Rede von
Bodo
Seidenthal
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Remmers, wenn es so ist, wie Sie das gerade dargelegt haben, dann frage ich mich: Warum haben Sie denn eigentlich die Schnauze voll, wie es so schön in der Presse zu lesen ist?
Lassen Sie mich aber einige sachliche Aussagen machen. Mit der erneut entbrannten Debatte um das Braunkohlekraftwerk Buschhaus — da sind wir uns in der Formulierung fast einig — hat in Niedersachsen die Umweltpolitik eine Niederlage erlitten. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich als Wahlkreisabgeordneter dazu folgendes sagen. Wir Sozialdemokraten in Niedersachsen stellen fest, daß in der augenblicklichen Diskussion ein Wust von Vorwürfen und Vorurteilen den Blick für die Wirklichkeit verstellt und eine Koalition — jetzt hören Sie einmal genau zu — aus CDU und GRÜNEN voreilig, leichtfertig und nutzlos 3 000 Arbeitsplätze bei dem BKB und 670, nicht 650 Arbeitsplätze bei den Phoenix-Werken zur Disposition stellt
und zur Wahrung des eigenen Gesichtes zum Spielball juristischer Spielereien macht; denn darauf wird es hinauslaufen. Es geht aber nicht nur um die Mitarbeiter bei dem BKB, für die es keine beruflichen Ausweichmöglichkeiten, wie es die GRÜNEN behaupten, in Niedersachsen gibt, sondern es geht auch um deren Familien, und es geht um Selbständige und deren Mitarbeiter in Handel und Gewerbe, insgesamt um rund 15 000 Menschen.
Wer die Umwelt entlasten will — darin, Kollege Brauer, sind wir uns einig — , darf keine Gelegenheit auslassen, dies einzufordern. Wer das aber vertritt, muß auch gleichzeitig das Umfeld berücksichtigen und den Menschen, die in Buschhaus leben, die diese Schlampereien nicht zu verantworten haben, die Würde und Selbstachtung im Arbeitsprozeß belassen.
Damit hier keine Mißverständnisse aufkommen: Die SPD war und ist dafür, Strom aus der Helmstedter Braunkohle zu produzieren
— hören Sie doch einmal zu — , unter Einhaltung der gesetzlichen und vertraglich vereinbarten Grenzwerte. Damit aber Arbeits- und Umweltverbesserungen möglich sind, muß neue Technik eine Chance erhalten.
Es dürfte auch den GRÜNEN einsichtig sein, daß es auf Dauer sichere Arbeitsplätze nur dort gibt, wo die Mängel wirklich bekämpft und die Umweltbelastungen zurückgeführt werden.
Leider hat Buschhaus über die Grenzen von Helmstedt hinaus einen Symbolcharakter erhalten: für DIE GRÜNEN, Herr Brauer, als Dreckschleuder der Nation, für die CDU als „modernste Rauchgasentschwefelungsanlage der Welt" .
Für die SPD jedoch wird es ein Beispiel für Arbeit und Umwelt werden.
Lassen Sie mich einige Sätze zu den technischen Schwierigkeiten sagen. Zum Beispiel die Problembereiche Innenbeschichtung der Rauchgaskanäle, Rauchgaskühler und Reingaserhitzer und die Steuerung des chemischen Prozesses der Sulfatbildung sind technisch lösbar und werden zu beheben sein. Aus den Veröffentlichungen von CDU und GRÜNEN muß
3538 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 50. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. Dezember 1987
Seidenthal
man jedoch den Eindruck gewinnen, daß eine so große chemische Fabrik mit ihren komplizierten Abläufen, die fast eine halbe Milliarde DM gekostet hat, mit einem Knopfdruck ohne vorhergehende Erprobung der Technologie in Betrieb zu setzen ist. Das, meine Herren Brauer und Remmers, ist von Ihnen wohl nicht bedacht worden.
Als Ingenieur, der bei Volkswagen in der Entwicklung tätig war, weiß ich, welche Phasen
— Herr Lippelt, hören Sie doch einmal zu — der Produktionsphase vorgeschaltet werden müssen. Wer wie DIE GRÜNEN in der „taz" vom 10. Dezember 1987 — ich zitiere — von „Schwefelgeschwafel und semantischen Kapriolen in Buschhaus" spricht und „einen direkten Weg von der Entschwefelung zur Verschwafelung" konstruiert,
hat nicht begriffen oder will nicht begreifen, daß technische Anlagen eine Konstruktions- und eine Erprobungsphase durchlaufen müssen, um in Produktion gehen zu können.
Für Buschhaus heißt das konkret: Der Inbetriebsetzungsphase muß eine Betriebserprobungsphase folgen. Erst dann wird der Dauerbetrieb aufgenommen.
Das hätte — ohne auf den Streit zwischen Land und BKB einzugehen — der Ministerpräsident, als er am 25. Juni den Knopf drückte, wissen müssen. Nun ist das Kind in den Brunnen gefallen. Trotzdem spricht alles dafür — das unterstreiche ich — , daß es den Technikern gelingt, die verfahrenstechnischen Mängel zu beheben.
Für uns Sozialdemokraten sind Umweltvorsorge und Beschäftigung ein in sich geschlossenes Konzept zur Sicherung der natürlichen und gesellschaftlichen Grundlagen. Auch durch die Eitelkeit eines Ministerpräsidenten lassen wir uns von diesem Weg im Interesse der Menschen im Raum Helmstedt nicht abbringen. Ich fordere deshalb zum Schluß alle Beteiligten auf, durch einen sinnvollen Stufenplan zur Lösung dieses uns belastenden Vorfalles beizutragen, damit die Arbeitnehmer und ihre Familien bei BKB für die Zukunft eine Perspektive haben.
Herr Präsident, ich danke Ihnen für das Verständnis.