Rede von
Dr.
Henning
Schierholz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch gerade nach Ihrer Rede, Frau Berger, muß ich mich fragen: Was ist eigentlich Sache in der Politik der Bundesregierung gegenüber der DDR? Da läßt der Bundeskanzler persönlich seit gut 14 Tagen keine Gelegenheit aus, um in aggressiver und demonstrativer Weise über die DDR herzuziehen.
Da wird einerseits das menschenfeindliche System angeprangert, und auf der anderen Seite bemühen sich die Fachleute für die kleinen Schritte, für humanitäre Erleichterungen — und in diesem Sinne war gerade Ihre Rede, Frau Berger — darum, das Kulturabkommen zu loben, das Umweltschutzabkommen zu avisieren und ähnliches. Ich frage Sie: Welche neuen Erkenntnisse treiben Sie eigentlich — das frage ich hier insbesondere den leeren Stuhl — zu dieser Kampagne gegen die DDR?
Eine solche Politik ist aus unserer Sicht voller Widersprüche, unausgegoren, konzeptionslos und nur auf Show und innenpolitische Vorteile angelegt;
denn die verbal-radikale Verurteilung der DDR ist nicht etwa Ausdruck einer glaubhaften und ungeteilten Menschenrechtspolitik, für die wir GRÜNEN uns einsetzen, sondern Mittel zum Zweck. Wann hat sich diese Regierung jemals für die Mitglieder der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR eingesetzt,
die nicht nur die Militarisierung dort beklagen, sondern auch die Aufrüstung bei uns scharf brandmarken? Nicht um die demokratischen Rechte dieser Menschen auf freie politische Betätigung und Freizügigkeit geht es, sondern um die Instrumentalisierung der Menschenrechtsfrage für eine nationalistische Ausrichtung ihrer Politik. Und davon zeugt auch der Haushalt.
Einer solchen Politik widersprechen wir natürlich. Und wir fragen, Herr Windelen: „Ostpreußen ist deutsches Land", sagen Sie so etwas auch hier im Deutschen Bundestag? Und der Kanzler sagt:
Mit unserem Vaterland meine ich nicht nur die Bundesrepublik und den anderen deutschen Staat,
— hört, hört! —
sondern auch die Menschen jenseits von Oder und Neiße.
— Diese Äußerungen, Herr Sauer, sind ein Kniefall vor den großdeutschen Träumern, die den Unionsparteien bei der Bayern-Wahl zu Herrn Schönhuber weggelaufen sind. Was hat Herr Strauß — so möchte ich hinzufügen — eigentlich Herrn Schönhuber geboten, damit er nicht zur Bundestagswahl antritt?
Doch über diese wahltaktischen Überlegungen in den Unionsfraktionen hinaus geht es offensichtlich um eine Neuakzentuierung der Deutschlandpolitik, die auf Konfrontation statt auf Dialog setzt und die Tür für eine Politik im Interesse von menschlichen Erleichterungen, von Abrüstung, von Verbesserungen im Umweltschutz und in anderen Bereichen zuschlägt. Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, daß die offenen und die versteckten Zuwendungen an die Vertriebenenverbände im Einzelplan 27 erneut kräftig aufgestockt werden,
während die Bundesregierung z. B. in den Verhandlungen über die Werra-/Weser-Entsalzung mit einem Taschengeld herkommt.
Die großmäulige Politik des Bundeskanzlers, Herr Böhm, torpediert den längst fälligen und möglichen Abschluß eines Umweltabkommens mit der DDR und gemeinsame Maßnahmen beider deutscher Staaten z. B. zur Luft- und Wasserreinhaltung — ich sage nur: Elbe! Elbe! Elbe! — auf Monate, wenn nicht auf Jahre.
— Eine Zwischenfrage der Herren Kollegen.