Rede von
Prof.
Gerhard
Heimann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einem ganz wichtigen Punkt stimmen wir Sozialdemokraten mit der Fraktion der GRÜNEN überein. Es ist vollkommen richtig: „Die Eisenbahn ist die grundlegend umweltschonende Alternative zu Flugzeug und Auto." Das war ja auch der Grund, weshalb wir Sozialdemokraten vor zwei Jahren unseren Antrag über ein Konzept für den Schienenverkehr von und nach Berlin eingebracht haben, in dem wir gefordert haben, daß endlich die Prioritäten beim Ausbau der Verkehrsverbindungen von der Straße auf die Bahn verlagert werden müssen.
Diese Forderung ist in der Tat heute noch sehr viel aktueller als vor zwei Jahren. Nach wie vor hält die Zunahme des Transitverkehrs auf den Straßen weiter an, während der Anteil der Bahn am Transitverkehr immer noch abnimmt. Im neuesten Bericht des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen vom Oktober 1987 heißt es:
Trotz der erheblichen Zunahme des Transitverkehrs nach Inkrafttreten des Transitabkommens sind im Bereich der Eisenbahn Rückgänge zu verzeichnen ... Mit der Eisenbahn fahren heute weniger Menschen nach Berlin als mit dem Flugzeug oder gar dem Omnibus.
Man muß einmal den Vergleich sehen: Flugzeug und Omnibus.
Auch im Güterverkehr mußte die Eisenbahn Einbußen hinnehmen. Güter werden überwiegend im Binnenschiffsverkehr und zum großen Teil auf der Straße transportiert.
Jeder, der häufiger die Transitautobahn benutzt, weiß ein Lied davon zu singen. Eigentlich günstige Tage in der Woche oder Stunden am Tag gibt es kaum noch. Von Jahr zu Jahr steigt die Dichte, wird es schwieriger und nervenaufreibender, die Autobahn zu benutzen. Wenn man bedenkt, daß der Motorisierungsgrad in der DDR noch lange nicht die bundesrepublikanische Spitze erreicht hat, ist der Tag wirklich absehbar, wann der Verkehr von und nach Berlin auf den Autobahnen buchstäblich ins Stocken kommt.
Nun wird mancher einwenden: Genau das ist heute schon eine treffende Zustandsbeschreibung für viele westdeutsche Ballungszentren und hauptbelastete Autobahnabschnitte. Dieser Einwand ist richtig, aber unvollständig. Neben der massiven Unbequemlichkeit für den einzelnen Bürger und der steigenden Umweltbelastung kommt in bezug auf Berlin die außerordentliche politische Bedeutung hinzu, die die Verkehrsverbindungen in die Bundesrepublik haben. In Helmstedt hat der Berliner erst einen Punkt erreicht, an dem der westdeutsche Bürger seine Reise anzutreten pflegt. Das wird so lange bleiben, solange die DDR als das natürliche Umland Berlins nicht wirklich für den Bürger aus Berlin (West) offensteht.
Was ich sagen will: Es ist allerhöchste Zeit, im Transitverkehr neben Straße und Luftweg die Eisenbahn als wirkliche Alternative auszubauen. Wirkliche Alternative kann die Eisenbahn aber nur sein, wenn sie so bequem und schnell ist, daß sich der Bürger für sie
und nicht ausschließlich für Straße und Luftweg entscheidet.
Deshalb ist es eine der wichtigsten Feststellungen im gemeinsamen Kommunique fiber den Besuch von Generalsekretär Erich Honecker in der Bundesrepublik , daß „zur weiteren Verbesserung der Verkehrsverbindungen — einschließlich von und nach Berlin — Regelungen und Vereinbarungen zum gegenseitigen Nutzen vor allem auf dem Gebiet des Eisenbahnverkehrs anzustreben" sind und daß „Gespräche darüber mit dem Ziel deutlich kürzerer Reisezeiten und höherer Zugfrequenzen" aufgenommen werden sollen. Geld, das dafür ausgegeben wird, schafft außerdem einen ganz wichtigen deutschlandpolitischen Nebeneffekt: Es verleiht den politischen und den Handelsbeziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten Stabilität und einen auf Jahre fest einkalkulierbaren Spielraum.
So weit, so einig. Es wäre gut, wenn alle Fraktionen in diesen Punkten wirklich übereinstimmten. Denn man hört, daß der Bundesminister der Finanzen, der jetzt die Grundentscheidungen zu fällen hat, zögert — ich sage einmal: zögert, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Der Antrag der GRÜNEN ist daher eine gute Gelegenheit für den Bundestag, dies an einer entscheidenden Stelle des Entscheidungsprozesses innerhalb der Bundesregierung noch einmal mit allem Nachdruck festzustellen. Wir sollten diese Chance alle gemeinsam wirklich nutzen.
In der Sache selbst, Herr Sellin, kommt der Antrag der GRÜNEN zwei Jahre zu spät, finde ich. Wenn er besagen will, daß es neben der Strecke Berlin—Hannover noch andere wichtige Strecken von Berlin in das Bundesgebiet gibt, dann rennt er offene Türen ein und ist insoweit im Beschluß des Bundestages vom 4. Dezember 1986 enthalten.
Allerdings setzt der Beschluß vom 4. Dezember 1986 — das wird der eigentliche Streitpunkt sein — eine deutliche Priorität zugunsten einer Schnellbahnverbindung Berlin—Hannover, die im Antrag der GRÜNEN zugunsten eines Bündels gleichzeitiger und gleichgewichtiger Maßnahmen für mehrere Strecken aufgelöst wird.