Rede von
Benno
Erhard
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Ich mache nach 22 Jahren Zugehörigkeit zu diesem Parlament zum zweitenmal Gebrauch vom § 30.
Der Abgeordnete Mann hat bei der justizpolitischen Debatte mich persönlich genannt, nachdem er zunächst die Perversion des Rechts unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft genannt hat: Wir würden das hier verdrängen, es wäre eine rechtspolitische Aufgabe dieses aufzuarbeiten. Dann hat er weiter gesagt — ich habe absichtlich gewartet, bis ich das Protokoll habe —:
Ich erinnere an das unwürdige Tauziehen innerhalb der Koalition hinsichtlich der Behandlung der sogenannten Auschwitzlüge. In widerlicher Aufrechnungsmentalität ... haben Sie, Herr Erhard, wie es der Vorsitzende des Richterbundes ausgedrückt hat, die Ermordung von 6 Millionen Juden mit der Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkrieges zu relativieren versucht.
Er hat in Parenthese dazugesagt: „das zu der Frage nach der Stahlhelm-Fraktion". Das paßt da zwar nicht ganz hinein, aber immerhin.
Ich erkläre dazu: Ich habe in meinem Leben nie, zu keinem Zeitpunkt irgend etwas von Relativierung hinsichtlich der Judenermordungen gesagt — nie! Wenn irgend jemand in unserem Lande daherkam und sagte, die Juden in Auschwitz seien nicht vergast und zu Millionen ermordet worden, habe ich mich immer dagegen gewehrt.
Ich habe meinen Finger immer, schon im Hessischen Landtag in den 50er Jahren, auf die Wunde der rechtspolitischen Entwicklung von 1933 an gelegt. Aber ich habe auch immer betont: Wer meint, das deutsche Recht habe 1933 begonnen und 1945 geendet, der irrt. Es gab Tendenzen im deutschen Recht, und zwar völlig übereinstimmende, breitgefächerte Tendenzen, die das, was die Nationalsozialisten ab 1933 daraus gemacht haben, vorher grundgelegt haben.
Ich habe nie eine Relativierung hinsichtlich der späteren Vertreibungen oder Mordtaten vorgenommen. Ich wehre mich dagegen, in ein solches Licht gesetzt zu werden, und ich will Ihnen jetzt einmal genau sagen, warum. Deswegen habe ich mich auch gemeldet, um es endlich einmal — ich habe mich dessen hier nie gebrüstet — zu sagen:
Ich war zehn Jahre alt, als mein Vater unter Berufung auf die Wiederherstellung des Beamtenrechts
— des Berufsbeamtentums — aus dem Notariat entfernt wurde. Mein Vater hatte 6 minderjährige Kinder. Ich war das zehnjährige dritte. Ich habe mich in den 30er Jahren als junger Bursche mit HJ-Buben bis zum Umfallen geprügelt. Ich habe mein Leben im Kriege aufs Spiel gesetzt, und zwar zweimal, ausdrücklich und gut nachweisbar, um mich von diesem System zu distanzieren. Und dann wird mir hier von Leuten, die damals noch nicht einmal geboren waren, die sich gar keine Mühe machen, nachzugucken, mit wem sie es zu tun haben, solches vorgeworfen! Ich finde das unerhört.
19526 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 250. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. November 1986
Erhard