Sehr schön. Ich bedanke mich sehr herzlich und freue mich — ich sage das ganz offen —, daß Sie dieses Angebot annehmen. Denn ich schätze Sie als einen offenen Mann. Sie sind das Gegenteil eines Heuchlers. Ich schätze nicht Ihre Meinung; darüber kann man reden.
Unerträglich ist, daß einige Konzernbosse über das Wohl und Wehe ganzer Großstädte und ganzer Regionen entscheiden.
Wenn vor diesem Hintergrund die Forderung nach einem Stahlverbund und andere Forderungen abgelehnt werden, dann muß die Regierung sagen, was sie denn eigentlich unternehmen will, um die gegenwärtige unerträgliche Situation abzustellen. Diese Situation ist deshalb so gekommen, wie sie ist, weil die Bundesregierung im Stahlbereich wie in anderen Bereichen nicht handlungsfähig gewesen ist, weil die Bundesregierung konzeptionslos ist.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Dezember 1987 3565
Schreiner
Der Minister Bangemann hat soeben bestritten, daß er in Brüssel für die Freigabe der Quoten im Bereich der Walzdraht- und Stabstahlprodukte argumentiert habe. Die Quoten sind zum 1. Januar freigegeben worden. Das trifft besonders Saarstahl Völklingen und die Maxhütte. Es trifft Unternehmungen in strukturschwachen Räumen, die angesichts der Arbeitsplatzverluste der vergangenen Jahre und Jahrzehnte bettelarm geworden sind. Wie kann Herr Bangemann sich eigentlich hier hinstellen und dies bestreiten?
Die „Saarbrückener Zeitung" schreibt: „Bonn opfert Walzdraht". Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreibt: „Bonn schlägt keine Stahlquoten vor" und fährt fort:
Die Bundesrepublik hat ihren seit 1985 bestehenden Widerstand gegen die Aufhebung des Quotensystems bei Walzdraht und Stabstahl aufgegeben. Ein Sprecher der deutschen Delegation erklärte, Bundeswirtschaftsminister Martin Bangemann habe die Beibehaltung der Quoten bei den beiden Erzeugnisse nicht vorgeschlagen.
Die Erklärung seines Pressesprechers steht im glatten Widerspruch zu der Erklärung von Bangemann heute vormittag in diesem Parlament. Was stimmt? Wen führen Sie eigentlich vor? Wollen Sie das Parlament vorführen? Führt der Pressesprecher die Öffentlichkeit vor? Was ist eigentlich Sache?
So konzeptionslos, wie ihre gesamte Stahlpolitik ist, äußert sich die Bundesregierung auch heute hier in diesem Parlament.
Meine Damen und Herren, es ist gestern von Bangemann und heute von Graf Lambsdorff erklärt worden, die Aktivitäten der von der Schließung betroffenen Stahlarbeiter in Duisburg-Rheinhausen verschlechterten die Standortqualität dieser Region. Das ist eine unerträgliche Aussage.
Sollen sich diese Arbeitnehmer wie Lämmer zur Schlachtbank führen lassen? Sollen sie sich zu Hause mit ihren Familien in den Wohnungen einschließen? Oder sollen sie versuchen zu retten, was zu retten ist?
Wer dieses Verhalten öffentlich als eine Miesmache des Standorts interpretiert, hat aber auch das letzte Gespür für die Leidensfähigkeit der betroffenen Menschen verloren.
Dritte Bemerkung. Es ist heute morgen von Minister Blüm und gestern von Bundesminister Bangemann in der Kohledebatte mehrfach ausdrücklich gesagt worden, es komme nunmehr entscheidend auf die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen an. Das ist wohl wahr. Das ist in der Tat der entscheidende Punkt. Minister Bangemann hat gestern gesagt — ich saß ihm als Schriftführer im Nacken und habe das sehr genau zur Kenntnis genommen — : Die Bundesregierung wird gern große Mittel für die regionale Förderungspolitik ausgeben. Ich frage, wie ernst ist dieser Satz von Minister Bangemann gestern zu nehmen? Was beabsichtigen Sie, zur Verfügung zu stellen, um zu Ersatzarbeitsplätzen in Regionen zu kommen, die nicht zu Auswanderungsregionen werden, sondern die es bereits sind? Was haben Sie vor?
Die ganze Politik der vergangenen Monate ist im Ergebnis präzise das Gegenteil dessen, was gebraucht würde, um Ersatzarbeitsplätze zu schaffen.
Ich will Ihnen dies an zwei, drei knappen Beispielen zu erläutern versuchen. Der erste Punkt: Das einzige bestehende wirksame Instrument, nämlich die Gemeinschaftsaufgabe Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur, wird der geplanten Steuerreform zum Opfer gebracht.
Sie kürzen die Mittel netto um rund 1 Milliarde DM. Wie verträgt sich dies eigentlich mit Ihrer Aussage, Sie wollten die Mittel für Ersatzarbeitsplätze in der kommenden Zeit massiv anheben? Was haben Sie vor? Sie betreiben bislang das Gegenteil.
Das von Ihnen avisierte Konjunkturprogramm ist unisono von nahezu allen Kommentatoren zerpflückt worden, weil es nicht im geringsten in der Lage ist, denen zu helfen, die dringendst Hilfe brauchen, nämlich die armen Kommunen, Kommunen mit hoher Arbeitslosigkeit und im Verbund damit massiv gestiegenen Sozialhilfeaufwendungen.
Kommunen, die handlungsunfähig sind, die buchstäblich vor dem Bankrott stehen, können keine zinsverbilligten Kredite aufnehmen, weil sie das Geld nicht haben, weil sie keine Möglichkeiten haben.
Wir brauchen Hilfen für Duisburg, für Völklingen, für Saarbrücken, für die Oberpfalz, für Osnabrück, für die Werftstädte, für alle die Städte, die am Rande des Ruins sind.
Sie betreiben das Gegenteil in Ihren Vorschlägen. Wie verträgt sich dies mit Ihren Ankündigungen, Ersatzarbeitsplätze in den betroffenen Regionen schaffen zu wollen? Darauf müssen Sie antworten. Sie müssen dazu etwas sagen. Betroffenes Nicken reicht nicht. Sie müssen sich dazu erklären.
Es tut mir leid, wenn ich Ihnen die Weihnachtsstimmung etwas verdorben habe. Ich wünsche Ihnen trotzdem ein frohes Fest.
Ich will mit einem Zitat abschließen. Es macht keinen Sinn, die IG Metall zu zitieren, andere Gewerkschaften zu zitieren; davon halten Sie nicht viel. Es macht keinen Sinn, die Konzernherren zu zitieren; das nutzt nichts, die tanzen Ihnen auf der Nase herum. Ich zitiere aus einem gemeinsamen Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur Arbeitslosigkeit vom 2. September 1985:
Arbeitslosigkeit bedeutet für die Betroffenen erhebliche materielle Einbußen. Sie unterhöhlt den
Leistungswillen und das Selbstbewußtsein. Sie
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greift die sozialen Bindungen in Ehe und Familie, im nachbarschaftlichen Leben an und zerstört Solidarität. Es kann zu einem Zerbrechen des sozialen Grundkonsenses zwischen Arbeitslosen und Arbeitsplatzbesitzenden in unserem Staat kommen, zu einer Entsolidarisierung der gesellschaftlichen Gruppen, zu Unruhe und den inneren Frieden gefährdenden Aktionen.
— 1985, katholische und evangelische Kirche: „zu den inneren Frieden gefährdenden Aktionen" —1985!
Diese Situation ist jetzt da, und Sie sind dafür verantwortlich.