Rede von
Uwe
Hüser
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich hier auf die zur abschließenden Beratung vorliegenden Anträge konkret eingehe, halte ich es für zwingend notwendig, die Gesamtsituation etwas näher zu beleuchten. Das Gesetz zum Ausgleich der Finanzverhältnisse zwischen dem Bund und den Ländern leitet sich u. a. aus der Forderung des Grundgesetzes ab, daß der Gesetzgeber für die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Sorge zu tragen hat.
Der Finanzausgleich wirkt sich seiner Natur nach hauptsächlich nur auf die Symptome aus, nicht aber auf die Ursachen des Leistungsgefälles zwischen den Ländern.
Aus dieser Erkenntnis heraus wird sehr schnell deutlich, daß als einzelnes Instrument der Länderfinanzausgleich — erst recht in der Form, wie ihn die Bundesregierung mit den CDU-Ländern ausgekungelt hat — absolut untauglich ist, dazu beizutragen, einigermaßen einheitliche Lebensverhältnisse wie-
3276 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1987
Hüser
derherzustellen und die Strukturprobleme der Wirtschaft in der Bundesrepublik zu lösen.
Die Diskussion der letzten Wochen und Monate hat aber gezeigt, daß diese Bundesregierung das ihr zukommende Verfassungsgebot, für diese einheitlichen Lebensverhältnisse zu sorgen, abgeschrieben hat. Sie hat dieses Gebot nicht nur abgeschrieben; viel schlimmer, sie verschärft die Situation tagtäglich durch ihre praktische Politik.
Eines der größten Probleme unserer Gesellschaft ist die nun schon seit Jahren anhaltende Arbeitslosigkeit mit allen daraus resultierenden Folgen. Im November ist sie wieder auf über 2,1 Millionen angestiegen. Das Empörende ist, daß sich die CDU/CSU-FDP-Koalition damit offensichtlich abgefunden hat. Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit hat zu massiven regionalen Ungleichgewichten und schweren sozialen Schäden geführt, verursacht u. a. durch die regionalen Krisen bei Stahl, Kohle und den Werften. Wer angesichts dieser Krisen meint, die betroffenen Länder hätten diese Situation selbst verschuldet und müßten den Strukturwandel aus eigenen Kräften bewerkstelligen, der verkennt auf eklatante Weise die prekäre Lage und läßt sehenden Auges ganze Regionen vor die Hunde gehen.
Meine Damen und Herren, es darf nicht weiter hingenommen werden, daß die Arbeits-, Bildungs- und Verdienstmöglichkeiten der Menschen davon abhängen, wo sie gerade leben. Ich bin geneigt zu behaupten: Diese Bundesregierung verstößt in ihrer Politik gegen ein Verfassungsgebot. Die Aufgabe des Bundes wäre es, mit seiner Finanz- und Wirtschaftspolitik darauf hinzuwirken, daß einheitliche Lebensverhältnisse und gleiche Entwicklungschancen in allen Ländern der Bundesrepublik wiederhergestellt werden.
— Sie sollten meine Rede verfolgen, anstatt dauernd Zwischenrufe zu machen. Gleichwertig oder einheitlich, das ist doch — —
— Hören Sie lieber meinen weiteren Ausführungen zu. Dann werden Sie vielleicht merken, was darunter zu verstehen ist. Dazu müssen Sie allerdings die Ohren aufmachen.
Anstatt die Möglichkeit zu nutzen, gemäß Art. 104 Abs. 4 des Grundgesetzes den Ländern Finanzhilfen für besondere Investitionen der Länder und Gemeinden, z. B. im Umweltschutz, zu gewähren, die zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet erforderlich sind, passiert genau das Gegenteil. Die Bundesregierung versucht, mit einigen Millionen an Zinsverbilligung die Gemeinden zu Investitionen zu veranlassen. Glauben Sie wirklich, daß eine Stadt wie Duisburg durch Kredit finanzierte Investitionen in Höhe von beispielsweise 1 Million DM vornimmt, nur weil Sie 20 000 DM pro Jahr — und das auch nur auf drei Jahre begrenzt — dazugeben? Die haben das Geld einfach nicht und können hier überhaupt nicht aktiv werden.
Nein, die reichen Länder werden diese Mittel noch zusätzlich einstreichen und somit die Unterschiede noch verschärfen.
Ein weiterer Punkt, bei dem die Bundesregierung die Möglichkeiten der Verfassung nicht nutzt und durch ihre Politik die Situation noch verschärft, ist die Steuerpolitik in ihrer Verteilung und dem Aufkommen. Art. 106 des Grundgesetzes gebietet es, die Aufteilung des Umsatzsteueraufkommens zu prüfen und zu ändern, wenn sich wesentliche Verschiebungen ereignet haben.