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    Plenarprotokoll 11/6 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 6. Sitzung Bonn, Freitag, den 20. März 1987 Inhalt: Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Dregger CDU/CSU 253 A Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 260 B Mischnick FDP 264 B Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 269 B Rühe CDU/CSU 271 B Dr. Ehmke (Bonn) SPD 275 A Diepgen, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 284 A Dr. Mechtersheimer GRÜNE 286 C Genscher, Bundesminister AA 289 C Präsident Dr. Jenninger 257 B Nächste Sitzung 294 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 295* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. März 1987 253 6. Sitzung Bonn, den 20. März 1987 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amling 20. 3. Frau Beck-Oberdorf 20. 3. Clemens 20. 3. Cronenberg (Arnsberg) 20. 3. Frau Eid 20. 3. Eylmann 20. 3. Francke (Hamburg) 20. 3. Dr. Göhner 20. 3. Dr. Götz 20. 3. Gröbl 20. 3. Grünbeck 20. 3. Dr. Grünewald 20. 3. Grunenberg 20. 3. Jungmann 20. 3. Klein (München) 20. 3. Kolb 20. 3. Dr. Graf Lambsdorff 20. 3. Lenzer * 20. 3. Frau Dr. Martiny-Glotz 20. 3. Frau Odendahl 20. 3. Frau Pack 20. 3. Porzner 20. 3. Reuschenbach 20. 3. Dr. Rumpf * 20. 3. Seehofer 20. 3. Dr. Solms 20. 3. Spilker 20. 3. Frau Trenz 20. 3. Vosen 20. 3. Dr. Wallmann 20. 3. Weiermann 20. 3. Dr. Wieczorek 20. 3. Wissmann 20. 3. Würtz 20. 3. Zumkley 20. 3. Frau Zutt 20. 3. Zywietz 20. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Rede von Volker Rühe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine der wesentlichsten Zukunftsfragen ist die Rolle Europas in der Weltpolitik. HansPeter Schwarz schreibt in seiner Adenauer-Biographie über das Europa der fünfziger Jahre:
    Europa ist die große Hoffnung der fünfziger Jahre, und es gibt keine kräftigere Schubkraft als die Hoffnung. Die Chiffre „Europa" steht damals
    — so schreibt Schwarz —
    für die angestrebte Partnerschaft mit den westeuropäischen Demokratien, für Gleichberechtigung, für neue Geborgenheit in der Staatengemeinschaft, für eine friedliche Zukunft und nicht zuletzt für außenpolitische Modernität.
    Was ist Europa heute? Ist es tatsächlich nur der Streit um Milchseen, Butterberge, Schweinepreise, dieses traurige Bild, das wir fast jede Woche über die Fernsehschirme flimmern sehen? Oder steht Europa wirklich für die Verhinderung eines durchgreifenden Umweltschutzes, wie wir es von immer mehr Mitbürgern immer lauter hören? So wichtig und unverzichtbar die Regelung dieser Fragen auch ist: Das ist nicht
    Europa, das darf nicht Europa sein. Dieses Bild von Europa dürfen wir nicht länger zulassen.
    Deshalb müssen wir wieder ins Bewußtsein bringen, daß Westeuropa mit seinen für Reiseverkehr, Kulturaustausch, Handel und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit durchlässigen Grenzen und mit dem friedlichen Nebeneinander von Staaten, die für Jahrzehnte und Jahrhunderte verfeindet waren, ein Modell für andere Staaten innerhalb und außerhalb Europas sein kann, ja, sein sollte. Die Tatsache, daß wir Frieden, Freiheit und Menschenrechte als selbstverständliche Grundlagen unseres Lebens ansehen und genießen können, verpflichtet uns, wie ich finde, dazu, daß wir unseren eigenen europäischen Beitrag in der Weltpolitik in Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten und mit Japan für Frieden, Freiheit und Menschenrechte leisten.
    Vor wenigen Monaten hat William Pfaff, Kommentator des „International Herald Tribune" , geschrieben:
    Der Westen braucht dringend mehr als ein Land, das bereit ist, zu führen, zu denken und die Werte unserer Zivilisation sowie unserer militärischen Sicherheit zu verteidigen.
    Wir stehen also vor der Alternative: Blick nach innen, Rückfall in einen europäischen Provinzialismus und damit auch weiterer Verlust an Bedeutung und Einfluß zur Vertretung unserer eigenen europäischen Interessen, damit aber auch der Interessen des Westens insgesamt, oder aber — —

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Immer noch besser Provinzialist als Imperialist!)

    — Sie, die GRÜNEN in diesem Lande, sind der Ausdruck tiefen Provinzialismus!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die andere Alternative ist: Wir nehmen die Herausforderung an und richten unseren Blick nach außen, um unsere eigenen Interessen selbstbewußter zu vertreten und zugleich auch einen eigenen sichtbaren Beitrag Europas für Frieden, Freiheit und Menschenrechte in der Welt leisten zu können. Für uns, für die CDU/CSU, gibt es nur einen Weg: Wir wollen und wir werden diese Herausforderung in den nächsten Jahren annehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Was bedeutet das aber in der Praxis? Das politische Gewicht Europas in der Weltpolitik wird sich nur aus dem ergeben, was die Europäer tatsächlich zu leisten in der Lage sind.

    (Dr. Vogel [SPD]: Richtig!)

    Wir werden in dem Beitrag des Kollegen Ehmke auch sehr viel über die Notwendigkeit, das Gewicht Europas zu stärken, hören. Nur, Herr Kollege Ehmke, Europa kann man nicht rhetorisch stärken. Woraus ergibt sich das Gewicht unseres Landes und damit Europas? Aus der politischen Stabilität, aus der Wirtschaftskraft und den damit verbundenen Chancen für soziale Gerechtigkeit sowie aus unserem militärischen Beitrag zur Verteidigung des Westens und



    Rühe
    damit auch der Grundlage für Entspannung zwischen West und Ost.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Die Sozialdemokraten haben sich aufgemacht, dieses Land und Europa rhetorisch zu stärken, aber was die politische Stabilität anlangt, so bedeutet Ihre Politik und Ihre Zusammenarbeit mit den GRÜNEN eine Schwächung Deutschlands und Europas.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist aber weit hergeholt! )

    Ihre Wirtschaftspolitik würde eine Schwächung Deutschlands und Europas bedeuten, und Ihr Nein zur Aufrechterhaltung unseres militärischen Beitrages, der Rolle der Bundeswehr in ihrem bisherigen Umfang, bedeutet eine Schwächung Deutschlands und Europas in der Weltpolitik.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Abwarten! — Zuruf von der SPD: Schwache Leistung, Rühe!)

    Deswegen sage ich Ihnen: Hören Sie auf damit, Europa nur rhetorisch stärken zu wollen. Das einzige, was in der Weltpolitik zählt, ist das, was man tatsächlich auf die Waagschale bringt, und das müssen wir machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    Wir müssen eine europäische Außenpolitik nicht nur im Grundsatz erarbeiten, sondern auch mit konkreten Maßnahmen verwirklichen, Maßnahmen, die sich aber nicht nur — das muß ich selbstkritisch sagen — am kleinsten gemeinsamen Nenner innerhalb der Gemeinschaft orientieren dürfen.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Schon besser!)

    Die internationale Bedeutung von Ländern wie Frankreich, Großbritannien und Italien, aber auch unseres Landes, der Bundesrepublik Deutschland, ist zu groß, als daß statt einer wirkungsvollen Außenpolitik nur Maßnahmen des kleinsten gemeinsamen Nenners zur Beruhigung des eigenen Gewissens ergriffen werden könnten. Gerade auch für die Verwirklichung des Gedankens von der europäischen Einheit dürfte nichts störender sein, als wenn sich der Eindruck einer Ohnmacht Europas in wichtigen weltpolitischen Fragen festsetzen würde.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Warum denn wohl?)

    Der moderne und zukunftsweisende Charakter Europas und unsere Bereitschaft, diese Herausforderung zu bewältigen, müssen sich für unsere Bürger auch an symbolträchtigen Beispielen festmachen lassen. Ein solches Beispiel ist für mich ein europäisches Programm zur friedlichen Nutzung des Weltraums. Im Weltraum liegt eben nicht nur wissenschaftlich-technologisches und wirtschaftliches Zukunftspotential, hier geht es auch um die Frage, ob wir unsere nationalen Fähigkeiten in Europa gemeinsam dafür nutzen können, daß sich Europa in diesem Bereich zu einem selbstbewußten und wettbewerbsfähigen Partner der USA entwickelt, oder ob es, weiterhin in nationale Eigeninteressen zersplittert, ein Juniorpartner der Amerikaner bleibt. Es geht hier also auch um die Antwort darauf, ob wir in der Lage sind, aus unseren jeweiligen nationalen Fähigkeiten heraus gemeinsam eine europäische Identität zu schaffen. Auch deshalb unterstützen wir die Teilnahme am Columbus-Projekt, auch deshalb sprechen wir uns energisch für eine deutsche Beteiligung an „Hermes" und für eine Intensivierung insbesondere der deutsch-französischen Zusammenarbeit in diesem ganz wichtigen Bereich aus.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Nur wenn Europa eine selbstbewußte und reife Partnerschaft — ich weiß mich dabei einig auch mit dem amerikanischen Botschafter, der häufig darüber gesprochen hat - mit den Vereinigten Staaten entwikkelt, werden wir auf die Dauer die Gefahren, die ich für die seelische Gesundheit unseres Bündnisses sehe, abwenden können

    (Zuruf von den GRÜNEN)

    — und Sie sind ein Ausdruck dieser Gefahren, die sich für die seelische Gesundheit des Bündnisses abzeichnen —,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Gefahren, die sich aus der für uns unverzichtbaren Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten ergeben, daß nämlich die militärische Präsenz der Vereinigten Staaten von Amerika und ihr Nuklearschutz für Westeuropa unverzichtbar sind und auch nicht durch ein eigenständiges, europäisches Vorhaben zu ersetzen wären; denn auf dem europäischen Kontinent kann die eine Großmacht Sowjetunion nur durch die andere Großmacht USA und ihren Verteidigungsbeitrag auf absehbare Zeit ausbalanciert werden.
    Diese für unsere Sicherheit notwendige Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten wird für Westeuropa psychologisch um so leichter zu ertragen sein, je mehr wir in der Lage sind, durch eigene Anstrengungen überflüssige Abhängigkeiten abzubauen. Je mehr wir Europäer aus eigener Kraft tun, wozu wir selbst dank unseres wirtschaftlichen und politischen Potentials in der Lage sind, und je mehr politische Verantwortung Europa für die Wahrung der Interessen des Westens und damit auch seiner eigenen Interessen übernimmt, desto mehr werden auch die USA zu ihrer Verantwortung für Westeuropa stehen. Nur dann werden wir in den USA die falsche Vorstellung ausräumen können, die Westeuropäer konzentrierten sich zu sehr auf ihre eigenen Probleme sowie auf den wirtschaftlichen Nutzen einer europäischen Entspannungspolitik, während die Vereinigten Staaten die Kosten der Verteidigung westlicher Interessen zu tragen hätten.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Die Kosten tragen wir allein!)

    — Sie tragen gar nichts, jedenfalls nicht die Verantwortung.
    Zu der Frage, was Europa eigentlich ist, gehört auch der vom sowjetischen Generalsekretär Gorbatschow benutzte Begriff des „gemeinsamen Hauses Europa". Doch sollte hier klar sein, was wir darunter verstehen:



    Rühe
    Erstens. Bewohner dieses Hauses sind und bleiben auch die USA und natürlich auch Kanada — übrigens, die Zusammensetzung der KSZE verdeutlicht dies —, dies nicht nur weil die Amerikaner als Siegermacht des Zweiten Weltkriegs Verantwortung in Europa haben und nicht nur weil sie der Garant für die Sicherheit Westeuropas sind, vielmehr haben die USA mit Ost- wie Westeuropäern eben auch gemeinsame historische und kulturelle Wurzeln, was sie zu natürlichen Bewohnern dieses gemeinsamen Hauses macht.
    Zweitens. Ein gemeinsames Haus darf keine vermauerten und verschlossenen Türen haben.

    (Schwarz [CDU/CSU]: Sehr gut! Das ist wichtig!)

    Ich weiß nicht, wer von Ihnen in einem solchen Haus leben oder solch ein Haus bauen möchte. Ein gemeinsames Haus darf keine vermauerten und geschlossenen Türen haben. Die Türen dieses Hauses müssen von all seinen Bewohnern in jede Richtung geöffnet werden können, damit sie sich in jedem beliebigen Raum dieses Hauses treffen und gemeinsam frei ihre Meinungen austauschen können. Es sind jedoch — um im Bild zu bleiben — noch erhebliche Umbauten in diesem Haus vorzunehmen, damit es dann auch einmal als ein gemeinsames bezeichnet werden kann.

    (Dr. Briefs [GRÜNE]: Sie wollen doch einen Hochsicherheitstrakt!)

    Drittens. Das langfristige politische Ziel muß es sein, in Europa eine dauerhafte und gerechte Friedensordnung mit geeigneten Sicherheitsgarantien zu schaffen, in der auch das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangen kann in diesem gemeinsamen Haus aller Europäer.

    (V o r sitz : Vizepräsident Stücklen)

    Daraus ergibt sich eine der wichtigsten Aufgaben der Ost-West-Zusammenarbeit der nächsten Jahre. Diese Zusammenarbeit muß zu dem führen, was ich die erlebbare Entspannung nennen möchte, Entspannung, die für den einzelnen Menschen in seinem täglichen Leben spürbar sein muß. Individuell erlebbare Entspannung: Das muß die Zielsetzung unserer Politik im Ost-West-Zusammenhang in den nächsten Jahren sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir wollen deshalb möglichst gute Beziehungen zu allen Staaten Osteuropas, Beziehungen, die dem gegenseitigen Nutzen und Vorteil eben auch für die einzelnen Menschen dienen. Die Einhaltung der Menschenrechte und menschliche Erleichterungen sind deshalb unerläßlich für die Sicherung des Friedens und für mehr Stabilität in Europa.
    Deshalb ist es für uns auch ein besonderes Anliegen, die Lage der Deutschen in der Sowjetunion, in Polen, aber ebenso auch in anderen osteuropäischen Staaten deutlich zu verbessern. Unser Bemühen gilt dabei nicht nur der Erleichterung von Ausreisemöglichkeiten und der Familienzusammenführung, wo es einige Verbesserungen gibt. Vielmehr muß es darum gehen, daß diesen Menschen vor allem die volle Ausübung ihrer individuellen Menschenrechte
    gewährt wird, d. h. daß ihnen die Möglichkeit eingeräumt wird, frei von Diskriminierung zu leben, ihre kulturelle Tradition, ihre Religion zu pflegen und sich ihrer Sprache zu bedienen, daß sie nicht verfolgt werden, weil sie sich um die Erhaltung ihrer sprachlichen und kulturellen Eigenständigkeit bemühen.
    Wer, wie die Sowjetunion und die Staaten des Warschauer Pakts, den Frieden in den Vordergrund der außenpolitischen Bemühungen stellen will, muß auch in diesen Fragen deutlich machen, daß Frieden mehr ist als nur Kriegsverhütung durch Rüstungsbegrenzung und Abrüstung.

    (Schwarz [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Eine Verbesserung der Menschenrechtssituation in Europa ist unlöslich mit dieser Politik verbunden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Auch ein regelmäßiger Schüler- und Studentenaustausch in beide Richtungen, nach Westen wie nach Osten, wäre ein Beitrag, zugleich aber auch ein Test auf die Bereitschaft zu erlebbarer Entspannung zwischen Ost und West. Warum ist es eigentlich so, daß mehr als 20 000 chinesische Studenten Universitäten außerhalb ihres eigenen Landes besuchen, aber bis zum heutigen Tage nicht einmal 1 000 sowjetische Studenten diese Gelegenheit haben? Warum ist es so wie auch in meinem Wahlkreis, daß dankenswerterweise viele Schulen hier bei uns sowjetische Schulklassen in der Sowjetunion besuchen, daß aber die Gegenbesuche ausbleiben? Es wäre doch ein Beitrag zur Vertrauensbildung zwischen unseren Ländern, zur gegenseitigen Förderung der Zusammenarbeit, wenn ein regelmäßiger deutschsowjetischer Schüler- und Studentenaustausch in beide Richtungen gleichgewichtig zustande kommen würde. Das wäre ein Beitrag zur Vertrauensbildung, für Glasnost, für Perestroika, für Öffnung. Eine Sowjetunion, die wieder mehr Selbstbewußtsein findet, sollte hier nicht hinter dieser enormen Öffnung zurückbleiben, die wir mit China in den letzten Jahren erlebt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Reise- und Kontaktmöglichkeiten der Deutschen in Ost und West gehören ebenfalls zu den Beispielen einer erlebbaren Entspannung. Wir wollen, daß sich unsere Landsleute aus der DDR ein eigenes Bild vom Leben in der Bundesrepublik machen können. Wir begrüßen, daß es hier zu den bekannten Verbesserungen gekommen ist. Wir wünschen, daß die positive Entwicklung im Reiseverkehr und auch im Jugendaustausch weiter ausgebaut wird. Wir wollen aber auch, daß in der DDR, und zwar dort, der direkte Dialog und möglichst viele Kontakte zwischen Bundesbürgern und Bürgern aus der DDR ohne Einschränkung möglich sind.
    Insbesondere innerdeutsche Städtepartnerschaften können und sollten die individuellen wie die gemeinschaftlichen Begegnungen der Bürger fördern, insbesondere auch derjenigen Menschen, die keine familiären Bindungen zum anderen Teil Deutschlands mehr haben. Städtepartnerschaften sollten zu echten Partnerschaften zwischen den einzelnen Bürgern im Sinne der erlebbaren Entspannung werden, und das



    Rühe
    sollte auch gerade für diejenigen Menschen möglich sein, die keine politischen Funktionen haben.
    Die Vorgänge in der Sowjetunion, liebe Kolleginnen und Kollegen, berühren unmittelbar auch unsere Ost- und Deutschlandpolitik. Wir dürfen gegenüber diesen Vorgängen weder blind noch schwerhörig sein, wir dürfen ihnen gegenüber auch nicht leichtgläubig sein. Wenn sich aus diesen Entwicklungen in der Sowjetunion Chancen für unsere Ost- und Deutschlandpolitik ergäben, würden wir versagen, wenn wir diese nicht ergriffen. Doch werden wir diese Chancen nur dann nutzen können, wenn wir in unseren Grundpositionen klar und glaubwürdig sind.
    Grundlage unserer Ost- und Deutschlandpolitik ist und bleibt eine glaubwürdige und berechenbare Westpolitik. Wir werden die deutsche Frage nicht voranbringen, wenn wir dem Trugbild eines neutralen Deutschlands zwischen Ost und West anhängen. Deshalb erteilen wir allen neutralistischen Tendenzen — ob nun von rechts oder von links — eine entschiedene und klare Absage.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir werden die deutsche Frage nicht lösen können, solange der Ost-West-Konflikt nicht gelöst ist; denn die deutsche Frage, die Spaltung unseres Landes ist eben nicht die Ursache — wie das manche glauben —, sondern die Folge des Ost-West-Konflikts.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Sie wollen sie doch gar nicht lösen!)

    Deshalb werden wir für den Dialog mit dem Osten auch keine Positionen des Bündnisses aufgeben; denn jeder außen- und sicherheitspolitische Sonderweg neben der Bündnispolitik oder gar gegen die Bündnispolitik würde unser Land sehr schnell in die internationale Isolierung führen und damit das Gewicht und den Handlungsspielraum der Bundesrepublik Deutschland drastisch reduzieren. Wir wollen und wir können kein Vermittler zwischen Ost und West sein.
    Die Zusammenarbeit mit unseren östlichen Nachbarn werden wir auch in Zukunft auf der Grundlage der Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa gestalten. Wir werden dabei immer auch die politische, moralische und historische Dimension der deutschen Frage im Auge behalten. Wir wollen nach vorn blicken und gemeinsam mit allen unseren Nachbarn in West und Ost eine gerechte und dauerhafte Friedensordnung in Europa schaffen, in der dann auch das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangen kann.
    Was die Entwicklung in der Sowjetunion angeht, werden für uns weniger das neue Denken als vielmehr die neuen Taten der sowjetischen Führung Maßstab der Beurteilung sein.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Wie übersehen nicht, daß es inzwischen einige Anzeichen gibt, die zwar nicht als eine Wende, aber als ein Ausdruck für ein gewisses Umdenken in der sowjetischen Führung gewertet werden können. Was und wieviel sich an der sowjetischen Politik ändern kann und wird, müssen wir sorgfältig und ohne Euphorie
    testen. Es wird vor allem von der Sowjetunion und ihrer inneren Entwicklung selbst abhängen, ob und inwieweit sich die von ihr angestrebten und auch notwendigen Veränderungen realisieren lassen.
    Der Westen kann dafür keine Vorleistungen machen. Er hat bereits wesentliche, grundsätzliche Vorleistungen erbracht. Ein Beispiel dafür ist unser offenes Gesellschaftssystem. Herr Falin hat davon gestern in schöner Weise Gebrauch gemacht. Ich habe zwar in der letzten Zeit in jeder Woche einen unzensierten und unkommentierten Artikel in vielen sowjetischen Zeitschriften veröffentlichen können — das ist eine Veränderung der Situation — , aber ich wünsche mir auch, daß ich am Tage nach einer GorbatschowRede diese unzensiert im sowjetischen Fernsehen kommentieren kann.
    Wir haben also Vorleistungen erbracht, auf die wir auch stolz sein sollten. Wir sollten sie ins Bewußtsein rücken. Eine andere Vorleistung ist eben auch, daß wir uns von unserer Doktrin, Struktur und den Potentialen unserer Verteidigung her die Nichtangriffsfähigkeit selbst auferlegt haben. Deshalb wird die weitere Entwicklung in der Sowjetunion auch daran zu messen sein, wieweit Moskau bereit ist, im Westen Vertrauenskapital anzusammeln.
    Wir sind bereit, im Rahmen unserer Möglichkeiten einen Beitrag zur Entwicklung in der Sowjetunion zu leisten. Diese könnten sein — damit komme ich auch schon zum Ende — : Erstens. Es sollte vermieden werden, daß diejenigen Kräfte gestärkt werden, die den Prozeß der Öffnung in der Sowjetunion verhindern wollen. In unserem eigenen Interesse sollte uns an der Veränderung der sowjetischen Gesellschaftsstruktur und Wirtschaft hin zu mehr Offenheit, Effizienz und auch zu mehr Wettbewerbsfähigkeit gelegen sein; denn die Alternative dazu wäre ein erstarrendes, unflexibles, dabei zugleich aber auch militärisch übermächtiges, uns bedrohendes System.
    Zweitens. Vor allem aber liegt ein grundsätzlicher Beitrag des Westens in einer im Bündnis abgestimmten, glaubwürdigen und für den Osten berechenbaren Außen- und Sicherheitspolitik entsprechend den Harmel-Prinzipien. Auf der Grundlage ausreichender Verteidigungsfähigkeit sollen konstruktive Ost-WestBeziehungen geschaffen werden.
    Unsere Bereitschaft, zu neuen Wegen der Zusammenarbeit zu kommen, kann aber nur an das anknüpfen, was es in der Sowjetunion an Entwicklungen gibt. Doch sollte dabei unbestritten sein: Wir wünschen eine vertiefte Zusammenarbeit in der ganzen Breite der gemeinsamen Beziehungen, so, wie es der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung hier ausgeführt hat, und so, wie es von uns allen in der Fraktion der CDU/CSU unterstützt wird. Wir alle werden uns gemeinsam in den nächsten Jahren an diese wichtige Aufgabe machen.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Ehmke.




  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Horst Ehmke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungserklärung, die wir hier heute am dritten Tag debattieren, hatte die offensichtliche Aufgabe, die Rahmsoße der guten und edlen Absichten über die eher kärglichen Ergebnisse ihrer Koalitionsvereinbarung zu gießen.

    (Schwarz [CDU/CSU]: Das war ein schöner Ehmke!)

    Sie haben sich in den Koalitionsvereinbarungen so präsentiert, wie Sie es im Wahlkampf mit Ihrem öden „Weiter so" angedroht hatten.
    Auch heute müssen wir feststellen: Die Hauptprobleme unseres Landes werden nicht angefaßt oder geleugnet, allen voran die Massenarbeitslosigkeit. „Kein Handlungsbedarf" ist der bürokratische schwarze Faden, der sich durch die Regierungserklärung zieht. Wesentliche innenpolitische Themen bleiben offen oder kontrovers, Herr Bundeskanzler, von dem in Grundfragen notwendigen Konsens mit der Opposition zu schweigen.
    Sie werden jedenfalls Ihr soziales Gewissen noch erheblich anstrengen müssen, wenn wir in den Fragen der Rentenreform und der Alterssicherung zu dem Konsens des Deutschen Bundestages kommen wollen, den wir alle anstreben.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Zukunft hat der Bundeskanzler den Wählerinnen und Wählern im Wahlkampf versprochen. Aber, Herr Bundeskanzler, wer kann in diesem Regierungsprogramm der Beharrung auf dem Status quo und der Pfründensicherung Zukunft und Perspektive entdekken? An Stelle einer Zukunft für alle werden kleinliches Vorteilsdenken und Gewinnmitnahme derjenigen gesetzt, die in dieser Gesellschaft schon immer die besseren Chancen hatten.

    (Dr. Vogel [SPD]: Wohl wahr!)

    Das ist übrigens auch die eigentliche Räson Ihrer sogenannten Steuerreform.
    Welche Zukunft dürfen denn die Arbeitslosen erhoffen, wenn sie von Ihnen noch einmal hören, der Markt regle das im wesentlichen von selbst? Welche Zukunft geben Sie Stahl und Kohle? Welche Zukunft haben die sozial Bedrängten in unseren Städten angesichts des absehbaren Konjunkturabschwungs und der immer stärker strapazierten kommunalen Haushalte?
    Welche Zukunft haben Natur und Umwelt von einem Umweltminister Wallmann zu erwarten, der seine Politik als Kulissenschieberei mit ökologischen Requisiten betreibt, bis hin zu der Molkeschieberei quer durch die ganze Republik?

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    Wann werden Sie in der Agrarpolitik endlich etwas tun, was nicht nur den Großen nützt? Was dürfen wir für die Entwicklung von innerer Liberalität und mehr Datenschutz erhoffen angesichts der heillosen Zerstrittenheit in der Koalition?
    Dieses Regierungsprogramm ist sachlich so dünn wie das Wahlergebnis des Bundeskanzlers und die
    Zusammensetzung seines Kabinetts. Freude kann es nur bei denjenigen auslösen, denen der Spitzensteuersatz gesenkt wird. Aber die Frage, wer diese Rechnung zahlt, werden Sie ja nicht mehr lange überdekken können. Herr Stoltenberg hat doch gestern schon angefangen, ein Stück von der schwarzen Katze aus dem Sack zu lassen, als er die erste Verbrauchsteuer nannte, mit deren Erhöhung dann dem Wenigerverdienenden wieder das genommen wird, was er in der Steuerreform kriegen soll. Die Mehrwertsteuer kommt mit Sicherheit auch noch dazu.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundeskanzler, in unserem Urteil ist dies ein Regierungsprogramm der Satten; es ist ein Ausdruck stupenden Status-quo-Denkens.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie wollen offenbar die Probleme des Landes weiter aussitzen, statt Zukunft zu gestalten. So droht Zukunft zu einem Wahlkampfslogan herabgewürdigt zu werden.
    Wenn Sie diesen Kurs nicht ändern, können wir Ihnen und können wir unserem Land innenpolitisch leider wenig Gutes voraussagen. Darum werden wir für eine Kurskorrektur kämpfen.
    Was die Außenpolitik betrifft, so hat der Grundton der Regierungserklärung recht vernünftig geklungen. Aber konkret geworden, Herr Bundeskanzler, sind Sie eigentlich auch auf diesem Gebiet nicht; und so recht entschieden auch nicht. Valentin Falin, den der Kollege Rühe schon zitiert hat, hat ein schönes literarisches Bild zu Ihrer Regierungserklärung gebraucht. Er hat gemeint, Sie hätten eine Brücke entlang des Stromes gebaut.

    (Beifall bei der SPD — Rühe [CDU/CSU]: Wollen Sie sich das etwa zu eigen machen? Das übernehmen Sie so kritiklos? — Bundeskanzler Dr. Kohl: Natürlich übernimmt er das Bild von Falin! Er hat ja kein eigenes! — Reddemann [CDU/CSU]: Die Moskau-Fraktion meldet sich!)

    — Wir sind noch nicht so weit, daß die CDU hier jemanden zitieren kann und wir nicht. Wenn Sie bitte noch so viel an Liberalität hier aufbringen würden, daß ich zitieren kann, wen ich will.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Rühe [CDU/CSU]: Übernehmen Sie das Bild?)

    — Ich komme noch dazu. Ich habe noch viel Zeit. Hören Sie einmal zu.

    (Rühe [CDU/CSU]: Ich weiß nicht, ob Sie noch so viel Zeit haben — im übertragenen Sinn!)

    Was mir auch auffällt, Herr Bundesaußenminister, ist, daß einige Ihrer Schlüsselbegriffe in dieser Regierungserklärung nicht vorkommen. So steht kein Wort von außenpolitischer Kontinuität drin. Es fehlt zu unserer Sorge auch der Begriff der kooperativen Sicherheit. So könnte man weitergehen und zeigen,



    Dr. Ehmke (Bonn)

    wo das Kanzleramt am Entwurf des Auswärtigen Amtes gestrichen hat.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Es steht auch nicht drin, was Ehmke für ein guter Mensch ist! — Frau Hoffmann [Soltau] [CDU/CSU]: Stimmt ja auch nicht!)

    Die Streitigkeiten, die im Wahlkampf so heftig ausgetragen worden sind, sind keineswegs ausgeräumt worden. Die Widersprüche sind nicht gelöst. Sie sind nur ausgeklammert. Sie werden weiter vor sich hergeschoben. Der Auszug der CDU aus dem Außenministerium bei gleichzeitiger Betrauung unseres verehrten Kollegen Johnny Klein mit dem Entwicklungsministerium läßt befürchten, daß ein CSU-Gegenaußenministerium entwickelt werden soll. So fürchten wir, daß der den deutschen Interessen schadende außenpolitische Streit in der Koalition weitergehen wird.

    (Stahl [Kempen] [SPD]: Er wird sich verstärken!)

    So ist es denn auch kein Wunder, daß wir in der Regierungserklärung nicht die Ankündigung eines Gesetzes über den Auswärtigen Dienst finden, Herr Außenminister, das es dem Auswärtigen Dienst ermöglichen soll, seine Aufgaben auch in Zukunft wahrzunehmen, obwohl wir uns über die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes einig sind.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben in indirekter Form die Angriffe auf die auswärtige Kulturpolitik zurückgewiesen. Aber wir sind der Meinung, es wäre schön gewesen, wenn Sie sich mit einem klaren Wort vor die Goethe-Institute und vor dessen Präsidenten gestellt hätten.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Meinungsunterscheide bestehen weiter gegenüber Südafrika und Mittelamerika. Bei den Waffenexporten hört man Unterschiedliches. Auch da ist interessant, was in der Regierungserklärung nicht steht. Offenbar ist daran gedacht, vor allem im Nahen und Mittleren Osten, die Staatsinteressen in noch stärkerem Maße partikulären Geschäftsinteressen unterzuordnen, was der deutschen Außenpolitik, Herr Außenminister, nicht gut tun könnte.
    Wir werden auf alle diese Dinge zu gegebener Zeit zurückkommen. Ich möchte heute meine Redezeit vor allen Dingen dazu benutzen, Ihnen einen Vorschlag für eine gemeinsame Initiative zu machen. Herr Rühe, ich freue mich, daß schon die bloße Ankündigung offenbar zu mehr Gemeinsamkeit geführt hat.
    Die Weltpolitik ist erheblich in Bewegung geraten. In der Sowjetunion bahnt sich eine möglicherweise weitreichende politische Umwälzung an. Die Bereitschaft der sowjetischen Führung, ein Separatabkommen über den Abbau aller in Europa stationierten Mittelstreckenraketen zu schließen, ist ein Zeichen dafür, daß sich nicht nur bei Abrüstung und Rüstungskontrolle, sondern auch in den Ost-West-Beziehungen insgesamt ein neues Kapitel eröffnen könnte.
    Wir sollten — Herr Kollege Dregger, wir und Sie — uns selbst und anderen eingestehen, daß wir die Dramatik der Entwicklung in der Sowjetunion unter Gorbatschow nicht vorausgesehen haben. Sie ist im Kern auch nicht einfach eine Folge westlicher Politik, wie Sie das gerne darstellen. Das gilt für die Entspannungspolitik — so sehr sie das Ost-West-Verhältnis positiv beeinflußt hat — und erst recht für die Politik des Doppelbeschlusses. Die neue Entwicklung in der Sowjetunion — es ist wichtig, daß wir uns darüber einigen — ist primär ein Ausdruck der inneren Probleme des Landes und ihrer realistischen Einschätzung und Beurteilung durch den neuen Generalsekretär.

    (Beifall bei der SPD)

    Ob dieser Versuch gelingen wird, wie weit er führen wird, weiß heute niemand, Gorbatschow eingeschlossen. Aber uns im Westen, vor allem uns in Westeuropa — und darin besteht offenbar Gemeinsamkeit — kann nicht egal sein, ob der Versuch scheitert oder zum Erfolg führt.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Wir müssen unser Verhalten gegenüber diesem Versuch klären. Ich bin der Meinung — ich habe auch Sie so verstanden, Herr Dregger, und Sie, Herr Rühe —, wir sollten positiv reagieren.
    Gorbatschow versucht, den russisch-sowjetischen Koloß zu bewegen, der lange in Immobilismus erstarrt war. Dieses Schauspiel findet auch der amerikanische Außenminister Shultz faszinierend. Selbst die der Sympathie für die Sowjetunion gänzlich unverdächtige Frau Kirkpatrick erklärte nach einer Begegnung mit Gorbatschow, daß sich echter Wandel abzeichne. Henry Kissinger urteilt, in der Sowjetunion liege Reform in der Luft, und andere sprechen — mit einer gewissen Parallele zu Peter dem Großen — von einer „Revolution von oben " .
    Die Annahme, wir hätten es dabei mit einem Wandel der Sowjetunion zu einer Demokratie westlichen Zuschnitts zu tun, wäre allerdings verfehlt. Die heutige sowjetische Führung versucht eine energische Modernisierung, weil sie sich bewußt ist, daß sie ohne innere Umgestaltung des eigenen Systems den Wettbewerb mit unserem Gesellschaftssystem nicht durchhalten und schon gar nicht gewinnen kann. In einem zuvor nicht für möglich gehaltenen Ausmaß öffnet sich das System im Innern, erweitert es individuelle Verantwortung in wichtigen Bereichen von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur.
    Daß dies die Außenpolitik nicht unberührt lassen kann, daß es neue außenpolitische Rahmenbedingungen erfordert, liegt auf der Hand. Aber es kommt hinzu, daß die sowjetische Führung — Sie können das interessanterweise übrigens auch am neuen Parteiprogramm studieren — neue außen- und sicherheitspolitische Folgerungen aus den Gefahren des Atomzeitalters gezogen hat. Wird die Sowjetunion aufgeschlossener für Zusammenarbeit, berechenbarer als Partner? Wir haben allen Grund, ja wir haben die Pflicht — ich glaube, auch das ist gemeinsame Überzeugung — , dies aufmerksam zu prüfen und sorgfältig zu bewerten.



    Dr. Ehmke (Bonn)

    Auch die USA, über die Sie nicht gesprochen haben, sind in Bewegung. Der nächste Präsidentschaftswahlkampf zeichnet sich ab. Von der ersten Vorwahl im Februar 1988 bis zur Amtseinführung des neuen Präsidenten im Januar 1989 werden die Vereinigten Staaten ganz im Banne dieses Ereignisses stehen. Nicht ganz ohne Sorge beobachten wir einen Prozeß, der zu einer politischen Schwächung des Präsidenten zwei Jahre vor dem Ende seiner Amtszeit geführt hat. Der Tower-Bericht über die Hintergründe der Iran-Affäre hat dies auf bestürzende Weise verdeutlicht. Die Affäre ist noch nicht zu Ende, die Wirkung auf die amerikanische Handlungsfähigkeit gegenüber der Sowjetunion daher heute noch nicht voll abzusehen. Zugleich wächst die Autorität des jetzt von den Demokraten beherrschten Kongresses. Mit einem möglichen Sieg der Demokraten in den nächsten Wahlen würden die politischen Akzente auf Kooperation und Rüstungskontrolle weiter verstärkt.
    Was folgt daraus für uns in Europa und insbesondere für uns in der Bundesrepublik? Herr Kollege Dregger, Herr Kollege Rühe, Sie geben die gleiche Antwort, die wir geben. Sie heißt: größere Aktivität Europas. Nun hat Herr Rühe von den europäischen Potentialen gesprochen und hat gemeint, daß wir diese Potentiale gar nicht voll auf die Waagschale bringen. Aber, Herr Kollege Rühe, das liegt natürlich nicht an den fehlenden Potentialen, ich teile da Ihre Meinung. Wir haben mehr Menschen als die Vereinigten Staaten und mehr Menschen als die Sowjetunion. Wir haben 320 Millionen Menschen in Westeuropa. — Übrigens sehen die Soldatenzahlen auch sehr viel besser aus, wenn Sie die Spanier und alle anderen mitrechnen; drüben rechnen sie ja auch alles mit. — Wir haben also große Potentiale, unser Problem ist: Es fehlt Politik.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Rühe [CDU/CSU]: Sie schwächen die europäische Flanke!)

    Wenn Sie sagen, Herr Rühe, wir machten nur in Rhetorik, so sage ich Ihnen folgendes. Was wir mit unseren Freunden in Europa besprechen, ist nicht Rhetorik, sondern Politik. Was wir in Osteuropa machen — das wissen Sie so gut wie der Außenminister und der Kanzler — , was wir z. B. in Polen gemacht haben, das ist keine Rhetorik, sondern sehr wichtige Politik. Was wir mit der DDR vereinbart haben, was wir mit unseren polnischen Gesprächspartnern vereinbart haben, das ist keine Rhetorik. Machen Sie es sich doch nicht so einfach! Und vor allem: wenn ich Sie reden höre, habe ich das Gefühl, wir regierten und nicht Sie.

    (Beifall bei der SPD — Rühe [CDU/CSU]: Ihre Sicherheitspolitik würde doch Europa schwächen! Fragen Sie Mitterrand!)

    — Aber, Herr Rühe. Sie kommen aus dieser Fragestellung so schnell doch nicht heraus.

    (Rühe [CDU/CSU]: Will ich gar nicht!)

    Was sind denn nun Ihre Taten, Herr Dregger? Ich habe — Sie haben mir dankenswerterweise Ihr Manuskript gegeben — gelesen, was Sie über die Rolle Europas in dem Zusammenhang gesagt haben. Ich stimme dem weitgehend zu. Nur, wir haben es doch erlebt: Beschwörungen allein nützen nichts. Es ist schon gut, daß wir diese Grundauffassung haben. Aber wir haben die Pflicht, in dieser Situation mit eigenen Konzepten, mit eigenen Initiativen zu antworten, und die fehlen, jedenfalls zum großen Teil.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich bin der Meinung: Bei der Situation der Großmächte, wie ich sie beschrieben habe, ist jetzt die Stunde, in der wir mit unseren westeuropäischen Partnern die Kraft zum Handeln entwickeln müssen. Das gilt ganz besonders für das nun greifbar nahegerückte Abkommen über die Befreiung Europas von Mittelstreckenraketen. Es ist eine jener Gelegenheiten, von denen Adenauer einmal gesagt hat, es sei gefährlich, sie zu versäumen, weil sie selten wiederkehrten. Europa, das Europa der Gemeinschaft, muß gerade jetzt eine aktive, vorantreibende Rolle übernehmen. Oft genug haben wir uns darüber beklagt — gerade auch wir Sozialdemokraten —, daß Europa nur Objekt von Entscheidungen sei, die von den Großen bestimmt würden.
    Wir brauchen eine europäische Initiative. Und wir brauchen sie — ich sage das hier nach Diskussion in der Parteiführung und in der Fraktion — mit einem überparteilichen Ansatz. Denn erfolgreiche Politik für Europa muß nicht nur über Länder-, sie muß auch über Parteigrenzen hinausgreifen. Wir können nicht warten, bis Europa unicolor schwarz, rot, grün oder gelb ist. Wir werden es immer mit parteimäßig unterschiedlich zusammengesetzten Regierungen in Europa zu tun haben. Darum muß der Versuch gemacht werden, Europa auf möglichst breiter Basis voranzubringen.

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    Über die tagespolitischen Fronten hinweg muß allen kooperationswilligen Kräften in ihren jeweiligen Ländern, ob in der Regierung oder in der Opposition, diese Möglichkeit zur Mitarbeit offenstehen. Ich denke an ein Spektrum — erschrecken Sie bitte nicht gleich wieder — , das sich von den britischen Konservativen bis zu den Eurokommunisten Italiens erstreckt. Herr Rühe, bevor Sie den Kopf schütteln, reden Sie vielleicht einmal ein Wort mit Herrn Andreotti.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    Bloße Absichtserklärungen reichen auch hier nicht aus. Ein Anstoß muß gerade aus unserem Lande kommen. Ohne eine aktive Rolle der Bundesrepublik kann eine solche Initiative nicht an Boden gewinnen.
    Die notwendige breite politische Basis hierfür bei uns zusammenzubringen mag auf den ersten Blick schwierig, ja fast unmöglich erscheinen. Denn die Heftigkeit vergangener Kontroversen — an denen ich fleißig beteiligt war — hat vielleicht etwas verdeckt, daß es in diesem Hause sehr wohl noch eine breite Gemeinsamkeit in Fragen der Friedenspolitik, der Entspannung und der Abrüstung gibt — mit zwei Ausnahmen. Die eine Ausnahme ist der Stahlhelmflügel der Union, und die andere Ausnahme sind die



    Dr. Ehmke (Bonn)

    Fundamentalisten bei den GRÜNEN. Der Eindruck der Zerrissenheit, Herr Bundeskanzler — —

    (Bundeskanzler Dr. Kohl: Sie wollen Gemeinsamkeiten setzen, und schon beginnt die Diffamierung! Das ist „gemeinsam"!)

    — Herr Bundeskanzler, der Eindruck der Zerrissenheit — Sie werden mir doch sicher in dem zustimmen, was ich jetzt sage —

    (Dr. Vogel [SPD]: Das sind Zurufe von der Regierungsbank, Herr Präsident!)

    ist doch gerade dadurch entstanden, daß innerhalb der Koalition und innerhalb der Union immer wieder außenpolitischer Streit herrscht. Und, Herr Bundeskanzler, wo Sie schon zwischenrufen:

    (Dr. Vogel [SPD]: Ein stoischer Präsident!)

    Sie sind aus sehr durchsichtigen wahltaktischen Gründen nie — weder in der Grenzfrage noch in allen anderen Fragen — diesem Flügel entgegengetreten,

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Herr Ehmke, nun bleiben Sie doch mal bei der Wirklichkeit!)

    wenn er die offizielle Außenpolitik konterkariert hat.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Denken Sie eigentlich wie Herr Koschnick? — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Machen Sie doch nicht das unglaubwürdig, was Sie gerade gesagt haben!)

    — Herr Dregger, es gehört zur Glaubwürdigkeit, zu sagen: Wir sind sehr glücklich darüber, daß dieses taktische Kalkül von Ihnen, sich im Wahlkampf ein bißchen nach rechts rauszulehnen, vom Wähler abgelehnt worden ist.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Darum sind wir der Meinung:
    Es könnte mit der falschen Rücksichtnahme auf lautstarke Gruppen auf der Rechten jetzt Schluß sein. Es gibt einen Weg zu einer sehr breiten Mehrheit in diesem Hause, der — das ist auch Ihre Mitverantwortung, Herr Bundeskanzler — der Stimme der Bundesrepublik in Europa und in der Welt zusätzlich Gewicht gäbe.

    (Beifall bei der SPD)

    Welche Aussichten eröffnen sich unter unseren europäischen Partnern? Die Europäische Gemeinschaft — die noch in diesem Monat 30 Jahre alt wird — hat durch ihre Erweiterung um Portugal und Spanien und durch die Annahme der Einheitlichen Akte im vergangenen Jahr gezeigt, daß wir zwar mit der Einigung Europas vorankommen, daß es aber sehr langsam geht. Der politischen Union Europas sind wir damit nicht sehr viel näher gekommen, obgleich sie zur Lösung der wirtschaftlichen, der sozialen und der Sicherheitsprobleme, die — da stimme ich völlig mit Ihnen überein — nicht mehr allein national gelöst werden können, immer dringender wird.
    Sehen Sie, verbal besteht zwischen uns Konsens: Die Agrarpolitik muß geändert werden; die Wirtschaftspolitiken müssen aufeinander abgestimmt
    werden; wir brauchen eine gemeinsame Technologiepolitik — Eureka und Weltraum sind genannt worden —; wir brauchen Zusammenarbeit beim Umweltschutz; wir brauchen eine gemeinsame Initiative zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Das ist ohne breiten politischen Konsens, national wie auf europäischer Ebene, nicht durchzusetzen. Das Problem, über das wir streiten, ist nicht, ob dies notwendig ist, sondern daß wir — auch in der Regierungserklärung — Initiativen der Bundesrepublik, die eine besondere Rolle spielen muß, vermissen; und das formuliere ich noch höflich. Der von Ihnen sonst so gern zitierte Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt hat vor zwei Tagen gesagt, wir, die Bundesrepublik, seien in Europa in Fragen Agrarpolitik und europäische Währung leider zu Bremsern geworden. Wenn es in Europa weitergehen soll, darf die Bundesrepublik nicht Bremser sein. Sie muß vielmehr eines derjenigen Länder sein, die die Dinge nach vorne bewegen.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/ CSU]: In die richtige Richtung natürlich! -Kittelmann [CDU/CSU]: Als Phrase hört sich das gut an, nur konkret ist es nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — In die richtige Richtung. — (Zuruf des Abg. Dr. Waigel [CDU/CSU])

    — Herr Waigel, Sie kennen mich gut genug, daß Sie mir abnehmen, wenn ich Ihnen sage, daß Schwarz und Weiß, Licht und Schatten natürlich bei allen Parteien verteilt sind. Ich habe z. B. nie viel davon gehalten, Äußerungen über Europa darauf zu beschränken, daß wir der „Zahlmeister" Europas seien. Ich rechne hier nicht auf; es gibt auch für die Sozialdemokratie Grund genug, in Sachen Europa viel Selbstkritisches an die eigene Adresse zu sagen.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Das ist gar nicht bestritten, das bestreiten wir gar nicht.
    Ich glaube, wir sind uns weiter darin einig, daß wir mehr denn je ein enges deutsch-französisches Zusammenwirken brauchen. In dieser Auffassung sind wir uns mit allen demokratischen Parteien Frankreichs einig. Ich glaube, wenn alle Parteien hier im Hause — wir wissen ja, wie schwierig das gerade in Frankreich ist — gegenüber den Parteien, gegenüber unseren Partnern in Frankreich einmal zusammen eine Meinung vertreten würden, dann würde manches einfacher werden als es heute ist. Die europäische Initiative, die wir anstreben, verlangt die Mitwirkung Frankreichs. Dafür ist eine deutsch-französische Zusammenarbeit besonders wertvoll.
    In der Sicherheitspolitik ist — dank der noch unter Bundeskanzler Schmidt unternommenen Bemühungen, fortgesetzt von dieser Regierung — manches erreicht worden, was noch vor 20 Jahren undenkbar gewesen wäre. Aber: Vorstellungen über die erweiterte Zusammenarbeit bei unseren konventionellen Streitkräften müssen in die Tat umgesetzt werden. Frankreich ist sich heute dessen bewußt, daß seine Grenzen nicht erst am Rhein, sondern bereits weit vorher, auf unserem Territorium, verteidigt werden müssen. Daraus sind aber praktische Folgerungen für eine



    Dr. Ehmke (Bonn)

    Beteiligung der französischen Armee, einschließlich
    der Reserven, zu ziehen: für gemeinsame Logistik
    — denn auch da geht es nicht mit Absichtserklärungen — und für die gemeinsame Ausbildung unserer Truppen.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Abkommen Mitterrand — Kohl!)

    — Das haben wir ja leider nicht. Noch nicht einmal für die Force Action Rapide liegen logistische Überlegungen vor.

    (Bundeskanzler Dr. Kohl: Das ist doch einfach falsch, was Sie da sagen!)

    — Herr Bundeskanzler, wenn Sie uns hier darlegen würden — wir reden mit unseren französischen Freunden sehr viel darüber — , welche logistischen Vorkehrungen getroffen worden sind, dann würde ich etwas Neues lernen. Ich lasse mich immer gerne belehren. — Bei Respektierung der weiterhin unabhängigen französischen Atomstreitmacht sollte das auch für die Abstimmung der Einsatzplanung französischer Atomraketen gelten.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Auf deutschem Boden!)

    — Gerade drum. Solange es sie gibt und sie auf deutschem Boden eingesetzt werden können, Herr Kollege, müssen wir daran interessiert sein, zu wissen, woran eigentlich gedacht ist, um uns ein Bild zu machen und dort mitwirken zu können. Heute wissen wir davon nichts, sind wir daran nicht beteiligt. Das heißt aber nicht, daß es diese Dinge, diese französischen Pläne nicht gibt. —
    Für die Zusammenarbeit mit Frankreich stellen sich auch im Weltraum neue Aufgaben. Nach den Schwierigkeiten, Herr Kollege Rühe, die sich bei der Realisierung des Columbus-Projekts mit den Vereinigten Staaten ergeben haben, werden Entscheidungen immer dringender. Auf der Tagesordnung muß auch der gemeinsame westeuropäische Aufklärungssatellit bleiben. Ohne verläßliche eigene Kapazitäten auf dem Gebiet der weltraumgestützten Nachrichtenbeschaffung wäre Europa in einem sicherheitspolitischen Kernbereich weiterhin gänzlich von den Vereinigten Staaten abhängig. Ich hoffe, wir sind uns darin einig, daß das dem Gedanken der Gleichberechtigung im Bündnis widerspricht. Dann muß man weiter darüber reden, welche Art von Satelliten man haben will. Das ist aber eine andere Frage.
    So notwendig eine deutsch-französische Zusammenarbeit und Schrittmacherrolle in Europa ist, so sehr bedürfen wir auch der engen Abstimmung mit Großbritannien, das — das möchte ich hier doch auch einmal, weil wir es selten tun, ausdrücklich sagen — mit der Rheinarmee einen unentbehrlichen Beitrag für die Vorneverteidigung im NATO-Abschnitt Mitte leistet.

    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

    Ebenso brauchen wir das Zusammenspiel mit den Benelux-Ländern, und wir brauchen den Beitrag der Mittelmeerländer voran den Italiens und Spaniens, wie die aktive Beteiligung unserer skandinavischen Freunde im Norden.
    Für eine europäische Abstimmung in sicherheitspolitischen Fragen muß die EPZ sachlich erweitert und die WEU mit neuem Leben erfüllt werden. Das fordern wir zwar alle seit langem, aber es passiert bisher nicht. Ich kann Herrn Kollegen Dregger nur zustimmen: Herr Delors hat auch unsere volle Sympathie für das, was er über diese notwendige europäische sicherheitspolitische Abstimmung vor einigen Tagen gesagt hat. Er hat dafür nicht Kritik, sondern Lob verdient.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Aber, ich sage es noch einmal: Auch in diesem Bereich müssen wir viel mehr drängen. Wir dürfen nicht hängenbleiben zwischen der Frage: Machen wir es nun mit der WEU oder machen wir es mit der EPZ, sondern wir müssen uns einmal entscheiden. Auf unsere Mithilfe jedenfalls, soweit wir mithelfen können, können Sie auch in dieser Frage rechnen.
    Eine europäische Initiative beginnt im Westen, aber sie muß sich natürlich auch auf Osteuropa richten. Eine Initiative zu europäischer Friedenspolitik muß auf ein Mehr an Sicherheit auf unserem Kontinent, auf ein Mehr an Zusammenarbeit über Blockgrenzen hinweg gerichtet sein. In der KSZE-Schlußakte von Helsinki ist dieser Weg vorgezeichnet.
    Wir schlagen vor, auf der angelaufenen Folgekonferenz ein wirksames System blockübergreifenden politischen Krisenmanagements — ich liebe das Wort nicht so sehr, aber es ist eingebürgert — zu vereinbaren. Die SPD hat zusammen mit unseren polnischen Gesprächspartnern dafür die Schaffung eines Europäischen Rates für Vertrauensbildung vorgeschlagen. Wir bitten Sie, diesen Vorschlag in Helsinki zu unterstützen.
    Ebenso brauchen wir Fortschritte bei den Menschenrechten, beim Kulturaustausch und bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. — Um wieder ganz konkret zu werden: In Bern sind zu Menschenrechten, Grundfreiheiten und humanitären Fragen Ergebnisse erarbeitet worden, die wir gerne nun von allen KSZE-Staaten, d. h. auch von unseren Freunden in den Vereinigten Staaten, ratifiziert sehen würden. Wir verstehen die Sorgen unserer amerikanischen Freunde in bezug auf die Lage der Juden in der Sowjetunion. Sie entsinnen sich, daß wir hier dazu Ende der letzten Legislaturperiode einen Antrag eingebracht haben, der die Zustimmung des ganzen Hauses gefunden hat. Da gibt es keinen Streit mit den Vereinigten Staaten; aber man kann nicht alles auf einmal erreichen, und wir finden es nicht gut, daß die Fortschritte, die die anderen 34 Staaten erreicht haben, nun liegenbleiben sollen, bis auch das Problem gelöst ist.
    Wir sind, Herr Dregger, für die Einrichtung unabhängiger Gremien, die als Berufungsinstanzen in Fragen von Religions- und Meinungsfreiheit, von Minderheits- und von Gewerkschaftsrechten in Anspruch genommen werden können.
    Zweiter Punkt: Tag für Tag erleben wir, daß die kulturelle Identität Europas stärker ist als die System- und die Paktgrenzen. Es gilt, gegen die von vielen Seiten aufgerichteten Barrieren Verbesserungen zu schaffen. Das Budapester Kulturforum, auf dem wir sehr gut vertreten waren, hat dazu sinnvolle Vorschläge gemacht, die nun in einer gemeinsamen Anstrengung



    Dr. Ehmke (Bonn)

    auch verwirklicht werden sollten. Wir müssen nachsetzen, damit es vorangeht.
    Kaum zu überschätzen ist schließlich die Rolle der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Ich darf an dieser Stelle sagen: Wir freuen uns, daß dies in zunehmendem Maße auch wieder öffentlich aus Kreisen der deutschen Wirtschaft unterstrichen wird. Die Möglichkeiten der Arbeitsteilung sind gerade im OstWest-Verhältnis noch längst nicht ausgeschöpft. Eine wirtschaftliche Spaltung Europas liegt ebensowenig in unserem Interesse wie im Interesse der Länder Osteuropas. Herr Bundeskanzler, aus diesem Grunde unterstützen wir Ihren Vorschlag, den sich die Westeuropäer inzwischen zu eigen gemacht haben, für eine KSZE-Wirtschaftskonferenz von Ost und West in unserem Lande.
    Vergessen wir doch nicht, daß Freiräume für politische und gesellschaftliche Reformen nur bei auskömmlicher Wirtschaftsentwicklung entstehen können. Dazu brauchen wir zeitgemäße Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Eine gesamteuropäische Gemeinschaftsaufgabe von gar nicht absehbaren Dimensionen erwächst uns auf dem Gebiet der grenzüberschreitenden Umweltzerstörung. Die Anwendung neuer Technologien — ein kritischer Punkt — kann dabei Wertvolles leisten. Überhaupt liegt die Teilhabe aller Europäer, auch der Osteuropäer und der Sowjetunion, an moderner Technologie — statt wachsender Beschränkung des Technologietransfers und Immer-breiter-Werden des technologischen Grabens in Europa — nicht nur im Interesse des Ostens, es liegt im Interesse des ganzen Kontinents, um z. B. überholte, umweltfeindliche, riskante Produktionsmethoden abzubauen. Nach Tschernobyl ist darüber doch überhaupt kein Streit mehr möglich.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Wenn ich hier eine Fußnote machen kann: Ich sehe mit großem Interesse Herr Bundesaußenminister, daß in den Vereinigten Staaten eine Diskussion darüber einsetzt, ob die Beschränkung des Technologietransfers, die der Kollege Perle, von dem wir uns heute auch verabschieden müssen, nachdem er aus dem Pentagon ausgeschieden ist, so energisch vorangetrieben hat, der Weisheit letzter Schluß ist. Es beginnt in Amerika darüber eine Diskussion unter anderem mit einem sehr interessanten Bericht der American Academy of Science. Ich schlage den Europäern vor, sich massiv in diese Diskussion einzuschalten, um die europäischen Interessen an dieser Frage zur Geltung zu bringen.

    (Beifall bei der SPD)

    Der inneren wirtschaftlichen Verflechtung Europas und damit auch der politischen Stabilisierung unseres Kontinents könnte der Abschluß eines Abkommens dienen, mit dem sich EG und RGW gegenseitig völkerrechtlich anerkennen. Wir sollten darauf hinwirken, daß die Gespräche zwischen beiden Organisationen bald mit einem Ergebnis abgeschlossen werden können. Herr Außenminister, unsere Anregung ist: Das Abkommen sollte auch eine politische Würdigung des Handels als Motor für gute Ost-West-Beziehungen enthalten, verbunden mit der Verpflichtung,
    die gegenseitigen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen gezielt weiter zu fördern.
    Solche Zusammenhänge haben wir Sozialdemokraten im Auge, wenn wir von einer zweiten Phase der Entspannungspolitik sprechen, natürlich, Herr Bundeskanzler, von einer realistischen Entspannungspolitik, denn wer macht schon gerne unrealistische Politik?

    (Beifall bei der SPD — Dr. Waigel [CDU/ CSU]: Sie vielleicht schon!)

    — Herr Waigel, zu Ihnen komme ich noch.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Ist gut!)

    Eine gesamteuropäische Initiative könnte uns einen entscheidenden Schritt voranbringen. Bei diesem Prozeß kommt den beiden deutschen Staaten eine besondere Verantwortung zu. Der Bundeskanzler hat das gesagt. Ich lese in der Zeitung, daß es nicht von der polnischen Regierung, aber in den polnischen Zeitungen offenbar kritische Äußerungen zu diesem deutsch-deutschen Verhältnis gegeben hat. Ich bin der Meinung, wir alle sollten unseren polnischen Freunden sagen: So wie wir enge Zusammenarbeit mit ihnen wünschen, die ganz Europa dient, können sie auch sicher sein, daß Gespräche mit Ost-Berlin und unseren Landsleuten in der DDR ganz Europa zugute kommen sollen und gegen niemanden gerichtet sind.

    (Beifall bei der SPD)

    Die beiden deutschen Staaten können nämlich ein praktisches Beispiel für umfassende Zusammenarbeit und eine konsequente Friedenspolitik geben, ohne uns — da stimme ich Ihnen zu — dem Verdacht eines Sonderweges auszusetzen. Die sicherheitspolitische Komponente der deutsch-deutschen Beziehungen muß dabei den in Art. 5 des Grundlagenvertrages vorgesehenen Platz einnehmen. Das erste Gebot der Stunde ist, daß beide deutsche Staaten im engen Kontakt miteinander innerhalb ihrer Bündnisse für ein Abkommen über die vollkommene Beseitigung der Mittelstreckenraketen in Europa eintreten. Solche Möglichkeiten für einen spezifisch deutsch-deutschen Beitrag nicht wahrzunehmen, wäre unverantwortlich. Vielleicht fällt es dann auch leichter, Versäumtes, wie z. B. die Aufnahme offizieller Beziehungen zwischen Bundestag und Volkskammer, nachzuholen.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Regierender Bürgermeister, davon würde auch Berlin profitieren, das mit dem in diesem Jahr begangenen 750-Jahr-Jubiläum weltweit im Blickpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit steht. Niemand will den Rückfall in die Zeit sinnloser Konfrontation, die ja keiner Seite genutzt hat.
    Als Folge des Viermächte-Abkommens und der Entspannungspolitik hat sich die Lage Berlins zum Guten gewandelt, haben sich die Bindungen zur Bundesrepublik, an denen uns allen gelegen ist, gefestigt. Die Probleme Berlins können uns natürlich auch in Zukunft — das sehen wir — Schwierigkeiten bereiten, solange die Blöcke nicht überwunden sind. Aber der Status Berlins bietet gerade auch bei dynamischer Fortentwicklung der Ost-West-Beziehungen Chancen



    Dr. Ehmke (Bonn)

    und Vorteile, die genutzt werden müssen. Eine europäische Initiative zur Friedenspolitik muß auch diesen Berlin-Aspekt im Auge haben: Berlin als Drehpunkt in einem wachsenden Geflecht von Ost-West-Beziehungen, als Begegnungsstätte, als Sitz von Ost-WestInstitutionen, z. B. — warum nicht? — solche von RGW und EG. Das könnte Berlin neue Funktionen geben, die allen zugute kämen. Ich glaube, auch die DDR wird sich dieser Überlegung nicht verschließen wollen.

    (Beifall bei der SPD)

    Entscheidendes werden wir in Europa ohne substantielle Fortschritte bei Rüstungskontrolle und Abrüstung kaum bewegen können. Die nun auf den Genfer Verhandlungstisch gelegten Null-Lösungsvorschläge könnten einen Durchbruch bringen. Gerade jenen europäischen Staaten, die Stationierungsländer für die Mittelstreckenraketen sind, muß elementar an einer Null-Lösung gelegen sein. Wir sind Hauptbetroffene. Es ist unsere Sache, die hier betrieben wird. Europäische Passivität wäre um so unverständlicher, als wir uns eben erst darüber beklagt haben, die Großen seien in Reykjavik dabeigewesen, ohne unsere Beteiligung über unsere sicherheitspolitischen Belange zu verfügen. Für kein Land kann das mehr gelten als für die Bundesrepublik.
    Bereits die Regierung Schmidt hat eine NullLösung als westlichen Verhandlungsvorschlag unterstützt. Herr Rühe, ich hatte neulich den Eindruck, Ihnen ist das entschwunden.

    (Rühe [CDU/CSU]: Aber Sie haben damals ein sowjetisches Monopol zugelassen! Das ist doch eine Tatsache! — Dr. Dregger [CDU/ CSU]: Beschluß des Parteitages! Heute sind Sie ja gut, Herr Ehmke!)

    — Herr Rühe, lassen Sie das doch mal! Sie wissen selbst, daß das nicht richtig ist.
    Die Regierung Schmidt hat das getan, um die Vereinigten Staaten für die Verhandlungen zu gewinnen, obwohl sie selbst — das ist richtig — eine Zwischenlösung im Sinne einer Reduzierung der beiderseitigen Raketen auf eine gemeinsame Höchstgrenze zunächst für aussichtsreicher hielt. Es ist richtig, die Tatsache, daß die Bundesregierung damals die Null-Lösung als westlichen Vorschlag mitgetragen hat, ist seinerzeit, Herr Kollege Rühe, nicht nur aus den Reihen der Union kritisiert worden. Aber was Sie uns neulich hier in der Aktuellen Stunde erzählen wollten, Sie seien für und wir seien gegen die Null-Lösung gewesen, gehört in den Bereich der Märchen.

    (Rühe [CDU/CSU]: Sie waren für das sowjetische Monopol!)

    Der Kollege Strauß, Herr Kollege Waigel, der heute seine Bedenken gegen eine Null-Lösung mit den möglichen militärischen Konsequenzen begründet
    — ich erinnere an seine Rede, die er vor wenigen Wochen auf der Wehrkundetagung gehalten hat —, ist damals nicht müde geworden zu sagen, daß er zwar eine Null-Lösung für „wunderbar" halten würde, daß
    sie aber nicht erreichbar sei. Wie immer hat er natürlich mit der Formulierung den Vogel abgeschossen.

    (Heiterkeit — Dr. Vogel [SPD]: Na, der schießt doch auf Herrn Kohl, der schießt doch nicht auf Vogel! — Dr. Waigel [CDU/CSU]: Bleiben Sie bei der Formulierung, die war Spitze!)

    — Das müssen Bayern unter sich ausmachen. Ich hoffe, daß der Strauß jetzt bei der Formulierung bleibt, die ich vorlese.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Bleiben Sie aber auch bei Ihrer!)

    Am 25. Februar 1983 hat der verehrte Kollege Strauß laut dpa auf einer Wahlveranstaltung in Hof gesagt, er werde mit einer Kerze in der Hand zu Fuß von München nach Altötting wallfahrten, wenn die Sowjets ihre SS 20 abbauen.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das wird er jetzt machen!)