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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/22 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 22. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 2. September 1987 Inhalt: Nachruf auf die Abg. Frau Zutt 1423 A Glückwünsche zu den Geburtstagen des Abg. Bernrath, des Parlamentarischen Staatssekretärs Gallus, des Abg. Wischnewski, des Vizepräsidenten Stücklen, der Abg. Dr. Pohlmeier, Hinrichs und Ruf 1423 C Eintritt der Abg. Frau Dr. Dobberthien in den Deutschen Bundestag 1423 D Verzicht des Abg. Dr. Rumpf auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag . . . 1423 D Eintritt des Abg. Dr. Hitschler in den Deutschen Bundestag 1423 D Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Abschaffung der nuklearen Mittelstreckenraketen (Drucksache 11/732 [neu]) in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Sofortiger Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf die 72 Pershing-I a- Raketen der Bundesluftwaffe (Drucksache 11/699 [neu]) in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz (Drucksache 11/757) Dr. Vogel SPD 1424 A Dr. Kohl, Bundeskanzler 1427 B Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 1431D Dr. Dregger CDU/CSU 1434 A Dr. Scheer SPD 1437 C Mischnick FDP 1440 C Frau Beer GRÜNE 1443 B Biehle CDU/CSU 1445 A Genscher, Bundesminister AA 1447 D Bahr SPD 1450B Zur Geschäftsordnung Kleinert (Marburg) GRÜNE 1453 C Gansel SPD 1454 B Seiters CDU/CSU 1455 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 1456 D Nächste Sitzung 1457 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 1458* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1987 1423 22. Sitzung Bonn, den 2. September 1987 Beginn: 10.01 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Prof. Dr. Abelein 2. 9. Dr. Ahrens * 2. 9. Bamberg 2. 9. Frau Beck-Oberdorf 2. 9. Bernhard 2. 9. Catenhusen 2. 9. Dr. Daniels 2. 9. Eimer 2. 9. Frau Fischer 2. 9. Funke 2. 9. Frau Geiger 2. 9. Grünbeck 2. 9. Haack (Extertal) 2. 9. Dr. Holtz * 2. 9. BM Klein 2. 9. Dr. Klejdzinski * 2. 9. Klose 2. 9. Dr. Knabe 2. 9. Frau Krieger 2. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lenzer * 2. 9. Menzel 2. 9. Dr. Meyer zu Bentrup 2. 9. Neumann (Bremen) 2. 9. Niegel 2. 9. Oostergetelo 2. 9. Frau Pack * 2. 9. Pfuhl 2. 9. Reschke 2. 9. Reuschenbach 2. 9. Prof. Dr. Rumpf * 2. 9. Schulhoff 2. 9. Dr. Sperling 2. 9. Spilker 2. 9. Spranger 2. 9. Dr. Stercken 2. 9. Stratmann 2. 9. Tietjen 2. 9. Dr. Unland * 2. 9. Frau Dr. Vollmer 2. 9. Volmer 2. 9. Dr. Warrikoff 2. 9. Dr. Wieczorek 2. 9. Wieczorek (Duisburg) 2. 9. Dr. de With 2. 9.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Prof. Egon Bahr


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Zustand dieser Regierung und dieser Koalition ist durch die heutige Debatte wirklich sehr offensichtlich geworden.

    (Biehle [CDU/CSU]: Er ist hervorragend!)

    Was der Bundeskanzler zum Thema des Abzugs der Sprengköpfe und zum Besuch des Staatsratsvorsitzenden hätte sagen sollen, hat der Außenminister gesagt. Was der Kanzler gesagt hat, fand keinen Beifall der CSU. Was der Außenminister gesagt hat, fand keinen Beifall der CDU/CSU-Fraktion.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch von der CDU/CSU)

    — Sie haben doch stillgehalten.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Wenn Sie immer so wahrheitsliebend sind wie heute! — Sie brauchen eine neue Brille! — Lesen Sie doch einmal das Protokoll!)

    — Sie waren so still und haben die Hände gar nicht gerührt. Schade!

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die Sache mit der Wahrheit!)

    — Meine Damen und Herren, ich stelle fest: Sie können das alles korrigieren, wenn Sie am Ende dieser Debatte dem Wortlaut dessen zustimmen, was der Kanzler gesagt hat.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Der Bundeskanzler hat heute morgen begründet, warum es notwendig und richtig war, die bisherige Haltung der Bundesregierung zu ändern und die Pershing wegzubringen.

    (Ronneburger [FDP]: Das hat er nicht!)

    — Doch, das hat er.

    (Ronneburger [FDP]: Er hat von der Kontinuität gesprochen!)

    — Herr Dregger hat kaum anderes begründet, als daß die doppelte Null-Lösung eigentlich falsch ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie waren auf der falschen Veranstaltung!)

    Jedenfalls ist völlig klar: Die Änderung in der Haltung der Bundesregierung besteht darin, daß nun auch der Kanzler erkannt hat: Null plus Null ergibt nicht 72.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Das ist die Umkehr oder die Umkehrung, wie es der Kollege Strauß formuliert hat. Übrigens, zu dieser Umkehr oder Umkehrung gibt es noch keinen Kabinettsbeschluß und keine Regierungserklärung. Aber das, was insofern nicht beschlossen worden ist, hat der Kollege Genscher schnell hinter dem Rücken von Regierung und Parlament in Genf international notifiziert, und das ist in Ordnung.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Aber, meine Damen und Herren, ein normales Vorgehen ist das nicht. Es ist natürlich die Flucht aus der Geschäftsordnung, wenn der Kanzler seinem Kabinett verschweigt, was als neue Regierungslinie von ihm zwei Stunden später verkündet wird.

    (Jahn [Marburg] [SPD]: In der Zeitung!)

    Daß es diesmal in eine von uns gewünschte Richtung ging, ist eine Sache. Daß der Bundeskanzler das Kabinett und seinen Koalitionspartner brüskiert hat, ist eine Feststellung, mit der Franz Josef Strauß doch recht hat.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch von der CDU/CSU)

    — Aber Entschuldigung, mit solchen Methoden kann man doch der Berechenbarkeit der Bundesrepublik und der Durchsichtigkeit von Entscheidungsprozessen keinen Dienst erweisen!

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)




    Bahr
    Der Bundeskanzler hat diesmal das Richtige falsch gemacht.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Lachen bei der FDP)

    Die CSU sagt: Er hat das Falsche falsch gemacht. Daß er das Richtige richtig gemacht hat, glaubt wohl nur der Kanzler, aber er sagt es nicht.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Nur der Kollege Schäuble meint, der Kanzler habe gar nichts Neues gemacht, aber das sei eilig gewesen.

    (Erneute Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Daß hier durch die Erklärung des Kanzlers nichts Neues geschehen ist, kann man doch nur behaupten, wenn man Regenwetter als Sonnenschein bezeichnen will!
    Vor allem, meine Damen und Herren: Eine ordentliche Kabinettsentscheidung wird ja wohl noch nachgeliefert werden müssen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Na, wer weiß!)

    Daß der Kanzler heute keine Regierungserklärung abgeben kann, ist nach der Zehn-Punkte-Erklärung der CSU offensichtlich; daß er sie nachliefern muß, ist unausweichlich, denn die Presseerklärung des Kanzlers läßt z. B. offen, ob er denn die Pershing I noch hierlassen will, wenn alle amerikanischen und sowjetischen Raketen vor 1991 verschwinden — was wir doch hoffen, nicht wahr? Das wäre doch zu wünschen! Der Kanzler wird dann nicht wie ein Fußkranker der Völkerwanderung hinterherhinken können, sondern wird nachbessern müssen.

    (Beifall bei der SPD)

    Nun haben wir heute von allen Rednern der Regierungskoalition — denn das ist ja das Minimum, worin sie sich einig sind — wieder gehört, das alles sei der Erfolg ihrer konsequenten und geradlinigen Politik.

    (Zuruf von der FDP: So ist es! — Zurufe von der CDU/CSU: Ja!)

    Wenn diese Koalition zur ersten Null-Lösung eingeschwenkt ist, zur doppelten Null-Lösung umgefallen ist, sich zur Einbeziehung der Pershing la korrigiert hat und dann noch von Erfolg ihrer Politik spricht, wünschen wir Ihnen noch viele solcher Erfolge!

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    — Bitte nicht so lange klatschen, es geht von der Zeit weg!
    Aber in einem Punkte müssen wir sehr klar werden, und vor allen Dingen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, müssen sich sehr klar werden: Sie haben heute wieder argumentiert, die Möglichkeit eines ersten historischen Abkommens sei das Ergebnis des NATO-Doppelbeschlusses

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    und der dabei gezeigten Stärke dieser Regierung.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Wenn das stimmt,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt!)

    stehen uns schlechte Zeiten bevor, nicht nur weil diese Regierung nicht stark, sondern schwach ist, sondern weil der NATO-Doppelbeschluß und die Nachrüstung gegenstandslos werden, wenn das historische Abkommen Null auf allen Seiten bringt.

    (Zuruf von der FDP: Das war doch der Sinn!)

    Wie sollen wir denn nun in einem so schwachen Zustand, in den uns die Bundesregierung so erfolgreich gebracht hat, noch auf Sicherheit und Abrüstung hoffen? Die doppelte Null-Lösung führt — ich zitiere Punkt 6 der CSU-Erklärung — dazu, daß „im Bereich von 0 bis 500 km der Westen nur 88 Lance mit 120 km Reichweite, im Bereich von 120 bis 500 km nichts hat, während die Sowjetunion in diesen beiden Bereichen zusammen 1 300 Atomraketensysteme in der DDR und in der CSSR hat".
    Die Koalitionslogik müßte in dieser Lage dazu führen, eine Nachrüstung zu verlangen, damit wir mit Aussicht auf Erfolg die sowjetische Überlegenheit beseitigen können.

    (Zustimmung bei der SPD — Ronneburger [FDP]: Unter Ihrem Niveau!)

    Die politische Wirklichkeit ist ganz anders. In der politischen Wirklichkeit zittert diese Koalition davor, daß die Sowjetunion eine dritte Null-Lösung vorschlägt.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Schon bei der zweiten Null-Lösung mußten wir doch nicht nachrüsten, um auf Null zu kommen. Die veränderte sowjetische Haltung war der entscheidende Faktor.

    (Zuruf von der FDP: Warum ist die denn gekommen?)

    Breschnew war gefährlich, weil er Raketen aufstellte; so haben wir es gehört. Gorbatschow ist offenbar noch gefährlicher, weil er sie wieder wegnehmen will.

    (Zustimmung bei der SPD — Zuruf von der FDP: Unsinn!)

    Meine Damen und Herren, nicht die Stärke zahlt sich aus, sondern die Idee der gemeinsamen Sicherheit!

    (Beifall bei der SPD)

    Nach der doppelten Null-Lösung unter Einschluß der Pershing I a bleibt der Koalition, wenn sie nicht auf Nachrüstung setzen will, gar nichts anderes, als auf gemeinsame Sicherheit zu setzen, und zwar auf möglichst niedrigem Niveau, auf die Beseitigung von Überlegenheiten — taktisch-nuklear wie konventionell — , auf gesicherte Verteidigung, bei der der Verteidiger sogar einen Vorteil hat, also auf das Konzept der SPD.

    (Beifall bei der SPD)

    Nach der doppelten Null-Lösung unter Einschluß der Pershing I a ist die Illusion tot, Sicherheit durch Demonstration der Stärke zu erzielen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Dr. Waigel [CDU/CSU]: Sind Sie für Demonstration der Schwäche?)




    Bahr
    Das System der gemeinsamen Sicherheit wird künftig getestet. Diesem Test müssen sich die Sowjetunion und die DDR ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland unterziehen. Das ist die Fortsetzung der Entspannungspolitik. Das führt zu Sicherheit mit immer weniger Waffen. Das bringt uns in der Bundesrepublik wie in der DDR aus der Unerträglichkeit unterschiedlicher Sicherheit in den Bündnisgebieten, in der wir doch schon sind und in die wir nicht erst hineinkommen, wie Herr Strauß fürchtet. Das eröffnet für Europa die Chance eines neuen Abschnitts seiner Geschichte, die militärische Konfrontation dann durch den friedlichen Wettstreit der Systeme und Ideologien und wirtschaftliche Zusammenarbeit ersetzt.
    Die SPD ist auf diesem Gebiet Vorreiter. Wir haben versucht, den schwersten Teil der Arbeit zu leisten; denn der Kampf und die Auseinandersetzungen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten waren in den zurückliegenden 70 Jahren tiefer und grundsätzlicher, als sie zwischen den Parteien der Koalition und den Kommunisten sein konnten. Auch in diesem Falle gilt, daß man weder vergessen noch verdrängen darf. Das ist meine Formulierung des richtigen Satzes, den das „Neue Deutschland" zu dem Papier über den „Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit" geschrieben hat:
    Es gibt keine ideologische Koexistenz, und es wird auch keine geben.

    (Beifall bei der SPD)

    Diese unausweichlichen Auseinandersetzungen müssen aber dem gemeinsamen Interesse an der Erhaltung des Friedens untergeordnet bleiben. Die Kultur des Streits darf keine Gegensätze verwischen, darf aber auf die Beziehungen zwischen Staaten eben nicht durchschlagen. Das entspricht dem Geist von Helsinki. Das ist die konsequente Fortentwicklung des Gewaltverzichts, zu dem sich nicht nur alle Parteien in diesem Hause bekannt haben, sondern der für unsere Bundesrepublik Deutschland die übergeordnete verbindliche Maxime der Außen- und Sicherheitspolitik geworden ist.
    Ziel eines solchen politischen Denkens und Handelns ist eine stabile und dauerhafte Friedensordnung in Europa . . ., die den Krieg als Mittel der Politik ausschließt, den Einsatz militärischer Gewaltmittel ... verhindert, Konflikte zwischen den Staaten auf der Grundlage vereinbarter Verfahren friedlich regelt ... und das Selbstbestimmungsrecht eines jeden Volkes anerkennt und respektiert.
    So heißt es in unserem Papier. Was kann eigentlich irgend jemand dagegen haben?

    (Beifall bei der SPD)

    Es wäre zu begrüßen, wenn von den Parteien der Regierungskoalition nach sorgfältiger Prüfung formuliert würde, was sie anderes und Besseres wünschen und mit regierenden Kommunisten durchsetzen wollen. Einseitige Kapitulationswünsche sind natürlich leichter zu formulieren, aber sinnlos. Es werden doch keine grundsätzlich anderen Grundsätze sein, die der Geist des Kommuniqués nach dem Honecker-Besuch enthalten kann, falls es ein solches Kommuniqué gibt. Es können doch keine wesentlich anderen Grundsätze sein, die das Verhältnis der Völker, Parteien, Kirchen, gesellschaftlichen Organisationen zwischen Ost und West bestimmen, damit wir Frieden sichern und wenn wir den Frieden in Europa unzerbrechbar machen wollen. Es handelt sich um ein Ost-WestPapier in deutscher Sprache. Es könnte genausogut in englisch und russisch, in französisch und polnisch, in italienisch und ungarisch geschrieben sein.
    Jetzt, meine Damen und Herren, nach dem Regierungsschwenk zur Pershing I a, ist es an der Zeit, nach vorn zu blicken. Hier zeigt sich eine Reihe von gemeinsamen Auffassungen, wie sie in dieser Tragweite nicht oft in diesem Haus formuliert werden konnten. Wir sind uns einig:
    1. An der Pershing I a wird das erste weltweite Abrüstungsabkommen nicht scheitern. Die Bedingungen des Kanzlers sind nur eine gefällige Auflistung der einzigen Selbstverständlichkeit, nämlich daß das Abkommen erreicht wird.
    2. Die Chancen für einen Gipfel sind dank dieser gemeinsamen deutschen Haltung bedeutend gestiegen.
    3. Wir wünschen weitere Verhandlungen über die Atomwaffen der Reichweiten von unter 500 km und auf konventionellem Gebiet. Je kürzer die Reichweite, desto deutscher die Wirkung; das ist eine richtige Erkenntnis, die Konsequenzen haben muß.

    (Beifall bei der SPD)

    4. Die Verhandlungen über konventionelle Stabilität in Europa vom Atlantik bis zum Ural müssen Zentraleuropa besonders berücksichtigen und das Ziel haben, Überlegenheiten zu beseitigen und eine Situation zu schaffen, in der auch ein bloß konventioneller Angriff unmöglich wird, weil ein Angreifer keine Chance und der Verteidiger einen Vorteil hat.
    5. Für dieses Ziel darf es keine Nachrüstungen geben, sondern es muß durch Abrüstung auf ein möglichst niedriges Niveau erreicht werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir uns über diese fünf Punkte nach den Erklärungen einig sind, die teils von der Bundesregierung, teils von Herrn Dregger, teils von Herrn Geißler, teils von Herrn Mischnick und sicher von Herrn Genscher abgegeben worden sind.
    Über Einzelheiten und Methodik wird es noch genug Meinungsverschiedenheiten geben. Wir sind z. B. als Sozialdemokraten dafür, daß unter dem Gesichtspunkt der Verantwortungsgemeinschaft die beiden deutschen Staaten überlegen, konsultieren, zusammenwirken, wie in dieser zentralen Frage der europäischen Sicherheit gemeinsame Interessen formuliert und zu Initiativen verdichtet werden können. Nichts können hier die beiden Staaten allein erreichen. Aber gerade weil beide unbezweifelbar loyale Mitglieder ihres jeweiligen Bündnisses sind, haben Initiativen, denen sie zustimmen, um so mehr Aussicht auf Erfolg, je mehr sie den Interessen ihrer — unserer - europäischen Nachbarn dienen.

    (Beifall bei der SPD)




    Bahr
    Der Besuch des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker bietet dafür eine außergewöhnlich gute Gelegenheit. Man kann dafür ebenso an den Grundlagenvertrag anknüpfen wie an die Formulierung, die die Herren Kohl und Honecker in Moskau gefunden haben. Es ist auch eine Gelegenheit, zu zeigen, daß die Bundesregierung, wenn es um die Chance für stabile Sicherheit geht, nicht zögert, sondern drängt, weniger Bedingungen formuliert als eigene Vorschläge macht.
    Die Grundsätze für einen atomwaffenfreien Korridor, die wir nach dem Vorschlag der Palme-Kommission mit den Kollegen der SED ausgearbeitet haben, werden zunehmend Bedeutung bekommen. Sie würden nicht nur die gegenseitige Bedrohung durch Kurzstreckenraketen beseitigen, sondern könnten eine neue Qualität bekommen, wenn aus diesem Korridor alles besonders angriffsfähige schwere Gerät beseitigt würde. Dazu gehört natürlich bei entsprechender internationaler Kontrolle auch, daß die Vorwarnzeit von 48 Stunden beseitigt wird, die heute die NATO so belastet.
    Das alles würde sich auch gut in die Vorschläge Jaruzelskis einpassen, die erweitert und konkretisiert wurden und in die zahlreiche westliche Argumente und Vorstellungen Aufnahme gefunden haben. Die polnische Regierung hat dazu ein neues Memorandum übergeben. Es ist außergewöhnlich konstruktiv. Es würde eine ebenso konstruktive Prüfung verdienen. Das alles gehört sicher in den Kreis der Fragen, die mit dem Staatsratsvorsitzenden Honecker zu erörtern sind, und sicher auch zu der Beschreibung des Zieles für eine Verbesserung der Lage in Mitteleuropa und unserer Verantwortung dazu, die der Außenminister hier eben formuliert hat.
    Meine Damen und Herren, ich habe am Schluß meiner Rede am 4. Juni darauf hingewiesen, daß auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle und Abrüstung die Fortsetzung des Werkes erforderlich ist, das wir in den 70er Jahren begonnen haben. Sogar innenpolitisch könnten wir auf diesem europäischen Weg eine weite Strecke zusammen gehen. Ich habe dafür heute fünf Punkte formuliert, über die wir nicht streiten müssen.
    Einige Kollegen aus der Koalition müssen sich mit dem Gedanken vertraut machen, daß mit der doppelten Null-Lösung die Stärke unserer Position nicht mehr durch Aufrüstung und Nachrüstung gefunden werden kann, sondern nur noch durch die klaren und konsequenten Grundsätze der gemeinsamen Sicherheit. Das Mittel der militärischen Stärke, schon bisher eine Illusion, steht dann nicht einmal mehr als Propaganda zur Verfügung.
    Wenn diese Kollegen in der Koalition daraus die Konsequenzen ziehen, dann werden sie auch nicht mehr so ins Stolpern geraten wie im letzten halben Jahr, dann können wir darüber wetteifern, wer die besseren Vorschläge zur Abrüstung macht, und drängen, damit von der Mitte Europas Frieden ausgeht.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD sowie Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zu den Abstimmungen über die Anträge kommen, erteile ich dem Abgeordneten Kleinert zu einem Geschäftsordnungsantrag das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hubert Kleinert


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage, daß der Deutsche Bundestag jetzt eine Abstimmung über die Anträge, die in den Drucksachen 11/699 — das ist der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN — und 11/732 — das ist der Antrag der Fraktion der SPD — vorliegen, durchführt.
    Eine solche Abstimmung ist möglich, und eine solche Abstimmung ist notwendig. Die Bundesregierung hat lange genug durch ihre Haltung die Möglichkeiten zu einer Vereinbarung in Genf erschwert.
    Der Bundestag hat heute nicht zum erstenmal über diese Fragen diskutiert. Die Fraktionen hatten lange genug Zeit, ihre Haltung zu diesen Fragen zu klären. Es ist doch eigentlich grotesk, daß wenn der Kanzler der Bundesrepublik und Vorsitzende der CDU eine politische Position formuliert, dann, wenn diese Position auf Grund eines Antrags der SPD im Bundestag zur Abstimmung steht, eine Abstimmung nicht stattfinden soll, nur weil ein Herr in München sitzt, dem diese Erklärungen nicht passen.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    Es ist grotesk, wenn auf diese Weise der Bundestag mit billigen Geschäftsordnungsstricks von einem Herren, der gar nicht Mitglied des Bundestages ist, und seinen Freunden daran gehindert werden soll, in einer solch existentiellen Frage hier eine Abstimmung herbeizuführen.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD — Dr. Waigel [CDU/CSU]: Kümmern Sie sich um Ihre Angelegenheiten!)

    Wir wissen, warum diese Abstimmungen hier partout verhindert werden sollen: Sie wollen sie nicht, weil Sie fürchten, daß die Koalitionsfraktionen in dieser Frage ein Bild der Zerrissenheit bieten. Es kann aber nicht sein, daß der Bundestag deshalb, weil in der Geschäftsordnung Lücken auftreten, in einer Frage von derartigem Gewicht zu einem Zeitpunkt, wo eine Entscheidung auf der Grundlage des Verhandlungsstandes in Genf bitter notwendig wäre, zu einer solchen Entscheidung gar nicht kommt. Das kann nicht sein, das darf nicht sein, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Dr. Waigel [CDU/CSU]: Doch, das kann sein!)

    Es kann nicht sein, daß der Bundestag bloß deshalb eine solche Entscheidung nicht treffen kann, weil die CDU/CSU ihre inneren Befindlichkeitsprobleme

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Was ist das denn für ein schönes Wort?)

    nicht auf die Reihe bekommt. Es darf nicht sein, daß der Bundestag eine solche Entscheidung deshalb nicht treffen kann, weil das Gepoltere von Herrn Strauß immer noch solche Furchtsamkeit bei Ihnen auslöst.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Waigel [CDU/CSU]: Sind Sie okay?)




    Kleinert (Marburg)

    Es ist oft genug gesagt worden: Die Bundesregierung hat lange genug die Rolle des Bremsers und die Rolle des Abrüstungsbehinderers gespielt. Sie haben im letzten halben Jahr oft genug demonstriert, wie sehr Sie Angst haben vor Abrüstung. Eben gerade ist noch einmal gesagt worden, Sie fürchteten nichts mehr, als daß Herr Gorbatschow erneut einen Vorschlag zu einer weiteren Null-Lösung mache. Das ist doch Ihre Befürchtung. Sie haben lange genug Zeit gehabt, das zu demonstrieren.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Reden Sie endlich zur Geschäftsordnung!)