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ID1100603700

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    Plenarprotokoll 11/6 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 6. Sitzung Bonn, Freitag, den 20. März 1987 Inhalt: Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Dregger CDU/CSU 253 A Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 260 B Mischnick FDP 264 B Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 269 B Rühe CDU/CSU 271 B Dr. Ehmke (Bonn) SPD 275 A Diepgen, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 284 A Dr. Mechtersheimer GRÜNE 286 C Genscher, Bundesminister AA 289 C Präsident Dr. Jenninger 257 B Nächste Sitzung 294 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 295* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. März 1987 253 6. Sitzung Bonn, den 20. März 1987 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amling 20. 3. Frau Beck-Oberdorf 20. 3. Clemens 20. 3. Cronenberg (Arnsberg) 20. 3. Frau Eid 20. 3. Eylmann 20. 3. Francke (Hamburg) 20. 3. Dr. Göhner 20. 3. Dr. Götz 20. 3. Gröbl 20. 3. Grünbeck 20. 3. Dr. Grünewald 20. 3. Grunenberg 20. 3. Jungmann 20. 3. Klein (München) 20. 3. Kolb 20. 3. Dr. Graf Lambsdorff 20. 3. Lenzer * 20. 3. Frau Dr. Martiny-Glotz 20. 3. Frau Odendahl 20. 3. Frau Pack 20. 3. Porzner 20. 3. Reuschenbach 20. 3. Dr. Rumpf * 20. 3. Seehofer 20. 3. Dr. Solms 20. 3. Spilker 20. 3. Frau Trenz 20. 3. Vosen 20. 3. Dr. Wallmann 20. 3. Weiermann 20. 3. Dr. Wieczorek 20. 3. Wissmann 20. 3. Würtz 20. 3. Zumkley 20. 3. Frau Zutt 20. 3. Zywietz 20. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Horst Ehmke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Verehrter Herr Kollege Rühe, für ein so junges Schlachtroß — im guten Sinne
    — wie Sie ist das nicht gut.

    (Rühe [CDU/CSU]: Was?)

    — Was Sie dauernd und immer wieder erzählen. Denn es stimmt ja nicht.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Die Wahrheit ist nicht gut!)

    — Herr Dregger, wenn es stimmen würde,

    (Rühe [CDU/CSU]: Was stimmt denn nicht?)

    würde ich Ihnen ja die Freude gönnen. Aber ich muß ja hier bei der Wahrheit bleiben.

    (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ CSU)

    Die lautet nämlich so:

    (Rühe [CDU/CSU]: Wie lautet die denn?)

    Wir haben gesagt: Wir halten als eine Zwischenlösung für möglich, daß die Sowjets auf den Stand vor 1979 zurückgehen.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das wäre doch auch nicht Null!)

    Das ergibt sich nämlich aus dem Schmidt-BreschnewGespräch in Brühl im Jahre 1978. Da kam dieser Satz her. Hätte Breschnew damals auf Schmidt gehört, wäre es auch nicht zum Doppelbeschluß gekommen, wenn er da Schluß gemacht hätte. Auf der Westseite, sagten wir, stehen die französischen und die englischen Raketen.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Also nicht NullLösung!)

    Diese Lösung ist — als Zwischenlösung — auch von vielen anderen vorgetragen worden.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Herr Ehmke, wir möchten Ihnen so gerne glauben! Jetzt sagen Sie aber nicht die Wahrheit!)

    — Doch, ich sage die reine Wahrheit, und Sie wissen es auch. Das, was neu dazugekommen ist, ist, daß die Sowjets jetzt bereit sind, das Problem der englischen und französischen Raketen nicht in dieser, sondern erst in der nächsten Runde anzugehen.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sie reden an der Wahrheit vorbei!)

    Das ist ein Fortschritt. Wir sagen ja auch: Wir freuen
    uns, daß die Geschichte mehr Phantasie gehabt hat als
    Strauß und wir zusammen; das ist ja schon mal was.

    (Beifall bei der SPD)

    Wie schlagen jedenfalls vor, die sich durch die neue Entwicklung in der Sowjetunion ergebenden neuen Chancen gemeinsam und beherzt zu nutzen. Ein positives Verhandlungsergebnis über die Mittelstreckenraketen könnte ein wichtiger politischer Impuls für die positive Gestaltung des ganzen Ost-West-Verhältnisses werden. Der Bundeskanzler hat da unsere Zustimmung, wenn er erklärt, daß eine Null-Lösung bei Mittelstreckenraketen ein großer Fortschritt wäre.
    Das heißt für uns, Herr Dregger: kontrollierter Abbau aller Mittelstreckenraketen der Supermächte in Europa, Beschränkung im außereuropäischen Bereich, so, wie es jetzt steht, auf 100 — Null wäre mir noch lieber;

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Mir auch!)

    das würde auch die Verifikationsfrage viel einfacher machen —, Rückzug der von der Sowjetunion seinerzeit in Antwort auf die Stationierung vorgezogenen Kurzstreckenraketen längerer Reichweiten vom Boden der DDR und der CSSR. Dann, Herr Dregger — darüber sollten wir Klarheit kriegen; ich habe auch aus Ihrem Manuskript keine Klarheit erhalten —, ist die Position des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung und des Außenministers übereinstimmend mit unserer: zwar sofort über Kurzstreckenraketen verhandeln, vielleicht sogar parallel verhandeln — die Sowjetunion scheint ja dazu bereit zu sein; das ist nicht der Punkt — , aber den Abschluß der NullLösung über Mittelstreckenwaffen nicht abhängig



    Dr. Ehmke
    machen von dem Erreichen eines Ergebnisses auch schon bei den Kurzstreckenwaffen.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das ist gar nicht nötig, wenn wir jetzt anfangen! Man kann es ja parallel machen!)

    — Herr Dregger, Sie sagen, es sei nicht nötig, und haben Ihre Passage mit dem Schluß beendet, was voraussetze, daß der Westen sich einig ist, was er will. Ich will das jetzt nicht kommentieren — wir würden bei dem, was da zu kommentieren wäre, sehr übereinstimmen — , sondern ich sage noch einmal: erst die Null-Lösung bei den Mittelstreckenraketen, dann das andere. Militärisch darf ich folgendes sagen: Die Sowjets würden 1 000 Sprengköpfe mehr abziehen müssen als wir. Woher soll denn da die militärische Gefährdung kommen?
    Gerade nachdem wir alle zusammen die Sowjetunion dazu bewegt haben, ihr Junktim von Mittelstreckenraketen zum strategischen Bereich und zu SDI — den ich aus Zeitgründen jetzt nicht behandeln kann — aufzugeben, dürfen wir nicht ein neues Junktim schaffen, das die Null-Lösung wieder in Frage stellen würde.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir müssen vielmehr den Impetus einer erfolgreichen Verhandlung über Mittelstreckenraketen für die nächste Runde über Kurzstreckenraketen nutzen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Wissen Sie, das eigentliche Problem, die eigentliche Verbindung, über die Sie reden, kommt an anderer Stelle. Sie kommt an der Stelle zwischen taktischen Atomwaffen — darüber müssen wir noch reden, wie man sie nach oben abgrenzt — und den konventionellen Waffen.
    Die konventionelle Rüstungskontrolle liegt besonders in unserem Interesse, im Interesse der Deutschen und der Europäer. Der erfolgreiche Abschluß der Stockholmer KVAE-Konferenz hat ein Klima geschaffen, das dafür genutzt werden kann. Wir wollen aber als Ergebnis nicht nur weitere Maßnahmen zur Vertrauensbildung, sondern auch echte Abrüstungsmaßnahmen im konventionellen Bereich. In Europa sollten blockübergreifende Sicherheitsstrukturen geschaffen werden, die nur noch die Fähigkeit zur Verteidigung zulassen, nicht aber zum Überraschungsangriff und zu raumgreifender Offensive. Bewaffnung, Ausrüstung, Struktur und geographische Verteilung der Streitkräfte müssen dieser Forderung Rechnung tragen. Die neuen in Wien eröffneten Gespräche sollten zügig vorangebracht werden.
    Hier muß ich eine kritische Bemerkung machen, die der Außenminister schon kennt: Das, was das westliche Bündnis bisher zur Frage der konventionellen Abrüstung in Europa vorgelegt hat, ist nicht viel mehr als eine Zusammenstellung von Kriterien. Sogenannte Vorschläge, von denen man gleich selber sagt, sie seien kaum verhandlungsfähig, sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Wer die von uns mit der DDR-Seite vereinbarten Grundsätze für einen atomwaffenfreien Korridor in Europa ignoriert oder kritisiert, ist verpflichtet, bessere Vorschläge zu machen.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Es hat sich in diesen Gesprächen herausgestellt, daß die Fragen der taktischen Atomwaffen unlösbar mit der Frage der konventionellen Streitkräfte verbunden sind. Die Grundsätze bleiben auf dem Tisch. Im konventionellen Bereich sind die deutschen Staaten, besonders die Bundesrepublik, gefordert, Herr Bundesaußenminister. Diese Fragen betreffen nicht nur zentral die europäische Sicherheit; sie betreffen — anders als die Genfer Verhandlungen — auch nicht nur die Waffen der Großmächte, sondern unsere eigenen Waffen und Streitkräfte, und das wirft nicht nur Fragen unserer Mitwirkung auf, sondern auch Fragen der eigenen Konzepte und der eigenen Initiativen. Da sieht es noch sehr dünn aus, nicht verfahrensmäßig, aber substantiell.
    Unbestritten erfordert ein solcher Prozeß auch eine Veränderung im strategischen Denken. Die Sowjetunion muß von der offensiven Auslegung ihrer konventionellen Streitkräfte und von ihrer offensiven militärischen Doktrin abgehen. In beiden Bündnissen muß die Ausrichtung auf reine Verteidigung dominierend werden. Der politische Manövrierraum Westeuropas innerhalb des westlichen Bündnisses würde dadurch ebenso wachsen wie der Spielraum der osteuropäischen Staaten im Ostblock, und entlastet würden — Herr Rühe, das ist ein wesentlicher Faktor für unsere Gespräche in Washington — die Vereinigten Staaten.
    Die europäische Initiative, die wir Ihnen vorschlagen, soll also ein breit angelegter Vorstoß zu einer zweiten Phase realistischer Entspannungspolitik sein, die folgende Ziele im Auge hat: Anerkennung und Respektierung legitimer westeuropäischer Sicherheitsinteressen durch die Sowjetunion; auf dieser Grundlage breit fundierte und zukunftsgerichtete Zusammenarbeit zwischen Ost und West, die einen friedlichen, gewaltfreien Wettbewerb der bestehenden Gesellschaftssysteme ermöglicht, damit Förderung von Reformen in beiden Bündnissen mit dem Ziel, zu einem neuen Sicherheitsverständnis zu gelangen — ich habe diesen Teil unseres Vorschlages hier aus Zeitgründen nicht vorgetragen, das ist aber in dem Papier nachzulesen, das wir veröffentlichen werden — , Stärkung der politischen Rolle Westeuropas und seiner Selbstbehauptung im Bündnis.
    Herr Bundeskanzler, ich sage es noch einmal: Voraussetzung für die Erreichung dieser Ziele — und zwar nicht an einem Sankt-Nimmerleins-Tag, sondern in absehbarer Zeit, da die Chancen dazu bestehen — ist gemeinsames außenpolitisches Handeln auf möglichst breiter Grundlage. Meine Fraktion ist dazu bereit. Wir stehen Ihnen, dem Außenminister und den anderen Fraktionen des Hauses für Gespräche zur Verfügung.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Ich erteile dem Herrn Regierenden Bürgermeister von Berlin das Wort.




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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung der Berlin- und Deutschlandpolitik zu Recht eine prinzipielle Bedeutung zugemessen. Deutschlandpolitik entspricht dem Verfassungsauftrag, „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden" und, wie es im Grundgesetz auch heißt, „in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen". Gleichzeitig müssen wir aber zur Kenntnis nehmen, daß die Teilung Berlins, die Teilung Deutschlands, die Teilung Europas in verschiedene Machtblöcke, verschiedene gesellschaftspolitische Systeme nicht durch die aktuelle Deutschlandpolitik von einer oder zwei Legislaturperioden zu überwinden ist.
    Aus diesem Spannungsverhältnis zwischen dem langfristigen Ziel und dem heute Möglichen resultieren die meisten Mißverständnisse in den Diskussionen um Deutschland- und Berlinpolitik. Manche resignieren. Sie resignieren offensichtlich auch wegen der Größe der Aufgabe. Das führt hin zu unsinnigen Vorschlägen, etwa zu so unsinnigen Vorschlägen wie dem, die Präambel des Grundgesetzes zu ändern oder abzuschaffen. Dies wäre nicht nur politisch falsch, sondern dies entspräche auch einem ganz und gar unhistorischen Denken. Andere haben zu große und zu unrealistische Erwartungen und wollen mit der Bewegung z. B. in den Abrüstungsfragen die deutsche Frage gleich mit lösen.
    Wir müssen mit dem gegenwärtigen Dilemma der deutschen Frage leben lernen, aber wir brauchen deswegen die Deutschland- und Berlinpolitik nicht auf das Aushandeln von Verträgen zu reduzieren und sozusagen alles Weitere der Geschichte zu überlassen. Aus einer Politik zur Linderung der Teilungsfolgen können wir vielmehr eine Politik entwickeln, die die Einheit der Nation, also die Zusammengehörigkeit der Menschen stärkt. Die Chinesen sagen: Auch die größte Reise beginnt mit einem ersten Schritt. — Eine Auflockerung der jeweiligen Bündnisverpflichtungen wäre dabei lebensfremd und vor allen Dingen für uns lebensgefährlich.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Aber unterhalb dieser Grenze ist auch in der praktischen Politik Bewegung hin zu mehr Freiheiten, hin zu mehr nationalen Gemeinsamkeiten möglich und — ich ergänze — notwendig. Trotz der Teilung ist eine Politik für die Einheit der Nation kein Ziel für übermorgen, sie kann und muß vielmehr eine tägliche Aufgabe sein. Das ist es, was die Deutschen in der DDR von uns erwarten, und das ist nach meinem Verständnis auch die Umsetzung des Auftrages des Grundgesetzes für unsere Generation.
    Deshalb, meine Damen und Herren, ist Deutschland- und Berlinpolitik vor allem auch eine geistige Aufgabe nach innen, in die Bundesrepublik Deutschland hinein. Wir dürfen der Mauer aus Stein nicht von uns aus eine Mauer der Unkenntnis, der Gedankenlosigkeit oder des Schweigens entgegensetzen. Deshalb ist Vorsicht geboten, daß wir nicht bedenkenlos die Bundesrepublik Deutschland für ganz Deutschland
    halten, daß wir nicht so sprechen, als sei die Elbe die Trennlinie nach Osteuropa.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Langfristig jedenfalls tun wir uns keinen Gefallen, wenn wir einen Patriotismus fördern, der sich allein auf die Bundesrepublik Deutschland bezieht.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Lüder [FDP])

    Meine Damen und Herren, eine Deutschland- und Berlin-Politik, die sich der Vision der Einheit in Freiheit verpflichtet weiß, besteht in ihrem Vorgehen, in ihrer Methodik — und Ziel und Methode darf man nicht miteinander verwechseln; das ist auch einer der häufigen Fehler in der deutschlandpolitischen Diskussion und in einer Fülle von Kommentaren, die man lesen kann — aus drei gleichgewichtigen Elementen.
    Erstens. Deutschland- und Berlinpolitik, ja unsere gesamte West-Ost-Politik hat erstens eine Aufgabe in Richtung Westen. Sie muß im Westen verstanden und vom Westen unterstützt werden. Der Bundeskanzler hat zu Recht — und auch hier in der Debatte ist es wiederholt worden — darauf hingewiesen, es gebe keinen deutsch-deutschen Sonderweg. Ohne die enge Bindung der Bundesrepublik Deutschland an die westlichen Demokratien wäre in der Vergangenheit die Stabilität der deutschen Demokratie nicht möglich gewesen, und sie wird es auch in Zukunft nicht sein.
    Nur mit dieser hier vorgetragenen Grundauffassung können wir unsere westlichen Verbündeten auch an ihre Verpflichtungen aus dem Deutschlandvertrag und aus dem Harmel-Bericht erinnern, denn mit dem Deutschlandvertrag haben sich die Alliierten verpflichtet, wurden sie verpflichtet, die deutsche Sache auch zu ihrer Sache zu machen. Übertragen auf heute bedeutet es die Verpflichtung auch der Schutzmächte, mit uns gemeinsam eine Politik der Verständigung und des Dialogs mit dem Osten zu führen. Das ist die praktische Anwendung des Deutschlandvertrages heute. Das Gewicht unserer Politik nach Osten beruht also auf dem Vertrauen zum Westen und dem Vertrauen im Westen.
    Zweitens. Deutschland- und Berlin-Politik hat nach Osten die Aufgabe, einen Prozeß besserer Nachbarschaft im Interesse des Friedens und der Menschen zu fördern. Nichts anderes hat auch der KSZE-Prozeß zum Gegenstand — der Bundeskanzler hat es hier genannt — , nämlich die Grenzen offener werden zu lassen. Das bedeutet konkret, Chancen für eine WestOst-Zusammenarbeit zu nutzen, und zwar überall dort, wo sie bestehen, und ohne die Bündnisloyalitäten in Frage zu stellen, ohne sie gegenseitig in Frage zu stellen. So wie wir erwarten, daß man unsere Bündnisloyalitäten im Ost-West-Dialog nicht in Frage stellt, so dürfen wir das übrigens im Interesse konkreter Fortschritte heute auch im Blick auf die andere Seite nicht in Frage stellen. Das gilt für die deutsch-sowjetischen Beziehungen ebenso wie auch für das Verhältnis zur DDR.
    Bessere und geregelte Nachbarschaft betrifft natürlich zuallererst den gesamten humanitären Bereich, vor allem die Reise- und Begegnungsmöglichkeiten.



    Regierender Bürgermeister Diepgen (Berlin)

    Hier dürfen wir nicht nachlassen, auch im Interesse der Menschen in der DDR, die DDR-Führung immer wieder an ihrem — so formuliert sie es ja — Anspruch einer offenen, selbstbewußteren Politik zu messen. Wenn sie das so formuliert, müssen wir sie daran messen. Es gilt auch positiv zu würdigen, daß es beachtliche Fortschritte für DDR-Bürger gegeben hat, beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Westteils Berlins zu besuchen.
    Aber Mauer- und Schießbefehl — das sage ich mit aller Deutlichkeit — vertragen sich mit diesen Ansprüchen nicht, und wir dienen der Wahrheit und damit der Glaubwürdigkeit unserer Politik auch nach dem Osten nicht, wenn wir dies und die grundlegenden Unterschiede zwischen unseren Gesellschaftsordnungen verschweigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber dennoch oder gerade deswegen ist es unsere Pflicht, unterhalb der uns trennenden Auffassungen ein Höchstmaß an Zusammenarbeit anzustreben. Die Gespräche, die in der letzten Woche von Vertretern der Bundesregierung, von Vertretern einzelner Bundesländer in Leipzig geführt worden sind, zeigen, daß hierfür Chancen bestehen.
    Ich will nur folgende Beispiele nennen: Wenn es beim Umweltschutz zu konkreten Vereinbarungen zur Luftreinhaltung kommen kann, dann dient das sicherlich auch den Menschen in Berlin, aber genauso denen in Magdeburg wie denen in Braunschweig und in Nürnberg, und der Zusammenhang im Sinne einer gemeinsamen Verantwortung muß immer wieder auch politisch formuliert werden.
    Wenn, um ein anderes Beispiel zu nennen, bei der Energieversorgung über einen Verbund unter Einbeziehung Berlins einschließlich von Direktleitungen zwischen Berlin und dem übrigen Bundesgebiet konkret gesprochen wird, dann eröffnen sich hier vielversprechende Perspektiven.
    Ich will ein anderes Beispiel aufnehmen, das der Bundeskanzler kurz angedeutet hat: Wenn es gelingt, eine Schnellbahnverbindung von Paris über Köln, Hannover, Berlin bis nach Warschau zustande zu bringen, wenn es gelingt, diese Schnellbahnverbindung zu bauen, dann ist das das richtige Verständnis von Europa und eine Politik zur Überwindung von Grenzen in Europa.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Drittens. Meine Damen und Herren, neben der Westverankerung und der Dialogbereitschaft nach Osten hat die Deutschland- und Berlin-Politik die Aufgabe, die Einheit der Nation zu wahren und zu stärken. Grundlage unserer nationalen Identität ist heute wegen der machtpolitischen Realitäten dabei leider nicht das Zusammenleben in einem Staat, sondern die Zugehörigkeit zu einer Kulturnation. Vorhin ist davon gesprochen worden, Entspannungspolitik müsse für Menschen erlebbar sein. Ich will das in diesem Zusammenhang gern übernehmen. Auch die deutsche Nation, die Zusammengehörigkeit der Menschen in einer Nation vor dem Hintergrund einer Geschichte, einer Sprache müssen für die Menschen
    trotz der Teilung erlebbar sein und noch erlebbarer werden.
    Wenn beispielweise Katja Ebstein, Udo Jürgens oder auch Peter Maffay in Ost-Berlin die Freiheit besingen und dafür spontan Beifall erhalten, dann sehe ich darin auch ein Stück Einheit der Nation und gemeinsame Zielvorstellungen, gemeinsame Hoffnungen und Wünsche von Menschen. Und wenn jetzt „Die Blechtrommel" von Günter Grass erstmals seit ihrem Erscheinen vor fast 30 Jahren und auch ein Roman von Ingeborg Drewitz — ebenfalls erstmals —in der DDR verlegt werden, dann stärkt das auch das Bewußtsein von der Einheit der deutschen Nation, weil eben deutlich wird: Es gibt nur eine deutsche Literatur, egal wo sie geschrieben wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Wichtig ist auch, daß unsere Schüler eben nicht immer zuerst nur nach Rom und Athen, sondern vielleicht auch nach Weimar und Dresden fahren.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Das alles sind Beiträge, die in einem Klima der Offenheit und des selbstbewußten — darauf kommt es an — freiheitlichen Aufeinander-Zugehens — von unserer Seite aus vor dem Hintergrund unserer gesellschaftspolitischen Auffassung selbstbewußt — besser gedeihen können als in einem Klima der Abgrenzung.
    Alle drei Elemente der Deutschland- und BerlinPolitik, d. h. also Westverankerung, Dialogbereitschaft und Stärkung der Einheit, finden im Jahr 1987, im Jahr der 750-Jahr-Feier Berlins, ihren besonderen Ausdruck. Herr Ehmke, Sie haben von einem bestimmten Aspekt der Berlin-Politik gesprochen, nämlich wie man die Rolle dieser Stadt als Ort des Dialoges darstellen kann, Berlin als den Ort, wo Problemlösungen erstens in der Notwendigkeit sichtbar werden und zweitens in der Zusammenarbeit auch herausgestellt werden können.