Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Aktuelle Stunde ist ein absolut ungeeignetes Instrument, um das vergessene Thema Waldsterben wieder auf die Tagesordnung zu bringen.
Ich fürchte — der Beweis ist erbracht — ; sie verpufft in ihrer Wirkung, Herr Kollege Schily, ebenso schnell wie die Kalkdüngung im Wald, die nach Auffassung vieler Forstleute eher eine Sterbehilfe als eine Lebenshilfe für die Bäume ist.
Wer das öffentliche Bewußtsein schärfen will, wer die verantwortlichen Politiker tatsächlich wachrütteln will, der muß auf andere Mittel sinnen. Fünf-MinutenStatements bleiben gegenüber einer nicht handlungswilligen Bundesregierung offensichtlich wirkungslos, Herr Minister.
Vier Bemerkungen:
Erstens. Es muß festgehalten werden: Der offizielle Waldschadensbericht zeichnet ein unehrliches Bild der Lage,
nicht nur wegen der geänderten Erfassungsmethode. In den großen Waldgebieten, so im Schwarzwald, haben wir über 60 `%, zum Teil nahe 70 % erkrankter Waldflächen, und auch diese Zahlen sind noch „geschönt", wie Prof. Moosmayer, Freiburg, sagt, weil die stark geschädigten Bäume laufend herausgehauen werden. „Ein großflächiges Absterben ist in den Hochlagen des Schwarzwaldes nicht mehr auszuschließen", so Umweltminister Vetter, Baden-Württemberg. Das ist die Lage.
Zweitens. Bloßes Lamentieren ist ebenso zwecklos
wie Gesundbeten. Es gibt nur die Alternative: Entweder sofort handeln mit dem Ziel, die Gesamtschadstoffbelastung der Luft bis 1993 auf die Hälfte zu reduzieren — das ist die Forderung der Deutschen Waldbesitzerverbände — oder den rapiden Zusammenbruch ganzer Ökosysteme in Kauf zu nehmen. Denn, meine Damen und Herren, der Wald stirbt nicht alleine. Neuestes Alarmsignal ist die Versauerung der Böden und des Grundwassers, die ein Mainzer Wissenschaftler kürzlich im Hunsrück und im Taunus festgestellt hat.
Deutscher Bundestag — 1 1. Wahlperiode — 37. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1987 2491
Frau Dr. Hartenstein
Drittens. Die Bundesregierung hat nun wahrlich keine Ursache, die Hände in den Schoß zu legen. Was abnimmt, ist die SO2-Belastung aus öffentlichen Kraftwerken, auch aus Braunkohlenkraftwerken, Herr Minister, nicht aus der Industrie.
Die Stickoxidbelastung steigt weiter an, und die Hauptquelle ist nach wie vor der wachsende Kraftfahrzeugverkehr. Meine Damen und Herren von der Koalition, es wäre Hochstapelei, hier von einem Durchbruch reden zu wollen.
600 000 Altwagen unter 27 Millionen Pkw, das ist ein Dokument des Scheiterns und nicht des Erfolgs.
Wir brauchen ein Sofortprogramm, wir brauchen vor allem einen obligatorischen Endtermin für die Katalysatorausrüstung, wir brauchen die Einführung der US-Grenzwerte, wir brauchen endlich die Abgasentgiftung bei Lkw und Bussen, wir brauchen ein wirksames Umrüstprogramm für 5,5 Millionen Altfahrzeuge, gekoppelt mit direkten Zuschüssen und mit Steuerbefreiung sowie einen verbindlichen Endtermin für die TÜV-Zulassung.
Wir brauchen endlich — zum x-ten Male muß es gesagt werden — ein Tempolimit auf Autobahnen und Landstraßen. Wie heuchlerisch die TempolimitDiskussion bei dem ominösen Großversuch 1985 war, zeigt die unter Verschluß gehaltene „Prognos"-Studie der Deutschen Bundesbahn,
die nämlich die Einschätzung des Bundesumweltamtes bestätigt. Deshalb mußte sie totgeschwiegen werden. Das ist die Tatsache.
Vierte Bemerkung: Auch schwierige EG-Hürden dürfen uns nicht hindern, einen nationalen Notstand abzuwehren. Wenn die Böden versauern, wenn die Trinkwasserversorgung in Gefahr gerät, wenn die volkswirtschaftlichen Verluste Milliardenhöhe erreichen — und das ist der Fall —, wenn die Waldbauern ihre Existenz verlieren — und das ist der Fall — und wenn die Kommunen die roten Zahlen in ihren Waldhaushalten nicht mehr abdecken können, dann ist dieser Notstand bereits eingetreten. Ausweichmanöver und Beschwichtigungsversuche, Herr Minister, zahlen sich nicht aus. Was hilft, ist nur rasches politisches Handeln. Auf die Unterstützung der SPD-Fraktion können Sie bei allen notwendigen Maßnahmen rechnen.
Danke schön.