Rede von
Christa
Nickels
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie Sie wissen, bin ich gelernte Krankenschwester und kenne das Problem ein bißchen aus der Praxis.
Zunächst einmal muß man hier feststellen, daß die Bundesregierung es bei der Änderung des Krankenpflegergesetzes — wobei auch die Empfehlungen des Europäischen Übereinkommens einfließen und dem Sinn nach erfüllt werden sollten — für wünschenswert erklärt hat, ein Verhältnis von 1 : 15 von Unterrichtsschwester zu Krankenpflegeschülerinnen herzustellen. Die Realität sieht so aus, wie der Kollege von der SPD es gesagt hat: 1 : 30.
Was das bedeutet, kann ich Ihnen aus der Praxis schildern: Es gibt sehr viele kleinere Häuser, in denen eine einzige ausgebildete Unterrichtsschwester für 60 Schülerinnen zuständig ist. Und diese arme Frau ersäuft in Verwaltungskram und hat ganz wenig Zeit, wirklich selber Unterricht zu erteilen oder — was im Sinne der Zusammengehörigkeit von praktischer und theoretischer Ausbildung nötig wäre — die Schülerinnen auch auf der Station in Pflegetechniken, im Umgang mit Patienten zu unterweisen. Dazu kommt eine Unterrichtsschwester aber in aller Regel überhaupt nicht. Ich habe noch keine gesehen, die das kann, ohne sich wirklich dumm und dusselig zu arbeiten.
Von daher gesehen: Nach meiner praktischen Erfahrung und nach den Zahlen, die die Bundesregierung selber empfohlen hat, ist hier ein Mehrbedarf unabdingbar gegeben. Der ist von der ÖTV in Höhe von 2 000 Unterrichtsschwestern errechnet.
Nun haben Sie gesagt, daß es mehr als 500 arbeitslose Unterrichtsschwestern gebe. Hier ist schon einmal darauf hingewiesen worden, daß die Statistiken nicht in Ordnung sind, weil die Vermittlung von Schwestern, auch von Unterrichtsschwestern, in aller Regel über die Fachzeitschriften und nicht über die Arbeitsämter läuft. Das muß man hier noch einmal sagen.
Sie können nicht an der Wirklichkeit vorbei reden, Herr Fuchtel, das geht einfach nicht.
Ein Problem ist auch, daß die Zahl der Unterrichtsstunden für die Ausbildung auf 1 800 Stunden erhöht worden ist.
Ich will ein weiteres Problem einführen, das in der Petition nicht zum Ausdruck kommt, aber damit im Zusammenhang gesehen werden muß: Es gibt eine unabdingbare Verknüpfung von fiskalischen Gesichtspunkten und Krankenpflegeerfordernissen. Ich habe den Eindruck, daß der Krankenpflege und der Krankenversorgung generell das Diktat des Geizes aufgezwungen wird.
Meine Kolleginnen auf den Stationen — also auch die Unterrichtsschwestern —, müssen unglaublich arbeiten, weil in den Krankenhäusern Personal eingespart wird. Mittlerweile werden ehrenamtliche Kräfte, karitativ engagierte Menschen in den Krankenhäusern benötigt, um die psychische Betreuungsarbeit zu leisten, die aus Arbeitsüberlastung in der Krankenpflege zwangsläufig oft zu kurz kommen muß. Die Schwester kann das nicht mehr. Eine Schulschwester kann — wie ich eben schon ausführte — von ihrem Zeitbudget her die Schülerinnen auf den Stationen nicht vernünftig anweisen. Das ist ein Skandal.
Man muß sich wirklich überlegen, ob man auf lange Sicht gesehen eine qualifizierte Schwesternausbildung haben will, ob man eine qualifizierte, vernünftige Krankenbetreuung haben will oder ob hier das Diktat des Geizes herrschen soll. Das ist ein Problem, das in der Petition nicht angesprochen ist, das ich aber der Regierung wirklich noch einmal auf den Tisch legen will.
Das Haus, in dem ich gelernt und gearbeitet habe, ist ein kleines kirchliches Haus. Dort konnte man es sich nicht leisten, eine zweite Unterrichtsschwester einzustellen. Sie haben viele Jahre im Verbund mit anderen kirchlichen Häusern eine Schulschwester als Leiterin gehabt, weil es sonst zu teuer geworden wäre, und haben den Unterricht von Ärzten machen lassen, damit sie nicht die ganzen Nebenabgaben leisten mußten.