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ID1102203200

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    Plenarprotokoll 11/22 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 22. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 2. September 1987 Inhalt: Nachruf auf die Abg. Frau Zutt 1423 A Glückwünsche zu den Geburtstagen des Abg. Bernrath, des Parlamentarischen Staatssekretärs Gallus, des Abg. Wischnewski, des Vizepräsidenten Stücklen, der Abg. Dr. Pohlmeier, Hinrichs und Ruf 1423 C Eintritt der Abg. Frau Dr. Dobberthien in den Deutschen Bundestag 1423 D Verzicht des Abg. Dr. Rumpf auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag . . . 1423 D Eintritt des Abg. Dr. Hitschler in den Deutschen Bundestag 1423 D Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Abschaffung der nuklearen Mittelstreckenraketen (Drucksache 11/732 [neu]) in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Sofortiger Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf die 72 Pershing-I a- Raketen der Bundesluftwaffe (Drucksache 11/699 [neu]) in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz (Drucksache 11/757) Dr. Vogel SPD 1424 A Dr. Kohl, Bundeskanzler 1427 B Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 1431D Dr. Dregger CDU/CSU 1434 A Dr. Scheer SPD 1437 C Mischnick FDP 1440 C Frau Beer GRÜNE 1443 B Biehle CDU/CSU 1445 A Genscher, Bundesminister AA 1447 D Bahr SPD 1450B Zur Geschäftsordnung Kleinert (Marburg) GRÜNE 1453 C Gansel SPD 1454 B Seiters CDU/CSU 1455 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 1456 D Nächste Sitzung 1457 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 1458* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. September 1987 1423 22. Sitzung Bonn, den 2. September 1987 Beginn: 10.01 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Prof. Dr. Abelein 2. 9. Dr. Ahrens * 2. 9. Bamberg 2. 9. Frau Beck-Oberdorf 2. 9. Bernhard 2. 9. Catenhusen 2. 9. Dr. Daniels 2. 9. Eimer 2. 9. Frau Fischer 2. 9. Funke 2. 9. Frau Geiger 2. 9. Grünbeck 2. 9. Haack (Extertal) 2. 9. Dr. Holtz * 2. 9. BM Klein 2. 9. Dr. Klejdzinski * 2. 9. Klose 2. 9. Dr. Knabe 2. 9. Frau Krieger 2. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lenzer * 2. 9. Menzel 2. 9. Dr. Meyer zu Bentrup 2. 9. Neumann (Bremen) 2. 9. Niegel 2. 9. Oostergetelo 2. 9. Frau Pack * 2. 9. Pfuhl 2. 9. Reschke 2. 9. Reuschenbach 2. 9. Prof. Dr. Rumpf * 2. 9. Schulhoff 2. 9. Dr. Sperling 2. 9. Spilker 2. 9. Spranger 2. 9. Dr. Stercken 2. 9. Stratmann 2. 9. Tietjen 2. 9. Dr. Unland * 2. 9. Frau Dr. Vollmer 2. 9. Volmer 2. 9. Dr. Warrikoff 2. 9. Dr. Wieczorek 2. 9. Wieczorek (Duisburg) 2. 9. Dr. de With 2. 9.
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    Rede von Wolfgang Mischnick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt die Erklärung des Bundeskanzlers

    (Lachen bei der SPD)

    zur doppelten Null-Lösung.

    (Zustimmung bei der FDP — Zuruf von der SPD: Er hat doch gar keine Erklärung abgegeben!)

    — Wenn Sie davon überrascht wären, würde mich das wundern,

    (Weitere Zurufe von der SPD)

    denn Sie haben sie, wenn ich das richtig sehe, auch begrüßt.

    (Zuruf von der SPD: Sie machen alles mit!)

    Wenn es hier eine gemeinsame Auffassung gäbe, wäre das gut. Es hat sich nur sehr schnell gezeigt, daß Sie nicht bereit sind, mit konsequentem Durchdenken allen Überlegungen zu folgen, die für die Bundesregierung und für die Koalition wichtig sind.
    Mit dieser Erklärung wird erneut bewiesen, daß die Bundesrepublik Deutschland Abrüstungsbemühungen nicht blockiert, sondern aktiv unterstützt, und dies festzustellen ist eine entscheidende Aufgabe dieser Sitzung, wenn sie überhaupt einen Sinn haben soll.

    (Zustimmung des Abg. Dr. Dregger [CDU/ CSU] — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Wo ist denn Waigel?)

    Sie sind der Meinung gewesen, Sie bräuchten die Sitzung.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Natürlich brauchen wir diese Sitzung!)

    Ich bin nach wie vor der Meinung, daß wir in der nächsten Woche während der Haushaltsdebatte genauso über diese Fragen hätten sprechen können wie heute.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wenn Sie sie trotzdem durchführen, sollten Sie wenigstens den Mut haben, anzuerkennen, daß die Bundes-



    Mischnick
    republik Deutschland Abrüstung aktiv unterstützt und nicht, wie es immer wieder behauptet worden ist, blockiert.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Diese Behauptung der Blockierung ist ja außerdem noch von der unverantwortlichen Behauptung begleitet worden, die Bundesrepublik Deutschland erstrebe selbst Verfügungsgewalt über atomare Sprengköpfe. Die Bemerkung „den Finger am Abzug halten" unterstützt dies.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Brunnenvergiftung!)

    Spüren Sie nicht, wie mit dieser Art der Diskussion und Polemik der bisherige klare Standpunkt der Bundesrepublik Deutschland, keine atomaren Waffen zu besitzen und besitzen zu wollen, von Ihnen in Frage gestellt wird und wie damit — statt daß unser Standpunkt vertreten wird — den Gegnern in die Hände gearbeitet wird?

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    Es ist bedauerlich, daß Vorwürfe von sowjetischer Seite durch deutsche Politiker unterstützt worden sind,

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Ihr Schlitzohren!)

    statt daß diese Vorwürfe ins Reich der Fabel verwiesen wurden. Wir waren, sind und bleiben für den Verzicht auf A-, B- und C-Waffen.

    (Zurufe von der SPD)

    — Was sagen Sie? Das stimme nicht?

    (Zuruf von der SPD: Nein, dann stimmen Sie doch zu!)

    — Ihr Antrag ist eine ganz andere Frage! Jetzt rede ich von A-, B- und C-Waffen. Wir haben die A-, B- und C-Waffen immer geächtet und sie abgelehnt. Wir wären froh, wenn andere Staaten dieser Welt diesem klaren Verzicht der Bundesrepublik Deutschland folgen würden. Deshalb ist es schlecht, wenn in Frage gestellt wird, daß wir diesen Willen nicht nur hatten, sondern auch in Zukunft haben werden.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wenn hier versucht wird, die Pershing I a als eine Art Einstieg in eigene atomare Bewaffnung zu behandeln, so scheinen die Betreffenden entweder das Gegenteil nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen oder der Öffentlichkeit weismachen zu wollen, es gebe hier bei uns Verfügungsgewalt über die Sprengköpfe, und sei es auch nur ein bißchen. Die gibt es nicht!

    (Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Wer hat denn von „Drittstaaten" gesprochen? Sagen Sie dazu einmal etwas! Wer redet denn davon?)

    Die Verfügungsgewalt liegt bei den Vereinigten Staaten.

    (Dr. Vogel [SPD]: Sind wir ein Drittstaat, oder wie?)

    — Bei den Drittstaaten geht es sowohl um Drittstaaten mit eigenen atomaren Waffen als auch um Drittstaaten, die Raketensysteme ohne eigene Verfügungsgewalt über die Sprengköpfe haben.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das ist ein Irrtum!)

    Diese beiden Dinge gibt es im Bündnis. Darüber ist gesprochen worden, über nichts anderes.

    (Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Das löst doch Verdächtigungen aus, wenn man den Begriff „Drittstaaten" so verwendet!)

    — Lieber Herr Kollege, das braucht gar keine Verdächtigungen auszulösen, wenn das, was hier in der Sitzung im Mai und im Juni gesagt worden ist, nicht verfälschend nach draußen wiedergegeben würde, sondern so wiedergegeben würde, wie es von der Regierung und von den Koalitionsfraktionen tatsächlich gebracht worden ist.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Unruh [GRÜNE]: Nur, das Volk glaubt das nicht!)

    Es hat sich ja auch gezeigt, daß die bevorstehenden abschließenden Gespräche zwischen den USA und der Sowjetunion durch die Erklärung des Kanzlers natürlich erleichtert werden. Von amerikanischer Seite ist heute noch einmal bestätigt worden, daß die Pershing I a weder Verhandlungsgegenstand waren noch es sind.

    (Zuruf des Abg. Bahr [SPD])

    Wenn man sich auf den Bündnispartner beruft, dann wäre ich dankbar, wenn man dann diesen Gesichtspunkt des Bündnispartners in der Debatte nicht wegwischt, sondern ihn einbezieht.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Daß hier eine Zeitlang falsch argumentiert wurde, hat die Situation natürlich nicht erleichtert. Es war nicht hilfreich, es war eher schädlich. Es ist hochinteressant, einmal nachzulesen, zu welchem Zeitpunkt die Debatte über die Pershing I a auch von sowjetischer Seite in den Vordergrund geschoben wurde: Das war, nachdem es hier begann. Das sollte man nicht vergessen. Vielleicht ist es doch des Nachdenkens wert, daß man, während Verhandlungen in Gang gesetzt werden, auch als Opposition in der öffentlichen Diskussion die gemeinsamen Interessen aller Deutschen mehr sieht als die parteipolitischen Interessen für den Augenblick. Das war ein Fehler, den Sie damals gemacht haben.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ich habe im Mai gesagt: Wir müssen auch sehen, daß ein Reifeprozeß im Gange ist. Im Mai haben wir noch davon gesprochen, daß wir auf der einen Seite eine teilweise und auf der anderen Seite eine vollständige Null-Lösung bekommen. Da waren noch die berühmten 100 Raketen auf beiden Seiten in der Diskussion. Wie richtig es damals war, Festlegungen nicht durch Abstimmungen zu treffen, sieht man heute; denn diese beiderseitigen 100 Raketen sind in die Verhandlungen mit einbezogen und werden verschwinden. Daß sich daraus für die Pershing I a auch insgesamt eine neue Situation



    Mischnick
    ergeben hat, ist unbestreitbar. Insofern hat sich bestätigt, was ich damals sagte: Hier ist ein Reifeprozeß im Gange, den man abwarten und in die eigene Entscheidung einbeziehen muß.
    Es kommt ein Weiteres hinzu: Der völlige Verzicht auf Mittelstreckenraketen der Reichweite von 500 bis 5 000 km erleichtert natürlich die Überprüfbarkeit. Das Beibehalten eines Restbestandes auf beiden Seiten hätte die Verifizierung, die Kontrolle, die Überprüfbarkeit der Abrüstung erschwert. Denn beim Beibehalten eines Teils muß man für Ersatz sorgen. Ersatz nachzuprüfen, wieweit dieser schon wieder ein Umgehen des Vertrages wäre, wäre schwieriger geworden. Wir begrüßen deshalb, daß es zur vollständigen doppelten Null-Lösung kommt und damit die Überprüfbarkeit der Einhaltung eines solchen Abkommens entsprechend größer geworden ist. Deshalb ist es absolut logisch, daß eine Nachrüstung der Pershing I a — wenn es zu dem Abkommen kommt — in Widerspruch zu einem solchen Abkommen stehen würde. Deshalb ist der Standpunkt der Freien Demokraten von Anfang an gewesen und unverändert geblieben, daß es kein Junktim mit einer Nachrüstung der Pershing I a geben kann, daß es aber dabei bleiben muß, daß sie in die Verhandlungen der Großmächte nicht einbezogen werden können. Daß Kritik am Bundeskanzler geübt wird, weil er bestimmte Bedingungen für den Verzicht auf die Pershing I a genannt hat, verstehe ich überhaupt nicht. Warum wird daran Kritik geübt? Voraussetzung dafür, daß man überhaupt die deutsche Erklärung umsetzt, ist doch, daß das Abkommen abgeschlossen wird, daß die Überprüfbarkeit möglich ist und daß es verwirklicht wird. Das sind die Voraussetzungen dafür, und deshalb ist eine Kritik an den Bedingungen, die der Bundeskanzler genannt hat, wirklich überflüssig.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Freien Demokraten sehen in dieser jüngsten Entwicklung eine erneute Bestätigung ihres konsequenten außenpolitischen Weges zur Sicherung des Friedens, zur Entspannung und zur schrittweisen Abrüstung. Die schweren Entscheidungen, die wir mit der Ankündigung und der Verwirklichung der Nachrüstung treffen mußten, haben sich als richtig erwiesen. Wir können heute feststellen: Wir haben in beiden Fällen, bei der Ankündigung und der Nachrüstung, viel auf uns nehmen müssen, aber das Durchhalten hat sich als richtig erwiesen. Ich bedaure sehr, daß die Kollegen in der SPD, die damals zwar der Ankündigung zustimmten, aber bei der Umsetzung dann plötzlich zurückschreckten, nicht wenigstens heute soweit sind oder den Mut haben zu sagen: Jawohl, ihr hattet recht mit dieser Entscheidung; wir werden in Zukunft sorgfältiger prüfen, bevor wir solche wichtigen Beschlüsse ablehnen und damit die Geschlossenheit des Deutschen Bundestages in Fragen der Abrüstung durch unsere eigene Position in Frage stellen. Das sollten Sie sich für die Zukunft überlegen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Und heute? — Zuruf von den GRÜNEN: Die Wähler zwingen euch! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    Diese schweren Entscheidungen waren im Interesse nicht nur unseres Volkes richtig und wichtig, sondern es zeigt sich, daß damit auch in Mitteleuropa insgesamt eine positive Entwicklung zur Abrüstung eingeleitet werden konnte. Mit diesem entscheidenden Schritt zur Abrüstung kann ein Weg der Umkehr, nämlich der Umkehr von der Aufrüstung zur Abrüstung, eingeleitet werden. Das ist für uns ein wichtiger Schritt, der nicht zu unterschätzen ist. Aber er ist für uns der erste Schritt einer wirklichen Abrüstungspolitik. Wir hoffen deshalb auf baldige weltweite Vereinbarungen über die Ächtung und Beseitigung aller chemischen Waffen. Dies müßte als nächster Schritt jetzt mit aller Energie angestrebt werden, um damit in einem weiteren Bereich den Beweis zu liefern, daß man es auf beiden Seiten ernst meint.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wir erwarten während der Verwirklichung des Mittelstrecken-Abkommens — und das geht über einige Jahre — intensive Verhandlungen zum Abbau der atomaren Kurzstreckenwaffen und Vereinbarungen über eine Begrenzung der konventionellen Waffen. Wir nehmen die Erklärung des Warschauer Paktes, Unsymmetrie im konventionellen Bereich abzubauen, sehr ernst; sie ist von großer Bedeutung.

    (Bahr [SPD]: Sehr gut!)

    Dies muß der nächste Schritt werden. Wir Freien Demokraten werden alle Bemühungen in dieser Richtung wie bisher unterstützen,

    (Bahr [SPD]: Sehr gut!)

    und wir können nur hoffen, daß entsprechende konkrete Vorschläge von beiden Seiten eingebracht werden. Unsere Unterstützung werden sie haben. Dabei muß aber gleichzeitig auch sichergestellt sein, daß die Sicherheitsinteressen beider Seiten damit gewahrt werden.
    Lassen Sie mich noch eine kurze Bemerkung zu der Freude über unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Koalition machen, die hier anklang. Nach dem Volksmund soll ja Schadenfreude die schönste Freude sein. Das mag im täglichen Leben noch hingehen. Ich gestehe offen, daß ich daran nie eine besondere Freude hatte. Wer aber Schadenfreude im politischen Leben zum Ratgeber macht, der schadet sich meistens selber. Davor möchte ich alle warnen, die glauben, bei einer solchen wichtigen Frage Schadenfreude über andere zur Grundlage ihrer Entscheidung machen zu müssen.
    Ich weiß, daß hier natürlich noch manche harte Diskussion vor uns steht. Wir werden die Anträge in die Ausschüsse überweisen.

    (Zurufe von der SPD: Nein!)

    Sie werden auch aus den Ausschüssen zurückkehren. Es wird dann natürlich darüber hier Beschlüsse geben; das ist nun einmal so bei Anträgen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Wirklich?)

    Vielleicht haben Sie sich einmal überlegt, daß es auch für die Gesamtentwicklung von Vorteil sein kann, wenn vor dem 14./15. September, wenn die Außenminister sich treffen, eine Erklärung des Bundeskanzlers auf dem Tisch liegt, und nach diesem Treffen



    Mischnick
    wenn wir mehr über die weitere Entwicklung wissen, weitere Beratungen hier stattfinden. Dies würde ich als eine sinnvolle Unterstützung der Bemühungen einer Regierung ansehen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Deshalb sind wir der Meinung, daß heute die Überweisung in die Ausschüsse erfolgen sollte und daß wir darüber im Detail zu beraten haben.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Der Bekennermut der FDP landet in den Ausschüssen!)

    — Ach, wissen Sie, Herr Kollege Ehmke, wenn Sie sich zur Durchführung des Doppelbeschlusses so bekannt hätten, wie wir immer zu jeder Entscheidung gestanden haben, dann stände es um Ihre Partei besser, als es heute der Fall ist.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Sie sind doch abgewichen, und Sie werden das immer wieder spüren.

    (Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Das war nur laut!)

    — Das war ein Faktum.
    Meine Damen und Herren, weil wir den Frieden wollen, vernachlässigen wir unsere Sicherheit nicht, kämpfen aber unermüdlich für weitere Abrüstungsvereinbarungen. Wir sehen darin eine politische Hauptaufgabe für die nächsten Jahre. Denn nur durch die Sicherung des Friedens ist es möglich innenpolitisch Entscheidungen zu treffen, die auf Dauer wirken. Wir sind aber nicht so naiv, an diese Entscheidungen unter dem Gesichtspunkt der augenblicklichen Schlagzeile heranzugehen, sondern unter dem der Seriosität und der Kontinuität.

    (Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Des 13. September!)

    Dies wird auch in Zukunft unser Handeln bestimmen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Angelika Beer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Der Alptraum der Hardthöhen-Generäle und Regierungspolitiker ist also Wirklichkeit geworden. Das Bedrohungsbild, die Lüge vom schrecklichen Russen, der bei erstbester Gelegenheit in unser Land mit seinen Panzern einrolle, von denen er so viel mehr habe, und das Bild von der Sowjetunion, die deshalb ungleich mehr an Waffen, Panzern und Raketen habe und auch ungleich mehr aufrüste als die NATO; diese Bedrohungslüge wird von der Bevölkerung unseres Landes nicht mehr geglaubt. Sie mußte jahrelang dafür herhalten, daß ein immenses Aufrüstungsprogramm der NATO vollzogen werden konnte.
    Die Sowjetunion hat trotz der Verhinderungstaktik auf westlicher Seite konsequente Abrüstungsvorschläge wie Null oder Doppel-Null formuliert und aufrechterhalten sowie durch einseitige Verzichtleistungen — ich erinnere hier nur an den einseitigen Atomteststopp der Sowjetunion — Vertrauen auch in der
    westlichen Bevölkerung erzeugt und verdient. Es wird klar: Feindbildideologie und Abschreckungsideologie funktionieren nicht mehr. Weitere offene Aufrüstung würde auf den Widerstand der Bevölkerung stoßen, wenn sie nicht mit scheinbaren Abrüstungsvorschlägen und Abrüstungsbereitschaft garniert werden würde.
    Sie praktizieren Aufrüstung — darauf komme ich später noch zurück — und sind gezwungen, den Eindruck zu vermitteln, als wollten Sie abrüsten. Das Verhalten der Bundesregierung im Rahmen der ganzen Abrüstungsdebatte der letzten Monate bestand darin, einerseits mit immer neuen Vorwänden die Abrüstung zu blockieren und dann, wenn der Druck der USA auf die Regierung zu groß wurde und keine andere Wahl mehr ließ, klein beizugeben und dies in einer gigantischen Pseudoinszenierung als Abrüstungswille zu verkaufen.
    Sie müssen diese perfekte Darbietung nach außen vermitteln, müssen so tun, als wären Sie jetzt derjenige, der ein Abrüstungsabkommen möglich macht. Zu einem Zeitpunkt, wo nicht nur die Friedensbewegung, sondern auch die Mehrheit der Bevölkerung Abrüstung will und das auch klar und deutlich von den Regierungen verlangt, können Sie nicht allein der Sowjetunion dieses Abrüstungsimage überlassen. Immerhin hat „Der Spiegel" in dieser Woche in seiner Sympathieumfrage bei einem Vergleich von Gorbatschow und fünf anderen Politikern festgestellt, daß er weit an der Spitze steht.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Die anderen kommen gar nicht vor!)

    Alle Welt redet von Abrüstung und ich von Aufrüstung. Warum? Weil wir den Tatsachen ins Gesicht sehen müssen. Das näher rückende Abrüstungsabkommen, welches nicht Verdienst der harten Politik der NATO und ihrer Zustimmung zum sogenannten Nachrüstungsbeschluß ist, sondern Erfolg des neuen Denkens in der Sowjetunion und des beständigen Kampfes der Friedensbewegung für den sofortigen Abzug dieser atomaren Tötungspotentiale, wird gefährdet dadurch, daß in Wirklichkeit weiter aufgerüstet wird. Daß kräftig weiter aufgerüstet wird, ist keine Unterstellung. In den nachfolgenden Beispielen beziehe ich mich größtenteils schon heute auf Angaben in dem noch zu besprechenden vorliegenden Haushaltsentwurf.
    Er sieht Gelder vor für die FOFA-Konzeption der NATO, die den an der offensiven US-Doktrin Air Land Battle angelehnten Tiefschlag ins gegnerische Hinterland möglich machen soll. Sie stellen Gelder bereit für neue Munitionsbehälter für den Tornado, für das MARS-Raketenwerfersystem, Mittel für die Forschung, Entwicklung und zum Teil schon Produktion von Abstandswaffen.
    Mit den Geldern für die Beschaffung der PatriotRakete findet der stillschweigende Einstieg der Bundesrepublik in die taktische Raketenabwehr statt, natürlich ausbaufähig. Dieser Rüstungshaushalt verfolgt genauso auch das sogenannte Jagdflugzeug 90 weiter, ein würdiger Nachfolger für den Tornado, zumin-



    Frau Beer
    dest was die sinnlose Verschwendung immer größerer finanzieller Ressourcen betrifft.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Nicht Abrüstungswille, nicht einmal Signale des Willens zur Kontrolle der Aufrüstung kennzeichnen diesen Rüstungshaushalt, Herr Kohl, sondern der ungebrochene Wille zur militärischen Stärke. „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" ist das, was Sie sagen, Kriegsführungsfähigkeit schaffen mit immer mehr Waffen ist das, was Sie tun.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wie weit wir von einer wirklichen Friedens- und Abrüstungspolitik entfernt sind, zeigt sich auch in der folgenden Kurzbeschreibung der diesjährigen Manövertätigkeit. Da hat vorige Woche das sechswöchige Manöver Reforger 87/Certain Strike begonnen, an dem über 80 000 Soldaten aus mehreren Ländern teilnehmen. Spiel ohne bzw. um Grenzen?
    Bei diesem größten Manöver überhaupt in unserem Land sollen zum erstenmal alle Möglichkeiten von Truppentransporten unter voller Nutzung der zivilen Infrastruktur geprobt werden. Der Manöverteil Certain Strike enthält eine Reihe von offensiven, auf die Air-Land-Battle-Strategie ausgerichteten Elementen. Das 3. US-Corps soll im ganzen Übungsverlauf eine auf „Angriff ins Hinterland" gerichtete offensive Rolle spielen.
    Beim Manöver Accord Express übt die Allied Mobile Force, die schnelle Eingreiftruppe der NATO, mit 50 000 Mann in Dänemark die rasche Verlegung von Einheiten an die „Nordflanke".

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das Telefonbuch von Neumünster ist interessanter!)

    Insgesamt sind bei diesen Manövern eine halbe Million Soldaten im Gelände.
    Besonders möchte ich neben den oben aufgeführten Manövern auf das deutsch-französische Manöver „Kecker Spatz " mit 80 000 Soldaten in Süddeutschland aufmerksam machen, das seine Bedeutung neben seiner Größe vor allem durch seine euromilitärische Stoßrichtung erlangt: die aktuell wieder aufgeflammte, halb offizielle Diskussion über eine französisch-deutsche Arbeitsteilung bei Nuklearwaffen, die Planungen für eine gemeinsame deutsch-französische Brigade und die für den 27. Oktober 1987 in Den Haag geplanten Wiederbelebungsversuche der längst totgesagten WEU usw.
    Diese Kriegsübungen, dieser Schlachtenlärm sind die Begleitmusik zu dem Regierungstheater, Herr Kohl, das Sie in der Frage der Pershing-Raketen hier aufführen.

    (Zustimmung bei den GRÜNEN)

    Da hilft das Trommelfeuer aus Bayern, in der Öffentlichkeit das gewünschte Bild aufzubauen:

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    gute Bundesregierung — böse Bayern, Genscher gegen Strauß. Bei dem Bild, das Sie zu vermitteln versuchen, Friedens- und Abrüstungswillen bei der FDP, CDU und SPD, müßten Sie sich, wenn es denn stimmen würde, schon die Frage gefallen lassen, warum
    Sie nicht danach handeln. Nichts wäre einfacher, als hier und heute eine Abstimmung durchzuführen, und den Stationierungsbeschluß wieder aufzuheben. Wer abrüsten will, kann das auch tun.
    Was Sie uns aber vorführen, ist ein Spiel mit verteilten Rollen. Herrn Genschers Vorschlag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vorn 31. August, in diesem Prozeß scheinbarer Abrüstung zu einem neuen Konsens zwischen Teilen der CSU, CDU, Genscher und der SPD unter Ausschluß der GRÜNEN zu kommen, ist ein Altparteienkompromiß, den wir selbstverständlich auch ablehnen würden. Anläßlich unserer Bundestagsdebatte über die doppelte Null-Lösung am 4. Juni hatte ich Sie, Herr Genscher, aufgefordert, den Verzicht auf die Pershing I a auszusprechen. Die Antwort darauf liegt uns heute in Form einer Erklärung von Herrn Kohl vor: Er vertritt noch immer den Standpunkt, die Pershing I a sei nicht Verhandlungsgegenstand in Genf; eine Modernisierung werde nur dann unterlassen werden, wenn alle Atomraketen zwischen 500 und 5 000 Kilometer Reichweite abgeschafft worden seien. Alle die, die diese Erklärung unterstützen, auch Sie, meine Damen und Herren, haben in diesem Moment ihre Beharrlichkeit hinsichtlich des Hinweises auf das Drittstaatensystem aufgegeben und stellen sich hier in einen Konsens mit den Regierungsparteien. Nicht die Koalition hat sich bewegt, sondern Sie, die SPD, haben sich nach rechts bewegt, indem Sie darauf verzichten.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben? — Weitere Zurufe von der SPD)

    Genau die Frage, wem diese Sprengköpfe gehören, eine Frage, die der Leiter der Abrüstungsabteilung des sowjetischen Außenministeriums, Karpow, jetzt erneut in TASS aufgeworfen hat, ist nicht irgendeine, sondern trifft exakt den neuralgischen Punkt bundesdeutscher Rüstungs- und Außenpolitik. Für die Bundesregierung wäre die Anerkennung, über Drittstaatensysteme zu verfügen, ein spektakulärer diplomatischer und innenpolitischer Durchbruch auf dem Weg zum Mitbesitz und Alleinbesitz von Atomwaffen.

    (Beckmann [FDP]: Völliger Quatsch!)

    Um dies klarzustellen, haben wir den Antrag gestellt, den Verzicht, den wir fordern, in das Grundgesetz aufzunehmen. Ein solcher Schritt hätte auch Auswirkungen auf die Ängste in Ost und West vor dem Trauma einer deutschen Atombombe, vor dem auch Kissinger im April dieses Jahres bereits gewarnt hat; auch das wissen Sie sehr wohl, Herr Kohl.
    Zum Schluß möchte ich die Friedensbewegung auffordern und ermutigen, weiterzumachen, gerade in dieser Situation das Abrüstungsabkommen, das wir wollen, zwar auch zu fördern, aber deutlich zu machen, daß damit noch längst nicht alle Waffen, auch nicht die seegestützten oder luftgestützten atomaren Waffen, verschwunden sind.
    Ich mache darauf aufmerksam, was hier geplant wird: Bei der NATO-Ministerratstagung in Stavanger am 15. Mai verständigten sich die NATO-Verteidigungsminister darauf, mit anderen atomaren Waffen „nachzurüsten". Es soll also nicht nur die konventionelle Rüstung verstärkt werden. Hier könnten Sie



    Frau Beer
    CDU/CSU und FDP, doch anfangen, machen Sie doch einseitige Vorleistungen!

    (Lowack [CDU/CSU]: Sollen doch die Sowjets anfangen, fordern Sie doch die Sowjetunion auf! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Sie sehen ja, wie es funktioniert.