Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Afghanistan steht noch immer auf der Tagesordnung nicht nur des Deutschen Bundestages, sondern auch der internationalen Politik. Auch heute noch wie während der vergangenen acht Jahre — das ist in allen Reden zum Audruck gekommen — ist dieses kleine Land durch eine sowjetische Interventionsarmee besetzt. Ebenso dauert der Widerstand der Afghanen an, die sich mit ihrem unverwüstlichen Kampfesmut und Selbstbehauptungswillen wie schon früher in ihrer Geschichte gegen ausländische Unterdrückung zur Wehr gesetzt und hierfür großes Leid auf sich genommen haben.
Die Sowjetunion muß sich endlich aus Afghanistan zurückziehen und so den Afghanen wieder die Möglichkeit geben, über ihr eigenes Geschick zu befinden. Hierüber gibt es zwischen allen Fraktionen des Deutschen Bundestages wohl kaum einen Unterschied; das haben alle Reden klargemacht.
Seit Beginn des Jahres 1986 gibt es Anzeichen dafür, das die Sowjetunion eine politische Lösung in Afghanistan ins Auge gefaßt hat. Generalsekretär Gorbatschow hat auf dem 27. Parteitag der KPdSU im Februar vergangenen Jahres Afghanistan als eine „blutende Wunde" bezeichnet. Frau Hamm-Brücher, Sie haben das erwähnt. In seiner Wladiwostok-Rede vom 18. Juli 1986 unterstrich er seine grundsätzliche Bereitschaft, die sowjetischen Truppen aus Afghanistan abzuziehen. Heute vormittag hat er das erneut getan, allerdings mit Kautelen, wie Sie wissen.
Noch aber warten wir auf den Beginn des Abzuges der sowjetischen Truppen. Die Gespräche in Genf, die unter Vermittlung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen stattfinden, bleiben trotz der unermüdlichen Bemühungen des persönlichen Beauftragten von Generalsekretär Perez de Cuellar bislang ohne greifbares Ergebnis.
Daß das Internationale Rote Kreuz wieder in Afghanistan arbeiten kann, daß dem Sonderberichterstatter der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, Professor Ermacora, die Einreise nach Afghanistan in diesem Jahr gestattet wurde, ist zu begrüßen. Dennoch trifft das nicht den Kern des Konflikts.
Neue Hoffnungen hatten sich an die Begegnung zwischen Reagan und Gorbatschow in Washington geknüpft. Schon im Vorfeld waren von sowjetischer Seite Fristen für einen Rückzug der sowjetischen Truppen genannt worden, die eine Basis für einen Kompromiß bilden könnten. Generalsekretär Gorbatschow hat diese kürzeren Fristen in Washington bestätigt. Der Gipfel in Washington hat aber nach allem, was wir bis heute wissen, keinen wirklichen Durchbruch gebracht. Das ist enttäuschend.
Wir sehen aber mit Aufmerksamkeit, daß sich trotzdem in der Afghanistan-Frage auch bei unseren Verbündeten eine etwas optimistischere Stimmung einzustellen beginnt. Wir hoffen und wünschen, daß die
3576 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Dezember 1987
Staatsminister Schäfer
Sowjetunion mit Taten dieser Stimmung Rechnung trägt.
Auch der Europäische Rat hat die Absicht der sowjetischen Führung anerkannt, in Afghanistan eine politische Lösung herbeizuführen. In seiner Erklärung vom 5. Dezember 1987 hat er die Erwartung ausgesprochen, daß die Friedensverhandlungen einen neuen Impuls erhalten und daß die sowjetischen Truppen zu einem festen Zeitpunkt des Jahres 1988 aus Afghanistan zurückgezogen werden.
Ich kann diese Hoffnungen als den Wunsch der Bundesregierung nur wiederholen. Sie würden eine realistische Grundlage für eine Lösung der Afghanistan-Frage darstellen. Ich appelliere an die Sowjetunion, die notwendigen Schritte zu beginnen.
Der Weg zum Frieden in Afghanistan wird aber nicht einfach sein. Nicht nur die Sowjetunion ist aufgerufen, schwierige Entscheidungen zu treffen, sondern auch der afghanische Widerstand. Er muß sich den Anforderungen der Politik gewachsen zeigen. Der Gemeinsamkeit im Kampf gegen den gemeinsamen Feind muß die Bereitschaft zum gemeinsamen politischen Handeln folgen, um die Probleme des Landes nach einem Abzug der sowjetischen Truppen lösen zu können. Ich glaube, das ist ein Thema, Herr Kollege Todenhöfer, mit dem wir uns im nächsten Jahr sehr viel intensiver auseinandersetzen müssen, als wir das bisher im Deutschen Bundestag getan haben.
Wir hoffen, daß dann Mäßigung und Vernunft, nicht aber Haß und Extremismus Platz greifen. Der Widerstand muß in der Lage sein, Kompromisse zu schließen und Gefühle der Vergeltung zurückzustellen. Alle Gruppen des afghanischen Volkes müssen dazu beitragen, daß in einer Übergangszeit die Grundlagen für ein neues, befriedetes Afghanistan gelegt werden und daß alle seine Kräfte dem Wiederaufbau gewidmet werden können. Ein wesentlicher Schritt hierzu, Herr Kollege Lippelt, wird die rasche Rückkehr aller Flüchtlinge in ihre Heimat sein. Wir stehen auch zu einer Diskussion der von Ihnen heute vorgetragenen Fragen im Ausschuß jederzeit zur Verfügung. Ich schlage vor, das bei einer der nächsten Ausschußsitzungen zu tun.
Ziel aller Anstrengungen ist ein Afghanistan, das seine volle Souveränität, seine territoriale Integrität und seine politische Unabhängigkeit zurückerhalten hat. Wenn ich mir hier vielleicht eine Bemerkung erlauben darf: Wir fordern eigentlich immer für alle Staaten der Dritten Welt Blockfreiheit. Wir sollten aber doch warten, ob diese Staaten auch Blockfreiheit wollen. Es könnte ja sein, daß sich ein Staat einmal anders entscheidet, möglicherweise für den Westen, oder vielleicht lehnt er sich sogar wieder an den Osten an.
Ich würde die Blockfreiheit nicht immer als die oberste
Forderung unserer Politik für die Dritte Welt bezeichnen. Ich habe es mir neulich auch in einem afrikanischen Staat nicht verkneifen können, das zu sagen.
Das afghanische Volk muß jedenfalls über die Form seiner Regierung und darüber, wie es künftig leben will, frei entscheiden können.
Dies sind Forderungen, die die Generalversammlung der Vereinten Nationen in bisher neun Resolutionen erhoben hat, zuletzt mit 123 Ja- gegenüber 19 Nein-Stimmen bei 11 Enthaltungen. Hier stehen alle zusammen, sowohl die Bewegung der Blockfreien als auch die Islamische Konferenz, Araber, Asiaten, Lateinamerikaner, Afrikaner und die Staaten der Europäischen Gemeinschaft und des Bündnisses.
In der Zwischenzeit werden wir unsere Solidarität mit dem afghanischen Volk politisch wie auch humanitär aufrechterhalten und unter Beweis stellen. Wir werden fortfahren, die Millionen Afghanen zu unterstützen, die in Pakistan und Iran Aufnahme gefunden haben, und zwar sowohl durch humanitäre Hilfe, durch Ernährungshilfe als auch durch zukunftsbezogene Ausbildungs- und ähnliche Programme.
Meine Damen und Herren, noch ist nicht sicher, ob sich unsere Hoffnung auf eine Lösung der Afghanistan-Frage im nächsten Jahr endlich erfüllen werden. Es gibt dafür bemerkenswerte Anzeichen, auch die gestrige Erklärung von Generalsekretär Gorbatschow. Wir wissen aber, daß noch viele Fragen gelöst werden müssen. Unsere Erwartungen richten sich deshalb in erster Linie auf die Führung der Sowjetunion, dann aber auch auf den afghanistanischen Widerstand, auf Pakistan, das hier eine sehr wichtige Rolle spielt, und nicht zuletzt auf den Generalsekretär der Vereinten Nationen und seinen Stellvertreter Cordovez, die in unermüdlichen Verhandlungen versucht haben, alle Vorfragen zu klären und auch Hilfe zur neutralen Überwachung in der Übergangsphase anzubieten, um so einen Friedensschluß zu erleichtern. Hier ist in den letzten Jahren wirklich viel getan worden, was meines Erachtens durchaus auch einmal Eingang in eine Resolution des Deutschen Bundestages finden sollte, weil es unsere Anerkennung verdient.
Wir sind bereit, das Unsere zu tun, um zu einer friedlichen Lösung und zum Wiederaufbau Afghanistans beizutragen. Das haben wir vor einer Woche im Europäischen Rat in Kopenhagen erklärt, und das gilt besonders auch für die Bundesregierung selbst, die sich dem afghanischen Volk seit vielen Jahrzehnten in Freundschaft verbunden fühlt.
Ich gehe mit Sicherheit davon aus, daß wir im nächsten Jahr auf dieses Thema zurückkommen werden, aber daß hier dann möglicherweise schon ganz andere Themen diskutiert werden müssen, als wir das heute — leider — noch tun müssen.
Vielen Dank.