Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon ein Bubenstück ganz besonderer Art, das hier unter dem Deckmantel fachmännischer Biederkeit abgelaufen ist, Herr Grünewald. Also ist es purer Zufall, daß von den vorgesehenen Regelungen nur die CDU/CSU-Länder profitieren.
Wie der schriftliche Bericht erkennen läßt, hat der Ausschuß viel Zeit dazu verwandt, die Begründung und die quantitativen Auswirkungen der einzelnen Regelungen nachzuvollziehen. Der Bericht weist auch aus, Herr Grünewald, daß dies häufig nicht zufriedenstellend gelungen ist, und dies, obwohl das Bundesverfassungsgericht eine nachvollziehbare und objektivierte Begründung und Ableitung ausdrücklich gefordert hatte. Hier sind insbesondere die Regelungen zu nennen, die die Stadtstaaten und die Sonderlasten betreffen.
Der Gang der Beratungen im Ausschuß am 4. und am 12. November war im übrigen ein Politikum für sich. Erst am Vorabend der ersten Beratung des Gesetzentwurfs im Finanzausschuß, d. h. am 3. November, sind die Obleute der Oppositionsfraktion und die Finanzminister und Senatoren der SPD-regierten Bundesländer über den aktuellen Stand des Gesetzgebungsverfahrens informiert worden.
Dieser Besprechung war ein Schreiben des Bundesfinanzministers an den Vorsitzenden des Finanzausschusses, Gattermann, vorausgegangen. Mit diesem Schreiben wurden Materialien zur Vorbereitung der Besprechungsteilnehmer übersandt. Bei der Beschreibung dieser Materialien heißt es — ich zitiere:
Punktation ergänzender Lösungsvorschläge, die zwischen Mitgliedern der Bundesregierung und den der Union angehörenden Regierungschefs der Länder
sowie ergänzend zwischen den genannten Ländern besprochen worden sind.
An diesem Abend in einem Bonner Hotel wurden wir mit einem Kompromißpaket konfrontiert, das den Regierungsentwurf und die vom Bundesrat ausgesprochenen Änderungsempfehlungen in allen wesentlichen Punkten ersetzte. Dieses vom Bundesfinanzminister und einigen CDU/CSU-Ministerpräsidenten außerhalb des parlamentarischen Beratungsverfahrens ausgehandelte Paket ist während der zweitägi-
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gen Ausschußberatungen, Herr Grünewald, auch nicht in einer einzigen Position verändert worden.
Der Mehrheit des Ausschusses war dies offensichtlich auch nicht möglich. Zu stark war die sogenannte Bindungswirkung des Kompromißpaketes. Nur an Ihren Gesichtern — an Ihrem, Herr Grünewald, und anderen — konnte man Ihr schlechtes Gewissen ablesen.
Äußerungen im Ausschuß machten deutlich: Der Kompromiß wurde als ein komplexes, austariertes System bewertet, aus dem nicht ein einzelner Punkt herausgegriffen werden könne, ohne die Gesamtregelung aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Die Kompromißlösung sei ein Gebäude, aus dem man nicht einen Stein herausbrechen dürfe, ohne es zum Einsturz zu bringen.
Ich sage: Zum Einsturz wird es kommen, spätestens beim Bundesverfassungsgericht.
Dann hieß es weiter, um den Kompromiß sei hinter den Kulissen hart gerungen worden. Man höre: hinter den Kulissen:
also außerhalb des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens
und unter Ausschluß eines Teils der Betroffenen. Das ist die geistig-moralische Innovation des Gesetzgebungsverfahrens, das Sie hier vertreten. — Herr Faltlhauser, Schmierentheater haben Sie in der Tat geliefert, nicht wir. —
Der Inhalt dieses Lösungspakets war schon vor der Vorlage im Ausschuß in wesentlichen Einzelheiten bekanntgeworden, insbesondere durch eine Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Albrecht im niedersächsischen Landtag am 15. Oktober 1987.
Die Ausschußmitglieder konnten also davon ausgehen, daß es sich bei den Änderungen gegenüber der Regierungsvorlage um das Ergebnis außerparlamentarischer Verhandlungen — das ist eine neue Form der APO, die hier entstanden ist — zwischen dem niedersächsischen Ministerpräsidenten und dem Bundesfinanzminister in aller Diskretion handelte, die auf eine Besserstellung Niedersachsens abzielte. Wie die offiziellen niedersächsischen Äußerungen deutlich machten, war der Inhalt der Änderungsanträge die Voraussetzung dafür, daß die niedersächsische Landesregierung dem im kommenden Jahr zur Beschlußfassung anstehenden Steuerpaket 1990 zustimmen könnte.
Im Gegensatz dazu hat der Bundesfinanzminister im Finanzausschuß als Begründung für die Änderungsanträge angeführt, daß die Besserstellung Niedersachsens in dem von ihm ausgehandelten Lösungspaket vorgenommen worden sei, um der Mehrheitsentscheidung des Bundesrates zu begegnen, bei deren Realisierung das Land Niedersachsen über Gebühr benachteiligt worden wäre. Dafür wurde dann eine Lösung gefunden — das darf ich einmal als Nordrhein-Westfale sagen — , die in allen Punkten Nordrhein-Westfalen benachteiligt.
Herr Blüm war vorhin hier zu sehen. Ich hoffe, wir sehen ihn heute nachher auch noch bei der namentlichen Abstimmung über die Lasten der Kokskohlebeihilfe.
Da kommt es nämlich darauf an, für die Interessen des Landes zu stehen und nicht nur die Lippen zu spitzen, sondern auch zu pfeifen.
Im Zusammenhang mit der Beratung fielen seltsame Vokabeln, beispielsweise: Bei der Festlegung der Bundesergänzungszuweisungen für 1987 sind die vorgesehenen Beträge nach Auskunft des Bundesfinanzministeriums nicht strikt rechenbar.
Erst auf wiederholte Anforderung hin hat die Bundesregierung versucht, ihre Ergebnisse rechnerisch zu belegen.
Der Vorwurf, die Koalition sei hier ergebnisorientiert vorgegangen, konnte nicht entkräftet werden; er wurde sogar ausdrücklich bestätigt. — Daß Sie ein schlechtes Gewissen haben, Herr Grünewald,
sieht man Ihnen jetzt noch an. — Aus diesem Grund seien Rechnungen mit fiktiven Zahlen vorgenommen worden. Insbesondere der fiktive Ansatz der Förderzinsen in der Berechnung für die Übergangslösung 1987 sei ergebnisorientiert, hieß es im Ausschuß. Damit haben sich, meine Damen und Herren, Koalitionsabgeordnete und Bundesregierung selber dem Vorwurf willkürlichen Handelns ausgesetzt.
Die Bundesregierung konnte in den Ausschußberatungen auch nicht klar nachweisen, daß die Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen von den Bundesressorts auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin überprüft worden seien. Die Beratungen in den Ausschüssen lassen nur den einen Schluß zu, daß sich der Deutsche Bundestag unter Mithilfe der Koalitionsabgeordenten in eine Rolle hat drängen lassen, die seiner
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Verantwortung im Gesetzgebungsverfahren nicht entspricht.
Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht, Herr Grünewald, in seinem Urteil ausdrücklich Kritik am Verfahren geübt, das bei der vorletzten Festsetzung der Bundesergänzungszuweisungen Ende 1982, also schon in der Amtszeit der heutigen Bundesregierung, gewählt worden war. Auch damals war unter Ausschluß einer Länderminderheit ein Kompromiß zugunsten der Unionsländer gefunden worden. Das Gericht führt hierzu aus — ich zitiere — : „Er" — gemeint ist der Bundesgesetzgeber — „darf sich nicht etwa damit begnügen, politische Entscheidungen einer Ländermehrheit ohne Rücksicht auf deren Inhalt zu beurkunden." Genau diese Rolle des Notars haben die Koalitionsfraktionen wahrgenommen und nichts sonst.