolitik setzen.
Im Interesse des Weltfriedens, in unserem eigenen Interesse müssen wir darauf bestehen, daß die Sowjetunion durch ihren Rückzug aus Afghanistan den Beweis dafür antritt, daß sie willens und bereit ist, zu einer friedlichen Zukunft aller Menschen beizutragen. Die Sowjetunion führt immer noch einen Krieg, der vor den Augen der Welt, aber insbesondere vor der eigenen Bevölkerung abgeschirmt werden soll. Um so wichtiger ist es, daß verstärkter öffentlicher Druck eingesetzt wird, öffentlicher Druck der westlichen, vor allem aber auch der Dritten Welt. Um so wichtiger ist es auch, daß wir, alle Fraktionen des Deutschen Bundestages, eine gemeinsame Entschließung abgefaßt haben, die das Ende der Besetzung, den Respekt vor den Entscheidungen der Vereinten Nationen verlangt und die das Selbstbestimmungsrecht der Afghanen einklagt. Dies ist ein wichtiges Zeichen des gesamten Deutschen Bundestages an die Sowjetunion und an Generalsekretär Gorbatschow. Ich hoffe, daß das positive Signal bald erfolgen wird.
Die allermeisten Afghanen wollen weder die Parteigänger des Ostens noch die Parteigänger des Westens sein. Sie wollen Afghanen sein. Deshalb heißt es zu Recht in unserer gemeinsamen Entschließung:
Das afghanische Volk muß endlich die Möglichkeit haben, ohne Einmischung von außen seine Zukunft selbst bestimmen zu können.
Seit dem Zweiten Weltkrieg, meine Damen und Herren, hat es über 150 Kriege, militärische Interventionen und Putsche auf dieser Welt gegeben. Die westlichen Mächte, die östlichen Mächte, die Supermächte waren an diesen Konflikten, größtenteils in der Dritten Welt ausgetragen, allzuoft massiv beteiligt. Ich erinnere hier nur an Korea, Vietnam, Guatemala, an Grenada ebenso wie an Ungarn, an die Tschechoslowakei, an Äthiopien. Es ist unsere Pflicht, immer wieder daran zu erinnern, daß keine Nation das Recht hat, sich mit Gewalt Einflußzonen außerhalb ihres eigenen Territoriums zu schaffen. Nur wer jede militärische Intervention verurteilt, kann glaubwürdig für die Souveränität der Staaten eintreten.
Das Recht der Völker, ihnen gemäße eigene Gesellschaftsformen zu schaffen, setzt voraus, daß diese Völker überhaupt überleben. Die politische Forderung aus acht Jahren Krieg in Afghanistan, aus der Zerstörung eines ganzen Landes und seiner Kultur, aus dem Lostreten einer der größten Flüchtlingslawinen unserer Zeit kann nur heißen: sofortiger und bedingungsloser Abzug der sowjetischen Truppen unter internationaler Aufsicht.
Dies ist die Grundvoraussetzung, wenn auch noch nicht die Garantie für den Frieden und für die Rückkehr der geflüchteten Afghanen. Wir fordern darüber hinaus die Beendigung jeglicher militärischer Unterstützung der Konfliktparteien von außen.
Dem afghanischen Volk ist zu wünschen, daß zukünftig nicht das eine politische Extrem das andere ablöst, nicht der eine Fundamentalismus den anderen Fundamentalismus ablöst.
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Viele afghanische Flüchtlinge — über 2 Millionen sind im Iran — hatten einmal die Hoffnung, daß sie aus dem neuen Iran neue Schubkraft für ein freies Afghanistan mitbringen könnten. Die Hoffnung hat sehr getrogen. Auch das ist leider negativ für die Zukunft Afghanistans zu sehen. Ich wünsche mir, daß die Nacht der langen Messer, der langen Tage, der langen Monate verhindert werden kann. Soweit wir von außen Beiträge dazu leisten können — und ich freue mich über das, was Sie, Herr Staatsminister, dazu gesagt haben — , sollten wir dies tun.
Die Forderung, das afghanische Volk müsse endlich die Gelegenheit haben, ohne Einmischung von außen seine Zukunft selbst bestimmen zu können, ist sehr ernst zu nehmen. Schon die Politik der demokratischen Volkspartei Afghanistans vor der Invasion ist gescheitert, weil sie versuchte, ein durch traditionelle, frühstaatliche Gesellschaftsstrukturen bestimmtes Land durch zentralstaatliche Programme umzugestalten.
Die damals und offensichtlich auch bei der Invasion unterschätzten hergebrachten Strukturen und Normen sind bis heute die entscheidenden Quellen des Widerstandes, der in Afghanistan eine lange Tradition hat. Von dieser Realität müssen alle politischen Lösungen ausgehen, zwischen wem auch immer sie ausgehandelt werden. Die Mehrheit der Afghanen wird sich nicht mit einer Lösung zufriedengeben, die nicht von eben dieser Mehrheit akzeptiert werden kann.
Die Mudjahedin haben mit der Allianz der Widerstandsgruppen ihre Einheit bekräftigt und sich damit eine gute Verhandlungsposition gesichert. An dieser Allianz kann keine Lösung vorbeigehen, auch wenn deren gesellschaftspolitischen Vorstellungen vielleicht weder der westlichen noch der östlichen Seite gefallen mögen.
3578 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Dezember 1987
Dr. Holtz
Es wäre anmaßend für Ausländer, so zu tun, als ob sie genau wüßten, wer wirklich von den Widerständlern für diese Nation, für eine besetzte Nation spricht. Afghanistan ist durch Stämme, Sprache und Geographie geteilt. Wahrscheinlich können die Afghanen nur unter einem Allparteien-Übergangsregime damit beginnen, ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln.
Zwei entscheidende Elemente fehlen dafür bis heute: erstens Moskaus Bereitschaft, seine Truppen jetzt zurückzuziehen, und zweitens Moskaus Bereitschaft, ein Übergangsregime zu akzeptieren, das nicht von der kommunistischen Partei dominiert wird. Es bleibt zu hoffen, daß beide Elemente rasch realisiert werden.
Zum Abschluß: Ein freies Afghanistan kann mit der großzügigen entwicklungspolitischen Unterstützung durch die Bundesrepublik Deutschland rechnen. Ich glaube, darin sind wir uns alle einig.
Ein freies, demokratisches Afghanistan, lieber Herr Kollege, wird auch soviel Attraktivität besitzen, daß diejenigen Afghanen, die vor dem Krieg und vor der Unterdrückung geflohen sind, die hier etwa als Ärzte, als Fachkräfte, als Taxifahrer akademisch gebildeter Art tätig sind, gerne in ihr Land zurückgehen werden, um an dem Wiederaufbau, auch am demokratischen Aufbau mitzuhelfen. Im 40. Jahr der Verkündung des Marshallplans erinnern wir Deutsche uns daran, wie wichtig Wiederaufbauhilfe nach einem zerstörenden Krieg ist. Dementsprechend sollten wir solidarisch handeln.
Besten Dank.