Rede von
Heike
Wilms-Kegel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
... Geld der Krankenversicherten verschwendet wird — , dann tun Sie das doch bitte und machen Sie nicht die Kranken zu Opfern.
Während Sie den kranken, den chronisch kranken und behinderten Menschen Anspruchsdenken unterstellen, so glaube ich, daß kranke und behinderte Menschen den ganz berechtigten Anspruch auf optimale gesundheitliche Versorgung haben. Darum verurteile ich die Verdummungskampagne unter dem Motto „nicht jede Bagatelle und nicht jeder Luxus" auf schärfste. Es ist doch zynisch, wenn Sie den krankenversicherten Menschen immer wieder unterstel-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1987 3263
Frau Wilms-Kegel
len, daß sie Leistungen der Krankenversicherung nur in Anspruch nehmen, um den Gegenwert der eingezahlten Beiträge zu erhalten. Ich als Ärztin habe noch niemanden erlebt, der sich ein Bein gebrochen oder einen Blinddarm hat entfernen lassen oder sonstwie krank gewesen ist, nur um die Krankenkasse zu schädigen.
Wir GRÜNEN lehnen Ihre Philosophie, daß jeder einzelne selbst für seine Gesundheit verantwortlich ist, als unwahrhaftig und unehrlich ab. In unserer Gesellschaft sind die meisten Krankheiten nicht durch individuell vermeidbare Lebensweisen bedingt, sondern durch Lebensbedingungen, Arbeitsbedingungen, Umweltvergiftungen, die der oder die einzelne nicht selbst beeinflussen können.
Nach Glykol, Sandoz und Tschernobyl zeugt es wahrlich von Dickfelligkeit, die stinknormalen Bürger, die ihre Lebensmittel im Supermarkt kaufen, ihr Wasser aus der Leitung erhalten und die stinkende Luft der Städte atmen müssen, für ihren Gesundheitszustand selbst verantwortlich zu machen.
Wir GRÜNEN fordern schon lange, daß die Regierung hier die Voraussetzungen für gesundes Leben schafft.
Das wäre ein echter Beitrag zur Gesundheit der Menschen. Aber dazu hat die Regierung keinen Mut. Zur Prävention, zur Vorbeugung fällt Ihnen nur der scheckheftgeprüfte Patient ein, ganz nach dem Modell Auto, mit Beitragsrückerstattung bei Schadensfreiheit, aber leider ohne Garantieanspruch. Diese sogenannte Strukturreform ist keinesfalls eine ref orme-rische Großtat, sondern ein dem Krämergeist dieser Regierung entsprungener Etikettenschwindel.
Bei der Sichtung der vielen Kommentare zum Thema fand ich in der Ausgabe des „Stern" vom 26. November 1987 ein Gedicht von Dieter Höss, dessen drei letzte Strophen ich Ihnen hier zum Schluß zitieren möchte:
Selbst ums Überleben kämpfend, hilft der kleine Mann darauf, wie er annimmt, kostendämpfend, dem Gesundheitswesen auf.
Selbst schon in den letzten Zügen, selbst kurz vor dem Exitus, zahlt der Ärmste mit Vergnügen, was er annimmt, daß er muß.
Krank bleibt das Gesundheitswesen. Doch nun — Doktor Blüm sei Dank — trägt der kleine Mann die Spesen. Oder er wird nicht mehr krank.
Wenn diese angebliche Reform Minister Blüms Weihnachtsgeschenk an alle Krankenversicherten ist, kann ich nur sagen: Das ist ja eine schöne Bescherung! Frohes Fest allen Kostengedämpften!