Also, dann haben Sie den Bericht der Bundesbank offensichtlich nicht genau gelesen. Die Bundesbank kritisiert die Entwicklung der Verschuldung in den Gebietskörperschaften auf Länder-, Gemeinde- und Stadtebene. Die Bundesbank sagt aber ausdrücklich ein positives Wort zur Konsolidierungsleistung des Bundesfinanzministers und zu der Tatsache, daß wir in jedem Jahr unserer bisherigen Regierungszeit die Neuverschuldung gegenüber den Vorjahren — zuletzt auf 22 Milliarden DM — gesenkt haben. Herr Kollege Stratmann, lesen Sie den Bericht genau, und lesen Sie nicht nur Zeitungsüberschriften.
Meine Damen und Herren, ich komme zu der Frage zurück: Wie können wir denn angesichts des Versagens der alten Patentrezepte, der Scheinrezepte, die Probleme des Arbeitsmarkts wirksamer, phantasievoller und ernsthafter angehen? Ich will dazu fünf Punkte nennen.
Erstens. Alles spricht dafür, daß wir in einer großen Gemeinschaftsinitiative von Bund, Ländern, Gewerkschaften und Unternehmen noch mehr für eine bessere Qualifikation von Arbeitslosen tun müssen. Denn wir wissen, daß in vielen Gebieten Facharbeiter von den Betrieben gesucht und nicht gefunden werden und daß weniger Qualifizierte häufig keinen Arbeitsplatz finden.
Deswegen meinen wir, daß eine Entwicklung, in der die Arbeitslosigkeit für Personen mit abgeschlossener Ausbildung im Schnitt sechs Monate, für Ungelernte aber 7,5 bis 8 und immer mehr Monate dauert, ein Zeichen dafür ist, daß wir alles daransetzen müssen, die Qualifikationsoffensive fortzusetzen, die eingeleitet ist, und durch betriebliche Maßnahmen zu ergänzen.
Zweitens. Es gibt heute schon einige vorbildliche Beispiele bei Unternehmen, die ganz gezielt, obwohl sie es betriebswirtschaftlich nicht dringend brauchten, einen bestimmten Prozentsatz der Beschäftigten, der Lehrstellenbewerber aus dem Bereich der Sonderschüler, aus dem Bereich der Hauptschüler ohne Hauptschulabschluß und aus dem Bereich der Wenig-qualifizierten holen. Ich meine, daß solche Beispiele weniger Großbetriebe Schule machen sollten und daß wir alles daransetzen sollten, daß die Wenigqualifizierten nicht endgültig auf der Strecke bleiben.
Drittens. Meine Damen und Herren, wir wissen, daß auf dem Arbeitsmarkt ältere Arbeitnehmer besondere Schwierigkeiten haben. Die Arbeitslosigkeit bei den 50- bis 55jährigen beträgt im Schnitt neun Monate, bei den Jüngeren, von 20 bis 25 Jahren, im Durchschnitt nur fünf Monate. Wir müssen dafür sorgen, daß die Wiederbeschäftigungschancen für Ältere verbessert werden, daß auch die Ausbildungsmaßnahmen für Altere und für Langzeitarbeitslose weiter verstärkt werden und die berufliche Qualifizierung auch in diesen Altersgruppen verbessert wird.
Übrigens zeigt eine Umfrage der IG Textil, also nicht der Regierung oder der CDU, daß das Beschäftigungsförderungsgesetz, das ja auch dieses Ziel hat, weit besser gewirkt hat, als Sie immer behauptet haben. Die IG Textil ermittelte bei ihrer Umfrage, daß 75 % der befristet Eingestellten in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen werden. Das heißt, die ganze Horrorpropaganda, die Sie verbreitet haben, fällt durch eine Umfrage der IG Textil in sich zusammen.
Viertens. Wir dürfen nicht übersehen, daß ein erheblicher Teil derer, die nach Arbeit suchen, Teilzeitarbeit suchen. Wir sind — das sollten wir offen zugeben — sowohl in der privaten Wirtschaft wie auch im öffentlichen Dienst in diesem Bereich noch zu rückschrittlich. Wir tun noch zuwenig für Job-sharing und Teilzeitarbeit. Deswegen will ich hier ganz deutlich sagen, daß der Beitrag, den die IG Chemie und der Arbeitgeberverband Chemie zu einer Stärkung des Gedankens der Teilzeitarbeit geleistet haben, auf eine noch breitere Grundlage in allen Teilen der Wirtschaft gestellt werden sollte, weil er ein Schritt in die richtige Richtung ist.
Fünftens. Meine Damen und Herren, ich sage es ganz deutlich: Alles spricht dafür, daß die kommenden Arbeitsplätze noch mehr als in der Vergangenheit vor allem aus kleinen und mittleren Betrieben kommen. Ich will Ihnen hier eine Statistik anführen, die doch ganz bemerkenswert ist.
— Vielleicht ist sie auch für Sie lehrreich, Frau Unruh, obwohl nur weniges bei Ihnen noch zu Lernprozessen beitragen dürfte.
In dem Zeitraum 1977 bis 1985 wurden in den deutschen Kleinstbetrieben unter zehn Beschäftigten 382 000 Arbeitsplätze geschaffen. In den deutschen Kleinbetrieben, zehn bis 19 Beschäftigte, wurden im selben Zeitraum 198 000 Arbeitsplätze geschaffen. In den deutschen Mittelbetrieben, 20 bis 100 Beschäftigte, wurden im selben Zeitraum 89 000 Arbeitsplätze geschaffen. In den größeren Mittelbetrieben, zwi-
474 Deutscher Bundestag — 1 1. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Mai 1987
Wissmann
schen 100 und 999 Beschäftigte, wurden im selben Zeitraum noch 36 000 Arbeitsplätze geschaffen.
Jetzt hören Sie bitte genau zu! In den deutschen Großbetrieben sind zwischen 1977 und 1985 221 000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Diese Zahlen sprechen ganz eindeutig dafür, daß wir alles daransetzen müssen, im Interesse des Arbeitsmarktes
die Eigenkapitalbasis der kleinen und mittleren Betriebe und ihre Wettbewerbsfähigkeit weiter zu verstärken und zu verbessern.
— Herr Kollege Vogel, ich weiß nicht, ob es Ihnen klar ist, aber die Reform des Lohn- und Einkommensteuertarifs trifft, da neun von zehn Unternehmen Personengesellschaften sind, gerade den entscheidenden Teil der Kleinst- und Mittelbetriebe positiv.
Deswegen ist es nicht die vollständige Lösung, aber der Schritt in die richtige Richtung. Machen Sie doch endlich mit bei einer solchen Politik, statt von Mittelstand zu reden, aber dann, wenn es ums Handeln geht, sich dem Handeln zu verweigern.
Meine Damen und Herren, deswegen werden wir alles daran setzen, daß sich die Angebotsbedingungen für kleine und mittlere Betriebe nicht nur steuerlich verbessern, sondern daß sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Betriebe im Interesse des Arbeitsmarktes auch strukturell verbessern. Wir haben den Staatsanteil am Bruttosozialprodukt, der 1969 noch bei 38 % und 1982 bei 50 % lag, auf jetzt 46,5 % zurückgeführt. Wir wollen alles daran setzen, daß sich der Spielraum für Private, vor allem auch für kleine und mittlere Betriebe, weiter vergrößert, weil wir wissen, daß nur dann ein Klima entsteht, in dem auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Wir wollen alles daran setzen, daß wir mit unserer Politik der Privatisierung, des Rückzugs des Staates, wo es immer möglich ist, vorankommen, weil wir wissen, daß sich dadurch auch die Chancen für kleine und mittlere Betriebe verbessern. Im übrigen, meine Kollegen von der SPD: Bei uns ist jeder Privatisierungsschritt, sei es bei Veba und VIAG, sei es in Zukunft bei der Deutschen Siedlungsbank oder der Deutschen Pfandbriefanstalt oder bei anderen Unternehmen,
mit der Ausgabe von Belegschaftsaktien verbunden,
weil wir wollen, daß die Arbeitnehmer von diesem
Prozeß nicht ausgeschlossen sind, sondern eingeschlossen werden, damit Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand Wirklichkeit wird.