Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist ein gemeinsames existentielles Anliegen, daß es zu diesem Abkommen kommt. Das ist von allen hervorgehoben worden. Das alles geht sicherlich im wesentlichen auf eine weltpolitische Wende umfassenden Ausmaßes zurück, die sich gegenwärtig vollziehen kann. Gemessen daran ist es etwas peinlich, daraus ein innenpolitisches Heckmeck zu machen, wie das einige heute getan haben.
Wer den umfassendsten Reformversuch, den es bisher in der Sowjetunion gegeben hat und der diese Thematik hier unmittelbar mitbetrifft, auf die Stationierung der Pershing II zurückführt, argumentiert nach dem Muster des kleinsten Karos, das man mit bloßem Auge noch erkennen kann.
Man argumentiert dabei so, als sei Gorbatschow geradezu deshalb Generalsekretär geworden, weil Helmut Kohl beim NATO-Doppelbeschluß durchgehalten habe.
Das ist doch etwas zu wenig.
Bei den Mittelstreckenraketen gab es im wesentlichen — und das tauchte hier in der Debatte auch mit auf — drei Positionen, die sich in der Zeit bis 1983 und auch danach gegenüberstanden. Die eine Position war der Versuch, 1979 durch die sozialliberale Koalition eingeleitet, einer beiderseitigen Rüstungskontrolle bezogen auf Mittelstreckenraketen in Europa mit Hilfe von Verhandlungen. Dazu wurde dann das Druckinstrument eingebaut, das auf Grund der Risiken zu großen innenpolitischen Protesten führte. Ich meine die Risiken in dem Falle, daß es zu einer Stationierung und zu einem Scheitern dieses Rüstungskontrollversuches kommen würde.
Dagegen gab es eine zweite Linie. Die hat gesagt — das wollte sie schon immer, und Herr Wörner, Sie wissen es, Sie gehörten dazu —, man brauche das Füllen der Abschreckungslücke durch Mittelstreckenraketen, weil es völlig unabhängig von der Zahl sowjetischer Mittelstreckenraketen so etwas hier geben müßte.
Die dritte Linie in der politischen Debatte war die einer einseitigen Abrüstung bzw. eines Rüstungsverzichts ohne Verhandlungen, um damit angesichts ohnehin schon übermäßig vorhandener OverkillKapazitäten einen Abrüstungsprozeß einzuleiten.
Die SPD hat 1983 gegen die Stationierung gestimmt; sie hat damit nicht gegen Verhandlungen gestimmt. Vielmehr hat sie dagegengestimmt, weil nicht ernsthaft verhandelt wurde, die damals bestehenden Chancen nicht ernsthaft ausgelotet wurden, wie sich das bei der Waldspaziergangs-Lösung gezeigt hat.
In der Tat ist es so, daß eine Null-Lösung damals nur — von vielen, nicht von allen — vertreten wurde, weil man, wie heute in Dokumenten sichtbar wird, hoffte, die Sowjetunion könne darauf sowieso nicht eingehen.
Inzwischen ist überall deutlich geworden, auch in der Sowjetunion: Ihr wächst die Rüstung über den Kopf ; man braucht Spielraum für innere Reformen. In Amerika wird Gott sei Dank auch deutlich: Die Rüstung wächst allen, auch dem eigenen Land, über den Kopf. Leider wollen einige nur Spielraum für SDI.
Wenn ein Mittelstreckenabkommen jetzt tatsächlich möglich wird, dann liegt das zum einen an der weltpolitischen Entwicklung, vor allem an diesem grundliegenden Änderungsansatz in der Sowjetunion, den wir alle durch das Ergreifen der damit vorhandenen Chancen unterstützen müssen, so wie es auch der Außenminister in den letzten Wochen mehrfach betont hat und damit unsere Auffassung voll teilt. Zum anderen liegt es aber auch daran — nachdem die Teststoppchancen, die zunächst ergriffen werden sollten, vorläufig nicht genutzt worden sind — , weil man bei Mittelstreckenraketen nach jahrelangen Verhandlungen am weitesten ist, nämlich so weit, daß
48 Deutscher Bundestag — 1 1. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. März 1987
Dr. Scheer
man hier möglichst schnell — schneller als bei anderen Materien — ein Abkommen erreichen kann. Und nicht zuletzt liegt das an dem innenpolitischen Drängen großer Teile der Öffentlichkeit in Westeuropa und in der Bundesrepublik, die nicht nachgelassen haben, zu fordern, daß die Abrüstung der Mittelstreckenraketen vorankommt. Gedrängt haben dabei nicht diejenigen, die von der rechten Seite des Hauses, sondern von der linken Seite des Hauses repräsentiert werden.
Dies ist ein ganz klarer Sachverhalt.
Es wäre, wenn es zu einem solchen Abkommen kommt, tatsächlich ein Erfolg von ernsthaften Rüstungskontrollverhandlungen — zweifellos — , und es wäre ein Erfolg der Friedensbewegungen, die immerhin so erfolgreich waren, daß die Lückentheoretiker im Moment in Deckung bleiben,
so erfolgreich, daß selbst Herr Todenhöfer, der noch vor wenigen Wochen ernsthafteste Bedenken gegen die Null-Lösung hatte, inzwischen offensichtlich dafür ist.
Wenn das so ist, dann ist das nur von allen zu begrüßen. Dann sollten wir jetzt wirklich ohne weitere Junktims versuchen, daraus einen echten Erfolg zu machen.
Vielen Dank.