Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juni 1986 hat die Grundlage für eine dauernde Befriedung beim bundesstaatlichen Finanzausgleich geradezu angeboten. In seinem Leitsatz Nr. 4 hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt:
Art. 107 Abs. 2 GG entzieht den horizontalen Finanzausgleich und die Bundesergänzungszuweisungen dem freien Aushandeln der Beteiligten, unterstellt sie gewissen normativen Vorgaben und gibt sie in die Verantwortung des Bundesgesetzgebers.
Mit diesem Leitsatz hat das oberste deutsche Gericht dem Bundesgesetzgeber den meines Erachtens einzig gangbaren Weg gewiesen. Nur so kann für die Auseinandersetzung der Länder untereinander ein tragfähiger Boden und ein gesicherter Rahmen geschaffen werden, orientiert an objektiven Kriterien und nicht an politischen Abhängigkeiten.
„Die Ordnungsfunktion der Finanzverfassung", so hat das Bundesverfassungsgericht seinen Leitsatz erläutert, „schließt es aus, ihre Regelung — sei es insgesamt, sei es in Teilen — als Recht von minderer Geltungskraft anzusehen, das etwa bis zur Willkürgrenze abweichenden Kompromissen und Handhabungen zugänglich ist, sofern nur ein vertretbares Ergebnis erreicht wird. "
Die Bundesregierung — das will ich ihr bescheinigen — war auf dem Wege, eine Lösung vorzubereiten, die eine breite Mehrheit hätte finden können. Mit der Erhöhung des Volumens der Bundesergänzungszuweisungen von 1,5 auf 2 % des Umsatzsteueraufkommens hatte sie einen Rahmen angeboten, der einen breiten Konsens hätte ermöglichen können. Leider ist sie auf halbem Wege stehengeblieben. Vertreter der Bundesregierung haben sich zwischen dem 2. und 13. Oktober dieses Jahres nur mit den Ministerpräsidenten der unionsregierten Länder beraten und so geeinigt, daß dem Bundesgesetzgeber überhaupt kein Spielraum für sachliche Änderungen blieb, wie die Beratungen im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages am 4. und 12. November dieses Jahres bewiesen haben. Kein Jota von dem, was die unionsregierte Ländergruppe mit der Bundesregierung bis zum 13. Oktober vereinbart hatte, durfte vom Bundesgesetzgeber abgeändert werden; denn diese Vereinbarung war Teil eines politischen Gesamtpakets, das vor allem die Verknüpfung mit der Zustimmung zum Steuerentlastungsgesetz 1990 einschloß,
also eine sachfremde Erwägung.
Ich kann hierfür den Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen, Herrn Dr. Albrecht, als Zeugen zitieren. Er hat vor dem niedersächsischen Landtag am 14. Oktober, einen Tag vor der hier schon an anderer Stelle zitierten Landtagssitzung, ausgeführt, Niedersachsen könne jetzt der Steuersenkung 1990 zustimmen, weil — ich zitiere — „wir durch einen besseren Länderfinanzausgleich in eine bessere Position gebracht" worden sind.
Ohne jede Änderung wurde dieser Kompromiß einer Ländergruppe mit der Bundesregierung zum Inhalt eines Antrages der Koalitionsfraktionen und zum Beschluß des Finanzausschusses des Bundestages. Das Kurzprotokoll der Finanzausschußsitzung vom 12. November 1987 enthält an fünf Stellen Erklärungen, daß an dem Kompromiß nicht das geringste geändert werden dürfe.
Die Gründe, weshalb sich das Land Nordrhein-Westfalen in verfassungswidriger Weise bei der Verteilung der Bundesergänzungszuweisungen 1987 benachteiligt sieht, sind im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens oft genug, wenn auch vergeblich, vorgetragen worden: die Verwendung fiktiver statt der wirklichen Zahlen bei der Berücksichtigung der Finanzkraft der Länder. Das Land Niedersachsen wäre nicht schlechter gestellt gewesen, wenn man dem Vorschlag des Landes Nordrhein-Westfalen gefolgt wäre, das Ausgleichsjahr selbst zum Referenzjahr für die Berechnung der Bundesergänzungszuweisungen zu bestimmen. Dies war übrigens auch der Vorschlag des Bundesfinanzministers in seinem sogenannten Thesenpapier vom Oktober 1986. Warum der Bundesfinanzminister dann später von seinen eigenen Vorstellungen abgewichen ist und die beiden jeweils zurückliegenden Jahre als Referenzperiode vorgeschlagen hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Wenn aber zurückliegende Jahre die Referenzperiode bilden sollen für ein Jahr, für das nach den unmißverständlichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts das neue, verfassungskonforme Recht anzuwenden ist, dann auch auf der Grundlage dieses verfassungskonformen Rechts.
Dann geht es nicht an, fiktive Finanzkraftmerkmale in diese Referenzperiode hineinzumanipulieren.
In den Jahren 1985 und 1986 haben unstreitig die Einnahmen des Landes Niedersachsens aus der För-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1987 3285
Minister Dr. Posser
derabgabe 3,6 Milliarden DM und nicht, wie im Unionskompromiß unterstellt, 2,4 Milliarden DM betragen. Der Abgeordnete Rind hat hier ausgeführt, ich selber habe gesagt, es sei verständlich, daß man Niedersachsen bei der Förderabgabe anders behandeln müßte, als es der Fall gewesen wäre, wenn man die Referenzperiode zurückverlegt hätte. Gerade deshalb haben wir einen eigenen Vorschlag gemacht, der Niedersachsen bei richtigen, echten, wirklichen Zahlen nicht schlechter gestellt hätte als die Manipulation mit fiktiven Zahlen.
Wir waren bei den Beratungen fairer, als man sich uns gegenüber verhalten hat.
Ich halte es auch nicht für zutreffend, vom Ausgleichsjahr 1987 als einem Übergangsjahr zu sprechen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat unmißverständlich dargelegt, daß mit Wirkung für das Jahr 1987 verfassungskonformes Recht anzuwenden ist. Da ist kein Raum für sogenannte Übergangsregelungen, in die man fiktive Finanzkraftmerkmale hineinrechnet, wie Sie es ja nicht nur mit den Einnahmen aus der Förderabgabe, sondern auch mit den Zuweisungen aus dem Länderfinanzausgleich gemacht haben. Statt der tatsächlich erhaltenen 90,7 Millionen DM sind dem Lande Nordrhein-Westfalen 228 Millionen DM an Zuweisungen zugerechnet worden. Wir haben 90,7 Millionen DM bekommen, kriegen aber 228 Millionen DM zugerechnet! Umgekehrt haben Sie dem Land Niedersachsen statt der tatsächlich erhaltenen 1,68 Milliarden DM nur 1,15 Milliarden DM zugerechnet. Damit haben Sie die Fehlbetragsrechnung zum Nachteil von Nordrhein-Westfalen zusätzlich verfälscht.
Aber damit nicht genug! Die Benachteiligung des Landes Nordrhein-Westfalen wird fortgesetzt mit der Einführung des zuvor im Gesetzgebungsverfahren nicht vorgesehenen sogenannten Abstufungsmodells, wonach die Fehlbeträge oberhalb einer Finanzkraft von 99 v. H. nur noch zu einem Drittel angesetzt werden sollen. Dieser abgestufte Maßstab ist eindeutig zu Lasten Nordrhein-Westfalens zugeschnitten. Das wird von Ihnen, Herr Dr. Grünewald, auch nicht bestritten.
Von einer derart maßgeschneiderten Sonderregelung sollte der Bundesgesetzgeber absehen, insbesondere nachdem das Volumen der Bundesergänzungszuweisungen in Höhe von 2 % des Umsatzsteueraufkommens für alle Empfängerländer einen Rahmen für angemessene Anteile bietet.
Im übrigen will ich hier einmal sagen: Nordrhein-Westfalen hat bis heute noch nicht eine Mark Bundesergänzungszuweisung erhalten.
Nachdem sich der Bundesgesetzgeber bei der Verteilung der Bundesergänzungszuweisungen für einen sogenannten Mischschlüssel entschieden hat, indem er sowohl die Sonderlasten einzelner Länder mit Pauschalbeträgen als auch die unterdurchschnittliche Finanzkraft der leistungsschwachen Länder als Verteilungskriterien festgesetzt hat, ist es für das Land
Nordrhein-Westfalen besonders enttäuschend, daß die Kohlelast unseres Landes nicht in den Katalog der Sonderlasten aufgenommen worden ist.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat in den Jahren von 1966 bis 1986 aus seinem Landeshaushalt mit rund 16 Milliarden DM die Lasten für die deutsche Steinkohle als nationale Energie- und Rohstoffreserve der Bundesrepublik Deutschland mitfinanziert. In den Landeshaushalten für die Jahre 1987 und 1988 sind jeweils rund 1,5 Milliarden DM vorgesehen, die bei dem anhaltenden Kursverfall des Dollars voraussichtlich nicht ausreichen werden.
Eine derart konkret abgrenzbare Belastung mit einem Umfang, der rund 2,5 v. H. des gesamten nordrhein-westfälischen Haushaltsvolumens ausmacht, ist bei keinem anderen Land zu erkennen.