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    Plenarprotokoll 11/47 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 47. Sitzung Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1987 Inhalt: Zur Geschäftsordnung Kleinert (Marburg) GRÜNE 3253 A Seiters CDU/CSU 3253 C Jahn (Marburg) SPD 3253 D Tagesordnungspunkt 23: Aussprache über die Reform des Gesundheitswesens Dr. Blüm, Bundesminister BMA 3254 A Dreßler SPD 3256 C Cronenberg (Arnsberg) FDP 3259 C Frau Wilms-Kegel GRÜNE 3262 A Seehofer CDU/CSU 3263 C Kirschner SPD 3264 D Tagesordnungspunkt 24: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (Drucksachen 11/789, 11/1404, 11/1405) b) Zweite und dritte Beratung des von dem Abgeordneten Hüser und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (Drucksachen 11/1038, 11/1404, 11/1406) c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Neuregelung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern (Drucksachen 11/805, 11/1404) Dr. Grünewald CDU/CSU 3266 B Poß SPD 3270 C Rind FDP 3272 C Hüser GRÜNE 3275 D Dr. von Dohnanyi, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg . . . . 3278 D Frau Breuel, Minister des Landes Nieder- sachsen 3281C Dr. Struck SPD 3283 B Dr. Posser, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen 3284 A Dr. Meyer zu Bentrup CDU/CSU . . . . 3287 C Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 3289 A Wedemeier, Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen 3291 B Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 3294 A Dr. Apel SPD 3298 B Jung (Lörrach) CDU/CSU 3299 C Dr. Graf Lambsdorff FDP (Erklärung nach § 31 GO) 3300B Namentliche Abstimmungen 3301 A, C Ergebnisse 3301D, 3304 A Vizepräsident Cronenberg 3274 C Nächste Sitzung 3305 C II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1987 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 330* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abg. Funke (FDP) zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 24 (Achtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern) 3307* D Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 3307* D Anlage 4 Mittel für den Ausbau und die Entwicklung der Universitätsklinik in Regensburg MdlAnfr 6 27.11.87 Drs 11/1381 Stiegler SPD SchrAntw StSekr Dr. Boning BMBW . . . 3308* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1987 3253 47. Sitzung Bonn, den 4. Dezember 1987 Beginn: 8.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens ** 4. 12. Antretter ** 4. 12. Frau Beck-Oberdorf 4. 12. Frau Blunck ** 4. 12. Böhm (Melsungen) ** 4. 12. Frau Brahmst-Rock 4. 12. Dr. Briefs 4. 12. Büchner (Speyer) ** 4. 12. Catenhusen 4. 12. Bühler (Bruchsal) ** 4. 12. Duve ** 4. 12. Ehrbar 4. 12. Engelhard 4. 12. Dr. Feldmann ** 4. 12. Frau Fischer 4. 12. Gattermann 4. 12. Glos 4. 12. Dr. Götz 4. 12. Graf 4. 12. Dr. Häfele 4. 12. Dr. Hauff 4. 12. Dr. Haussmann 4. 12. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 4. 12. Heimann 4. 12. Helmrich 4. 12. Frau Dr. Hellwig 4. 12. Dr. Hennig 4. 12. Höpfinger 4. 12. Hoppe 4. 12. Frau Hürland-Büning 4. 12. Irmer ** 4. 12. Jansen 4. 12. Jaunich 4. 12. Frau Karwatzki 4. 12. Kiechle 4. 12. Kittelmann ** 4. 12. Dr. Klejdzinski * 4. 12. Klose 4. 12. Dr. Köhler (Wolfsburg) 4. 12. Kreuzeder 4. 12. Leidinger 4. 12. Lemmrich** 4. 12. Lenzer ** 4. 12. Dr. Lippelt (Hannover) 4. 12. Frau Luuk ** 4. 12. Dr. Möller 4. 12. Dr. Müller * 4. 12. Müller (Schweinfurt) 4. 12. Dr. Neuling 4. 12. Niegel** 4. 12. Frau Pack** 4. 12. Petersen 4. 12. Reddemann ** 4. 12. Regenspurger 4. 12. Reuschenbach 4. 12. Ronneburger 4. 12. Sauter (Epfendorf) 4. 12. Dr. Scheer * 4. 12. Schily 4. 12. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Schmidt (München) ** 4. 12. Frau Schmidt-Bott 4. 12. Schmitz (Baesweiler) 4. 12. Dr. Schmude 4. 12. von Schmude ** 4. 12. Sellin 4. 12. Dr. Soell ** 4. 12. Spranger 4. 12. Dr. Stavenhagen 4. 12. Stobbe 4. 12. Dr. Todenhöfer 4. 12. Uldall 4. 12. Frau Vennegerts 4. 12. Frau Dr. Vollmer 4. 12. Dr. Waigel 4. 12. Dr. Warnke 4. 12. Weisskirchen (Wiesloch) 4. 12. Wieczorek (Duisburg) 4. 12. Frau Wieczorek-Zeul 4. 12. Wissmann 4. 12. Dr. Wulff ** 4. 12. Zierer ** 4. 12. Dr. Zimmermann ** 4. 12. Zywietz ** 4. 12. *für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates **für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abg. Funke (FDP) zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 24 (Achtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern): Ich habe gegen das obige Gesetz gestimmt. Ich halte es für verfassungswidrig. Die Freie und Hansestadt Hamburg ist in nicht angemessener Weise im Hinblick auf die Einwohnerwertung und die Hafenlasten berücksichtigt worden. Insbesondere die zum Teil kritiklose Übernahme des Ifo-Gutachtens und die ständig für Hamburg nachteilige Ausübung von Schwankungsbreiten bei der Beurteilung sind in meinen Augen verfassungswidrig. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 27. November 1987 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Gesetz zur Ergänzung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente und zum Schutz der Solidargemeinschaft vor Leistungsmißbrauch (Achtes Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes) 3308* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1987 Gesetz zur Verlängerung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhof s Siebtes Gesetz zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes Erstes Gesetz zur Änderung des Erdölbevorratungsgesetzes Der Vorsitzende des Innenausschusses hat mitgeteilt, daß er gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Beratung nachstehender Vorlagen abgesehen hat: Drucksache 11/147 Drucksache 11/883 Nr. 24, 25, 29 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß sie die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen haben: Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/929 Nr. 2.7, 2.8, 2.9, 2.10, 2.11 Drucksache 11/973 Nr. 2.5 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 11/561 Nr. 2.13 Anlage 4 Antwort des Staatssekretärs Dr. Böning auf die Frage des Abgeordneten Stiegler (SPD) (Drucksache 11/1381 Frage 6): Welche Mittel stehen nach den gegenwärtigen Beschlüssen im Rahmen des Zeitraumes der mittelfristigen Finanzplanung für den Ausbau und die Entwicklung der Universitätsklinik in Regensburg bereit, und wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, daß die Mittel über die vom Wissenschaftsrat empfohlenen Größenordnungen hinaus aufgestockt werden, um dem ostbayerischen Raum endlich ein Krankenhaus der Versorgungsstufe III komplett zu sichern? Für das Universitätsklinikum Regensburg sind bisher folgende Vorhaben in den Rahmenplan mit der höchsten Kategorie aufgenommen worden: — 1. Bauabschnitt mit Gesamtkosten von gut 73 Millionen DM, — 2. Bauabschnitt mit Gesamtkosten von ca. 405 Millionen DM, — Planungs- und Erschließungskosten in Höhe von ca. 40 Millionen DM. Vom 1. Bauabschnitt sind hiervon bisher 65,7 Millionen DM realisiert worden, vom 2. knapp 104 Millionen DM und von den Planungs- und Erschließungskosten 36 Millionen DM. Insgesamt sind für das Universitätsklinikum Regensburg damit bisher ca. 206 Millionen DM ausgegeben worden. Der Bund wird auch die noch nicht in Anspruch genommenen 312 Millionen DM für die oben genannten Vorhaben im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau mitfinanzieren. Der Bund wird sich seine Meinung zu dem Antrag des Freistaates Bayern vom 2. März 1987 zur Mitfinanzierung eines 3. Bauabschnittes für das Klinikum Regensburg im Lichte des Ergebnisses der Prüfung durch den Wissenschaftsrat bilden. Bestimmend für diesen Meinungsbildungsprozeß des Bundes wird zum einen das Fachvotum des Wissenschaftsrates sein. Zu berücksichtigen ist aber auch die finanzielle Situation der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau. Sie wird nicht nur von den verfügbaren Bundesmitteln bestimmt, über die im Rahmen der Haushaltsverhandlungen für das Haushaltsjahr 1989 beraten werden wird, sondern auch von weiteren großen Vorhaben unter anderem des Freistaates Bayern im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe. Bayern hat ebenfalls im Frühjahr 1987 auch die Grundsanierung des Klinikums Erlangen-Nürnberg mit einem Kostenvolumen von insgesamt 750 Millionen DM beantragt. So sehr ich Verständnis dafür habe, daß regionalpolitische Erwägungen dafür sprechen mögen, im ostbayerischen Raum ein Krankenhaus der höchsten Versorgungsstufe zu etablieren, so sehr bitte ich um Verständnis dafür, daß dies kein Argument für den Bau einer Hochschulklinik sein kann. Bei dieser muß der Wissenschaftsrat und der Bund sich allein von den Notwendigkeiten für Forschung und Lehre leiten lassen. Ginge es nur oder im Wesentlichen um Fragen der Krankenversorgung, so wäre hierfür allein der Freistaat Bayern zuständig.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Philipp Jenninger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Bitte sehr, Herr Kollege Egert.

    (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich bitte um Aufmerksamkeit für den Fragesteller.


Rede von Jürgen Egert
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Dreßler, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß der Arbeitsminister bei dem Solidaropfer heute keinen Betrag mehr genannt hat, und könnten Sie dies insoweit in Ihre Überlegungen einbeziehen, als die geniale Bedingung möglicherweise darin besteht, daß zwei Pfennig Solidarbeitrag von der Pharmaindustrie gezahlt werden? Dann ist das Opfer erbracht, und die Versicherten
3258 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1987
Egert
können über die Reform abkassiert werden. Könnte das so kommen, nachdem heute keine Zahl zu hören war?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Rudolf Dreßler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Kollege Egert, wir haben gestern abend und auch heute morgen bemerkenswert offen festgestellt, daß Herr Blüm zu diesen bewegenden Fragen keinerlei detaillierte Auskünfte geben kann. Wir sind deshalb gespannt, wie sich das im einzelnen darstellen wird. Für uns steht allerdings fest, daß er zwar von Reform geredet hat, aber gestern abend seine Unterschrift unter ein Abkassierungsmodell gegen Versicherte, gegen Kranke, gegen Rentner und gegen Behinderte gesetzt hat. Das stellen wir heute morgen fest.
    Herr Blüm, Sie halten überall im Land, wo es politisch nichts kostet, markige Reden. Sie sagen: Wer krank ist, muß gesund werden. Aber wir fragen Sie: um welchen Preis, unter welchen finanziellen Opfern? Warum fehlte Ihnen heute morgen der Mut, hier ehrlich zu sagen, was Sie den Beitragszahlern in Mark und Pfennig zumuten wollen? Warum fehlte Ihnen heute morgen der Mut, dem Deutschen Bundestag einzugestehen, daß Sie gestern wieder über den Tisch gezogen worden sind?

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Bei der Pflege bin ich über den Tisch gezogen worden?)

    Und warum fehlt Ihnen der Mut, Herr Blüm, dem Deutschen Bundestag endlich einzugestehen, daß Sie zu schwach sind, die Interessen der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger zu vertreten?

    (Beifall bei der SPD)

    Sie wollen Bagatellen ausschließen. Herr Blüm, ist es eine Bagatelle, wenn ein Arbeitnehmer mit einem Bruttoeinkommen von 2 500 DM im Monat für seine Zahnprothese, die 3 000 DM kostet — das ist übrigens ein üblicher Preis —, nach Ihren Vorstellungen in Zukunft 1 500 DM selbst bezahlen muß? Ist das eine Bagatelle?

    (Andres [SPD]: Mut zur Zahnlücke! — Zurufe von der CDU/CSU)

    Dabei ist eine Strukturreform wirklich nötig. Ich will das einmal an einem Beispiel demonstrieren. Zwei Geschwister in Papenburg an der Ems sind im gleichen Betrieb beschäftigt, die eine als Facharbeiterin, die andere als technische Angestellte. Sie verdienen beide 3 000 DM brutto im Monat. Die Arbeiterin wird per Gesetz Mitglied der AOK Papenburg. Die Angestellte kann ihre Kasse frei wählen und ist Mitglied der Techniker-Krankenkasse, einer Ersatzkasse. Dies ist die erste Ungleichbehandlung. Herr Blüm, haben Sie den Willen, dies gemeinsam mit uns zu ändern?

    (Seehofer [CDU/CSU]: Ja!)

    — Warum tun Sie es denn nicht, Herr Seehofer? Verfahren Sie neuerdings auch nach der Melodie? Wenn Sie einzeln auftreten, reden Sie den Leuten nach dem Mund, und wenn Sie in Rudeln auftreten, schert Sie Ihr dummes Geschwätz von gestern nicht mehr. Das ist Ihre Methode.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, der Arbeiterin, die Mitglied der AOK ist, werden Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von 16 % ihres Einkommens von 3 000 DM abgehalten; das sind 480 DM im Monat. Der Angestellten als Mitglied einer Ersatzkasse werden rund 11 %

    (Zuruf von der CDU/CSU: 11,8 %!)

    ihres gleich hohen Einkommens abgehalten; das sind 330 DM. Sie zahlt 150 DM pro Monat weniger. Das sind 1 800 DM weniger im Jahr — bei gleichem Einkommen für die gleiche Leistung. Ist das sozial gerecht? Hat das etwas mit Solidarität zu tun? Ich frage Sie: Wollen Sie diese Verzerrung gemeinsam mit uns abstellen?

    (Seehofer [CDU/CSU]: Ja!)

    — Unsere Anträge werden kommen, Herr Seehofer. Ich hoffe, das Protokoll hat notiert, daß Sie ja gesagt haben. Wir werden dann nämlich namentliche Abstimmungen machen, und dann werden Ihre Zwischenrufe hier Sie einholen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Da sagt er wieder nein!)

    Es kommt noch schlimmer. Beide Schwestern erhalten natürlich einen Arbeitgeberanteil zu ihren Krankenversicherungsbeiträgen, und der bemißt sich nach der Hälfte der fälligen Beiträge für die zuständige Pflichtkasse. Das ist die AOK Papenburg. Die Arbeiterin erhält als Arbeitgeberanteil 240 DM, muß ebenfalls 240 DM selbst bezahlen, um ihren 480-DM-Beitrag zu leisten. Die Schwester als Angestellte erhält von ihrem Arbeitgeber aber auch 240 DM, braucht also nur noch 90 DM zu zahlen, um ihren 330-DMBeitrag zu leisten. Ich sage: Ein System, das solche perversen Ergebnisse zeitigt,

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Das ändern wir!)

    stellt sich selbst zur Disposition. Es stellt das Solidaritätsprinzip auf den Kopf. Hier wird Solidarität zu einem Synonym für gesetzlich gesichertes Unrecht. Daran haben Sie mit Ihrem famosen Programm, das Sie uns heute jedenfalls zum Teil verkündet haben, nichts, aber auch gar nichts geändert.
    Der Arbeitsminister prangert beredt die Ungerechtigkeiten im System an, etwa das Selbstbedienungsverhalten der Pharmaindustrie, und mit der so genialen Verhandlung, die er vorhat,

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Von genialen Verhandlungen habe ich nie gesprochen! Ich habe von Festbetrag gesprochen!)

    will er nun versuchen, etwas zu erreichen. Bei den anderen hat er es bereits festgeschrieben. Herr Blüm, Ihre Aufgabe ist es nicht, hier im Deutschen Bundestag alles anzuprangern, sondern es zu ändern. Herr Blüm, das ist Ihre Aufgabe!

    (Beifall bei der SPD — Dr. Blüm [CDU/CSU]: Das tun wir!)

    Anreize zu mehr Wirtschaftlichkeit wollen Sie geben und zu gesundheitsgerechterem Verhalten anhalten. Was Sie sich dazu zum Teil ausgedacht haben, ist allerdings schlimm. Sie haben die Beitragsrückgewähr ersonnen. Jemand, der gesund ist und seine Krankenkasse nicht in Anspruch zu nehmen braucht,
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1987 3259
    Dreßler
    erhält einen vollen Monatsbeitrag zur Krankenversicherung retour.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Bis zu!)

    Was Sie Beitragsrückerstattung nennen, bezeichne ich als besonders drastische Form von Selbstbeteiligung, Herr Blüm.

    (Andres [SPD]: Sehr richtig!)

    Jemand, der gesund ist, zahl nämlich 11 Monatsbeiträge zur Krankenversicherung, der Kranke aber 12. Sie bauen damit die Ungerechtigkeiten doch nicht ab; im Gegenteil, Sie vergrößern sie nur noch.

    (Beifall bei der SPD — Andres [SPD]: Das ist die Solidarität, von der er immer redet! — Scharrenbroich [CDU/CSU]: Und wieviel zahlt er jetzt?)

    14,3 Milliarden DM Entlastung für die Krankenkassen, 6 Milliarden DM neue Belastung durch die Pflege.

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Vier!)

    Von den 14,3 Milliarden DM Entlastung wollen Sie 8 Milliarden DM bei den Versicherten abkassieren. Der Rest sind Luftbuchungen bei Anbietern und Rentenversicherung. Was bleibt? 8 Milliarden DM an Entlastungen, 6,4 Milliarden DM an Belastungen, und dafür machen Sie so einen Krach. Das „Deutsche Ärzteblatt" , Herr Blüm, nannte Ihre Operation ein Nullsummenspiel. Das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen beweist dies schlagend.

    (Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Der hat noch den falschen Text!)

    Sind Sie sich eigentlich über die Verteilungswirkungen klar? Wenn Sie 8 Milliarden DM durch die Leistungskürzungen und Selbstbeteiligung abkassieren und davon 6,4 Milliarden DM für eine Lösung der Pflegebedürftigkeitsfrage einsetzen, erreichen Sie, daß die Kranken die Pflegebedürftigen finanzieren.
    Bei solchen Vorschlägen ist es kein Wunder, daß die Bürger die Lust an der Politik verlieren. Ihre Sozialpolitik ist ungerecht. Sie ist auch unsolidarisch.

    (Seehofer [CDU/CSU]: Miesmacherei ist das! Lesen Sie einmal den DGB-Brief!)

    Eine weitere Seifenblase dieser Koalition: Sie will, daß die Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen innerhalb eines Bundeslandes ihre Finanzen jeweils ausgleichen. Sie feiern dies als ein Rezept gegen zu hohe Beiträge. Das ist ein Witz! Den Stadtstaaten Hamburg, Berlin, Bremen sowie dem Saarland hilft das überhaupt nichts. Dort gibt es nämlich nur eine AOK. Haben Sie eigentlich noch nichts von Nord-SüdGefälle bei den Krankenkassen gehört?

    (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Es kann doch länderübergreifend sein!)

    Was nützt es denn, wenn die teureren nördlichen Krankenkassen miteinander ausgleichen? Das nützt gar nichts. Wenn Finanzausgleich innerhalb der Kassenarten,

    (Seehofer [CDU/CSU]: Kommt!)

    dann bundesweit und gesetzlich vorgeschrieben,

    (Beifall bei der SPD)

    so wie das bei den einzelnen Ersatzkassen in der Natur der Sache liegt. Auch hier bieten Sie wieder eine Scheinlösung an.
    Herr Blüm, Ihre Pläne sind unsolide, Ihre Pläne sind unsozial. Deshalb sind sie inakzeptabel. Nutzen Sie endlich mit uns die Enquete-Kommission Krankenversicherungsreform. Wenn wir gemeinsam deren Ergebnisse verarbeiten, dann können wir zu einer Strukturreform kommen, die breitere Mehrheiten findet und ihren Namen wirklich verdient.

    (Beifall bei der SPD)