Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf zur Neuordnung des Länderfinanzausgleichs ist erstens ungerecht, zweitens verfassungswidrig und drittens politisch kurzsichtig.
Ich will versuchen, das kurz zu begründen. Bei einer Debattenlage am Freitagvormittag, an die ich mich aus der Vergangenheit sehr wohl erinnern kann, müssen wir gerade von der Bundesratsbank her versuchen, das kurz zu machen.
Ich kann verstehen, wenn hier der Eindruck entsteht: Jedes Land vertritt hier seine Interessen.
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Und wenn's ums Geld geht, sind sie alle da. — Ich bitte doch, daß zugehört wird, weil es ja wirklich auch um die Interessen der Länder und um die Gerechtigkeit gegenüber den Ländern geht.
Hamburg als Stadtstaat — ich will versuchen, das Problem an diesem Beispiel zu illustrieren —
— ich wäre Ihnen dankbar, Herr Kollege, wenn Sie einen Augenblick zuhören könnten — Hamburg ist eines der drei zahlenden Ländern. Hamburg hat seit 1970 7,5 Milliarden DM in den Finanzausgleich gezahlt, der Freistaat Bayern seit dieser Zeit 3,8 Milliarden DM herausgenommen. Aus einer Kasse für arme Länder, in die die Freie und Hansestadt Hamburg gezahlt hat! Hamburg zahlt im Jahre 1987 erneut mehr als 250 Millionen DM in diesen Länderfinanzausgleich. Pro Einwohner hat Hamburg seit 1970 4 000 DM gezahlt, der zweitgrößte Zahler pro Einwohner, Baden-Württemberg, weniger als 2 000 DM pro Einwohner. —
Nur damit Klarheit besteht, was die wirkliche Sachlage ist. Es wird hier ja sehr abstrakt diskutiert, und keiner weiß mehr, worum es in der Sache wirklich geht. —(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten
der GRÜNEN)
Das wäre ja richtig, Herr Bundesminister — und Sie könnten Ihre Vorlage hier dann vertreten — , wenn die Finanzkraft Hamburgs dem wirklich entsprechen würde. Das ist aber tatsächlich nicht der Fall.
Die bisherige Regelung zum Länderfinanzausgleich hat die Stadtstaaten anders gestellt als die Flächenstaaten, indem man gesagt hat, in den Flächenstaaten gilt jeder Einwohner gleich 100, und in den Stadtstaaten gilt jeder Einwohner gleich 135. Und man hat gemeint, diese Berechnung würde dem Unterschied zwischen dem Bedarf der Einwohner in den Großstädten und dem Bedarf der Einwohner in den Flächenstaaten am Ende insgesamt gerecht werden. Interessant war schon, daß wir zu Beginn dieser Debatte festgestellt haben, daß z. B. München — im Verhältnis zum Durchschnitt des Freistaats Bayern von 100 — in der Finanzausstattung bei 151 liegt; Stuttgart — im Verhältnis zum Durchschnitt Baden-Württembergs von 100 — bei 155 und Frankfurt — im Verhältnis zum Durchschnitt Hessens von 100 — bei 165.
Wir haben dann — das ist richtig — ein Ifo-Gutachten bekommen. Das Ifo-Gutachten sollte dem Auftrag des Verfassungsgerichts folgen, vergleichbare Großstädte mit den Stadtstaaten in Vergleich zu setzen. Wir sind der Auffassung, daß vergleichbare Großstädte in erster Linie solche sind, die metropole Aufgaben erfüllen, wie wir das in Hamburg tun: mit Flughafen, mit großen Kultureinrichtungen, mit großen Universitäten usw.
— Auch mit den Problemen der Neuen Heimat; das ist
auch richtig. Aber trotzdem, Herr Kollege, wäre ich
dankbar, Sie würden weiter versuchen, zuzuhören
und Ihre Vorurteile doch einmal bitte zu Hause zu lassen, um hier zu arbeiten, anstatt zu polemisieren.
Wenn Sie, Herr Kollege, also einmal versuchen, die wirklich vergleichbaren Städte mit Hamburg zu vergleichen, dann haben Sie fünf Städte in der Republik, die am ehesten vergleichbar sind: München, Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf und Hannover. Zwei davon liegen in Finanzausgleich empfangenden Ländern, nämlich Düsseldorf und Hannover, die drei anderen in entweder nicht mehr empfangenden oder sogar zahlenden Ländern.
Wenn man nun den Vergleich zwischen Hamburg mit seiner Finanzausstattung und dem Durchschnitt dieser fünf Großstädte anstellt, dann müßte Hamburg 800 Millionen DM mehr haben, ehe die Stadt gefordert werden könnte, Finanzausgleich zu zahlen. — Sie nicken mit dem Kopf, Herr Kollege Grünewald. — Dies muß doch jeden nachdenklichen Menschen zu der Schlußfolgerung führen: Wenn der Unterschied, z. B. zwischen Hamburg und München, heute so ist, daß die Finanzausstattung Münchens, übertragen auf Hamburg, etwa 400 Millionen DM mehr ausmachen würde, und wir dennoch Finanzausgleich zahlen müssen, während München bis ins letzte Jahr hinein am Finanzausgleich beteiligt war,
dann kann doch etwas nicht stimmen, meine Damen und Herren.
Ich bitte Sie, doch einmal die eklatante Ungerechtigkeit zu verstehen, mit der hier gearbeitet wird.
Ich bin der SPD-Fraktion dankbar, daß Sie die Einwohnerwertung von 135 auf 145 durch ihren Antrag heraufsetzen will. Freilich liegen nach unserer Berechnung auch die 145, die selber ein Kompromiß sind, unter dem, was eigentlich für die Stadtstaaten erforderlich ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, es sollen vergleichbare Großstädte herangezogen werden. Das ist mit dem großen Durchschnitt des Ifo-Gutachtens nicht erfolgt. Hier hat also in Wahrheit die Bundesregierung dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts nicht Folge geleistet.
Die Pendler-Problematik, von der gesagt wurde, man solle darauf wenigstens einen Blick werfen, hat die Bundesregierung, Herr Kollege Stoltenberg, offenbar überhaupt nicht beschäftigt. Wir leisten 750 Millionen DM im Jahr nur an Lohnsteuer — Einkommensteuer nicht eingerechnet, weil wir die so gar nicht festhalten können — an die Nachbarländer Niedersachsen und Schleswig-Holstein. 750 Millionen jedes Jahr! Wir
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kriegen ja für all die Lasten, die mit der Erhaltung dieser Arbeitsplätze verbunden sind, keinen Pfennig aus der Lohnsteuer. Keinen Pfennig! Aber die Regierung hat keinen Blick auf diese Problematik geworfen!
Schließlich: Die Berechnung der Finanzkraft ohne Berücksichtigung der Sozialhilfe — das ist vorhin schon gesagt worden — ist eine Absurdität.
— Ich bin gern bereit, mit Ihnen auch über die Hafenstraße zu debattieren. Aber Sie sähen ziemlich schlecht aus, Herr Kollege, wenn wir darüber reden würden.
Die Sozialhilfe wird nicht von unserer Finanzkraft abgezogen. Wir sind nicht in der Lage, diese „außergewöhnliche Belastung" — um es steuertechnisch auszudrücken — , die Hamburg ja durch das Zahlen von Sozialhilfe in der Finanzkraft beeinträchtigt, auch nur abzuziehen, um unsere Finanzkraft zu berechnen.
Die Ungerechtigkeit ist also eklatant. Es wird immer mißverstanden: Wir als Hamburger wollen doch gar kein Geld von anderen. Wir wollen nur nicht weiter in den Finanzausgleich zahlen müssen, solange andere Städte besser als wir behandelt werden.
Der zweite Punkt die Verfassungswidrigkeit. Herr Kollege Grünewald, Sie haben hier das Stichwort geliefert. Der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts war nachdrücklich, nicht die Mehrheit zu suchen, sondern eine Vorlage zu machen, die dem Verfassungsauftrag entspricht. Ich erinnere mich sehr wohl, wie in den Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht, an denen ich teilgenommen haben, der Präsident, Herr Zeitler, den Vertreter der Bundesregierung, Herrn Staatssekretär Voss — ich sage es mal in einfacher Sprache — den Rost dafür runtergetan hat, daß die Bundesregierung die These vertreten hat, ihre Aufgabe sei es allein, gewissermaßen notariell zu beurkunden, was aus den Länderkompromissen herauskommt.
Vorhin haben Sie gesagt, Sie hätten Ihre Verhandlungen mit Blick auf die Mehrheit im Bundesrat geführt. Ich sage von dieser Stelle aus schlicht: Dies ist verfassungswidrig.
Die Bundesregierung hätte eine Vorlage machen
müssen, mit der sie notfalls, wenn die Länder zu anderen Ergebnissen kommen, untergehen mußte, um
dann selber vor Gericht gehen und die Verfassungswidrigkeit dort feststellen zu lassen.
Diese Form, einen nicht gerechten Finanzausgleich von vornherein gewissermaßen nur notariell von Mehrheiten beurkunden zu lassen, wird Sie teuer zu stehen kommen. Ich werde das, was Sie gesagt haben, vor dem Gericht zitieren, wenn wir uns dort wiedersehen.
Die Verfassung ist in zweierlei Weise verletzt worden.
Erstens ist gegenüber den Stadtstaaten nicht die Vergleichbarkeit mit den Großstädten wirklich festgestellt worden. Zweitens ist das Nivellierungsverbot verletzt. Seit 1952 gibt es eine Rechtsprechung, die sagt: Ein Flächenstaat darf als zahlendes Land nicht unter oder auf das Niveau eines empfangenden Landes gedrückt werden. Hamburg ist ein zahlender Stadtstaat und liegt eindeutig und nachweisbar unter dem Niveau
der Pro-Kopf-Finanzausstattung von vergleichbaren Großstädten im empfangenden Ländern, z. B. Hannover, Düsseldorf, aber auch München. Das ist verfassungswidrig.
Drittens. Es ist kurzsichtig, was Sie hier machen. Bremen und Hamburg sind nun einmal die beiden größten Städte Norddeutschlands. Sie haben große Aufgaben für die Region. Wir beschäftigen netto 175 000 — nach Abzug der Auspendler — Einpendler, davon 100 000 netto aus Schleswig-Holstein. Meine Damen und Herren, Schleswig-Holstein hätte eine Arbeitslosigkeit von nahezu 20 % , gäbe es nicht die Hamburger Arbeitsplätze für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Schleswig-Holstein.
Herr Kollege Stoltenberg, nun wird der Stadt Hamburg die Substanz entzogen, indem man uns ausblutet zugunsten anderer Länder, anstatt die Stadt zu stärken und der Stadt eine Chance zu geben, ihre Funktion in Norddeutschland zu erfüllen.
Da wird dann gesagt — ich höre das ja hier aus den Reihen der Opposition — :
Die Hafenstraße!, die anderen sagen: Welches Niveau!, die Dritten sagen: An der Arbeitslosigkeit in Hamburg sind wir ganz gewiß selber schuld!, nicht wahr?
Meine Damen und Herren, der Bundesfinanzminister hat uns bestätigt: Seit 1970 ist der Zuwachs in den Ausgaben der Freien und Hansestadt Hamburg der niedrigste aller Bundesländer. Das gilt sowohl für den
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Personalbereich wie für den Sachbereich. Man kann uns also nicht der Verschwendung bezichtigen. Die Arbeitslosigkeit in den Großstädten um Hamburg herum ist nicht geringer, nicht größer, etwa genauso wie auch in Hamburg. Die Bundesländer, in denen Hannover, Kiel und Lübeck liegen, werden nicht von Sozialdemokraten regiert, auch die Stadt Lübeck nicht. Es ist also falsch, wenn uns vorgeworfen wird: Ihr seid ja selber schuld an dem, was in Norddeutschland los ist. Das sind törichte Argumente. In Wahrheit ist es so: Norddeutschland ist schwerer belastet, und wir müssen in dieser Zeit eher gestärkt als geschwächt werden. Was Sie, Herr Kollege Grünewald, begründen, ist eine Schwächung des Stadtstaates.
Ich fasse zusammen: Die sogenannte Neuordnung ist phantasielos und unverantwortlich. Die Bundesregierung ist ihrem verfassungspolitischen Auftrag nicht gerecht geworden. Herr Bundesfinanzminister, Sie sind hier ein Buchhalter der Ungerechtigkeit und ein Notar der Machtverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland und nicht ein Gestalter von Politik, wie Sie es sein müßten.
Ich will ein weiteres Wort an Sie richten, Herr Bundesminister. Sie kennen die Lage in Norddeutschland. Mit Ihrer Politik, mit dem, was Sie Hamburg und Bremen antun, zerstören Sie die Chancen von Norddeutschland. Sie müssen hier an dieser Stelle auch noch einmal begründen, wie Sie eine solche Position überhaupt beziehen konnten.
Ich stelle nachdrücklich fest: Die Stadtstaaten haben so keine Zukunft. Wenn Sie die Länderneugliederung wollen, Herr Bundesminister — ich bin dazu bereit — , dann müssen Sie es aber sagen, dann müssen wir diese Frage verfassungspolitisch eben neu aufnehmen. Die Stadt aber auszubluten, anstatt ihr eine Chance zu geben, das ist unzulässig, und das können wir nicht hinnehmen.
Es macht einen ja nachdenklich, wenn man sich folgendes überlegt: Wäre Hamburg nicht Teil der Republik, wären wir eine reiche Stadt! Denn von den Steuern und den Zöllen, die wir einnehmen, geben wir rund 80 % weiter an den Bund und an andere Länder. Eine solche Debatte kann ja niemanden lostreten. Sie müssen aber einmal überlegen, was die Hamburgerinnen und Hamburger von einem Bundestag denken müssen, der solche Beschlüsse zur Ausblutung unserer Stadt faßt.
Die Bundesregierung weiß, daß ihre Vorlage verfassungswidrig ist. Sie weiß, daß Ungerechtigkeit und politische Kurzsichtigkeit die Grundlage dieses Länderkompromisses, dem sie sich gebeugt hat, sind. Die Bundesregierung hat in der schwierigen Aufgabe — ich gebe das zu — , der sie gegenüberstand, versagt.
Ich befürchte, wenn so entschieden wird, wird Hamburg erneut zu Gericht gehen müssen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.