Rede:
ID1103301000

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 7
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Herr: 1
    6. Abgeordnete: 1
    7. Lintner.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/33 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 33. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 15. Oktober 1987 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 2157 A Tagesordnungspunkt 2: a) Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland und b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Materialien zum Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland 1987 (Drucksache 11/11) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation (Drucksache 11/943) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Beziehungen zwischen dem Deutschen Bundestag und der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik (Drucksache 11/950) Dr. Kohl, Bundeskanzler 2158B Frau Dr. Hamm-Brücher FDP (zur GO) . 2166A Seiters CDU/CSU (zur GO) 2166B Frau Vennegerts GRÜNE (zur GO) . . . 2166C Dr. Vogel SPD 2166D Lintner CDU/CSU 2172 C Frau Hensel GRÜNE 2175A Hoppe FDP 2178 B Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMB . 2180 B Dr. Schmude SPD 2182D Diepgen, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 2185 C Dr. Mitzscherling SPD 2188 D Dr. Czaja CDU/CSU 2190 B Dr. Knabe GRÜNE 2191 D Genscher, Bundesminister AA 2193 A Büchler (Hof) SPD 2194 A Namentliche Abstimmungen 2197 B Ergebnisse 2201C, 2203A, 2204 D Tagesordnungspunkt 3: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 25. März 1986 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und St. Vincent und den Grenadinen über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksachen 11/358, 11/854) 2206B Tagesordnungspunkt 4: Zweite Beratung und Schlußabstimmmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 12. April 1986 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Bulgarien über die gegenseitige Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksachen 11/359, 11/855) . . 2206 B Tagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. März 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Oktober 1987 vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksache 11/886) 2206 C Tagesordnungspunkt 7: Beratung der Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 4. bis 8. Mai 1987 in Straßburg (Drucksache 11/478) 2206 D Tagesordnungspunkt 8: Beratung der Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Versammlung der Westeuropäischen Union über die Sondersitzung der Versammlung der Westeuropäischen Union am 27. und 28. April 1987 in Luxemburg (Drucksache 11/552) 2206 D Tagesordnungspunkt 9: Beratung der Unterrichtung durch die Delegation der Interparlamentarischen Gruppe der Bundesrepublik Deutschland über die 77. Interparlamentarische Konferenz vom 27. April bis 2. Mai 1987 in Managua/Nicaragua (Drucksache 11/607) 2206 D Tagesordnungspunkt 10: Beratung der Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Nordatlantischen Versammlung über die Plenarsitzung der Nordatlantischen Versammlung am 25. Mai 1987 in Quebec/Kanada (Drucksache 11/637) 2207 A Tagesordnungspunkt 11: Beratung der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof: Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1987 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung (einschließlich der Bemerkungen zur Jahresrechnung des Bundes 1985) (Drucksache 11/872) 2207 A Tagesordnungspunkt 12: Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung über den Beitrag der Genossenschaften zur Regionalentwicklung (Drucksache 11/705) . . . . 2207 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Amtszeit der Jugendvertretungen in den Betrieben (Drucksache 11/948) 2207 B Zusatztagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausweitung der Rechte der Jugendvertretungen und zur Weiterentwicklung in Jugend- und Auszubildendenvertretungen (Drucksache 11/955) 2207 B Zusatztagesordnungspunkt 6: Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zur Strategie des Europäischen Parlaments im Hinblick auf die Gründung der Europäischen Union (Drucksache 11/594) 2207 B Tagesordnungspunkt 6: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 70/156/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhanger (Drucksachen 11/138 Nr. 3.149, 11/495) 2207 C Zusatztagesordnungspunkt 7: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fünfte Richtlinie des Rates zur Anpassung des Anhangs III der Richtlinie 76/768/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel an den technischen Fortschritt — KOM (87) 156 endg. — (Drucksachen 11/339 Nr. 2.7, 11/959) 2207 C Tagesordnungspunkt 13: Beratung der Sammelübersicht 24 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen (Drucksache 11/907) 2207 D Tagesordnungspunkt 14: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung: Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages (Drucksache 11/926) 2208 A Zusatztagesordnungspunkt 9: Beratung der Sammelübersicht 9 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen (Drucksache 11/242) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Beratung der Sammelübersicht 12 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen (Drucksache 11/325) Frau Seuster SPD 2208 B Haungs CDU/CSU 2209 A Frau Nickels GRÜNE 2209 D Frau Dr. Segall FDP 2210B Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Donnerstau, den 15. Oktober 1987 III Zusatztagesordnungspunkt 11: Beratung der Sammelübersicht 23 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen (Drucksache. 11/810) 2211A Zusatztagesordnungspunkt 12: Aktuelle Stunde betr. Auswirkungen der Beschlüsse der Koalition auf Steuergerechtigkeit, Staatsfinanzen und den Arbeitsmarkt sowie Äußerungen der SPD über die Steuerreform im Vergleich zu den getroffenen Finanzierungsentscheidungen Dr. Spöri SPD 2211B Dr. Solms FDP 2212A Kleinert (Marburg) GRÜNE 2213 A Glos CDU/CSU 2214B Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 2215B Dr. Apel SPD 2217 A Gattermann FDP 2218A Sellin GRÜNE 2219B Frau Will-Feld CDU/CSU 2219D Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi . 2220 C Dr. Jens SPD 2222 B Scharrenbroich CDU/CSU 2223 A Huonker SPD 2224 B Uldall CDU/CSU 2225 B Dr. Neuling CDU/CSU 2226 A Tagesordnungspunkt 15: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Haushaltspolitische Konsequenzen für den Bundeshaushalt 1987 — Ergänzung des Haushaltsentwurfs 1988 — Überarbeitung der Finanzplanung bis 1991 — (Drucksache 11/783) Frau Simonis SPD 2227 C Carstens (Emstek) CDU/CSU 2229 B Frau Vennegerts GRÜNE 2232A Dr. Weng (Gerlingen) FDP 2234 B Esters SPD 2235 D Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 2236 D Tagesordnungspunkt 16: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hauchler, Bindig, Bernrath, Brück, Großmann, Dr. Holtz, Frau Luuk, Frau Dr. Niehuis, Schluckebier, Schanz, Toetemeyer, Frau Matthäus-Maier, Dr. Mitzscherling, Oostergetelo, Dr. Wieczorek, Koschnick, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD: Zukunftsprogramm Dritte Welt (Drucksache 11/828) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 13: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Zukunftsprogramm Eine Welt (Drucksache 11/941) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 14: Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU und der FDP: Ernährungssicherung in Hungerregionen (Drucksache 11/946) Dr. Hauchler SPD 2240 D Dr. Pinger CDU/CSU 2242 C Frau Eid GRÜNE 2243 D Frau Folz-Steinacker FDP 2245 D Bindig SPD 2248 A Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär BMZ . . 2249 C Dr. Wieczorek SPD 2252 D Schreiber CDU/CSU 2254 D Toetemeyer SPD 2256 A Repnik CDU/CSU 2257 C Tagesordnungspunkt 17: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss (München) und der Fraktion DIE GRÜNEN: Stückgutfracht 88 (Drucksache 11/785) und b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss (München) und der Fraktion DIE GRÜNEN: Beabsichtigte Auflösung von Tarifpunkten im Wagenladungsverkehr der Deutschen Bundesbahn (Drucksache 11/857) Weiss (München) GRÜNE 2260 A Dr. Jobst CDU/CSU 2261 A Haar SPD 2261 D Kohn FDP 2262 C Dr. Warnke, Bundesminister BMV . . . 2263 C Tagesordnungspunkt 18: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (Drucksache 11/917) und b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss (München) und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (Drucksache 11/923) Dr. Warnke, Bundesminister BMV . . . 2265 A Kretkowski SPD 2266 B Rauen CDU/CSU 2267 B Frau Brahmst-Rock GRÜNE 2268 B Richter FDP 2269 B IV Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Oktober 1987 Zusatztagesordnungspunkt 15: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN: Menschenrechtsverletzungen in Tibet (Drucksache 11/953) Zur Geschäftsordnung: Bohl CDU/CSU 2270A Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 2270 B Frau Vennegerts GRÜNE 2270 C Becker (Nienberge) SPD 2270 C Fragestunde — Drucksache 11/933 vom 9. Oktober 1987 — Wertung des „Spiegel"-Berichts über den ehemaligen Ministerpräsidenten Dr. Barschel MdlAnfr 1, 2 09.10.87 Drs 11/933 Schily GRÜNE Antw StMin Dr. Stavenhagen BK . 2197D, 2198 D ZusFr Schily GRÜNE 2198A, 2198D ZusFr Roitzsch (Quickborn) CDU/CSU 2198B, 2199B ZusFr Gansel SPD 2198B, 2199B ZusFr Heyenn SPD 2198 C ZusFr Kuhlwein SPD 2199 C ZusFr Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE . 2199 C Überschreitung der Zahlungsziele bei Bauaufträgen an deutsche Firmen für die USStreitkräfte MdlAnfr 9, 10 09.10.87 Drs 11/933 Dr. de With SPD Antw StSekr von Loewenich BMBau . . . 2199D ZusFr Dr. de With SPD 2200 B Schily GRÜNE (Erklärung nach § 32 GO) 2201 B Frau Roitzsch (Quickborn) CDU/CSU (Erklärung nach § 32 GO) 2201 C Nächste Sitzung 2270 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 2271* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 33. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Oktober 1987 2157 33. Sitzung Bonn, den 15. Oktober 1987 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 16. 10. Bahr 15. 10. Frau Beck-Oberdorf 16. 10. Bohlsen 16. 10. Brandt 16. 10. Brück 15. 10. Büchner (Speyer) * 16. 10. Dr. Dregger 15. 10. Echternach 16. 10. Dr. Ehmke (Bonn) 16. 10. Frau Fischer** 16. 10. Grüner 16. 10. Grunenberg 16. 10. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 15. 10. Heistermann 16. 10. Hillerich 16. 10. Frau Hoffmann (Soltau) 16. 10. Dr. Holtz ** 16. 10. Irmer** 16. 10. Jansen 16. 10. Jaunich 16. 10. Jung (Düsseldorf) 15. 10. Kittelmann * 16. 10. Koschnick 16. 10. *für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union **für die Teilnahme an der 78. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Krieger 16. 10. Lammert 16. 10. Frau Luuck 16. 10. Frau Dr. Martiny 16. 10. Frau Matthäus-Maier 16. 10. Dr. Müller ** 16. 10. Frau Olms** 16. 10. Paintner 16. 10. Paterna 16. 10. Petersen 16. 10. Reddemann * 16. 10. Reuschenbach 16. 10. Freiherr von Schorlemer ** 16. 10. Schröer (Mülheim) 16. 10. Frau Dr. Segall 16. 10. Dr. Soell ** 16. 10. Dr. Stercken** 16. 10. Stobbe 16. 10. Straßmeir 16. 10. Tietjen 16. 10. Frau Dr. Timm ** 16. 10. Dr. Unland 15. 10. Verheugen 16. 10. Dr. Warnke 15. 10. Dr. Warrikoff 15. 10. Weirich 16. 10. Wetzel 15. 10. Wischnewski 16. 10. Wüppesahl 16. 10. Frau Würfel 15. 10. Zywietz 16. 10.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans-Jochen Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierungserklärung, die soeben vorgetragen wurde, enthält Elemente, denen wir zustimmen können. Das gilt etwa für Feststellungen über die positiven Entwicklungen im Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten, die zuletzt im Besuch des Staatsratsvorsitzenden der DDR einen sichtbaren Ausdruck gefunden haben. Das gilt auch für die Aussagen über die fortdauernden grundsätzlichen Unterschiede zwischen den Gesellschaftsordnungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Oder für die Absage an einen deutschen — und zwar auch an einen deutsch-deutschen — Sonderweg. Oder für die Bejahung des auch in der Charta der Vereinten Nationen verankerten Selbstbestimmungsrechts. Insofern sind Ansätze zur Gemeinsamkeit nach wie vor vorhanden.
    Die Ansätze zur Gemeinsamkeit, von denen ich sprach, werden indessen von den Mängeln beeinträchtigt, die die Regierungserklärung aufweist. Folgendes sind die beiden wichtigsten Mängel.



    Dr. Vogel
    Die Erklärung läßt zum einen nicht erkennen, welche Konzeption der Deutschlandpolitik der Bundesregierung eigentlich zugrunde liegt.

    (Beifall bei der SPD)

    In dem erkennbaren und ja auch verständlichen Bestreben, es sowohl denen recht zu machen, die die Deutschlandpolitik Willy Brandts, Helmut Schmidts und Herbert Wehners fortsetzen wollen, als auch es mit denen nicht zu verderben, die die DDR auch jetzt noch in Anführungszeichen setzen, also nicht als Realität anerkennen wollen, und die noch immer von der Wiederherstellung des deutschen Reiches träumen, verwickelt sich Ihre Deutschlandpolitik notwendigerweise immer wieder in Widersprüche.
    Zum anderen läßt die Erklärung Perspektiven vermissen, die über das bisherige Maß an Kooperation zwischen den beiden deutschen Staaten hinausgehen. Die Erklärung nimmt auch nicht ausreichend zur Kenntnis, welche Entwicklungen in jüngster Zeit nicht nur zwischen den Weltmächten, sondern auch in der Sowjetunion und in den ost- und mitteleuropäischen Staaten stattgefunden haben, die dem Warschauer Pakt angehören.
    Im übrigen, Herr Bundeskanzler — und das bedaure ich — , ist die Erklärung auch unvollständig. Sie beschäftigt sich ausgiebig mit dem anderen deutschen Staat und mit dem, woran dieser Staat, gemessen an unseren Maßstäben und Prinzipien, Mängel aufweist. Aber, Herr Bundeskanzler, es gibt doch auch bei uns in der Bundesrepublik Zustände, Vorgänge und Tendenzen, die mit unseren eigenen Prinzipien schwer oder überhaupt nicht vereinbar sind.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Einer dieser Komplexe sind die Vorgänge in Kiel, die uns wohl alle — ohne Ausnahme — mit großer Sorge erfüllen — und das noch mehr, seit ein Mensch unter Umständen zu Tode gekommen ist, die noch viele Fragen offenlassen. Ich meine, jeder, der im politischen Bereich Verantwortung trägt — dazu gehören auch die Medien und die dort Verantwortlichen —, hat auf Grund dieser Vorgänge Anlaß, mit sich zu Rate zu gehen und dann Folgerungen zu ziehen.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    Eine Folgerung liegt schon jetzt auf der Hand, nämlich daß alles, was mit diesen Vorgängen zusammenhängt, vollständig und ohne Schonung aufgeklärt werden muß. Darin, daß dies öffentlich geschehen kann und öffentlich geschehen muß, liegt ja gerade eine Stärke unserer verfassungsmäßigen Ordnung.

    (Beifall bei der SPD)

    Und daß es geschieht, ist eine unverzichtbare Voraussetzung dafür, daß die Politik das Vertrauen zurückgewinnt, das sie in diesen Tagen und Wochen verloren hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Täuschen wir uns nicht: Der Vertrauensverlust für uns alle reicht tief und zieht alle Parteien in Mitleidenschaft, auch außerhalb Schleswig-Holsteins.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Und, Herr Bundeskanzler — ich sage das nicht im Ton des Vorwurfs — : Auch das, was ich hier anspreche, gehört für die Menschen in der Bundesrepublik und darüber hinaus heute zur Lage der Nation.

    (Beifall bei der SPD)

    Davon unabhängig sollten wir jeweils für uns, aber auch alle gemeinsam bedenken, wie wir miteinander umgehen. Wir sollten uns daran erinnern, daß der Kampf um die politische Macht — und ich füge mit Betonung hinzu: auch der Kampf um die Auflage des eigenen Blattes — nicht jedes Mittel rechtfertigt,

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    daß man dem Tod eines Menschen in jedem Fall mit Würde begegnen und ihn in keiner Hinsicht und unter keinem Vorwand instrumentalisieren sollte.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    Es wäre gut, wenn wir darin übereinstimmen, daß es besser ist, die Macht oder sonst einen Vorteil zu verlieren oder nicht zu erringen, als die Vertrauensgrundlagen zu zerstören, auf denen allein unsere Demokratie gedeihen kann.

    (Beifall bei der SPD, der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir sollten die Mahnungen Bischof Kruses beherzigen. Und wir sollten gerade jetzt an ein Wort Gustav Heinemanns denken, der einmal gesagt hat: Wer mit dem Zeigefinger allgemeiner Vorwürfe auf andere zeigt, der soll daran denken, daß in der Hand mit dem ausgestreckten Zeigefinger zugleich drei Finger auf ihn selbst zurückweisen.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Richtig!)

    Auch anderes, was den Prinzipien unseres Gemeinwesens ebenfalls widerspricht, Herr Bundeskanzler, haben Sie nicht erwähnt: Die fortdauernde Massenarbeitslosigkeit, Erscheinungsformen einer latenten Ausländerfeindlichkeit, vor der die Kirchen zu Recht immer wieder warnen, oder die wuchernde Kommerzialisierung nahezu aller Lebensverhältnisse. Das gehört doch auch alles zur Lage der Nation,

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    und das beobachten die Menschen in der DDR doch genauso wie die Menschen bei uns. Wenn wir darüber schweigen, müssen wir — ich sage: wir — uns eine unzulässige Schwarzweißmalerei bei der Darstellung der Verhältnisse in den beiden deutschen Staaten vorwerfen lassen. Es ist aber auch kein angemessener Umgang mit dem Begriff der Nation. Denn als Geschichts-, Kultur-, Sprach- und Gefühlsgemeinschaft umschließt sie eben die Menschen in beiden deutschen Staaten und damit auch die Sorgen und Nöte der Menschen in unserer Republik.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Wenn wir das, Herr Bundeskanzler, aus den Augen verlieren, verkürzen wir den Begriff der Nation und denaturieren ihn zu einem Instrument der Einmischung in die Angelegenheiten eines Gemeinwesens, das wir als Staat anerkannt haben. Es wäre zu wenig,



    Dr. Vogel
    I wenn wir nur dies aus dem Begriff der Nation herleiteten.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Herr Bundeskanzler ist in der Erklärung nicht auf konzeptionelle Fragen eingegangen. Er hat auch eine Feststellung vermieden, an der doch niemand vorbeikommt. An der Feststellung nämlich, daß das Konzept der Deutschlandpolitik, die uns aus der Konfrontation des kalten Krieges, aus immer neuen Berlin-Krisen und aus einer fast vollständigen Zerreißung aller menschlichen Beziehungen herausgeführt hat, unter der Führung von Willy Brandt von Sozialdemokraten und der sozialliberalen Koalition entwickelt und gegen den Widerstand der damaligen Opposition verwirklicht worden ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Das ist und bleibt die historische Wahrheit. Es hätte niemanden gekränkt, wenn diese Wahrheit auch von Ihnen ausgesprochen worden wäre.
    Wahr ist und bleibt auch: Ohne die Ost-Verträge, ohne den Grundlagenvertrag, ohne das Vier-MächteAbkommen, ohne den Verkehrsvertrag, ohne die Schlußakte von Helsinki und den Prozeß, der sich daraus entwickelt hat, wäre das Netz von Vereinbarungen mit der DDR, wären die erfreulichen Reiseerleichterungen, wäre auch der Besuch des Staatsratsvorsitzenden nicht möglich geworden.

    (Beifall bei der SPD)

    Alle diese Voraussetzungen sind aber nicht mit IhZ nen, sondern bestenfalls ohne Sie und zumeist gegen Sie zustande gekommen. Hätte sich das Nein durchgesetzt, wäre die Grenze noch auf lange Zeit genauso undurchlässig geblieben, wie sie es damals war. Auch von vielen anderen Fortschritten wäre bis heute nicht die Rede.
    Ich sage das nicht aus Rechthaberei. Ich sage es, um Geschichtslegenden vorzubeugen.
    Ich knüpfe daran die Frage, ob Sie denn eigentlich, insbesondere Sie, meine Damen und Herren von der Union, inzwischen Ihre deutschlandpolitische Vergangenheit insoweit überwunden haben, daß Sie sich jetzt endgültig auf den Boden dieses unseres Konzepts gestellt haben, und zwar nicht nur verbal und mit inneren Vorbehalten. Ihre Erklärung bleibt da unbestimmt.
    Gut, wir akzeptieren, daß Sie die Forderungen eines Fraktionskollegen aus Ihren Reihen, die Wiedervereinigung auf die politische Tagesordnung zu setzen und die Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland zu Abrüstungsvereinbarungen mit der Wiedervereinigung verknüpfen, im Mai 1987 in deutlicher Sprache als blühenden Unsinn bezeichnet haben. Aber ist der betreffende Kollege wirklich der einzige in Ihren Reihen, der solche Forderungen erhebt?

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    Denken nicht viele in den Unionsparteien auch nach dieser letzten Diskussion zumindest insgeheim genauso? Woher kommen denn sonst die immer neuen Schwierigkeiten, mit denen Sie es deutschlandpolitisch in den eigenen Reihen zu tun haben?
    Außerdem: Wenn Sie und die Bundesregierung das deutschlandpolitische Konzept der sozialliberalen Bundesregierung nun wirklich akzeptiert haben, wenn Sie in dieser Sache mit ihrem Außenminister wirklich einer Meinung sind — und ihm kann das Bemühen um deutschlandpolitische Kontinuität ja wohl kaum bestritten werden — , dann erlauben Sie mir drei Fragen.
    Warum zögern Sie dann immer noch die Aufnahme von normalen Beziehungen zwischen der Volkskammer und dem Deutschen Bundestag mit der nicht zutreffenden Behauptung hinaus, die Berliner Bundestagsabgeordneten würden von der DDR diskriminiert? Ich bin doch selber seit Jahren Berliner Bundestagsabgeordneter. Ich müßte doch von dieser Diskriminierung irgend etwas gemerkt haben.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Sie sind doch unpolitisch! Sie sind doch nicht vergleichbar! — Rühe [CDU/CSU]: Sie werden natürlich bevorzugt behandelt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Herr Kollege Kittelmann, ich möchte mit dem Abgeordneten von Tiergarten nicht so ohne weiteres verglichen werden. Da haben Sie mit Ihrem Zwischenruf recht.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Sie sind gleicher! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Darf ich noch eine Frage dazu stellen. Mir läge sehr daran, die Logik zu erfahren, warum Sie von der DDR verlangen, daß wir Berliner Abgeordneten nur mit dem Diplomatenpaß dort einreisen, der nach Inhalt und Usancen für Reisen in das Ausland bestimmt ist. Ich könnte mir die genau umgekehrte Frontstellung denken und wäre dankbar, wenn wir diesen Scheinkonflikt endlich zu Ende brächten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das verlangt doch gar niemand!)

    Dies hier ist der Ausweis der Berliner auf Grund des in Berlin geltenden Rechts. Es ist doch keine Zumutung, wenn andere von uns die Vorlage dieses Ausweises verlangen,

    (Zuruf des Abg. Sellin [GRÜNE])

    in dem außerdem steht, daß wir deutsche Staatsangehörige sind. Ich meine, wir sollten den Scheinkonflikt zu Ende bringen.

    (Beifall bei der SPD)

    Die nächste Frage lautet: Warum ergreifen Sie, wenn das so ist, in der Frage der Elbegrenze jetzt nicht eine konkrete Initiative? Die Zeit ist reif dafür, und die Menschen warten darauf.
    Ich muß noch eine dritte Frage ansprechen: Warum halten Sie eigentlich noch immer an der Existenz der Erfassungsstelle Salzgitter fest?

    (Lintner [CDU/CSU]: Das ist typisch! — Zuruf des Abg. Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU])

    Glauben Sie denn wirklich, daß die Beibehaltung dieser Einrichtung, von deren Existenz schon deshalb
    — da greife ich Ihren Zuruf auf — eine diskriminie-



    Dr. Vogel
    rende Wirkung ausgeht, weil es eine vergleichbare Institution nur noch für die NS-Verbrechen gibt, auch heute noch politisch sinnvoll erscheint? Hat sich für Sie seit 1961, als wir alle für diese Erfassungsstelle waren, wirklich nichts verändert?
    Daß im übrigen die Strafverfolgung dort, wo das Gesetz sie vorschreibt, in keiner Weise von der Existenz einer Erfassungsstelle abhängt, wissen Sie doch so gut wie wir.

    (Büchler [Hof] [SPD]: So ist es!)

    Auf dem Hintergrund dessen, was Sie zur Würdigung des Honecker-Besuchs zu Recht vorgetragen haben, erscheinen diese Weigerungen noch schwerer verständlich. Zu erklären sind sie wohl überhaupt nur als Konzessionen an diejenigen in Ihren eigenen Reihen, denen die ganze Richtung nicht paßt.
    Die Regierungserklärung ist an einzelnen Stellen auf die großen Veränderungen eingegangen, die sich seit der letzten Debatte dieser Art zwischen den Weltmächten, aber eben auch in der Sowjetunion und in Europa angebahnt und zum Teil schon vollzogen haben. Trotz des hinhaltenden Widerstands, den Ihre Fraktion lange geleistet hat, ist ein Abkommen der Weltmächte in greifbare Nähe gerückt, das erstmals nach dem letzten Weltkrieg besonders gefährliche Waffen nicht nur der Zahl nach begrenzt, sondern verschrottet, und das vor allem in Mitteleuropa.
    Damit wird die Dynamik der Aufrüstung in exemplarischer Weise durchbrochen und ein Beweis dafür geliefert, daß die Sicherheit nicht mehr länger gegeneinander, sondern in sinnvoller Weise nur noch miteinander durch Abkommen und Vereinbarungen gewährleistet werden kann.

    (Beifall bei der SPD)

    Das ist ein Vorgang von sehr großer Bedeutung, der sich insbesondere auch auf die Situation in Europa und hier wiederum auf die Situation an der Nahtstelle zwischen den beiden Bündnissen günstig auswirken kann. Gerade aus diesem Grunde wäre es aber notwendig gewesen, das Zustandekommen der Vereinbarung seitens der Bundesregierung und auch der größten Koalitionsfraktion von Anfang an aktiv zu unterstützen, statt es lange Zeit offen oder zumindest versteckt zu bekämpfen.
    Es wäre gut, wenn der Bundestag heute über den von Ihnen nach langem Zögern fast im letzten Moment ausgesprochenen Verzicht auf die Pershing-Ia-Systeme endlich einen förmlichen Beschluß fassen würde.

    (Beifall bei der SPD)

    Immerhin: In dieser wichtigen Frage gibt es bis zum heutigen Tage keinen Kabinettsbeschluß. Über jede Kleinigkeit beschließt das Kabinett; hierzu gibt es keinen Kabinettsbeschluß. Es gibt auch keinen Beschluß Ihrer eigenen Fraktion.
    Trotz Ihrer Erklärung, Herr Bundeskanzler, sind im Etat des Bundesverteidigungsministers für 1988 wieder Mittel für diese Waffensysteme eingestellt, als ob gar nichts geschehen wäre.
    Der Antrag der Koalition klammert das alles aus und sagt zu Pershing kein Wort. Wir haben deshalb einen
    Entschließungsantrag eingebracht, der Ihre Zusage, die durch die Mitteilung von Herr Kollegen Genscher in völkerrechtlicher Weise verbindlich geworden ist, die Pershing-Ia-Raketen der Bundeswehr im Zusammenhang mit dem nun vor dem Abschluß stehenden amerikanisch-sowjetischen Abkommen über die Abschaffung landgestützter atomarer Mittelstreckenraketen abzubauen und entsprechend den in dem Abkommen vorgesehenen Verfahren ersatzlos zu beseitigen, begrüßt.
    Wir beantragen schon jetzt über diese Entschließung, die den Wortlaut Ihrer Erklärung zum Inhalt hat, die namentliche Abstimmung. Die Öffentlichkeit muß wenigstens jetzt wissen, ob Sie in dieser wichtigen Frage eigentlich die eigene Fraktion geschlossen oder nur teilweise oder überhaupt nicht hinter sich haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Von ebenso erheblicher Bedeutung sind die von Generalsekretär Gorbatschow eingeleiteten Aktivitäten zur Reform des sowjetischen Gesellschaftssystems. Natürlich sind wir gut beraten, wenn wir diese Entwicklungen nüchtern verfolgen und die Hindernisse, die dabei zu überwinden sind, nicht gering veranschlagen. Aber es liegt in unserem Interesse, daß diese Aktivitäten Erfolg haben. Allein die Tatsache, daß sie in Gang gesetzt worden sind — das haben Sie ja auch bestätigt — , hat das Klima in Europa und auch in der Bundesrepublik bereits günstig verändert und beeinflußt. Das Vertrauen, das nach allen Meinungsumfragen unabhängiger Institute die weit überwiegende Mehrheit unserer Bevölkerung Generalsekretär Gorbatschow entgegenbringt, zeigt das, und zwar quer durch die Wählergruppen und Wahlpräferenzen.
    Wir sollten das Maß an Eigenständigkeit, das die DDR im Rahmen ihres Bündnisses im Laufe der Zeit erlangt hat, keineswegs unterschätzen. Es ist jedenfalls größer, als das viele auch in der Bundesrepublik annehmen. Selbstverständlich aber wirken Entwicklungen in der Sowjetunion auf die Entwicklung in den übrigen Staaten des Bündnisses drüben ein. Umgekehrt aber lassen die Entwicklungen in den anderen Staaten Rückschlüsse auf die Intentionen der Führungsmacht zu.
    Es ist kein Zufall, daß die DDR gerade jetzt eine umfassende Amnestie auch für politische Delikte erlassen und die Todesstrafe abgeschafft hat oder daß die beiden christlichen Kirchen zu ihren diesjährigen Kirchentagen in Berlin und in Dresden bis zu 100 000 Gläubige versammeln und ihre Anfragen dort an den Staat ebenso in aller Öffentlichkeit verhandeln konnten wie ihre religiösen Themen oder daß erstmals in Ost-Berlin eine Demonstration unabhängiger Friedensgruppen stattgefunden hat. Wir hören inzwischen, daß dies gar nicht die einzige Demonstration war, sondern daß es in anderen Teilen der DDR weitere Demonstrationen dieser Art gegeben hat.
    Hier ist mehr im Gang als nur eine gefälligere Darbietung des äußeren Erscheinungsbildes eines Gesellschaftssystems, das seine Akzeptanz bei der eigenen Bevölkerung erhöhen will. Wer das alles nur für Propaganda hält, hat von dem, was da vorgeht, wenig



    Dr. Vogel
    begriffen, ja, er begreift offenbar noch nicht einmal, daß selbst ideologische Kernthesen des Marxismus-Leninismus zum Gegenstand der Diskussion geworden und vor Korrekturen keineswegs mehr sicher sind.
    Zum Beweis dafür berufe ich mich nicht nur auf Äußerungen des Rektors der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED, Professor Reinhold, auf dem letzten Evangelischen Kirchentag in Frankfurt, die ja auch einige von Ihnen mit angehört haben. Er hat dort unter anderem erklärt, daß er die bisherige ideologische Einschätzung der Religion korrigieren und einräumen müsse, daß das Christentum im Sozialismus nicht verschwinden, sondern auf Dauer bestehen werde.
    Ich nehme vielmehr ganz ausdrücklich auf das Papier Bezug, in dem die Ergebnisse von Gesprächen zusammengefaßt wurden, die Mitglieder der Grundwertekommission meiner Partei fast drei Jahre lang mit Vertretern der eben genannten Akademie geführt haben. In diesem Papier finden sich unter anderem folgende Gedankengänge:
    Erstens. Der Krieg hat im Nuklearzeitalter endgültig aufgehört, ein Mittel der Politik zu sein.
    Zweitens. Es gibt über die Sicherung des Friedens hinaus gemeinsame Menschheitsaufgaben, die gemeinsam angepackt werden müssen.
    Drittens. Die Auseinandersetzung zwischen den gesellschaftlichen Systemen kann nur noch in der Form des friedlichen, gewaltfreien Wettbewerbs geführt werden.
    Viertens. Keine Seite darf der anderen die Existenzberechtigung absprechen.
    Fünftens. Beide Systeme müssen sich gegenseitig für friedensfähig halten.
    Sechstens. Beide Gesellschaftssysteme müssen einander Entwicklungsfähigkeit und Reformfähigkeit zugestehen.
    Siebtens. Die offene Diskussion über den Wettbewerb der Systeme, über ihre Erfolge und Mißerfolge muß innerhalb jedes der beiden Systeme möglich sein.

    (Beifall bei der SPD)

    Nun, bei uns ist sie — weiß Gott — möglich. Dies aber ist ein Appell an die andere Seite.
    Wir überschätzen dieses Papier keineswegs. Daß solche Gedankengänge aber heute die Zustimmung führender Gesellschaftswissenschaftler und Ideologen der DDR finden und in der DDR ebenso im vollen Wortlaut veröffentlicht werden wie die damit verbundene präzise Darstellung sozialdemokratischer Grundpositionen, das wäre noch vor wenigen Jahren, vor kurzer Zeit nicht für möglich gehalten worden.
    Das gilt auch für die im Papier enthaltene Feststellung, daß der umfassenden Informiertheit der Bürger in Ost und West eine wachsende Bedeutung zukommt und daß deshalb die wechselseitige Verbreitung von periodisch und nichtperiodisch erscheinenden Zeitungen und gedruckten Veröffentlichungen erleichtert werden müsse. Wer wie wir gegen die jüngste
    Nichtzulassung eines Journalisten Einspruch erhebt, kann sich künftig außer auf die Schlußakte von Helsinki und die getroffenen Vereinbarungen auch auf dieses Papier und diese Stelle des Papiers berufen.

    (Beifall bei der SPD)

    Das alles sind Entwicklungen, die auf die Lage der Nation Einfluß nehmen. Es sind Entwicklungen, die nicht Anlaß zur Sorge oder gar zu Ängsten, sondern Anlaß zu Hoffnungen geben, die neue Chancen eröffnen und neue Perspektiven möglich machen. Kein Geringerer — ich kann es Ihnen nicht ersparen — als der Herr Bundespräsident, auf den Sie, Herr Bundeskanzler, zu Recht Bezug genommen haben, hat das mit dankenswerter Klarheit ausgesprochen. Von ihm stammen folgende Sätze:
    Der Gedanke der Koexistenz als Klassenkampf ist antiquiert und reaktionär.
    — Sehr wahr. —
    Koexistenz muß die Fähigkeit bedeuten, Konflikte politisch auszutragen und aufzuarbeiten, ohne daß eine der beiden Seiten den Anspruch auf den Besitz der Wahrheit in letzter Instanz erhebt.
    — Sehr wahr. —

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN sowie der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP])

    Ein anderer Satz des Bundespräsidenten lautet:
    Es geht heute zwischen Ost und West nicht um Kredite und Zuschüsse wie zur Zeit des Marshall-plans, sondern um eine Kooperation auf qualitativ neuem Niveau.
    Schließlich:
    Die Chance der systemöffnenden Zusammenarbeit bietet sich jetzt. Es gilt, sie kraftvoll und verantwortlich zu nützen.
    Wir bejahen diese Chance der systemöffnenden Zusammenarbeit.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir bejahen ebenso die Kooperation auf qualitativ neuem Niveau. Dazu gehört die Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit; dazu gehört die Belebung des kulturellen Austausches; dazu gehört die Vervielfältigung der Kontakte zwischen den Institutionen und Organisationen. Die Städtepartnerschaften sind ein guter Anfang. Wir begrüßen die Kontakte zwischen der FDP und der Liberaldemokratischen Partei der DDR. Wir ermutigen die Union, ihre Begegnungsängste zu überwinden und auch entsprechende Kontakte herzustellen. Auch dies wäre eine Hilfe.
    Zur Kooperation auf qualitativ neuem Niveau rechnen wir weiterhin einen neuen Anlauf zur Normalisierung der Situation in Berlin. Wir bedauern, daß die Anläufe, die Sie, Herr Kollege Diepgen, als Regierender Bürgermeister unternommen haben, aus einer ganzen Reihe von Gründen, unter anderem wohl auch deswegen, weil die Unterstützung aus Bonn nur halbherzig war, steckengeblieben sind. Mit der Anerkennung der Tatsache, Herr Kollege Diepgen, daß der Ostteil der Stadt für die DDR faktisch Hauptstadt-



    Dr. Vogel
    funktionen wahrnimmt — ich verweise unter anderem auf den bemerkenswerten Artikel Ihres Senators Kewenig — , mit der Forderung, daß der Berlin-Status konstruktiven Entwicklungen nicht engegensteht, und mit Ihrer Bemerkung, daß sich die beiden deutschen Staaten 15 Jahre nach Abschluß des Grundlagenvertrages auf die — wörtlich — „wirklich wichtigen Fragen konzentrieren müssen " und — wieder wörtlich — „eine ständige Wiederholung von Formeln und Schablonen uns hier überhaupt nicht weiterhilft", befinden Sie sich auf dem richtigen Weg. Sie können unserer Unterstützung sicher sein, wenn Sie ihn von neuem beschreiten, wenn Sie etwa Ihre Absicht, den Staatsratsvorsitzenden der DDR im Ostteil der Stadt zu besuchen, von neuem aufnehmen und alsbald verwirklichen. Sie würden damit im übrigen nur dem Beispiel Ihres Vorgängers, des jetzigen Bundespräsidenten, folgen.
    Natürlich ist auch hier die Bundesregierung gefordert. Die Sache der Bundesregierung ist es beispielsweise, immer wieder auf die Gleichbehandlung der Bewohner von Berlin-West mit den Westdeutschen bei Besuchen in Berlin-Ost zu drängen — immer wieder! Das ist ein wichtiger Punkt für die Berliner.

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist auch Sache der Bundesregierung, darauf zu achten, daß bei der Bildung einer gemischten Wirtschaftskommission die Interessen von Berlin-West gewahrt werden. Wir haben einen Antrag dazu eingebracht und hoffen, daß er breite Zustimmung findet.
    In dem Zusammenhang können dann auch Projekte vorangebracht werden, die für Berlin von besonderer Bedeutung sind, etwa die Einrichtung einer modernen, leistungsfähigen, schnellen und attraktiven Eisenbahntransitverbindung und die Schaffung eines Stromverbundes unter Einschluß von Berlin.
    Schließlich bedarf es einer intensiveren Zusammenarbeit auch auf dem Feld der Friedenssicherung. Die entsprechende Bestimmung des Grundlagenvertrages muß mit Leben erfüllt werden. Die Projekte einer chemiewaffenfreien Zone und eines atomwaffenfreien Korridors zeigen, was unter voller Wahrung der beiderseitigen Bündnisloyalitäten und auch unter Vermeidung des Anscheins eines deutsch-deutschen Sonderweges möglich ist.
    Ich sage Ihnen voraus — wie bei allen anderen Punkten — : Es ist nur eine Frage der Zeit, bis jedenfalls ein Teil von Ihnen einen Teil dieser Gedanken zum Gegenstand ernsthafter Überlegungen macht.
    Auch für Gespräche darüber, was unter der strukturellen Nichtangriffsfähigkeit der beiderseitigen Streitkräfte zu verstehen ist und welche Maßnahmen notwendig wären, um sie herbeizuführen und zu gewährleisten, erscheint die Zeit reif.
    Warum, meine Damen und Herren — hier wende ich mich besonders an die Union — , begegnen Sie eigentlich all dem mit Mißtrauen und auch mit Ablehnung? Wie eigentlich — das ist meine Frage — wollen Sie die Fortschritte und Verbesserungen, deren Notwendigkeit wir übereinstimmend bejahen, erreichen, wenn nicht auf diesem Wege? Wie wollen wir denn etwa die volle Durchlässigkeit einer Grenze, an der keine Schüsse mehr fallen, die endlich aufhört, die blutende Wunde zu sein, wie Landesbischof Hempel in öffentlicher Veranstaltung den gegenwärtigen Zustand in Dresden zu Recht genannt hat, oder ein Mehr an Pluralität und Selbstbestimmung oder die völlig freie Zirkulation der Medien oder die Ansiedlung internationaler Institutionen in beiden Teilen Berlins erreichen?
    Meine Damen und Herren, das ist wieder eine Frage an Sie: Wie wollen wir die Geschichts-, Kultur-, Sprach- und Gefühlsgemeinschaft über die Grenzen hinweg bewahren und vertiefen, wenn nicht durch einen immer breiteren und immer unbefangeneren Dialog? Wenn Sie einen besseren Weg wissen, dann sagen Sie ihn uns doch. Wenn Sie uns nicht glauben, dann fragen Sie doch die Menschen in der DDR, welchen Weg sie bevorzugen. Es gibt doch niemanden in der DDR, der nicht die von uns eingeleitete Deutschlandpolitik unterstützt und begrüßt und die eingetretenen Erleichterungen darauf zurückführt.

    (Beifall bei der SPD)

    Natürlich haben auch wir die Leiden nicht vergessen, die vielen in der Vergangenheit auferlegt worden sind; etwa den Sozialdemokraten, die sich vor 40 Jahren der Zwangsvereinigung widersetzt haben. Das auszusprechen ist ein Gebot der historischen Redlichkeit. Aber, meine Damen und Herren, wir haben auch gelernt, daß Konfrontation und Verhärtung die Leiden gesteigert und die Trennung vertieft haben.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)

    Außerdem, meine Damen und Herren — wieder geht die Frage in erster Linie an Sie — , haben wir doch gar keinen Grund, den friedlichen Wettbewerb der Systeme zu fürchten. Bei allem, was gerade wir Sozialdemokraten an unserer Ordnung für dringend reformbedürftig halten: Wo sind denn die ernstzunehmenden Kräfte in unserem Land, die für die Übernahme des heute in der DDR existierenden Systems eintreten würden, oder die es und über den Kopf stülpen wollen? Wo sind die denn? Das sind alles Schrekkensbilder, die letzten Endes ausschließlich für den innenpolitischen Gebrauch kultiviert und am Leben erhalten werden.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Wie die Menschen außerhalb unserer Grenzen, auch in dem Bereich, über den wir heute diskutieren, hinsichtlich wesentlicher Elemente der miteinander konkurrierenden Systeme denken, wie sie sich, wo immer möglich, in ihrer großen Mehrheit entscheiden würden, darüber gibt es doch wohl im ganzen Hause keinen Streit. Also stellen wir uns dem Wettbewerb selbstbewußt und nicht immer mit einem Anhauch von Ängstlichkeit und von Befangenheit.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie führen seit Monaten in Ihrer eigenen Partei und mit Ihrer Schwesterpartei Auseinandersetzungen, die mitunter in überaus polemischer Form, auch auf der persönlichen Ebene, ausgetragen wurden. Was dazu von unserer Seite zu sagen war, das haben wir unter anderem bei der ersten Lesung des Haushalts gesagt.



    Dr. Vogel
    Ich will das hier nicht wiederholen. Aber wir übersehen natürlich nicht, daß diese Auseinandersetzungen auch einen grundsätzlichen Aspekt haben, daß es nicht nur um Wählerstimmen oder parteitaktische Manöver geht. Bei welcher Partei ginge es nicht auch darum? Da sollte sich die eine nicht über die andere erheben.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Bei Ihnen hat man das noch nie unterstellt!)

    Wir sehen, es geht auch darum, welche Richtung die Union künftig einschlagen, an welchen Leitbildern und Grundgedanken sich die Union künftig eigentlich orientieren soll. Auch das ist übrigens ein Vorgang, der, wenn er in einer großen Partei stattfindet, für die Lage der Nation nicht ohne Bedeutung ist und wir den schon deshalb positiv werten, weil er, von seinen unerquicklichen Begleiterscheinungen einmal abgesehen, die Erneuerungsfähigkeit unserer gesellschaftlich-politischen Ordnung unter Beweis stellt. Daran ändert die Tatsache nichts, daß nach Ansicht ganz unbefangener Beobachter der Ausgang dieser Auseinandersetzung offen ist, ob sich diejenigen in Ihren Reihen durchsetzen, die spüren, daß fundamentale Entwicklungen und nicht nur, wie es manchmal heißt, der Zeitgeist Ihre bisherigen Positionen in Frage stellen, und die deshalb nach neuen Inhalten suchen und dabei in einzelnen Punkten zu ähnlichen Ergebnissen kommen wie wir, oder diejenigen, die sich wie in einer Wagenburg verschanzen und von Blasphemie reden, wenn ihnen gesagt wird, ihre politischen Tage seien gezählt. Diese Gruppierungen, meine Damen und Herren — das ist überhaupt nicht zu bestreiten — stehen sich bei Ihnen auch in der Deutschlandpolitik gegenüber.
    Auf einem solchen Hintergrund fordern Sie uns — nicht heute, aber sonst immer wieder — zur deutschlandpolitischen Gemeinsamkeit auf, und Sie beklagen auch häufig den Verlust dieser Gemeinsamkeit. Das ist — milde ausgedrückt — erstaunlich. Mit welcher Ihrer streitenden Gruppen und mit welcher Position verlangen Sie denn Gemeinsamkeit, Herr Bundeskanzler? Die Trennungslinie, jenseits derer Gemeinsamkeit unmöglich ist, läuft doch nicht zwischen Ihrer Partei und uns, zwischen CDU und SPD, die Trennungslinie läuft mitten durch Ihr eigenes Lager. Bringen Sie das in Ordnung, Herr Bundeskanzler.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn Sie das in Ordnung bringen, wenn Sie Klarheit schaffen, können wir weitersehen. Dann eröffnen sich neue Perspektiven.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wunschträume!)

    Dann können wir uns vielleicht an Stelle fruchtloser Streitigkeiten und Verdächtigungen darüber, ob und inwieweit die deutsche Frage offen ist, auf die Feststellung verständigen, die Erhard Eppler vor kurzem in einer Diskussion, nicht irgendwo hier, sondern im Fernsehen der DDR, im Angesicht von, ich glaube, sicher eher Millionen Zuschauern, Bürgerinnen und Bürgern aus der DDR, getroffen hat, daß nämlich die deutsche Frage so offen ist wie die Weltgeschichte insgesamt und daß es keinen Abschnitt der Weltgeschichte gibt, von dem man behaupten könnte, sie sei an ihr endgültiges Ende gekommen.

    (Beifall bei der SPD)

    Unabhängig davon werden wir Sozialdemokraten weiterhin unsere Pflicht auch auf diesem Gebiete tun. Wir tun sie als die älteste der deutschen Parteien und als die demokratische Partei, die das Wort Deutschland seit eh und je in ihrem Namen führt. Die Sorge um die Deutschen, gleich in welchem Staat sie leben und wessen Staates Bürger sie sind, ist und bleibt ein Stück der sozialdemokratischen Identität.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lintner.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Eduard Lintner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Vogel, zu Beginn Ihrer Rede hatte ich fast den Eindruck, Sie hätten übersehen, daß der Bericht zur Lage der Nation noch einen zweiten Aspekt aufweist, nämlich: „Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland".

    (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Deshalb ist heute nicht der Tag, über alles Mögliche zu reden, sondern heute muß über die Deutschlandpolitik gesprochen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Das entspricht im übrigen auch, Herr Büchler, wie Sie hoffentlich wissen, den berechtigten Erwartungen der Deutschen, hier in der Bundesrepublik genauso wie in der DDR. Ich habe manchmal den Eindruck, es ist mehr das schlechte Gewissen, das Sie auf andere Themen ausweichen läßt;

    (Frau Traupe [SPD]: Nein!)

    denn Sie wissen sehr genau, daß die Differenzen in Ihrer Partei es eigentlich fast unmöglich machen, noch mit einer Zunge über dieses Thema für die SPD zu sprechen.
    Meine Damen und Herren, das ist nicht unsere Haltung. Uns sind Deutschlandpolitik und Wiedervereinigung eine eigene Debatte hier im Deutschen Bundestag sehr wohl wert.
    Die Forderungen, Herr Dr. Vogel, die Sie hier an die Bundesregierung mit dem Ihnen eigenen Pathos gerichtet haben, sind zum größten Teil Selbstverständlichkeiten, die die Bundesregierung in ihrer Politik dauernd beachtet, so etwa die Forderung nach der 48-Stunden-Regelung im Besuchsverkehr in Berlin oder die nach der Eisenbahnschnellverbindung, die Sie angesprochen haben. Seit Monaten, seit Jahren teilweise, sind das Angelegenheiten der Bundesregierung. Was soll es also?
    Ehrlicherweise hätten Sie die Bundesregierung ermutigen müssen, auf dem eingeschlagenen Weg fortzufahren, und nicht hier eine künstliche Kritik üben sollen.

    (Beifall des Abg. Seiters [CDU/CSU] — Dr. Vogel [SPD]: Einer klatscht pflichtbewußt!)




    Lintner
    Meine Damen und Herren, natürlich gibt es in der Deutschlandpolitik Unerledigtes. Ich will nur darauf hinweisen, daß eine Unerträglichkeit z. B. darin liegt, daß in den sogenannten Sperrbezirk Besucher von uns nicht einreisen dürfen, obwohl es dorthin sehr viele verwandtschaftliche und freundschaftliche Beziehungen gibt und die Menschen unter den geltenden Einschränkungen sehr leiden.
    Insgesamt kann man, glaube ich, feststellen, daß durch die Politik der Bundesregierung, durch unsere Bemühungen die Verhältnisse auch in der DDR in mancherlei Hinsicht anders, besser, geworden sind, als das früher der Fall war. Und die DDR — das ist das Entscheidende für mich — kann wohl auch nicht ohne größte Risiken wieder zum Nullpunkt zurückkehren. Gerade das muß ein Ziel unserer Deutschlandpolitik sein: nämlich Fortschritte so abzusichern, daß sie möglichst nicht mehr einseitig rückgängig gemacht werden können.
    Das alles, meine Damen und Herren, täuscht selbstverständlich nicht darüber hinweg, daß die DDR ein totalitärer Staat ist — mit allen Konsequenzen. Dementsprechend müssen die Deutschen drüben immer noch darüber klagen, daß es an jeglicher Rechtssicherheit fehlt. Bezeichnenderweise steht ihnen noch nicht einmal ein Anspruch darauf zu, einen bestimmten Antrag überhaupt stellen zu können, von einem Anrecht, bei Ablehnungen auch die Gründe zu erfahren, ganz zu schweigen. Die SED bleibt also aufgefordert, die vorhandenen Willkürlichkeiten zu beseitigen und den für einen KSZE-Vertragspartner verbindlichen Menschen- und Grundrechtsstandard herzustellen.
    Tief zufrieden bin ich damit, daß die Bundesregierung Fortschritte erzielt hat, ohne dabei von den Grundsätzen der Deutschlandpolitik Abstriche zu machen. Das gilt sowohl hinsichtlich der bekannten, vom Bundeskanzler ausdrücklich wieder genannten Rechtspositionen als auch für das große Ziel der Wiedervereinigung. Gerade dazu haben der Bundeskanzler und Ministerpräsident Strauß anläßlich des Besuchs von Erich Honecker klare, unmißverständliche Worte gebraucht.
    Meine Damen und Herren, dabei ist es der Bundesregierung von der Opposition, speziell von der SPD, nicht leichtgemacht worden, positive Ergebnisse zu erzielen. Herr Dr. Vogel hat heute wieder eine Kostprobe dieser Bemühungen gegeben. In einer Art von vorauseilendem Wohlverhalten hat die SPD immer wieder einseitige Vorleistungen von der Bundesregierung angemahnt. Beispiele dafür sind — sie sind ja heute wieder genannt worden — die Frage der Staatsangehörigkeit und die Elbe-Grenze, und sogar der Wiedervereinigungsanspruch des Grundgesetzes ist in Frage gestellt worden. Die SPD möchte auch die zentrale Erfassungsstelle in Salzgitter lieber heute als morgen abgeschafft wissen. Dabei müßten eigentlich auch Sie, Herr Dr. Vogel, wissen, daß es in menschenrechtlicher Hinsicht in der DDR nach wie vor nicht zum besten steht, daß aber manche Rechtsverletzung mit Rücksicht auf die Tätigkeit genau dieser Stelle, die Sie abschaffen wollen, unterblieben ist.
    Meine Damen und Herren, weitere Pluspunkte, die die Bundesregierung als Erfolge ihrer Deutschlandpolitik vorweisen kann, sind die zahlreichen neuen Verträge und Vereinbarungen, die auf wichtigen Gebieten zustande gekommen sind. Diese Verträge sind zusätzliche Berufungsgrundlagen, die den innerdeutschen Verhandlungen noch mehr Dynamik verleihen werden. So kann heute eigentlich schon festgestellt werden, daß das deutschlandpolitische Haus der Bundesregierung gut bestellt ist, und auch die Aussichten für die Zukunft stimmen zuversichtlich, zumal der oberste Repräsentant der SED, Generalsekretär Honecker, selbst ausdrücklich weitere Fortschritte in Aussicht gestellt hat.
    Herr Dr. Vogel, Sie haben dann nach der Konzeption der Bundesregierung gefragt, und ich will Ihnen diese Konzeption gern darlegen. Maßstab für eine solche Konzeption muß der Auftrag des Grundgesetzes sein, den wir von der Union ohne Wenn und Aber auch aus eigener innerer Überzeugung bejahen und mittragen. Dabei kann es sich eigentlich nur darum handeln, deutschlandpolitische Positionen nicht nur statisch zu bewahren; vielmehr beinhaltet das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes einen offensiven Gestaltungsauftrag für unsere Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Zentrales Anliegen dabei ist es, nicht nur den Anspruch auf Wiedervereinigung nicht aufzugeben, sondern den Willen zur Einheit bei den Deutschen auch lebendig zu halten und nach Kräften zu stärken. Dazu ist es unbedingt erforderlich, die Bindungen und Verbindungen zwischen den Deutschen hüben und drüben, aber auch zu den Deutschen in den Ostgebieten und im übrigen Ostblock möglichst zahlreich und eng zu knüpfen. Die Mittel dazu sind Vereinbarungen und Verträge, praktische Schritte, im Grunde genommen eben alles, was dazu geeignet ist, Kontakte und dauerhafte Bindungen zu schaffen. Ein solches Verbindungsgeflecht wird von Jahr zu Jahr wichtiger, weil die Verwandtschaften und Freundschaften aus der Zeit vor der totalen Abschirmung mit jedem Generationswechsel schwinden. An ihre Stelle müssen neue intensive Beziehungen treten.
    Um ein solch enges Geflecht zu erreichen, ist es zwingend erforderlich, Vereinbarungen und Abmachungen mit den Mächtigen in der DDR zu treffen. Besuche — wie z. B. der Erich Honeckers hier in der Bundesrepublik Deutschland — liegen deshalb sowohl im Interesse der Deutschen in der DDR als auch in unserem eigenen. Die Alternative dazu, meine Damen und Herren, wäre eine mehr oder weniger strikte Abgrenzung. Sie würde zwar die Rechtspositionen schärfer deutlich machen, aber der Preis wäre ein ständiger Aderlaß an Gemeinsamkeiten. Im Ergebnis würde sich das Trennende vermehren. Eine solche Politik würde deshalb die Teilung vertiefen und damit auch dem Auftrag des Grundgesetzes nicht gerecht werden. Es gibt daher zu einer Politik der Verhandlungen und Vereinbarungen keine verantwortbare Alternative.
    Meine Damen und Herren, der Wille zur Wiedervereinigung ist im übrigen auch die logische Voraussetzung für das Wahren von Rechtspositionen. Sie würden sonst blutleere Hülsen, wenn der Wille des deutschen Volkes nicht mehr dahinterstünde. Zu einer vernünftigen deutschlandpolitischen Position gehört



    Lintner
    also beides: Kontakte schaffen und die vorhandenen, den Wiedervereinigungsanspruch stützenden Rechtspositionen ohne Einschränkungen wahren.
    Veränderungen, wie sie sich durch die Anerkennung der Staatlichkeit der DDR durch den Grundlagenvertrag ergeben haben, kann die jetzige Bundesregierung nicht rückgängig machen, denn pacta sunt servanda; diesen Grundsatz bejahen wir uneingeschränkt.
    Meine Damen und Herren, für uns sind die teilweise vorgefundenen, teils neu ausgehandelten Verträge und Abmachungen in der Deutschlandpolitik Instrumente zur Wahrung von Gemeinsamkeiten, zur Schaffung neuer Beziehungen und damit Instrumente zur Aufrechterhaltung des Wiedervereinigungsanspruchs. Darin liegt eben ein fundamentaler Unterschied zu den Auffassungen führender Politiker in der SPD. Wichtige Personen bei Ihnen begründen nämlich gerade die Absicht, die Wiedervereinigung als verbindliches politisches Ziel fallenzulassen, mit der in solchen Verträgen natürlich auch zum Ausdruck kommenden Eigenstaatlichkeit der DDR. Für diese SPD-Politiker sind die Vereinbarungen also letztlich nicht Instrumente der Einheit, sondern Elemente der Trennung.
    Meine Damen und Herren, das kommt in vielen Äußerungen und Forderungen auch konkret zum Ausdruck. Sie haben selber von dem Grundsatzpapier zwischen der SPD und der SED gesprochen. Die Frage, wie die SPD eine solche gemeinsame Aktion im Lichte ihrer eigenen Geschichte nach dem Krieg verantworten will, müssen Sie selbst beantworten. Aber wir können den darin zum Ausdruck kommenden Wertrelativismus, Herr Dr. Vogel, nur als einen Verlust an demokratischer Substanz in Ihrer Partei bezeichnen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Kümmert euch um euch selber!)

    Selbst unserem Ideengut nicht nahestehende Gesprächspartner in der DDR haben mir gegenüber vor kurzem die Sorge geäußert, daß die SPD vor lauter Gemeinsamkeit mit der SED vergessen könnte, daß es bei der Forderung nach Menschenrechten das Prinzip der Nichteinmischung nicht gibt; es existiert nicht! Es muß vielmehr selbstverständlich sein, sich in die von der SED als eigene Angelegenheiten reklamierten Fragen einzumischen, z. B. wenn es um die Forderung nach Freizügigkeit, nach dem Selbstbestimmungsrecht, nach dem Informationsrecht und ähnlich elementaren Rechten geht.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, das ist keine Abkehr vom Prinzip der Gewaltlosigkeit, wie mir bei diesem Gespräch unterstellt worden ist, sondern lediglich Ausdruck der Tatsache, daß diese Rechte der menschlichen Würde entspringen. Niemand — auch die verantwortlichen Kommunisten in der SED dürfen das nicht — darf sich hinter der Forderung nach Nichteinmischung verschanzen, wenn solche Rechte von ihm eingefordert werden.
    Meine Damen und Herren, mit Sorge muß uns alle auch erfüllen, daß in der SPD die Freiheit als verteidigungswürdiger Wert offensichtlich in Vergessenheit zu geraten droht. Bezeichnend dafür ist z. B., daß gerade in dem von Ihnen ja hier eingeführten gemeinsamen Papier von SPD und SED zwar 30 mal vom Frieden, aber nur an einer einzigen Stelle überhaupt noch von der Freiheit die Rede ist. Meine Damen und Herren, dabei ist der Friede nur menschenwürdig, wenn die Freiheit dazukommt. Freiheit ermöglicht überhaupt erst echten Frieden. Das Millionenheer von DDR-Flüchtlingen zeugt davon. Mauer, Stacheldraht, Schießbefehl, politische Verfolgung sind Ausdruck solcher Unfreiheit, und sie dürfen auch nicht mittelbar gerechtfertigt werden.

    (Büchler [Hof] [SPDJ: Was hat denn das mit uns zu tun?)

    Wir können auch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, Herr Kollege Büchler, wenn innerhalb der SPD die Forderung nach Wiedervereinigung als „Imperialismus" und „Chimäre" bezeichnet wird; so vor kurzem der SPD-Oberbürgermeister von Saarlouis, ein, wie es heißt, enger Vertrauter Ihres Ministerpräsidenten Lafontaine.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ein sehr enger Vertrauter!)

    Ganz zu schweigen von dem umfangreichen Papier etwa des Kollegen Heimann vom Juni dieses Jahres, der ernsthaft empfohlen hat, das Wiedervereinigungsverlangen doch endlich aufzugeben, weil das deutsche Volk, so Heimann, diese allen anderen europäischen Völkern selbstverständlich zustehende Normalität für sich selbst nicht in Anspruch nehmen dürfe.

    (Zuruf von der SPD: Kennen Sie die deutsche Geschichte, Herr Lintner?)

    Heimann hat das nach seinen eigenen Worten im Namen der ganzen Bundestagsfraktion der SPD erklärt, und Herr Vogel als deren Vorsitzender hat unsere Aufforderung, das richtigzustellen, bis heute einfach ignoriert.
    Dabei, meine Damen und Herren, wäre es in der Tat nach wie vor wünschenswert, wenn sich in grundlegenden Fragen der Deutschlandpolitik eine breite Übereinstimmung mit der Opposition in diesem Hause herstellen ließe. Das ist übrigens eine Forderung, die mir vor kurzem auch bei Gesprächen mit Bürgern in Ost-Berlin mit großem Nachdruck mitgegeben worden ist. Wer aber mit Gemeinsamkeiten solche mit Gegnern der Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit meint, wer diese Gemeinsamkeit der Gemeinsamkeit hier im Hause offenbar vorzieht, der wird seiner nationalen, seiner deutschlandpolitischen Verantwortung nicht gerecht.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Hier wäre es in der Tat wünschenswert, daß sich die SPD in der Deutschlandpolitik zu einer Verantwortungsgemeinschaft mit uns bereit finden würde. Das wäre konstruktiver als irritierende Gemeinsamkeit mit der kommunistischen SED.
    Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist bereits abgelaufen. Deshalb kann ich eigentlich nur abschließend feststellen, daß die deutschlandpolitischen Anliegen bei dieser Bundesregierung in guten Händen sind. Wir verstehen uns dabei zugleich als



    Lintner
    Anwälte, wenn wir etwa das Selbstbestimmungsrecht fordern, für die anderen Völker; denn dem Wesen nach können solche Rechte nicht nur für uns, sondern sie müssen auch immer gleichzeitig für andere eingefordert werden. Wir sind deshalb nicht etwa Gegner der Polen oder der übrigen Völker in dieser Sache, sondern wir sind ihre Mitstreiter, wenn es um die Gewährung dieser Rechte und um die Einführung von Freiheit und Demokratie geht.
    Das nationale Anliegen der Deutschen ist bei der Bundesregierung in guten Händen. Das könnte eine zutreffende Überschrift über dem heute gegebenen Bericht sein. Daran wird sich — davon sind wir überzeugt — auch in Zukunft nichts ändern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)