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    Plenarprotokoll 11/6 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 6. Sitzung Bonn, Freitag, den 20. März 1987 Inhalt: Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Dregger CDU/CSU 253 A Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 260 B Mischnick FDP 264 B Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 269 B Rühe CDU/CSU 271 B Dr. Ehmke (Bonn) SPD 275 A Diepgen, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 284 A Dr. Mechtersheimer GRÜNE 286 C Genscher, Bundesminister AA 289 C Präsident Dr. Jenninger 257 B Nächste Sitzung 294 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 295* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. März 1987 253 6. Sitzung Bonn, den 20. März 1987 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amling 20. 3. Frau Beck-Oberdorf 20. 3. Clemens 20. 3. Cronenberg (Arnsberg) 20. 3. Frau Eid 20. 3. Eylmann 20. 3. Francke (Hamburg) 20. 3. Dr. Göhner 20. 3. Dr. Götz 20. 3. Gröbl 20. 3. Grünbeck 20. 3. Dr. Grünewald 20. 3. Grunenberg 20. 3. Jungmann 20. 3. Klein (München) 20. 3. Kolb 20. 3. Dr. Graf Lambsdorff 20. 3. Lenzer * 20. 3. Frau Dr. Martiny-Glotz 20. 3. Frau Odendahl 20. 3. Frau Pack 20. 3. Porzner 20. 3. Reuschenbach 20. 3. Dr. Rumpf * 20. 3. Seehofer 20. 3. Dr. Solms 20. 3. Spilker 20. 3. Frau Trenz 20. 3. Vosen 20. 3. Dr. Wallmann 20. 3. Weiermann 20. 3. Dr. Wieczorek 20. 3. Wissmann 20. 3. Würtz 20. 3. Zumkley 20. 3. Frau Zutt 20. 3. Zywietz 20. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Lippelt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst ein paar Vorbemerkungen zu Herrn Dr. Dregger. Erstens. Herr Dregger, es sollte zur Viertelsbildung des Fraktionsvorsitzenden einer Partei gehören, die sich christlich nennt, daß er weiß, daß sich z. B. die Mitglieder der urchristlichen Gemeinde untereinander Kommunisten nannten. Sie sollten sich vielleicht einmal mit Herrn Ebermann über die Spannweite dieses Begriffes unterhalten.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Zweitens. Es liegt eine unerträgliche Kontinuität der Arroganz in Ihrer Haltung zu Tschernobyl. Nach der Katastrophe erwogen Sie in Regierungs- und Parteikreisen die Geschmacklosigkeit, der Sowjetunion eine Schadensrechnung zu schicken. Jetzt soll am deutschen Atomwesen die Welt genesen. Sie spielen sich als die Leute mit der unfehlbaren Technologie auf, die die sowjetischen AKWs nachrüsten wollen.
    Die Verantwortung für Tschernobyl tragen nicht nur die dortigen Politiker, sondern alle Atomfans in diesem unserem Lande, alle, die diese Entwicklung einer falschen Technologie mittragen, denn außer Tschernobyl gibt es Harrisburg; auch in Deutschland
    gibt es viele Schrottreaktoren, wo ähnliches passieren kann.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Nehmen Sie z. B. den hochversprödeten Reaktor Stade unter die Lupe: ohne Schieber für die Frischdampfleitung, so daß bei Rohrbruch, auch wenn das Wallmann-Ventil eingebaut ist, immer noch eine radioaktive Wolke Hamburg vernichten kann. Nehmen Sie das erst einmal unter die Lupe, bevor Sie solche Sprüche klopfen.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Scharrenbroich [CDU/CSU]: Ihre Verteufelung ist sehr unchristlich!)

    — Das ist keine Verteufelung. Ich habe vier Jahre im niedersächsischen Landtag zu diesem Problem gearbeitet. Ich denke, ich weiß, wovon ich rede.
    Drittens. Herr Dr. Dregger, Sie haben ein schönes Bild unbelehrbaren Denkens gegeben, als Sie entwikkelten: Wiedervereinigung; aber auch das wiedervereinigte Deutschland ist zu schwach; deshalb europäische Föderation als Machtblock zwischen den beiden Supermächten. In solchem Machtdenken liegt nicht die geringste Perspektive.
    Über Perspektiven zu einem anderen Europa möchte ich aber jetzt sprechen. Auf dem jetzt zu Ende gegangenen Kongreß des sowjetischen Journalistenverbandes hat der Iswestija-Redakteur Bowin gefordert, verstärkt westliche Politiker und Kommentatoren zur Diskussion ins russische Fernsehen zu bitten. Ich habe mich beim Anhören der Regierungserklärung gefragt: Was, Herr Bundeskanzler, wollten Sie wohl, gesetzt, Sie würden dort einmal eingeladen, auf der Grundlage dieser Regierungserklärung sagen, ohne sich bei den Künstlern, den Schriftstellern, den Wissenschaftlern, den Tausenden, die zu neuen Ufern aufgebrochen sind, der Lächerlichkeit preiszugeben, oder, schlimmer noch, ein Gefühl der Resignation und der Hoffnungslosigkeit bei Ihnen hervorzurufen?

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Das Deprimierende an Ihrer Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler, ist, daß sich in ihr auch nicht der geringste Ansatzpunkt findet, der Anlaß zu der Vermutung geben könnte, daß Sie die geistige Herausforderung — denn es ist eine geistige Herausforderung, Herr Dregger, und nicht nur eine möglicherweise militärische, also abrüstungspolitische — überhaupt begriffen hätten, geschweige denn, ihr gerecht werden könnten.
    Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Wir GRÜNEN wissen, wie begrenzt die Reformvorschläge Gorbatschows sind, wie sehr sie einem Denken in Kategorien technokratischer Effizienz verhaftet sind, das wir GRÜNEN in seiner Ausschließlichkeit als überholt ablehnen. Aber trotzdem: Nach einer langen Zeit der scheinbaren Erstarrung allen gesellschaftlichen Lebens unter der Herrschaft einer verknöcherten Bürokratie beginnt in der Sowjetunion ein Prozeß des Umdenkens, von dem wir hoffen, daß er weit über die bisherigen Vorschläge Gorbatschows hinweggeht. Deshalb spreche ich hier die Frage an, wieweit in der Regierungserklärung Perspektiven für die För-



    Dr. Lippelt (Hannover)

    derung eines solchen Prozesses liegen können oder wieweit dort nur Hindernisse aufgebaut sind.
    Der Zentralbegriff, auf den sich die Koalition bei ihren Gesprächen zum Thema Außenpolitik geeinigt hat — so war der Presse zu entnehmen — , ist der einer realistischen Entspannungspolitik. Nun ja, man sagt sich: Entspannungspolitik für Herrn Genscher, der die Blackouts des Regierungschefs ausbügeln mußte, Realismus für Strauß als Hinweis, daß es so schlimm nicht werden kann. Trotzdem blieb die Frage: Was soll nun realistisch sein? Die Regierungserklärung, die wir am Mittwoch hier hörten, hat uns belehrt — ich habe mitgeschrieben — : „Realistisch" , Herr Bundeskanzler, so sagten Sie, „weil wir nie den grundlegenden Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur verwischen dürfen."
    Ach, Herr Kohl! Wir GRÜNEN kennen den Unterschied zwischen beiden Systemen gut und wissen genau, warum wir Bürgerrechte, Gewaltenteilung, Sozialstaat für wichtige und verteidigenswerte Errungenschaften halten. Aber die politischen Systeme hier wie dort sind komplexe Gebilde: Bei uns gibt es nicht nur Freiheit, sondern auch Unterdrückung und soziale Not,

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    und in der Sowjetunion gibt es nicht nur Unterdrükkung, sondern auch viele schöpferische Menschen und eine Tradition des Sich-Beziehens auf europäische Werte, die wir als Dialogpartner ernst nehmen müssen.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Aber Sie, Herr Bundeskanzler, grenzen lieber aus und fühlen sich, wie Sie in der Regierungserklärung auch gesagt und herausgestrichen haben, in der „westlichen Wertegemeinschaft" wohl. Ist Ihnen überhaupt bekannt und bewußt, wie stark der Einfluß Dostojewskis und Tolstois auf das europäische Geistesleben war?

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Darüber werden Werte vermittelt, falls Sie das noch nicht wissen sollten.

    (Bundeskanzler Dr. Kohl: Seien Sie nicht so arrogant!)

    — Ich habe Arroganz von Ihnen gelernt.
    Ist Ihnen bewußt, daß die russische Literatur der Gegenwart eine der ganz wenigen Literaturen von Weltrang ist? Was wäre die Berlinale ohne die Filme aus der Sowjetunion gewesen, und was sind zehn Regierungserklärungen Ihrer Art auch nur gegen einen Film von Tarkowski, gerade unter dem Gesichtspunkt von Werten und von menschlichem Maß?

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    Zu Ihren deutschlandpolitischen Vorstellungen und damit auch zu Herrn Dregger. Die Freiheit — so haben Sie uns vorgelesen —

    (Lattmann [CDU/CSU]: Vorlesen tun Sie!)

    ist der Kern der deutschen Frage. Nun sind wir GRÜNEN ja gewiß freiheitsliebende Menschen, aber der
    Kern der deutschen Frage ist, so behaupte ich, ein anderer. Es sind jene 13 Jahre, die Sie so gern übergehen, übrigens auch mit solch blumigen Wendungen wie der von der „Geschichte mit all ihren Höhen und Tiefen". Der Kern der deutschen Frage ist jene von uns verursachte Katastrophe Ostmitteleuropas, jenes Raumes gemischtsprachlichen und kulturellen Zusammenlebens, der vom Faschismus zerstört wurde. In dieser Katastrophe ist Europa erstarrt, aus ihrem Schatten ist es noch nicht wieder herausgetreten.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD])

    Die Frage, die wir stellen müssen, ist: Wenn jetzt am Horizont die Möglichkeit dazu erscheint — deshalb meine Rede von der Auffassung der Initiativen — —

    (Lattmann [CDU/CSU]: Das ist keine Rede, sondern eine Vorlesung, was Sie machen!)

    — Ich werde schon noch anders werden, mal langsam! Dies ist meine erste Rede hier! Sie werden mich auch noch anders kennenlernen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wenn jetzt am Horizont die Möglichkeit dazu erscheint, sollten wir alles tun, einen solchen Prozeß zu fördern, um mitzugestalten. Nichts kann ihn aber stärker behindern, ja gefährden als die Aussicht, daß er zu einem neuen Machtzentrum in Europa führt durch Wiedervereinigung der stärksten Macht der EG mit der zweitstärksten des COMECON. Darum treten wir GRÜNEN für die Aufgabe der Wiedervereinigungspolitik ein.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

    Ich möchte das mit zwei Überlegungen untermauern. Warum, Herr Bundeskanzler, beziehen Sie sich eigentlich immer nur auf die 80 Jahre deutscher Geschichte als Einheitsstaat? Sie sind nicht so glücklich verlaufen. Warum beziehen Sie sich nicht auf die fast 1 000 Jahre deutscher Geschichte als Kulturnation? Wenn Sie hier, in diesem Fall Arm in Arm mit der gesetzestreuen SPD, das Wiedervereinigungsgebot der Grundgesetzpräambel beschwören, so werden Sie doch gewiß auch den Unterschied zwischen Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit kennen. Dazu bemühe ich nochmals die ganze deutsche Geschichte. Fast 1 000 Jahre, bis zu seiner Zerstörung durch Napoleon, existierte das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Das war damals Verfassungsnorm. Die Verfassungswirklichkeit aber hieß längst Bayern, Österreich, Preußen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Eine letzte in der Regierungserklärung vorgetragene befremdliche Vorstellung muß noch aufgegriffen werden. Sie haben, Herr Bundeskanzler, auch noch eine „besondere Verpflichtung den Deutschen gegenüber betont, die heute noch in den Ländern Mittelost- und Südosteuropas leben". Ich habe vorhin auf das Zusammenleben jener Minderheiten im heute untergegangenen Ostmitteleuropa hingewiesen. Hier hatte sich teils schon vor, vor allem aber nach dem Ersten Weltkrieg eine wichtige Entwicklung vollzogen, die Ausbildung kodifizierter Minderheiten-



    Dr. Lippelt (Hannover)

    rechte. Aber diese begrüßenswerte Entwicklung war jäh unterbrochen worden durch die Instrumentalisierung der deutschen Minderheiten zu einer dritten Kolonne durch den Faschismus, die die Länder zerstörte, in denen sie lebten. Deshalb verbietet es sich einfach, nochmals an die Minderheitenschutzpolitik der Weimarer Republik anknüpfen zu wollen.
    Allerdings auch und gerade wir GRÜNEN treten für das Recht auf eigene Sprache und Kultur von Minderheiten ein, aber eben nicht im Rahmen nationaler Minderheitenschutzpolitik, sondern im Rahmen einer Menschenrechtspolitik, die neben den individuellen sehr wohl auch die sozialen Menschenrechte kennt und sich für sie einsetzt,

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    einerlei ob es sich um die deutsche oder ungarische Minderheit im diktatorischen Rumänien handelt oder gerade auch um die afrikanische Mehrheit in Südafrika.
    Ich fasse zusammen: Wir stehen vor der Herausforderung eines neuen Denkens im Machtzentrum Osteuropas. Daraus kann, muß nicht eine Entwicklung sich ergeben, die dazu führen könnte, daß die europäischen Völker ihr Zusammenleben auf eine neue Grundlage stellen würden. Diese Entwicklung zu fördern, statt sie zu behindern, bedeutet allerdings, das Prinzip neuen Denkens, wie es dort genannt wird, auch auf unseren eigenen politisch-historischen Seelenhaushalt anzuwenden. Ich glaube nicht, daß diese Bundesregierung dazu in der Lage ist. Aber es ist auch eine Forderung, die uns allen gilt, und je eher wir alle sie erfüllen, um so eher machen wir diese Bundesregierung überflüssig.

    (Beifall bei den GRÜNEN)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Rühe.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Volker Rühe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine der wesentlichsten Zukunftsfragen ist die Rolle Europas in der Weltpolitik. HansPeter Schwarz schreibt in seiner Adenauer-Biographie über das Europa der fünfziger Jahre:
    Europa ist die große Hoffnung der fünfziger Jahre, und es gibt keine kräftigere Schubkraft als die Hoffnung. Die Chiffre „Europa" steht damals
    — so schreibt Schwarz —
    für die angestrebte Partnerschaft mit den westeuropäischen Demokratien, für Gleichberechtigung, für neue Geborgenheit in der Staatengemeinschaft, für eine friedliche Zukunft und nicht zuletzt für außenpolitische Modernität.
    Was ist Europa heute? Ist es tatsächlich nur der Streit um Milchseen, Butterberge, Schweinepreise, dieses traurige Bild, das wir fast jede Woche über die Fernsehschirme flimmern sehen? Oder steht Europa wirklich für die Verhinderung eines durchgreifenden Umweltschutzes, wie wir es von immer mehr Mitbürgern immer lauter hören? So wichtig und unverzichtbar die Regelung dieser Fragen auch ist: Das ist nicht
    Europa, das darf nicht Europa sein. Dieses Bild von Europa dürfen wir nicht länger zulassen.
    Deshalb müssen wir wieder ins Bewußtsein bringen, daß Westeuropa mit seinen für Reiseverkehr, Kulturaustausch, Handel und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit durchlässigen Grenzen und mit dem friedlichen Nebeneinander von Staaten, die für Jahrzehnte und Jahrhunderte verfeindet waren, ein Modell für andere Staaten innerhalb und außerhalb Europas sein kann, ja, sein sollte. Die Tatsache, daß wir Frieden, Freiheit und Menschenrechte als selbstverständliche Grundlagen unseres Lebens ansehen und genießen können, verpflichtet uns, wie ich finde, dazu, daß wir unseren eigenen europäischen Beitrag in der Weltpolitik in Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten und mit Japan für Frieden, Freiheit und Menschenrechte leisten.
    Vor wenigen Monaten hat William Pfaff, Kommentator des „International Herald Tribune" , geschrieben:
    Der Westen braucht dringend mehr als ein Land, das bereit ist, zu führen, zu denken und die Werte unserer Zivilisation sowie unserer militärischen Sicherheit zu verteidigen.
    Wir stehen also vor der Alternative: Blick nach innen, Rückfall in einen europäischen Provinzialismus und damit auch weiterer Verlust an Bedeutung und Einfluß zur Vertretung unserer eigenen europäischen Interessen, damit aber auch der Interessen des Westens insgesamt, oder aber — —

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Immer noch besser Provinzialist als Imperialist!)

    — Sie, die GRÜNEN in diesem Lande, sind der Ausdruck tiefen Provinzialismus!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die andere Alternative ist: Wir nehmen die Herausforderung an und richten unseren Blick nach außen, um unsere eigenen Interessen selbstbewußter zu vertreten und zugleich auch einen eigenen sichtbaren Beitrag Europas für Frieden, Freiheit und Menschenrechte in der Welt leisten zu können. Für uns, für die CDU/CSU, gibt es nur einen Weg: Wir wollen und wir werden diese Herausforderung in den nächsten Jahren annehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Was bedeutet das aber in der Praxis? Das politische Gewicht Europas in der Weltpolitik wird sich nur aus dem ergeben, was die Europäer tatsächlich zu leisten in der Lage sind.

    (Dr. Vogel [SPD]: Richtig!)

    Wir werden in dem Beitrag des Kollegen Ehmke auch sehr viel über die Notwendigkeit, das Gewicht Europas zu stärken, hören. Nur, Herr Kollege Ehmke, Europa kann man nicht rhetorisch stärken. Woraus ergibt sich das Gewicht unseres Landes und damit Europas? Aus der politischen Stabilität, aus der Wirtschaftskraft und den damit verbundenen Chancen für soziale Gerechtigkeit sowie aus unserem militärischen Beitrag zur Verteidigung des Westens und



    Rühe
    damit auch der Grundlage für Entspannung zwischen West und Ost.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Die Sozialdemokraten haben sich aufgemacht, dieses Land und Europa rhetorisch zu stärken, aber was die politische Stabilität anlangt, so bedeutet Ihre Politik und Ihre Zusammenarbeit mit den GRÜNEN eine Schwächung Deutschlands und Europas.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist aber weit hergeholt! )

    Ihre Wirtschaftspolitik würde eine Schwächung Deutschlands und Europas bedeuten, und Ihr Nein zur Aufrechterhaltung unseres militärischen Beitrages, der Rolle der Bundeswehr in ihrem bisherigen Umfang, bedeutet eine Schwächung Deutschlands und Europas in der Weltpolitik.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Abwarten! — Zuruf von der SPD: Schwache Leistung, Rühe!)

    Deswegen sage ich Ihnen: Hören Sie auf damit, Europa nur rhetorisch stärken zu wollen. Das einzige, was in der Weltpolitik zählt, ist das, was man tatsächlich auf die Waagschale bringt, und das müssen wir machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    Wir müssen eine europäische Außenpolitik nicht nur im Grundsatz erarbeiten, sondern auch mit konkreten Maßnahmen verwirklichen, Maßnahmen, die sich aber nicht nur — das muß ich selbstkritisch sagen — am kleinsten gemeinsamen Nenner innerhalb der Gemeinschaft orientieren dürfen.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Schon besser!)

    Die internationale Bedeutung von Ländern wie Frankreich, Großbritannien und Italien, aber auch unseres Landes, der Bundesrepublik Deutschland, ist zu groß, als daß statt einer wirkungsvollen Außenpolitik nur Maßnahmen des kleinsten gemeinsamen Nenners zur Beruhigung des eigenen Gewissens ergriffen werden könnten. Gerade auch für die Verwirklichung des Gedankens von der europäischen Einheit dürfte nichts störender sein, als wenn sich der Eindruck einer Ohnmacht Europas in wichtigen weltpolitischen Fragen festsetzen würde.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Warum denn wohl?)

    Der moderne und zukunftsweisende Charakter Europas und unsere Bereitschaft, diese Herausforderung zu bewältigen, müssen sich für unsere Bürger auch an symbolträchtigen Beispielen festmachen lassen. Ein solches Beispiel ist für mich ein europäisches Programm zur friedlichen Nutzung des Weltraums. Im Weltraum liegt eben nicht nur wissenschaftlich-technologisches und wirtschaftliches Zukunftspotential, hier geht es auch um die Frage, ob wir unsere nationalen Fähigkeiten in Europa gemeinsam dafür nutzen können, daß sich Europa in diesem Bereich zu einem selbstbewußten und wettbewerbsfähigen Partner der USA entwickelt, oder ob es, weiterhin in nationale Eigeninteressen zersplittert, ein Juniorpartner der Amerikaner bleibt. Es geht hier also auch um die Antwort darauf, ob wir in der Lage sind, aus unseren jeweiligen nationalen Fähigkeiten heraus gemeinsam eine europäische Identität zu schaffen. Auch deshalb unterstützen wir die Teilnahme am Columbus-Projekt, auch deshalb sprechen wir uns energisch für eine deutsche Beteiligung an „Hermes" und für eine Intensivierung insbesondere der deutsch-französischen Zusammenarbeit in diesem ganz wichtigen Bereich aus.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Nur wenn Europa eine selbstbewußte und reife Partnerschaft — ich weiß mich dabei einig auch mit dem amerikanischen Botschafter, der häufig darüber gesprochen hat - mit den Vereinigten Staaten entwikkelt, werden wir auf die Dauer die Gefahren, die ich für die seelische Gesundheit unseres Bündnisses sehe, abwenden können

    (Zuruf von den GRÜNEN)

    — und Sie sind ein Ausdruck dieser Gefahren, die sich für die seelische Gesundheit des Bündnisses abzeichnen —,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Gefahren, die sich aus der für uns unverzichtbaren Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten ergeben, daß nämlich die militärische Präsenz der Vereinigten Staaten von Amerika und ihr Nuklearschutz für Westeuropa unverzichtbar sind und auch nicht durch ein eigenständiges, europäisches Vorhaben zu ersetzen wären; denn auf dem europäischen Kontinent kann die eine Großmacht Sowjetunion nur durch die andere Großmacht USA und ihren Verteidigungsbeitrag auf absehbare Zeit ausbalanciert werden.
    Diese für unsere Sicherheit notwendige Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten wird für Westeuropa psychologisch um so leichter zu ertragen sein, je mehr wir in der Lage sind, durch eigene Anstrengungen überflüssige Abhängigkeiten abzubauen. Je mehr wir Europäer aus eigener Kraft tun, wozu wir selbst dank unseres wirtschaftlichen und politischen Potentials in der Lage sind, und je mehr politische Verantwortung Europa für die Wahrung der Interessen des Westens und damit auch seiner eigenen Interessen übernimmt, desto mehr werden auch die USA zu ihrer Verantwortung für Westeuropa stehen. Nur dann werden wir in den USA die falsche Vorstellung ausräumen können, die Westeuropäer konzentrierten sich zu sehr auf ihre eigenen Probleme sowie auf den wirtschaftlichen Nutzen einer europäischen Entspannungspolitik, während die Vereinigten Staaten die Kosten der Verteidigung westlicher Interessen zu tragen hätten.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Die Kosten tragen wir allein!)

    — Sie tragen gar nichts, jedenfalls nicht die Verantwortung.
    Zu der Frage, was Europa eigentlich ist, gehört auch der vom sowjetischen Generalsekretär Gorbatschow benutzte Begriff des „gemeinsamen Hauses Europa". Doch sollte hier klar sein, was wir darunter verstehen:



    Rühe
    Erstens. Bewohner dieses Hauses sind und bleiben auch die USA und natürlich auch Kanada — übrigens, die Zusammensetzung der KSZE verdeutlicht dies —, dies nicht nur weil die Amerikaner als Siegermacht des Zweiten Weltkriegs Verantwortung in Europa haben und nicht nur weil sie der Garant für die Sicherheit Westeuropas sind, vielmehr haben die USA mit Ost- wie Westeuropäern eben auch gemeinsame historische und kulturelle Wurzeln, was sie zu natürlichen Bewohnern dieses gemeinsamen Hauses macht.
    Zweitens. Ein gemeinsames Haus darf keine vermauerten und verschlossenen Türen haben.

    (Schwarz [CDU/CSU]: Sehr gut! Das ist wichtig!)

    Ich weiß nicht, wer von Ihnen in einem solchen Haus leben oder solch ein Haus bauen möchte. Ein gemeinsames Haus darf keine vermauerten und geschlossenen Türen haben. Die Türen dieses Hauses müssen von all seinen Bewohnern in jede Richtung geöffnet werden können, damit sie sich in jedem beliebigen Raum dieses Hauses treffen und gemeinsam frei ihre Meinungen austauschen können. Es sind jedoch — um im Bild zu bleiben — noch erhebliche Umbauten in diesem Haus vorzunehmen, damit es dann auch einmal als ein gemeinsames bezeichnet werden kann.

    (Dr. Briefs [GRÜNE]: Sie wollen doch einen Hochsicherheitstrakt!)

    Drittens. Das langfristige politische Ziel muß es sein, in Europa eine dauerhafte und gerechte Friedensordnung mit geeigneten Sicherheitsgarantien zu schaffen, in der auch das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangen kann in diesem gemeinsamen Haus aller Europäer.

    (V o r sitz : Vizepräsident Stücklen)

    Daraus ergibt sich eine der wichtigsten Aufgaben der Ost-West-Zusammenarbeit der nächsten Jahre. Diese Zusammenarbeit muß zu dem führen, was ich die erlebbare Entspannung nennen möchte, Entspannung, die für den einzelnen Menschen in seinem täglichen Leben spürbar sein muß. Individuell erlebbare Entspannung: Das muß die Zielsetzung unserer Politik im Ost-West-Zusammenhang in den nächsten Jahren sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir wollen deshalb möglichst gute Beziehungen zu allen Staaten Osteuropas, Beziehungen, die dem gegenseitigen Nutzen und Vorteil eben auch für die einzelnen Menschen dienen. Die Einhaltung der Menschenrechte und menschliche Erleichterungen sind deshalb unerläßlich für die Sicherung des Friedens und für mehr Stabilität in Europa.
    Deshalb ist es für uns auch ein besonderes Anliegen, die Lage der Deutschen in der Sowjetunion, in Polen, aber ebenso auch in anderen osteuropäischen Staaten deutlich zu verbessern. Unser Bemühen gilt dabei nicht nur der Erleichterung von Ausreisemöglichkeiten und der Familienzusammenführung, wo es einige Verbesserungen gibt. Vielmehr muß es darum gehen, daß diesen Menschen vor allem die volle Ausübung ihrer individuellen Menschenrechte
    gewährt wird, d. h. daß ihnen die Möglichkeit eingeräumt wird, frei von Diskriminierung zu leben, ihre kulturelle Tradition, ihre Religion zu pflegen und sich ihrer Sprache zu bedienen, daß sie nicht verfolgt werden, weil sie sich um die Erhaltung ihrer sprachlichen und kulturellen Eigenständigkeit bemühen.
    Wer, wie die Sowjetunion und die Staaten des Warschauer Pakts, den Frieden in den Vordergrund der außenpolitischen Bemühungen stellen will, muß auch in diesen Fragen deutlich machen, daß Frieden mehr ist als nur Kriegsverhütung durch Rüstungsbegrenzung und Abrüstung.

    (Schwarz [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Eine Verbesserung der Menschenrechtssituation in Europa ist unlöslich mit dieser Politik verbunden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Auch ein regelmäßiger Schüler- und Studentenaustausch in beide Richtungen, nach Westen wie nach Osten, wäre ein Beitrag, zugleich aber auch ein Test auf die Bereitschaft zu erlebbarer Entspannung zwischen Ost und West. Warum ist es eigentlich so, daß mehr als 20 000 chinesische Studenten Universitäten außerhalb ihres eigenen Landes besuchen, aber bis zum heutigen Tage nicht einmal 1 000 sowjetische Studenten diese Gelegenheit haben? Warum ist es so wie auch in meinem Wahlkreis, daß dankenswerterweise viele Schulen hier bei uns sowjetische Schulklassen in der Sowjetunion besuchen, daß aber die Gegenbesuche ausbleiben? Es wäre doch ein Beitrag zur Vertrauensbildung zwischen unseren Ländern, zur gegenseitigen Förderung der Zusammenarbeit, wenn ein regelmäßiger deutschsowjetischer Schüler- und Studentenaustausch in beide Richtungen gleichgewichtig zustande kommen würde. Das wäre ein Beitrag zur Vertrauensbildung, für Glasnost, für Perestroika, für Öffnung. Eine Sowjetunion, die wieder mehr Selbstbewußtsein findet, sollte hier nicht hinter dieser enormen Öffnung zurückbleiben, die wir mit China in den letzten Jahren erlebt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Reise- und Kontaktmöglichkeiten der Deutschen in Ost und West gehören ebenfalls zu den Beispielen einer erlebbaren Entspannung. Wir wollen, daß sich unsere Landsleute aus der DDR ein eigenes Bild vom Leben in der Bundesrepublik machen können. Wir begrüßen, daß es hier zu den bekannten Verbesserungen gekommen ist. Wir wünschen, daß die positive Entwicklung im Reiseverkehr und auch im Jugendaustausch weiter ausgebaut wird. Wir wollen aber auch, daß in der DDR, und zwar dort, der direkte Dialog und möglichst viele Kontakte zwischen Bundesbürgern und Bürgern aus der DDR ohne Einschränkung möglich sind.
    Insbesondere innerdeutsche Städtepartnerschaften können und sollten die individuellen wie die gemeinschaftlichen Begegnungen der Bürger fördern, insbesondere auch derjenigen Menschen, die keine familiären Bindungen zum anderen Teil Deutschlands mehr haben. Städtepartnerschaften sollten zu echten Partnerschaften zwischen den einzelnen Bürgern im Sinne der erlebbaren Entspannung werden, und das



    Rühe
    sollte auch gerade für diejenigen Menschen möglich sein, die keine politischen Funktionen haben.
    Die Vorgänge in der Sowjetunion, liebe Kolleginnen und Kollegen, berühren unmittelbar auch unsere Ost- und Deutschlandpolitik. Wir dürfen gegenüber diesen Vorgängen weder blind noch schwerhörig sein, wir dürfen ihnen gegenüber auch nicht leichtgläubig sein. Wenn sich aus diesen Entwicklungen in der Sowjetunion Chancen für unsere Ost- und Deutschlandpolitik ergäben, würden wir versagen, wenn wir diese nicht ergriffen. Doch werden wir diese Chancen nur dann nutzen können, wenn wir in unseren Grundpositionen klar und glaubwürdig sind.
    Grundlage unserer Ost- und Deutschlandpolitik ist und bleibt eine glaubwürdige und berechenbare Westpolitik. Wir werden die deutsche Frage nicht voranbringen, wenn wir dem Trugbild eines neutralen Deutschlands zwischen Ost und West anhängen. Deshalb erteilen wir allen neutralistischen Tendenzen — ob nun von rechts oder von links — eine entschiedene und klare Absage.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir werden die deutsche Frage nicht lösen können, solange der Ost-West-Konflikt nicht gelöst ist; denn die deutsche Frage, die Spaltung unseres Landes ist eben nicht die Ursache — wie das manche glauben —, sondern die Folge des Ost-West-Konflikts.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Sie wollen sie doch gar nicht lösen!)

    Deshalb werden wir für den Dialog mit dem Osten auch keine Positionen des Bündnisses aufgeben; denn jeder außen- und sicherheitspolitische Sonderweg neben der Bündnispolitik oder gar gegen die Bündnispolitik würde unser Land sehr schnell in die internationale Isolierung führen und damit das Gewicht und den Handlungsspielraum der Bundesrepublik Deutschland drastisch reduzieren. Wir wollen und wir können kein Vermittler zwischen Ost und West sein.
    Die Zusammenarbeit mit unseren östlichen Nachbarn werden wir auch in Zukunft auf der Grundlage der Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa gestalten. Wir werden dabei immer auch die politische, moralische und historische Dimension der deutschen Frage im Auge behalten. Wir wollen nach vorn blicken und gemeinsam mit allen unseren Nachbarn in West und Ost eine gerechte und dauerhafte Friedensordnung in Europa schaffen, in der dann auch das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangen kann.
    Was die Entwicklung in der Sowjetunion angeht, werden für uns weniger das neue Denken als vielmehr die neuen Taten der sowjetischen Führung Maßstab der Beurteilung sein.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Wie übersehen nicht, daß es inzwischen einige Anzeichen gibt, die zwar nicht als eine Wende, aber als ein Ausdruck für ein gewisses Umdenken in der sowjetischen Führung gewertet werden können. Was und wieviel sich an der sowjetischen Politik ändern kann und wird, müssen wir sorgfältig und ohne Euphorie
    testen. Es wird vor allem von der Sowjetunion und ihrer inneren Entwicklung selbst abhängen, ob und inwieweit sich die von ihr angestrebten und auch notwendigen Veränderungen realisieren lassen.
    Der Westen kann dafür keine Vorleistungen machen. Er hat bereits wesentliche, grundsätzliche Vorleistungen erbracht. Ein Beispiel dafür ist unser offenes Gesellschaftssystem. Herr Falin hat davon gestern in schöner Weise Gebrauch gemacht. Ich habe zwar in der letzten Zeit in jeder Woche einen unzensierten und unkommentierten Artikel in vielen sowjetischen Zeitschriften veröffentlichen können — das ist eine Veränderung der Situation — , aber ich wünsche mir auch, daß ich am Tage nach einer GorbatschowRede diese unzensiert im sowjetischen Fernsehen kommentieren kann.
    Wir haben also Vorleistungen erbracht, auf die wir auch stolz sein sollten. Wir sollten sie ins Bewußtsein rücken. Eine andere Vorleistung ist eben auch, daß wir uns von unserer Doktrin, Struktur und den Potentialen unserer Verteidigung her die Nichtangriffsfähigkeit selbst auferlegt haben. Deshalb wird die weitere Entwicklung in der Sowjetunion auch daran zu messen sein, wieweit Moskau bereit ist, im Westen Vertrauenskapital anzusammeln.
    Wir sind bereit, im Rahmen unserer Möglichkeiten einen Beitrag zur Entwicklung in der Sowjetunion zu leisten. Diese könnten sein — damit komme ich auch schon zum Ende — : Erstens. Es sollte vermieden werden, daß diejenigen Kräfte gestärkt werden, die den Prozeß der Öffnung in der Sowjetunion verhindern wollen. In unserem eigenen Interesse sollte uns an der Veränderung der sowjetischen Gesellschaftsstruktur und Wirtschaft hin zu mehr Offenheit, Effizienz und auch zu mehr Wettbewerbsfähigkeit gelegen sein; denn die Alternative dazu wäre ein erstarrendes, unflexibles, dabei zugleich aber auch militärisch übermächtiges, uns bedrohendes System.
    Zweitens. Vor allem aber liegt ein grundsätzlicher Beitrag des Westens in einer im Bündnis abgestimmten, glaubwürdigen und für den Osten berechenbaren Außen- und Sicherheitspolitik entsprechend den Harmel-Prinzipien. Auf der Grundlage ausreichender Verteidigungsfähigkeit sollen konstruktive Ost-WestBeziehungen geschaffen werden.
    Unsere Bereitschaft, zu neuen Wegen der Zusammenarbeit zu kommen, kann aber nur an das anknüpfen, was es in der Sowjetunion an Entwicklungen gibt. Doch sollte dabei unbestritten sein: Wir wünschen eine vertiefte Zusammenarbeit in der ganzen Breite der gemeinsamen Beziehungen, so, wie es der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung hier ausgeführt hat, und so, wie es von uns allen in der Fraktion der CDU/CSU unterstützt wird. Wir alle werden uns gemeinsam in den nächsten Jahren an diese wichtige Aufgabe machen.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)