Rede von
Klaus
Lennartz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jedes Jahr, kurz vor Sankt Martin, wenn im Wald die Blätter fallen, wiederholt sich in Bonn ein klägliches Ritual, zu dem auch diese Aktuelle Stunde gehört: Der Landwirtschaftsminister, der ganz nebenbei und reichlich verschämt auch Waldminister ist, setzt sich vor die Bundespressekonferenz und trägt mit angemessener Geknicktheit den jährlichen Waldschadensbericht vor. Nur wenige Stunden vergehen, bis eine Fraktion eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt, die nach zwei oder drei Tagen auch stattfindet. Vorwürfe, Schuldzuweisungen, Abwehr und Gegenangriff erfolgen in der parlamentarischen Routine, während draußen im Wald ganz still und leise mehr und mehr Bäume vor sich hinnadeln, ihr Laub verlieren, das nie mehr ausschlagen wird.
An den Ursachen der schweren Krankheit des deutschen Waldes ändert sich nichts. Diese Bundesregierung nimmt auch nichts in die Hand, was dem Wald helfen könnte. So haben wir uns schon fast an die jährlichen Bulletins über den todkranken Patienten gewöhnt, wie auch die monatlichen Arbeitslosenzahlen mittlerweile als naturgegeben vorgestellt werden, als handele es sich um Gezeiten oder periodische Sonnenfinsternisse. Jahr für Jahr versucht die Bundesregierung, sich selber frohzurechnen, mit Prozentzahlen hinter dem Komma angebliche Trendumkehren zu konstruieren und so sich selbst politisches Handeln zugunsten des Waldes zu unterstellen.
Wir alle wissen, welche schäbigen Tricks angewendet werden. Wir wissen, daß ein Hektar toter Wald, wenn er notgeschlachtet ist, die Statistik verbessert, weil statistisch gesehen kein Wald eben gesunder Wald ist. Besonders schlimm ist, daß das Waldsterben eine stärkere Tendenz bekommen hat. Immer mehr Laubbäume, die viel langsamer als Nadelbäume wachsen, erkranken. Damit werden die Folgen des Waldsterbens nachhaltiger denn je sein. Dagegen gibt es angeblich eine sogenannte Trendumkehr bei Nadelbäumen. Wir sollen schon applaudieren, Herr Minister, wenn „nur noch" 79 % aller Tannen krank sind. Welch ein trauriger Erfolg!
Das alles, meine Damen und Herren, wäre leichter zu ertragen, wenn die Bundesregierung ein Konzept hätte, das auf Besserung hoffen lassen würde. Doch was passiert außer der Festschreibung von 4 Milliarden DM volkswirtschaftlicher Schäden pro Jahr? Kennen Sie ein Beispiel, wo die Bundesregierung erfolgreich gegen die Luftverschmutzung vorgeht?
Ich nenne drei Punkte: Kfz, Haushalte und Industrie. Das Auto wird im nächsten Jahrzehnt eine zunehmende Größe der Luftverschmutzung sein. Die Bundesregierung hat sich so sehr in EG, Kat, Abgassonderuntersuchung , Tempolimit, schadstoffarme Klassen und bleifreies Benzin verstrickt, daß nur eines feststeht, meine Damen und Herren: Den Auspuffrohren deutscher Kraftfahrzeuge wird bis zum Jahr 2000 eine stetig zunehmende Menge von Stickoxiden entweichen; das ist die Tatsache. So sieht Ihre pompöse Umweltpolitik aus.
Die Emissionsvorschriften für private Hausfeuerungen, Herr Töpfer, sind so lasch, daß es noch das erste Verfahren zu geben hat, wenn man sie nicht einhält. Noch nie ist jemand belangt worden, weil er die Emissionsgrenzwerte überschritten hat. Das ist Ihre Umweltpolitik: Operettengrenzwerte ohne Kontrolle und ohne Sanktionen.
Zur TA-Luft: Die TA-Luft ist Ihnen schließlich so schwabbelig geraten, daß die Industrie sich zum Schluß geärgert hat, weil sie zum Teil ihre Anlagen für eine strengere TA-Luft gebaut hat.
— Natürlich. Wir haben zirka 5 Milliarden DM für die Entschwefelung und die Entstickung reingesteckt, Herr Kollege. So etwas gibt es, weil Sie, Herr Kollege Baum, als ehemaliger Minister nicht einmal dafür gesorgt haben, daß die Grenzwerte eingesetzt wurden, die die Industrie tatsächlich erfüllen kann.
Ähnlich verhält es sich auch mit der Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die von den Landesministern, Herr Kollege Baum, erst drastisch nachgebessert wurde, um neue Umweltschutzanlagen festzuschreiben.
Mit Ihrer Kraftwerksverordnung hätten die meisten Dreckschleudern noch bis ins nächste Jahrtausend laufen können; das war Ihre Umweltpolitik, und das ist sie.
Es kommt noch vieles hinzu: Sie verweigern sich, wenn es darum geht, mehr Güter von der Straße auf die Schiene zu bringen; Sie streichen die Energiesparförderung und die Mittel für den Fernwärmeausbau. Die Liste ist noch lang. Wenn das so weitergeht, wird eines Tages der Waldminister verkünden: Das Waldsterben hat aufgehört, denn es gibt keinen Wald mehr.