Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ehe wir uns weiter in vielen Einzelbeiträgen mit unseren Unlustgefühlen befassen und auf Abhilfe sinnen, sollten wir uns ein paar Minuten Zeit nehmen, um einmal über die Unlustgefühle derer nachzudenken, die uns hier bei unserer Arbeit beobachten.
Man braucht nicht erst Frau Noelle-Neumann zu bemühen, die erfragt hat, daß nur 18 % der Bürger der Meinung sind, daß die Bundestagsabgeordneten in Bonn ihre Arbeit richtig und vernünftig machen. Man kann einfach den nächstbesten Bürger fragen, was er von unserer Arbeit hält. Die Antwort wird mit hoher Wahrscheinlichkeit wenig schmeichelhaft ausfallen.
Wenn wir uns in der Schule so benehmen würden wie die Abgeordneten im Bundestag, würden wir rausgeschmissen. Die passen überhaupt nicht auf, lesen Zeitungen, unterhalten sich, lachen, laufen herum oder schwänzen einfach.
Zitat aus einer Schülerzeitung, die mir zugeschickt wurde.
Wenn man bedenkt, wieviel Geld der Steuerzahler ausgibt, damit die Abgeordneten ab und zu nach Bonn reisen, aber dann an den Sitzungen des Bundestages gar nicht teilnehmen, möchte man am liebsten dreinschlagen.
Zitat aus einem Brief. Ich nehme an, jeder von Ihnen könnte ähnliche Zitate aus Briefen, die ihm zugeschickt werden, anfügen.
Wie sollten nicht so arrogant sein, um nicht allen Ernstes darüber nachzudenken, ob die Gespräche der Abgeordneten, die natürlich nötig sind, immer hier im Plenum stattfinden müssen und ob es wirklich unvermeidlich ist, daß sich jemand seinem Gesprächspartner quer über die Vorderbank entgegenwirft, der dann seinerseits mit einer Art mißglückten Rolle rückwärts sein Interesse an diesem Gespräch bekundet. Wir sollten uns wirklich öfter bewußt machen, wie schlecht wir draußen ankommen, wenn verbale Attacken unter die Gürtellinie gehen.
Wir sollten vor allem darüber nachdenken, wie wir den Bürgern ein realistischeres Bild von unserer Arbeit vermitteln können. Weil sie uns selbst gewählt haben, weil sie uns abgeordnet haben und weil sie uns sozusagen unseren Job verschafft haben, wollen sie wissen, ob wir unserer Arbeit mit dem erforderlichen Eifer nachgehen oder nicht.
Das Bild, das die Besuchergruppen an Plenartagen oder am Fernsehen zu Hause gewinnen, muß Aggressionen wecken: Das Studium von Akten oder das Zeitunglesen während der Debatte kann doch nur mißverstanden werden als Desinteresse an der Sache selbst. Abwesenheit im Plenum muß doch gedeutet werden als Faulheit.
— Darauf komme ich jetzt: Wer sagt denn den Bürgern, daß wir beispielsweise in dieser jetzt zu Ende gehenden Woche außer diesen drei Plenarsitzungen nicht weniger als 40 Sitzungen von Arbeitsgruppen, Arbeitskreisen und Fraktionen hatten, daß 34 Ausschüsse und Unterausschüsse getagt haben, daß 18 Sitzungen von Enquete-Kommissionen, Untersuchungsausschüssen und sonstigen Gruppen gelaufen sind und 7 Vorstandssitzungen stattgefunden haben? Wer vermittelt denn den Bürgern draußen, daß zu diesen Sitzungen noch mindestens 30 bis 40 Anhörungen, Gesprächsgruppen, Parlamentarische Abende und anderes hinzukommt, die bewirken, daß jeder Abgeordnete hier in der Regel in den Räumen des Bundeshauses von morgens 9 Uhr bis abends 22 Uhr in Trab gehalten wird? Davon erfährt der Bürger draußen nichts.
Wäre es nicht Aufgabe der Präsidenten, mit den Medien darüber zu verhandeln, ob sie nicht mehr vom Alltag der Abgeordneten über das Fernsehen vermitteln könnten? Das ist natürlich schwieriger, denn man braucht Phantasie, um daraus eine interessante Unterhaltung zu machen.
Warum wird denn den Besuchern nicht wenigstens ein Film gezeigt, in dem auf unterhaltsame Weise — das ist notwendig — darüber informiert wird, was Abgeordnete wirklich tun und welche untergeordnete Rolle Plenarsitzungen spielen.
Es gibt zwar einen Film, der Besuchergruppen gezeigt wird, mit dem Titel „Demokratischer Neubeginn". Der ist aber technisch so miserabel, daß man über weite Strecken überhaupt nichts erkennen kann und ich deshalb auch nicht mit Sicherheit meinen Verdacht belegen kann, daß in diesem Film die Sozialdemokraten fast gar nicht vorkommmen.
Gerade in dieser Woche genehmigen wir der Regierung wieder große Summen für ihre Öffentlichkeitsarbeit. Es wäre höchste Zeit, auch die Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Bundestages zu verbessern und auch dafür Mittel bereitzustellen.
Ich danke Ihnen.