Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Stahldiskussion steht — wie könnte das anders sein — im Schatten von Rheinhausen.
Wir haben im Vorfeld miteinander den Versuch gemacht, für diese Debatte eine gemeinsame Grundlage zu finden. Ich muß sagen: Gerade vor dem Hintergrund von Rheinhausen bedaure ich, daß uns das nicht gelungen ist. Ich sage ganz deutlich: Wer kein Herz aus Stein hat, fühlt mit denen, die in Sorge um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze und ihrer Stadt leben.
Aber, meine Damen und Herren — insbesondere von der Linken — , das ist zuwenig. Von Politikern muß man auch erwarten, daß sie den Blick für das Mögliche und die Kraft haben, das Notwendige zu tun.
Wer in diesen Tagen ins Feuer aufgewühlter Gefühle bläst, der wird seiner Verantwortung eben nicht gerecht.
In diesem Zusammenhang möchte ich gerne etwas zu Ihnen sagen, Frau Hillerich. Sie haben gesagt, Herr Dr. Cromme habe sich als nicht zuständig für die Frankfurter Erklärung bezeichnet. Das kann der Wahrheit nicht entsprechen. Er war in Frankfurt dabei. Das Unternehmen hat nach dem Beschluß über Rheinhausen erklärt:
Für den Fall, daß der Plan der Vorstände zum Tragen kommt, werden die erforderlichen Anpassungsmaßnahmen im Geist der Frankfurter Vereinbarung, d. h. ohne Massenentlassung abgewickelt.
Sie haben hier ins Feuer geblasen. Dies ist die Wahrheit.
Der Herr Minister Einert hat Vertragsbruch vorgeworfen. Auch zu Ihnen ein Wort, Herr Ministert Einert: Es ist nicht korrekt, wie Sie es dargestellt haben. Im Aufsichtsratsprotokoll des Unternehmens Krupp ist protokolliert, daß der Vorstandsbeschluß über einen Alleingang unter dem Vorbehalt steht, daß kein gemeinsames Konzept mit anderen Unternehmen zu finden ist. Unter diesem Vorbehalt ist das beschlossen worden. In einem mitbestimmten Aufsichtsrat ist das protokolliert worden. Auch das, was Sie hier gesagt haben, gehört unter die Kategorie „Ins Feuer blasen".
Es ist schon schlimm, meine Damen und Herren, daß es die Industrie- und Handelskammer in Duisburg für notwendig hielt, „vor zügelloser Agitation zu warnen". Ich habe den Eindruck, daß die zügellose Agitation bis in den Deutschen Bundestag vorgedrungen ist.
Aus einem zweiten Grund bedaure ich sehr, daß wir von Sprache und Inhalt her noch nicht zusammengefunden haben. Duisburg-Rheinhausen, aber auch Oberhausen, Hattingen, Sulzbach-Rosenberg sind Namen deutscher Städte, aber sie verkörpern auch ein europäisches Problem. In Brüssel dringen wir besser durch, wenn wir geschlossen in Erscheinung treten, und diesen Eindruck vermitteln wir jedenfalls heute nicht.
Damit bin ich bei der Bewertung, Herr Roth, des letzten Stahlministerrats. Ich setze mich gerade mit Ihnen auseinander, Herr Roth; Sie haben es noch gar nicht gemerkt.
Die Ausgangslage hat der Bundeswirtschaftsminister in der Aktuellen Stunde ganz richtig beschrieben; er hat es heute noch einmal getan. Die EG-Kommission hat einen Vorschlag gemacht, der einen geradezu erschreckenden Mangel an Realitätssinn erkennen läßt. Abgesehen von zwei Erzeugnisbereichen, von Grobblech und von schweren Profilen, Gewicht ungefähr 10 % der deutschen Stahlproduktion, kann sie keine Krise mehr erkennen. Das Dokument, das die Brüsseler Kommission vorgelegt hat, macht deutlich: Die Verantwortlichen dort haben wirklich jede
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Dr. Vondran
Bodenhaftung verloren. Vor dem Hintergrund unserer heutigen Probleme stelle ich geradezu einen pathologischen Wirklichkeitsverlust fest.
Dazu würde ich gern ein Beispiel nennen. Die drei Weisen, von der EG-Kommission eingesetzt, haben in ihrem Gutachten, Abteilung Diagnose, kritisch angemerkt, daß es Staatsbanken gibt, die zur Deckung von Betriebsdefiziten verstaatlichter Unternehmen fast unbeschränkt Kredite geben. Ich zitiere wörtlich:
Die betreffenden Banken, meist öffentliche Institute, scheinen sich um ihre Außenstände nicht zu sorgen. Zu gegebener Zeit darf man sich darauf gefaßt machen, daß um eine Gemeinschaftsablösung nachgesucht wird, die ohne Berücksichtigung der Kosten vergangener Fehler gewährt wird.
Das war ein Auszug aus dem Gutachten der drei Weisen.
Die drei Weisen berichten von Staatsunternehmen, wie der British Steel Corporation, die heute so sehr übersubventioniert sind, daß es — vor kurzem hatten sie noch schwere Anpassungsprobleme — derzeit keine Finanzierungssorgen mehr bei ihnen gibt. Sie treten in dem Wettbewerb an, ohne in ihren Produkten Finanzkosten rechnen zu müssen. Ich zitiere wieder wörtlich:
Eine solche Situation verführt die Begünstigte, die British Steel Corporation, zu überzogenem Optimismus, enthebt sie sie doch in einzigartiger Weise der unmittelbaren Notwendigkeit, mit anderen Firmen Vereinbarungen über einen gemeinsamen Abbau von Kapazitäten zu treffen.
Das ist nicht aus einem Protokoll der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie entnommen, das ist aus dem Gutachten der drei Weisen, den offiziellen Gutachten der EG-Kommission, entnommen.
Ich könnte hier noch eine ganze Weile fortfahren. Es wird der Fall des italienischen Staatsunternehmens Finsider behandelt. Hier wird die Notwendigkeit betont, für — Zitat — „eine außerordentliche Beihilfe, welche einen Abbau der hohen Verschuldung ermöglicht, die dem Unternehmen gegenwärtig jede Hoffnung nimmt" .
Was findet man davon nun in der Vorlage der Europäischen Kommission für den Ministerrat?
— Sie haben richtig geraten und es richtig gesagt, Herr Kollege Unland: Nichts. Dieses Nichts, diese Leerstelle, diese Unterschlagung von Tatsachen ist das, was ich auch hier vor dem Deutschen Bundestag einen Skandal nennen möchte. Das ist die Ausgangslage, die der deutsche Bundeswirtschaftsminister vorfindet. Er hat völlig recht, er kann sie nur durch ein einstimmiges Votum des Ministerrats durchbrechen. Das aber ist nicht zu haben. Es gibt zwar in Brüssel, wie es heißt, keine manifeste Krise, aber es gibt dort manifeste Interessen. Wer die „Innereien" so etwas
kennt, weiß, daß ich nicht gerade — um das locker zu formulieren — zum Fan-Club von Martin Bangemann gehöre. Wir haben schon ziemlich erbittert gestritten, und er dabei immer aus überlegener Position. Aber die Fairneß gebietet es, heute deutlich zu sagen: Der Bundeswirtschaftsminister hat in Brüssel am 8. Dezember hart und geschickt verhandelt. Er hat die Minister und die EG-Kommission in die Pflicht genommen, selbst für den notwendigen Kapazitätsabbau Sorge zu tragen. Er hat der deutschen Stahlindustrie auf diese Weise wieder Luft verschafft. Die Verhandlungsführung in dieser Runde, Herr Kollege Roth, verdient nicht die Häme, mit der Sie sie übergossen haben, sie verdient Unterstützung. Natürlich ist dies nur ein Etappenergebnis in einem schwierigen Rennen, nicht mehr und nicht weniger. Am 22. Dezember werden wir mehr über Erfolg und Mißerfolg wissen.
Aber auch aus einem dritten Grund hätte ich mir heute gern Gemeinsamkeit gewünscht: Diejenigen, die sich so gern in die Robe der Ankläger werfen, leben gefährlich, sie treten dünnen Grund. Sie tun nämlich so, als habe die Stahlkrise mit dem Amtsantritt von Helmut Kohl begonnen. Die Stahlkrise ist, wie wir alle wissen, älter; sie geht ins 13. Jahr. 1975 begann der kräftezehrende Prozeß, der heute seine Wirkung, z. B. in Rheinhausen, zeigt.
Es ist immer besser, vor den Reden zu rechnen, und das habe ich für Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, getan. Von den 100 Milliarden an Subventionen, die seit Beginn der Stahlkrise in benachbarten Ländern gewährt worden sind und die sich auf die deutschen Stahlunternehmen so zerstörerisch ausgewirkt haben, ist fast die Hälfte in der sozialliberalen Regierungszeit geflossen. 46 Milliarden von 100 Milliarden sind in der Zeit der Regierung Helmut Schmidt geflossen, und er und seine Mannschaft haben das nicht verhindern können. Es besteht aus meiner Sicht für die Opposition heute wenig Grund, so laut zu werden.
Von den 100 000 Arbeitsplätzen — um auch davon zu reden —, die bisher als Folge der Wettbewerbsverzerrungen in Deutschland verlorengegangen sind, sind 56 000, also mehr als die Hälfte, in sozialliberaler Zeit vernichtet worden, um das Wort aufzunehmen, das so schlimm ist und das Sie trotzdem so häufig verwenden. Ich meine, auch das ist sicherlich kein Grund, das große Wort der Anklage zu sprechen. Sie wären meines Erachtens gut beraten, heute nicht so sehr ins Horn zu stoßen.
Aber schließlich gibt es auch noch einen anderen Grund, aus dem man nur bedauern kann, daß wir im Deutschen Bundestag keine gemeinsame Basis gefunden haben. Wir täten nämlich gut daran, von hieraus ein Zeichen zu setzen, das ins Land ausstrahlt. Manche scheinen zu meinen, man brauche nur Geld in die Montanreviere zu pumpen oder die Unternehmen zu verpflichten, Ersatzarbeitsplätze zu schaffen, dann werde es dort wirtschaftlich wieder zu grünen beginnen. Das erscheint mir denn doch reichlich einfältig. Um neue Arbeitsplätze zu schaffen, braucht man nicht nur Geld, man braucht eine gesunde Vierermischung: Ideen, Geld, Zeit und unternehmerische Bereitschaft zum Risiko, die das alles zusam-
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menbindet und aus Ideen marktgängige Produkte macht.
— Pardon, ich möchte jetzt bitte fortfahren. Ich habe wenig Zeit und möchte im Zusammenhang vortragen. —
Unternehmer kann man nicht kommandieren. Sie gehen dort zu Werke, wo sie ein Klima partnerschaftlicher Zusammenarbeit erwarten, und damit ist es eben nicht überall gut bestellt.
Ich habe in Oberhausen dafür geworben, daß sich die dort ansässigen Großunternehmen mit Mittelständlern zusammenschließen, um jungen Unternehmen Starthilfe zu geben. Das war auch erfolgreich. „Neu-Oberhausen" heißt das so gegründete neue Unternehmen — ein Programmname, aber mit Tradition. Die SPD vor Ort hat das begrüßt. Als Grußadresse wurde dem neugeborenen Kind dann allerdings folgender Taufspruch gewidmet — ich zitiere aus der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" —:
Man wird selbstverständlich darauf achten, daß nicht über diesen Weg entmenschlichende Arbeitsbedingungen Eingang finden oder erkämpfter sozialer Fortschritt in Frage gestellt wird.
Ich frage: Welch verbogener Phantasie entspringt eigentlich ein solcher Satz?
Was wird einem jungen Unternehmer, der sein Erspartes einsetzt und aufs Elternhaus die Hypothek nimmt, hier eigentlich unterstellt? Und wie wird er sich entscheiden? Ich hoffe, er macht nicht die Südfliege, wie man so leicht und locker sagt.
Ich habe leider meine Redezeit erschöpft. Ich bedanke mich.